Schulung - Ausbildung
Als Azubi ins Ausland gehen?
Seit März 2005 regelt das Berufsbildungsreformgesetz (BBiG, § 2 Abs. 3), dass auch angehende Zweiradmecha‑
troniker der Fachrichtung Fahrrad, Fahrradmonteure, Verkäufer sowie Kaufleute im Einzelhandel für ein Praktikum in ein anderes Land gehen können: »Teile der Berufsausbildung können im Ausland durchgeführt werden, wenn dies dem Ausbildungsziel dient. Ihre Gesamtdauer soll ein Viertel der in der Ausbildungsordnung festgelegten Ausbildungsdauer nicht überschreiten«, heißt es dort.
2013 empfahl der Bundestag, »den Anteil international mobiler Auszubildender bis 2020 auf zehn Prozent zu steigern«. Mit dem von der Europäischen Union finanzierten Programm Erasmus+ können seit Januar 2014 Ausbildungsabschnitte in den 28 EU-Staaten oder in den drei EFTA-Ländern Norwegen, Island und Liechtenstein beziehungsweise in der Türkei oder Mazedonien absolviert werden. Für die gesamte Laufzeit bis 2020 stellt die EU knapp 14,8 Milliarden Euro zur Verfügung.
Als 2015 erst vier Prozent der Auszubildenden den Sprung über die nationalen Grenzen gewagt hatten, initiierte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das branchenübergreifende, geförderte Online-Beratungsportal »Go-ibs« (go-ibs.de). Verantwortlich für das Portal ist die Informations- und Beratungsstelle für Auslandsaufenthalte in der beruflichen Bildung (IBS), die beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) angesiedelt ist. Go-ibs informiert über die Rahmenbedingungen von Erasmus+ und berät sowohl Auszubildende als auch Betriebe, Ausbilder und Berufsschulen.
Ende 2017 zieht nun Berthold Hübers, Leiter der Mobilität und Internationalisierung der Berufsbildung und Ansprechpartner von Go-ibs, bezüglich des Ziels, bis 2020 zehn Prozent der Auszubildenden ins Ausland zu bringen, Bilanz und kündigt gleichzeitig die nächste Maßnahme an: »Bei den Industriekaufleuten ist der Plan bereits aufgegangen. Bei den Auszubildenden der Fahrradbranche ist noch Luft nach oben. Nimmt man den Durchschnitt, gehen derzeit fünf Prozent der Auszubildenden während ihrer Ausbildung für eine bestimmte Zeit ins Ausland. Um für alle Berufsgruppen noch die zehn Prozent zu erreichen, hat das BMBF aktuell zusätzliche nationale Mittel bereitgestellt, die in das Programm ›Ausbildung Weltweit‹ fließen.« »Ausbildung Weltweit« soll in Zukunft all die Länder abdecken, die außerhalb des Programms Erasmus+ liegen.
In der Fahrradbranche sind die Möglichkeiten und Vorteile der Auslandsaufenthalte während der Ausbildung noch nicht angekommen. Dirk Sexauer, Geschäftsführer der VSF-Service GmbH und Leiter der VSF-Akademie, bestätigt die Zurückhaltung der Fahrradhändler, zerstreut aber gleichzeitig auch ihre Bedenken: »Rein rechtlich betrachtet geht man mit einem Azubi-Tausch kein größeres Risiko ein als mit der Einstellung eines Azubis selbst.« Der Fachverband VSF unterstützt seine Händler vor allem ideell. So stellt er neben Informationen und Erfahrungsberichten auch E-Mail-Foren bereit, in denen sich Händler über das Thema austauschen können.
Go-ibs hilft bei der Planung
Ein Grund für die Zurückhaltung der Fahrradbranche könnte die Sorge vor dem bürokratischen Aufwand sein. Eine Sorge, die Berthold Hübers von Go-ibs schnell entkräftet. Die Online-Plattform hilft dabei, das passende Projekt aus einem Pool von Angeboten zu filtern, über das man dann die weitere Organisation abwickelt. Sie beantwortet aber auch Fragen zu Versicherungen und zur medizinischen Vorsorge wie auch bei der Wahl der Unterkunft. Checklisten sorgen dafür, dass nichts vergessen wird. Eine Linksammlung führt zu Internetseiten, die letzte Fragen rund um die Reise beantworten. Wichtig dabei ist, dass auch das Organisatorische in den Händen der Auszubildenden liegen soll. Die Händler sollen ihnen gar nicht alles abnehmen. Die selbstständige Organisation des Auslandsaufenthalts ist Teil des Programms.
Für den Händler stellen sich eigentlich nur zwei Fragen: Er muss (mit)entscheiden, wie lange er auf seinen Auszubildenden verzichten will und er muss einen Teil der Finanzierung abdecken: »Der Auszubildende erhält während des Auslandsaufenthalts weiterhin seine Ausbildungsvergütung, da dieser integraler Bestandteil der Ausbildung ist«, stellt Hübers klar. »Von Erasmus+ kommt ein Zuschuss, der rund 50 bis 75 Prozent der Kosten abdeckt. Ob dieser Zuschuss reicht, hängt davon ab, wo die Reise hingeht: Paris ist teurer als das flache Land. Wenn die Kosten den Zuschuss übersteigen, müssen dies die Auszubildenden oder der Betrieb selbst übernehmen.«
Wie lange dauert ein effektiver Auslandsaufenthalt?
