Portrait - Panasonic
Big in Japan
Der Besuch bei Panasonic Cycle Technology (PCT) bietet einige Überraschungen. Vor allem rückt er das Bild zurecht: Während PCT in Europa vor allem als Hersteller des E-Bike-Antriebssystems wahrgenommen wird, versteht man sich selber als Fahrradhersteller mit eigener Motorenproduktion. So werden in der Fabrik in Osaka mit 500 Angestellten zum einen die Panasonic-Mittelmotoren, aber vor allem auch einfache Stadträder, Elektrovelos, Rennräder, Mountainbikes und Falträder produziert.
Beim Gang durch die Fabrik faszinierte die halbautomatische Rahmenfertigung der Elektrovelo-Rahmen: Liegen am Anfang noch die Rohre in Meterware, laufen am anderen Ende die fertigen Rahmen vom Haken, dazwischen so wenig Arbeiter, wie der Autor noch kaum einmal in einer Rahmenfertigung gesehen hat. Obwohl gesägt, gebogen, geschweißt und gelötet wird, ist alles blitzblank sauber und der Boden glänzt, sodass man drauf essen könnte.
In einer kleinen Abteilung fertigen neun Mitarbeiter jährlich um die 1.200 gemuffte Stahl- und geschweißte Titanrahmen individuell nach Kundenmaß. Diese werden vor allem für klassische Rennvelos genutzt, Titanrahmen werden aber auch für Falt- und Elektrovelos hergestellt. Der Radrennsport hat bei Panasonic große Tradition: Anfang der 90er Jahre unterstützten die Japaner ein internationales Profiteam, auf Panasonic-Rädern wurden Tour-de-France-Etappen gewonnen. Panasonic blieb dem gemufften Stahlrahmenbau bis heute treu und ergänzte sie mit der Fertigung von Titanrahmen. Rennvelos mit Aluminium- oder Carbon-Rahmen findet man im aktuellen Sortiment hingegen nicht. Den europäischen Besucher mag es erstaunen, dass sich ein solch großer Konzern um das Nischenprodukt Stahl- und Titan-Rennradrahmen kümmert, es zeigt aber auch, dass bei Panasonic die Werte wie Beständigkeit und Zuverlässigkeit sehr wichtig sind. In Japan funktioniert einiges etwas anders als in Europa oder Amerika. Mit dem klassischen Rahmenbau scheint der Riese die Vorlieben vieler Japaner offenbar gut zu treffen.
Japanisch bis ins Detail
Sauberkeit ist auch in der Motorenherstellung oberstes Gebot. Tritt man ein, stehen schon höflich ein paar Hausschuhe parat. Nicht nur der Fotoapparat des Journalisten bleibt vor der Tür, sondern auch seine Schuhe. In drei Montagestraßen werden die Motoren aus zugelieferten Komponenten endmontiert, die Elektronik mit Harz wasserdicht vergossen und schließlich das Motorgehäuse verschlossen. Es fasziniert, wie akkurat alle Kabel und Stecker im Innern des Motors in feiner Handarbeit gebündelt und geordnet werden. Es könnt ja auch ein Gewusel sein, welches dann unter dem Motorengehäuse verschwindet. Dies würde die japanische Genauigkeit und Sauberkeit aber wohl kaum zulassen. Von den drei Montagestraßen ist eine für die Export-Motoren bestimmt.
Die Akribie von PCT setzt sich auch im eigenen Testlabor fort. Hier gibt es Trommelprüfstände für ganze Velos, Rahmen-Test-Apparaturen, aber auch welche für Lenker, Sättel, Bremsbeläge, Reifen. Selbst für die Hinterbauständer, Bremskabel- und Hüllen betreiben die Panasonic-Ingenieure eine Testeinrichtung. Auch für die Motoren stehen mehrere Prüfstände parat, sodass Sensorik, Unterstützung und Drehmoment geprüft werden können. In acht kaninchenstallgroßen Kästen laufen Motoren-Dauertests über bis zu 250.000 simulierte Kilometer. Zudem verfügt Panasonic über eine Salzsprühnebelkammer, die so groß dimensioniert ist, dass gerade zwei ganze Velos darin getestet werden können. Im Außengelände befindet sich eine Testrampe mit vier-, acht- und zwölfprozentigem Gefälle für den Praxistest von Motoren und Bremsen. Hiermit erklärt sich vielleicht die besondere Zuverlässigkeit des Panasonic-Systems.
