
Kolumne - Marius Graber
Außer Dienst
... nichts Böses und ich steige froh gelaunt aus dem Bus. (An der Stelle: Ja, Marius kann auch ohne Velo reisen.)
Kaum die Füße auf dem Boden, springt ein in Gore-Tex eingehüllter Mann auf mich zu: »Hej, was für ein Glück. Ich glaub, ich kenn dich, du bist doch der Mechaniker aus dieser Velowerkstatt. Mein Velo hat gerade ein Problem mit der Schaltung, da kannst du sicher schnell helfen.« Meine Tochter rollt die Augen, sie kennt das. Guter Mann, ich habe Ferien, verstehst du! Darum bin ich hier in Island und nicht in der Werkstatt. Und ich bin nicht hier, um Dinge zu flicken, welche wir mit einem Service hätten verhindern können. Herrgott. In meinem Kopf beginnen Engelchen und Teufelchen eine hitzige Diskussion: Das eine meint, dass ich doch wohl schauen könne, schließlich hilft man Menschen in Not. Das Velomechaniker-Gelübde. Das andere poltert auf das Recht auf Erholung und wirft ein, dass mir der Dorfbäcker hier auch kein Brötchen backen würde, wenn ich zu wenig Proviant eingepackt hätte. Das erste kontert, dass hier die ewige Dankbarkeit eines Kunden winke, oder andersrum die Google-ein-Sterne-Strafe droht. Das andere mahnt streng: Pause ist Pause.
Dasselbe passiert auch an Glühwein-Apéros, im Kino oder am Glace-Stand. Und es gibt noch weit schlimmere Fälle: Sie beginnen meist mit strengem Blick und »vor zwei Monaten war ich bei euch in der Werkstatt …« oder »Ihr habt da einen Mitarbeiter …«. Doch als Velohändler sind wir in guter Gesellschaft: Ein befreundeter Herzspezialist sagt mir letzthin, dass er auf kein Geburtstagsfest gehen könne, ohne dass ihn jemand am Jackenärmel zupft und flüstert, dass er seit einiger Zeit in der Herzgegend so ein komisches Gefühl habe. Nach der Theatervorstellung stellt sich aus diesem Grund nur noch seine Frau in die Warteschlange bei der Garderobe und er wartet draußen. Auch mein Bekannter aus dem EDV-Support hat mir letzthin gestanden, dass er sich deswegen bei gesellschaftlichen Anlässen immer öfter davonschleicht.
Doch – so denke ich mir nun – es ist ja auch schön, einen Beruf zu haben, der selbst im isländischen Hochland nützlich sein kann. Wäre ich als Statistiker bei der Bank oder städtischer Beamter, würde mir das nicht passieren. Und ich möchte ja mit keinem dieser Beruf tauschen. Jetzt gerade möchte ich einfach nur meine Ferien genießen. Ich sage nichts von all dem, was ich denke, und schaue mir die Schaltung zum Ärger meiner Tochter geduldig an. Ich habe Glück (der Kunde nicht): Das Schaltauge ist gebrochen. Gibt’s nichts mehr zu tun. Zum Glück will der Kunde nun nicht auch noch über die Sinnhaftigkeit von auswechselbaren Schaltaugen und deren Variantenreichtum diskutieren.
Marius Graber ist seit über 35 Jahren Fahrradhändler in Luzern und schreibt seit 25 Jahren für Fachmagazine über Fahrradtechnik, Reisen und die Branche.
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