Die Länge des Auslandsaufenthalts kann individuell festgelegt werden. »Unter drei Wochen ist aber eher ungünstig. Schließlich muss man auch erst einmal in der Sprache und in der Kultur ankommen. Erfahrungsgemäß ist der Output bei einem Aufenthalt zwischen drei Wochen und drei Monaten am größten«, weiß Hübers von Go-ibs. Dirk Sexauer vom VSF präferiert einen etwas längeren Mindestaufenthalt: »Es empfiehlt sich, mindestens vier Wochen einzuplanen, damit sich ein gewisser Alltag einstellen kann.« Letztendlich muss laut Berthold Hübers bei der Planung bedacht werden, »dass der Auslandsaufenthalt nicht im Urlaub stattfindet, denn Erasmus+ und Ausbildung Weltweit sind kein Urlaub.« Und die Auszubildenden sollten im Blick haben, dass sie laut BiGG dazu verpflichtet sind, den versäumten Unterrichtsstoff eigenverantwortlich nachzuholen, denn die Ausbildungszeit verlängert sich durch das internationale Praktikum nicht und die Azubis müssen ihr Berichtsheft auch im Ausland weiterführen. Damit ist auch das letzte Thema geklärt: »Bei der Frage ›Wer schafft an?‹ sieht es so aus: Der Auszubildende ist dem Vorgesetzten unterstellt, bei dem er gerade arbeitet«, präzisiert Dirk Sexauer.
Vorteile für Azubis und Betriebe
Die Vorteile eines Auslandsaufenthalts liegen sowohl bei den Azubis als auch bei den Fahrradhändlern. Generell wird die Ausbildung durch den Auslandsaufenthalt aufgewertet, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt steigen, auch international. Ausbildungsbetriebe profitieren davon, dass die Azubis zumeist mit höheren sprachlichen sowie sozialen und interkulturellen Kompetenzen zurückkehren. Hübers weist darauf hin, dass sich diese Thesen mit den Ergebnissen von Go-ibs-Umfragen decken: »Interessant ist, dass bei Befragungen die Auszubildenden und die Arbeitgeber die gleichen Punkte nennen, und dies sogar in der gleichen Gewichtung. Als größten Vorteil sehen beide, dass das Selbstbewusstsein und die Selbstständigkeit zunehmen. Dann folgt schon der Spracherwerb, der positiv bewertet wird. Ein Punkt, der auch für Fahrradhändler interessant sein könnte, denn die Kunden werden ja auch immer internationaler und die Lieferkette ist es ja bereits. Der dritte Vorteil: Die Fachlichkeit. In anderen Ländern gibt es auch im Handel andere Abläufe, das Prozedere in den Werkstätten unterscheidet sich usw.«
Beteiligen sich Betriebe an den Auslandsprogrammen sollten sie dies öffentlich machen. Ein weltoffenes Fahrradgeschäft, das seinen Azubis den Weg eröffnet, über den innerbetrieblichen Tellerrand hinauszusehen, punktet nicht nur bei der Kundengewinnung, es lockt auch potenzielle neue Auszubildende an, denn die Attraktivität des Betriebs steigt.
Varianten des Auslandsaufenthalts
Bei der Frage, ob ein Azubi-Tausch nicht effektiver sei, führt Hübers ins Feld, dass die Verantwortlichen bei Go-ibs die Erfahrung gemacht haben, dass Arbeitgeber diese Variante eher hinderlich finden, da sie eine kompliziertere Organisation befürchten. Ausgeschlossen ist sie aber nicht. Lässt man sich auf einen Tausch ein, gibt es wiederum zwei Varianten: Entweder setzt man auf einen direkten Wechsel oder man tauscht nacheinander. »Beide Varianten haben ihre Vor- und ihre Nachteile: ›Gleichzeitig‹ hat den Vorteil, dass die Tauschenden dann auch ihre Wohnungen tauschen können. Ein großer Vorteil, denn das ist in der Regel organisatorisch der schwierige Part. ›Nacheinander‹ hat den Vorteil, dass der Auszubildende quasi einen Begleiter hat. Hier ist es dann aber wichtig, dass man sich trotzdem auch auf die anderen Kollegen einlässt«, unterscheidet Dirk Sexauer.
Zwei letzte Hinweise
Möchte ein Händler erste Erfahrungen mit Erasmus+ oder Ausbildung Weltweit sammeln, bietet Berthold Hübers noch eine letzte Variante an: »Auch im Ausland gibt es entsprechende Programme. Hiesige Fahrradhändler, die eine angehende Fachkraft aus einem anderen Land für eine bestimmte Zeit aufnehmen möchten, melden sich bei der zuständigen IHK oder Handwerkskammer oder den Institutionen oder den Pool-Projekten.«
Und noch etwas gilt es zu bedenken: Nicht nur Auszubildenden steht mit Erasmus+ der Weg ins Ausland offen, sondern auch Ausbildern. Neben dem Erwerb interkultureller und sprachlicher Kenntnisse geht es hier vor allem darum, europäische Kontakte auf- und auszubauen sowie neue Methoden des Lernens und Lehrens kennenzulernen. Letztendlich können also alle, die an der betrieblichen Ausbildung beteiligt sind, von den Auslandsprogrammen profitieren.
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