Wegbereiter für den E-Bike-Boom
Mit jährlich um die 255.000 produzierten Fahrrädern gehört Panasonic zu einem der größten Fahrradhersteller Japans. Das Elektrovelo nimmt dabei mit einem Stückzahlen-Anteil von 80 Prozent eine besondere Stellung ein: 1979 produzierte man den ersten Mittelmotor, damals noch für ein Elektromoped. 1996 lancierte dann Panasonic sein erstes Pedelec, welches den Motor mittels eines Pedal-Kraftsensors regelte. Und 2002 kam der erste Li-Ion-Akku zum Einsatz, womit ein Meilenstein in der Geschichte des Elektrorades gesetzt wurde. Rückblickend kann man wohl sagen, dass die Lithium-Ionen-Akkus, welche bei geringerem Gewicht und Volumen mehr Energie speichern konnten als ihre Vorgänger, zusammen mit der hohen Qualität und Zuverlässigkeit des japanischen Motors den E-Bike-Boom in Europa erst ermöglichten oder auslösten.
2002 importierte die Firma Biketec die ersten Antriebseinheiten und lancierte damit den legendären C-Flyer. Hans Furrer, der damalige Produktmanager von Flyer hatte ein Jahr zuvor am Rande einer Messe in Taiwan erste Kontakte zu Panasonic, konnte dort auf einem Hotelgang einen ersten Prototyp ausprobieren und war verblüfft vom leisen Lauf und dem geringen Gewicht des Panasonic-Systems. Damit begann die Intensive Zusammenarbeit zwischen Flyer und Panasonic, bei der nicht nur technische, sondern auch kulturelle Hürden genommen werden mussten.
Anfänglich unterschieden sich die Motoren für den Heimmarkt und für die europäischen Länder hauptsächlich durch die Beschriftung des Displays. Neuerungen wurden damals immer erst auf dem japanischen Markt eingeführt, dort wurden dann auch Markterfahrungen gesammelt, bevor die Weiterentwicklungen den Weg nach Europa fanden. Weil sich die Ansprüche auf dem europäischen Markt jedoch viel schneller entwickelten, drehte sich dies bald: Innovationen werden seitdem vor allem zur Befriedigung des europäischen Marktes vorangetrieben.
In Japan sieht man auf der Straße keine Elektrovelos mit LCD-Displays, sondern ausschließlich mit einfachen LED-Anzeigen. Elektrovelos der schnellen Klasse sind kein Thema, ebenso wenig E-MTBs. Die Panasonic-Manager bestätigen, dass der Wunsch nach stärkeren Motoren, höheren Geschwindigkeiten und größeren Akkus vor allem vom europäischen Markt dirigiert sei. So werden nun Neuerungen vorwiegend auf dem europäischen Markt eingeführt, und danach erst auf dem Heimmarkt übernommen. Wenn überhaupt.
Mischkonzerne im Fahrradsattel
Auf dem japanischen Markt hat PCT bei den Elektrovelos einen Markanteil von ca. 42 Prozent und teilt sich diesen praktisch ausschließlich mit Yamaha und Bridgestone. Yamaha verwendet einen eigenen Antrieb, Bridgestone bezieht seine Motoren hingegen teilweise auch von Panasonic. Es dominieren die Mittelmotoren, Modelle mit günstigen Frontmotoren aus China kommen auf maximal 5 Prozent Marktanteil. Für unser Verständnis mag es merkwürdig sein, dass ein Konzern unter anderem Unterhaltungselektronik, Klimageräte, Leuchtstoffröhren und eben auch Fahrräder herstellt. Dies ist aber bei einigen japanischen Konzernen, wie etwa auch bei den großen Mitbewerbern Yamaha und Bridgestone, der Fall. Auch diese sind sehr breit diversifiziert.
