Meinung
»Alles schon mal dagewesen«
Alles schon mal dagewesen. Das habe ich mir gedacht, als ich diesen überaus interessanten Artikel gelesen hatte. Einige Marktsegmente verschwinden im stationären Fahrradhandel nach und nach, genauso wie im Jahrzehnt 1980-1990, als der kleinmotorisierte Markt zusammengebrochen ist und sich ein Händler nach dem anderen zunächst von Bekleidung, dann von Zubehör und letztlich von einem Marktsegment nach dem anderen »verabschiedet hat«.
Und die Händler? Auch hier sind viele (ohne Plan B) vom Markt verschwunden, die meisten jedoch haben nach und nach ein Segment nach dem anderen gestrichen und aus den Läden entfernt. Selbst wenn ein Relaunch erfolgt wäre, wäre dieser gescheitert, weil es gar keine Händler in ausreichender Zahl mehr dafür gegeben hätte.
Was hat das jetzt mit der aktuellen Situation auf dem Fahrrad- und Zubehörsektor incl. Bekleidung zu tun? Im Grunde genommen fast das Gleiche. Sicher, es gibt heute viel mehr größere Geschäfte als vor 35 Jahren. Händler wie z.B. Stadler und XXL beweisen, dass man mit viel Fläche breite Sortimente erfolgreich anbieten kann. Bei Lucky Bike / Radlbauer gibt es zwar auch tolle Geschäfte, es gibt aber auch räumliche Situationen, die ganz deutlich zeigen, dass riesige Vollsortimente auf Flächen unter 2.000 bis 2.500 qm nicht darstellbar sind. Und der mittlere Händler schaut mit dem Ofenrohr ins Gebirge. Er ist nicht mal in der Lage (weder platz- noch geldmäßig) ein breites Pedelec-Sortiment anzubieten. Um Missverständnisse zu vermeiden, in der Regel scheitert dieses alleine schon am Platz.
Viele Händler reduzieren nun aus Platzgründen das Warenangebot. Kinder- und Jugendräder werden aus dem Sortiment genommen. Von der Marge her gesehen mag das zwar richtig sein, von der Kundenbindung her gesehen ein Kardinalfehler!
Rennräder hat heute nur noch ein Bruchteil der Händler im Sortiment, Bekleidung hat (außer den Großen) in ausreichenden Mengen kaum noch einer und beim Zubehör haben die meisten Händler ein viel zu kleines Sortiment. Dadurch werden die Kunden dem Online-Handel in die Arme getrieben.
Problem: Platz, Platz und nochmals Platz. Der Handel (und nicht zu verachten: Branchenfremde!) konzentriert sich auf E-Bikes/Pedelecs. Einerseits verständlich, andererseits kann das tödlich sein/werden. »Herkömmliche« Fahrräder werden von Jahr zu Jahr weniger verkauft, also streicht man teilweise im Handel, anstatt sich in der Sortimentsbreite anzupassen. Bei E-Bikes/Pedelecs konzentrieren sich viele auf Modelle mit dem Antrieb des derzeitigen Marktführers Bosch, dem Shimano des 21. Jahrhunderts. Was aber ist, wenn mal andere Motorenanbieter in der Gunst der Verbraucher nachgefragt werden? 100 Pedelecs mit dem falschen Antrieb auf Lager zu haben und diese mit großen Nachlässen verkaufen zu müssen, wird vielen Händler finanziell das Genick brechen.
Wie könnte ein Plan B aussehen? Der Zweiradmarkt ist heute bei weitem nicht mehr mit dem Markt in den 70er bis 90er Jahren des letzten Jahrtausends zu vergleichen. Damals gab es ein 3-Gang Modell D+H, 26 und 28“, ein Leichtlaufrad mit 5-Gang-Kettenschaltung, einen Halbrenner mit 10-Gang Kettenschaltung und vielleicht noch ein Klapprad. Unterschiedliche Rahmenhöhen? Kannte man nicht. Dazu kamen noch ein paar Mopeds, Mofas usw. Das war locker auf 100 qm zu betreiben. Heute gibt es schätzungsweise 20.000 verschiedene Modelle/Rahmenhöhen/Schaltungen usw. aller Hersteller. Die Tendenz geht eher zu 25.000 als zu 15.000. Selbst das »Größte Zweirad-Center Deutschlands« kann (und will) nicht alles vorrätig haben.
Also muss man in die Fläche investieren (falls dies von den Kommunen überhaupt genehmigt wird) und ein für die Region adäquates Sortiment zusammenstellen. Sollte dies – aus welchen Gründen auch immer – nicht möglich sein, muss man sein Sortiment der vorhandenen Geschäftsfläche anpassen, mit all den Risiken, die beide Strategien nach sich ziehen. Mit Sortiment anpassen meine ich nun nicht, sich nur noch auf zum Beispiel City Bikes zu konzentrieren, sondern schon einen gängigen Querschnitt anzubieten, aber man muss ja nun wirklich nicht auf 300 Quadratmetern 100 verschiedene Modelle zeigen. Konzentrieren kann aber z.B. auch heißen, sich auf Reparaturen und Teileverkauf zu spezialisieren, prozentual hat man auf Teile eine höhere Marge als auf ein Pedelec.
Einen Seitenhieb auf meine Ex-Kollegen von der Industrie kann ich mir aber auch nicht verkneifen. Es ist ein Unding, dass sich der Händler 2019er Modelle bestellt, diese nach der ersten Lieferung schnell verkauft und dann im Oktober 2018 ein 2019er Modell nachbestellen möchte und erfahren muss, dass die 2019er Modelle bereits ausverkauft sind. Was soll denn der Quatsch?
Es ist spannend, und es bleibt spannend in dieser Branche, in der ich sowohl in der Industrie als auch dem Handel fast 50 Jahre verbracht habe.
{b}Wolfdieter Fronemann{/b}
Wolfdieter Fronemann blickt auf eine langjährige Laufbahn in der Fahrradindustrie und im Handel mit Stationen unter anderem bei Hercules, Sachs und Zweirad Stadler zurück. Seit seinem Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben berät Fronemann verschiedene Unternehmen insbesondere im
filialisierten Fahrradhandel.
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