Branchen-Club gewährt Einblick:
Bike Brainpool: Politik trifft Branche
Kurz bevor der Bike Brainpool auf sein 20. Jubiläum im kommenden Jahr zusteuert, standen am 14. und 15. Oktober die Zukunft der urbanen (Fahrrad-)Mobilität und das Spannungsfeld von stationärem und digitalem Handel in unserer Branche im Mittelpunkt. Gastgeber war diesmal der Fahrradkomponenten-Vertreiber Paul Lange, der sein noch relatives junges Kompetenzzentrum für den Brainpool öffnete.
„Es ist nur drei Jahre her, dass hier noch Autos verkauft wurden“, erklärte Bernhard Lange, Chef des Familienunternehmens in zweiter Generation, bei der Begrüßung der Brainpooler. Das Areal in unmittelbarer Nachbarschaft der Stuttgarter Zentrale des europaweit tätigen Marken-Vertreibers war viele Jahre ein unternehmenseigenes Autohaus von Volkswagen, musste aber aufgrund konkurrierender Standorte aufgegeben werden. Paul Lange nutzte die Chance, um das weitläufige Gebäude samt Außenfläche zum Kompetenzzentrum für die Handelspartner umzubauen, wo insbesondere Technikschulungen zum umfangreichen Programm von Shimano, dessen Vertriebspartner Lange seit bald 50 Jahren ist, angeboten werden.
Es entbehrt somit auch nicht einer gewissen Ironie, dass in dem ehemaligen VW-Autohaus nun der Bike Brainpool, der sich aus Führungskräften und Vordenkern im Fahrradmarkt zusammensetzt, über die Zukunft der urbanen Mobilität diskutierte. „Status Quo und Zukunft der Mobilität bzw. Elektromobilität“ betitelte Brainpool-Macherin Ulrike Saade die Inhalte am ersten Tag.
Gastgeber Bernhard Lange nahm den Ball auf und sagte in seiner Begrüßung: „Wir fordern hohe Investitionen in den Radverkehr. Wir fordern den radikalen Ausbau des Radwegenetzes.“ Das Ziel für alle beteiligten Akteure müsse lauten, den Radverkehrsanteil in Deutschland in absehbarer Zeit von derzeit 10 % auf 30 % wachsen zu lassen.
Dass Bernhard Lange solche Forderungen und Ziele nachdrücklich nannte, lag nicht zuletzt auch am prominenten Zuhörer Winfried Hermann. Der langjährige Bundestagsabgeordnete steht seit dem grün-roten Machtwechsel in Baden-Württemberg als Minister an der Spitze des Verkehrsministeriums und gab den Brainpool-Mitgliedern einen Einblick in die Strategie und Entwicklung des Radverkehrs unter seiner Verantwortung.
Dem grünen Verkehrsexperten eilt der Ruf voraus, öfter mal bei der heimischen Autoindustrie im Ländle anzuecken. Eine kleine Spitze konnte sich Hermann dann auch im Kreis der Bike Brainpooler nicht verkneifen. „Als Mitglied des baden-württembergischen Kabinetts muss man sich ständig zum Auto bekennen“, sagte der Verkehrsminister und erledigte diesen Auftrag auch gleich mit einer angedeuteten, knappen Verbeugung. Das war dann aber auch die einzige Nettigkeit, die der Politiker für die Auto-Hersteller in petto hatte. „In den vergangenen Jahren wurden andere Verkehrsmittel als das Auto vernachlässigt“, sagte Hermann, der Baden Württemberg zur „Pionierregion der nachhaltigen Mobilität" umgestalten will. „Ein zentrales Element ist dabei das Fahrrad“, so der Verkehrsminister. Die Zeiten, in denen „der Rad- und Fußverkehr von der Politik jahrelang ignoriert wurde“, sind jedenfalls mit einem grünen Politiker auf dem Ministerposten gezählt.
In der Vergangenheit habe die Fahrradwirtschaft bei der Radverkehrsförderung vieles anstelle der Politik geleistet, wofür Hermann den Zuhörern seinen Dank aussprach. Inzwischen hat die Politik zumindest in Baden Württemberg das Zepter beim Fahrrad aufgegriffen, wie der Grünen-Politiker anhand verschiedener Projekte aufzeigte. Schwerpunkte dabei sind Image-Kampagnen („um das Fahrrad aus dem Schweiß zu holen und dem edlen Chique zuzuführen“ O-Ton Hermann), Maßnahmen zur Reduzierung der Unfallzahlen von Radfahrern, überregionale Fahrradwegweiser und die Förderung von Abstellanlagen.
Kontroverse Sichtweisen zu E-Commerce
Der zweite Brainpool-Tag war inhaltlich vor allem von den Veränderungen in unserer Branche durch die wachsende Bedeutung digitaler Vertriebsformen geprägt. Wobei hier die Meinungen unter den Referenten und Zuhörern auseinander gingen, wie gravierend diese Veränderungen tatsächlich sind.
Wenn es nach dem Worten von Professor Gerrit Heinemann, dem Leiter des e-Web Research Center BWL, geht, bleibe in der Handelslandschaft durch den Online-Wandel kaum einen Stein auf dem anderen. In seinem Vortrag „Sozial-lokal-mobil - Zukunft des Handels und Handel der Zukunft“ ging der E-Commerce-Forscher hart mit dem stationären Handel in Deutschland ins Gericht, der nach seiner Beobachtung unter einer „digitalen Allergie“ leide und in den meisten Fällen noch nicht mal ein elektronisches Warenwirtschaftssytem einsetze. Bei seinen Praxisbeispielen ging der Handelswissenschaftler jedoch kaum auf die Situation des Fahrradeinzelhandels ein, sondern skizzierte vor allem die Situation deutscher Handelskonzerne und verglich diese mit ihren internationalen Mitberwerbern.
Mehr Nähe zur Praxis zeigten die nachfolgenden Best-Practise-Beispiele aus der Branche, bei der etwa Malte Köttgen, Geschäftsführer von Bike&Co, die sehr umfangreiche digitale Wunschliste der eigenen Verbundmitglieder vorstellte und damit gleichzeitig zu verstehen gab, dass E-Commerce zumindest bei den Händlern der Einkaufsgemeinschaft sehr wohl ein großes Thema ist.
Einen Einblick aus erster Hand lieferte auch Ralf Kindermann, der nach verschiedenen Stationen in der Fahrradindustrie und in Handelsunternehmen seit einiger Zeit fahrrad.de-Macher Internetstores als Geschäftsführer (COO) vorsteht. Und der beim Bike Brainpool auch mit einigen Mythen aufräumte. Etwa über die Bedrohung durch Amazon: „Amazon ist der Nachfolger von Quelle und Neckermann. Da müssen wir keine Angst haben“, so Kindermann. Und über die sonst eher weiblich geprägte Kundschaft von Online-Händlern sagte er: „Unser Frauenanteil bei den Kunden liegt bei nur etwa 30 %“. Das erkläre auch die „verdammt niedrige“ Retourenquote bei fahrrad.de von nur 15 %.
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