Handel - Fahrradcoaching
Da geht noch was
Noch einer der nervt«, dachte Lutz Klingner, als ein Fahrradcoach mitten in der Saison mit ihm über sein Geschäft sprechen wollte. Am Telefon. In der Hochsaison. Während es in seinem Laden brummte! Sein: »Ich rufe zurück«, war nicht ernst gemeint. Er wollte den Mann nur schnellstmöglich wieder loswerden. Aber der Fahrradcoach Gunnar Schmidt war hartnäckig. Er rief an. Wieder und wieder. Ohne Erfolg. Irgendwann stand er dann in Dresden zwischen den Sporträdern und sagte zu Klingner: »Dein Telefondienst funktioniert schon mal nicht.«
Klingner gefiel das. Zeit hatte er trotzdem nicht. Schließlich war immer noch Hauptsaison. Im Herbst rief er Schmidt aber dann tatsächlich zurück. Seitdem sprechen sie regelmäßig und Schmidt macht das, was er am besten kann: Zuhören und nachhaken, um herauszufinden, wie es im Giant-Testcenter noch etwas besser laufen könnte. »Ich bringe keinen Rucksack voller Lösung mit«, sagt der Fahrradcoach. Wer ihn engagiert, muss selbst aktiv werden. Ideen und Verbesserungsvorschläge erarbeiten die Mitarbeiter stets im Austausch mit Schmidt. Entweder im Team oder im Einzelgespräch. Oft sind es nur Kleinigkeiten, die geändert werden. Aber der Effekt ist groß.
Ein Dauerbrenner im Fachhandel ist der Telefondienst. Das ständige Klingeln zerrt an den Nerven. Beantworten die Mechaniker die Anrufe, fehlt ihnen die Zeit in der Werkstatt. Arbeiten sie weiter, zeigt der Anrufbeantworter abends schnell 30 neue Nachrichten. Das belastet das Team und ärgert die Kunden. »Eine einfache Lösung gibt es dafür nicht«, sagt der Coach, »wenn es sie gäbe, hätte der Inhaber sie längst selbst gefunden«. Schmidt definiert mit dem Team zunächst das Ziel und sucht dann mit ihnen einen gangbaren Weg dorthin. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Der eine entscheidet sich für einen zusätzlichen Mitarbeiter in Spitzenzeiten, ein anderer führt ein Online-Buchungssystem ein und ein Dritter engagiert ein externes Team, dass die Aufträge entgegennimmt und in die Werkstattplanung ergänzt. Hier sieht Schmidt auch Potenzial, fachfremde Fachkräfte in den Handel zu integrieren. »Es gibt nur zwölf verschiedene Gründe, warum Kunden bei ihrem Händler anrufen«, sagt der Coach. Nach einer Schulung könnten auch Branchenfremde die Fragen beantworten und die Termine vergeben. Dirk Nachtmann aus Chemnitz probiert das gerade aus. Allerdings nur für die Bestellung von Kinderrädern. Das klappt momentan gut. Nach und nach will er das weiter ausdehnen, damit er und sein Mitarbeiter sich auf die Kunden im Laden konzentrieren können.
Sportgeist und Aufrichtigkeit im Handel
Patentlösungen gibt es im Verkauf nicht. Schmidt weiß das aus eigener Erfahrung. 17 Jahre lang hat er selbst als Verkäufer gearbeitet. Er hat Autos verkauft, Kunden beraten, Autohäuser geleitet und Teams geführt. Nach seiner Fortbildung zum Coach entschied er sich schnell dafür, nur noch für den Fahrradhandel zu arbeiten.
Für mich ist der Fahrradhandel weit mehr als ein Geschäft. Es ist ein Ort, an dem die Menschen gerne arbeiten
, sagt er. Konkurrenzdenken erlebt er dort selten. Die Regel sei ein großer Sportgeist und eine große Aufrichtigkeit - im Team, aber auch im Umgang mit den Kunden. Das spürt er in der Beratung. »Die Mitarbeiter wollen Räder verkaufen, die zu ihren Kunden passen. Sie fragen so lange nach, bis sie genau wissen, was der Kunde sich wünscht und was er mit dem Rad alles vorhat«, sagt Schmidt. Schlussendlich gehe es immer darum, dem Kunden das eine, richtig gutes Fahrrad zu verkaufen, mit dem er glücklich werde. Diese Haltung gefällt ihm.