PCT betont die Vorteile, die sich daraus ergeben, wenn Motoren-, Display-, Akku- und Fahrrad-Know-how im eigenen Konzern vorhanden sind. 2011 hat Panasonic den japanischen Konzern Sanyo aufgekauft und sich damit Zugang zu dessen großem Akkutechnologie-Know-how verschafft.
Pro Jahr produziert Panasonic unterdessen um die 315.000 Motorsysteme, davon gehen ca. 100.000 in den Export. Größter Kunde ist Flyer-Anbieter Biketec, der ungefähr die Hälfte der exportierten Motoren abnimmt. Weitere Kunden sind unter anderem Gazelle, KTM, Helkama in Finnland und Monarch in Schweden. In den Spitzenjahren um 2010 waren es einige mehr. Durch den Markteintritt von Bosch hat man jedoch viele Kunden verloren.
Die starke Prägung durch den gut florierenden Heimmarkt mag vielleicht erklären, warum Panasonic in den letzten Jahren in Europa nicht als sehr innovativ wahrgenommen wurde. Aufgrund des Heimaterfolgs war PCT vielleicht zu wenig offen für die Bedürfnisse des europäischen Marktes. Vielleicht war auch die Strategie, pro Land nur einen Hersteller zu beliefern, zwar sehr loyal, aber doch auch etwas riskant. Wie auch immer. Die Japaner scheinen wachgerüttelt: Panasonic lanciert als erster Großhersteller einen Motor mit integriertem elektronisch geschaltetem Zwei-Gang-Getriebe und beginnt damit, Motor und Schaltung zu verschmelzen. Das könnte ein ähnlicher Meilenstein sein wie einst der Li-Ionen-Akku.
Aufholjagd
Der neue Motor ist rund 800 Gramm schwerer als der Standardmotor, kann aber durch das Getriebe zum einen ein höheres Drehmoment erreichen, was bei Mountainbikes interessant sein dürfte. Zum anderen kann er durch das erweiterte Gangspektrum einen breiteren Geschwindigkeitsbereich abdecken, was wiederum für schnelle E-Bikes ein Vorteil ist. Panasonic hat zudem eine Kooperation mit Fahrradausrüster Shimano aufgenommen, dessen Hauptsitz sich nur ca. 30 Autominuten von PCT entfernt befindet. Neu können demnach nun die elektronischen Di2-Schaltungen der Alfine- und Nexus-Linie angebunden werden: Stromversorgung und Ganganzeige übernimmt dann das Panasonic-System, der Motor nimmt Kraft zurück, wenn geschaltet wird. Zudem kann das Zwei-Gang-Getriebe des neuen Motors auch über das elektronische Shimano-Schaltsystem angesteuert werden. Ebenfalls serienreif ist der neue Akku, welcher sich im Rahmen integrieren lässt.
Um den Herstellern eine bessere Unterstützung bieten zu können, wurde im europäischen Konzern-Headoffice in München eine Support-Abteilung für die E-Bike-Antriebssysteme eingerichtet. Sechs Personen sind dort für den Support der E-Bike-Motoren eingestellt worden, davon zwei langjährige japanische Panasonic-Mitarbeiter. Dort werden mehr und mehr auch direkte Händleranfragen beantwortet. So will man wieder Kunden (zurück-)gewinnen. Panasonic gibt auch unumwunden zu, dass sie die große Herausforderung im Moment nicht darin sehen, neue Motoren zu entwickeln und auf den Markt zu bringen, sondern Hersteller zu finden, welche ihr System einsetzen wollen. Die E-Bike-Entwickler bei Panasonic hätten noch einige Innovationen in der Schublade, die sie vorantreiben wollen. Doch im japanischen Großkonzern gibt es dafür erst Geld, wenn Bestellungen vorliegen. Der Weg zurück an die Spitze der E-Bike-Ausrüster bleibt also eine Herausforderung für den Markt-Pionier.
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