Beim Coaching spürt er allerdings auch: Der Fachkräftemangel setzt der Fahrradbranche zu. »Nahezu jeder Händler, den ich kenne, sucht Mitarbeiter«, sagt Schmidt. In der Saison arbeiten viele Teams am Limit und manchmal sogar darüber hinaus. Einige Inhaber buchen den Coach, um ihren Angestellten den Alltag zu erleichtern und Arbeitsabläufe zu optimieren. Dabei greifen sie auch zu exotischen Mitteln. Im Cube-Store in Rostock wurden nach Schmidts Coaching Pager für die Vergabe der Kundenberatung eingeführt. Restaurants nutzen die drahtlosen handtellergroßen Rufsysteme seit Jahren. Sie informieren ihre Kunden damit per Ton-, Licht- und Vibrationssignal, dass ihr Essen fertig oder ein Tisch frei geworden ist. Im Cube-Store wollte das Team damit die Kundenbewegungen im Laden besser organisieren. Das hat funktioniert. »Die Kunden brauchen nicht mehr nach freien Mitarbeitern Ausschau halten und wissen, sie werden nicht übersehen«, sagt Henri Spengler. Stattdessen konnten sie entspannt stöbern oder einen Kaffee trinken. »Das macht die Kollegen gelassener und sie verkaufen besser«, sagt Spengler. Wenn das Team zustimmt, will er das System nach der Pandemie beibehalten.
Oftmals sind es nur Kleinigkeiten, die nach Schmidts Coaching im Laden eingeführt werden. Das kann ein Satz sein, der ein Verkaufsgespräch beendet oder eine kleine Geste, die den Kunden freut und damit die Atmosphäre im Laden insgesamt verbessert. Einiges davon entwickelt Schmidt im Vier-Augen-Gespräch, anderes aber auch im Team. Ein Gerüst für die Kleinigkeiten, die den Arbeitsalltag erleichtern, kann der Reparatur-Annahme-Leitfaden (Ralf) sein. Die Reparatur ist das Herzstück im lokalen Fachhandel. Die Annahme zu standardisieren spart Zeit, reduziert Nachfragen und ist laut Schmidt ein guter Zeitpunkt, um mit den Kunden ins Gespräch zu kommen. Dass dieser Moment von großer Wichtigkeit ist, hat sich schon weit herumgesprochen. So ist im Rahme der VSF-Grundlagenschulung für die Werkstatt die Reparaturannahme ein wichtiger Baustein (siehe velobiz.de Magazin 04/2021). Aber noch längst nicht jeder Händler holt das Maximum heraus. Zum Maximum führen manchmal auch minimale Veränderungen. Elegant ist es, wenn ein Betrieb diesem Vorgang eine individuelle Note verpassen kann. Ein Team habe im Rahmen von »Ralf« sogenannte Zaubertücher unter den Tresen deponiert, sagt er. Kommt dort nun ein Kunde mit schmutzigen Händen oder der Kette in der Hand in den Laden kommt, bekommt er sofort die griffbereiten Tücher gereicht, damit er sich die Hände säubern kann. Ein Fachhändler außerhalb der Innenstadt bietet seinen Kunden nun ÖPNV-Fahrkarten an oder einen Fahrservice zur nächsten Haltestelle. Das kommt gut an und verbessert die Atmosphäre im Laden. Jeder Leitfaden sieht anders aus. Für Schmidt ist das selbstverständlich. Schließlich muss das Angebot zum Team passen.
Manchmal verhindert der Fahrradcouch aber auch Dinge. Ein Beispiel ist die Kundenkarte mit Sonderkonditionen, die Lutz Klingner einführen wollte. Er plante, treue Käufer seiner Markenräder mit zeitnahen Werkstattterminen zu belohnen. Erst als Schmidt nachhakte, bemerkte er die vielen Fallstricke seiner Idee. Galt das Angebot nur für das gekaufte Rad oder für sämtliche Räder der Familie? Wie lange nach dem Kauf sollte das Angebot gelten? Monate oder gar Jahre? Klingner begriff: Seine Idee konnte für seine Mitarbeiter schnell zum Bumerang werden und verwarf sie wieder.
Für Spengler sind die Gespräche mit Schmidt inzwischen ein Mittel gegen Betriebsblindheit. Er sagt: »Ich verkaufe seit 26 Jahren Räder, da schleicht sich das Gefühl ein, ich habe alles schon gehört und gesehen.« Der Austausch zeigt ihm, dass ihm, dass das nicht so ist und dass es immer wieder Neues zu entdecken gibt.
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