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Online-Werbung // Targeting 2

Das Cookie-Aus und die Alternativen II

Der absehbare Verlust von 3rd-Party-Cookies sorgt für viel Bewegung im Online-Marketing. Nach der Darstellung des Stands der Dinge geht es um die möglichen Alternativen. Die sich abzeichnenden Entwicklungen und Lösungsansätze sind lehrreich.

Online-Markting und Online-Werbung funktionieren umso besser, je genauer man einzelne Nutzerinnen und Nutzer identifizieren kann. Gleichzeitig gibt es große gesellschaftliche Widerstände gegen gläserne Konsumenten. Da das Ende von 3rd-Party-Cookies absehbar ist (wie in der letzten Ausgabe dargestellt), wird diese Wiederkennung in Zukunft deutlich erschwert sein. Die Welt der Digitalwerbung wäre nicht, was sie ist, wenn sie nicht bereits auf zahlreiche Alternativen setzen könnte, um die entstandene Lücke wenigstens teilweise zu schließen. Ihr Erfindungsreichtum führt zu leistungsfähigen Ansätzen, die ihrerseits auch neue Möglichkeiten eröffnen. Insgesamt zehn mögliche Alternativen sollen hier genannt werden, die mehr oder weniger leistungsfähig sind und auch mehr oder weniger aufwendig umzusetzen sind. Zwischen Zukunftsmusik und Innovation lässt sich auch viel über die Zukunft des Online-Marketings lernen.

1. ID-Lösungen

Vereinfacht ausgedrückt wird die Bildung der Datenprofile einfach auf Server verlagert, statt Cookies auf dem Rechner des Nutzers zu speichern. Das ist natürlich ein Trick, um die Beschränkungen durch die Privacy Sandbox zu umgehen, aber im Grunde weiterhin personenbezogenes Targeting machen zu können. Dazu muss man wissen, dass im Grunde jeder ans Netz angeschlossene Rechner oder jedes Smartphone eine ganz eigene Konfiguration hat. Mit nur wenigen dieser Merkmale lässt sich die wiederkehrende Besucherin erkennen, auch ohne, dass in ihrem Browser ein Cookie gespeichert wird.

Vermutlich wird sich der Datenschutz dieses Themas als Nächstes annehmen. Denn ein »weiter wie bisher« ist nicht im Sinn der Regulierer. Schaut man aber genau hin, dann ist es für die ID-Anbieter nicht ganz so einfach, einen Bezug zu persönlichen Daten herzustellen. Eine ganz wichtige Rolle dabei spielen sogenannte Data Clean Rooms. Dort werden zum Beispiel die IDs unterschiedlicher Anbieter miteinander verglichen. Oder die IDs mit den 1st-Party-Daten des Werbungtreibenden. Findet man passende Profile, wird sogar Retargeting wieder möglich.

Das Besondere an den Clean Rooms ist, dass sie wie eine Blackbox funktionieren. Dem Konzept nach sollen weder Werbungtreibende noch ID-Anbieter sehen (und speichern können) welche Schlüsse dieser Matching-Prozess zieht. Die passenden Anzeigen werden vollautomatisch ausgespielt. Die aktuell populärste ID-Lösung SharedID von Prebid operiert sogar Open Source, um bei den Beteiligten und Regulierern für Vertrauen zu werben.

2. Kontext-Werbung

Der größte Herausforderer des personenbezogenen Targetings ist das Targeting von Umfeld und Situation, mithin die älteste Werbeform, die es überhaupt gibt. Es ist konzeptionell einfacher umzusetzen als Personen-Targeting und kostet bei der Schaltung oft auch weniger (zumindest jetzt noch). Auch wenn die Werbewirkung schwächer sein sollte – was keineswegs feststeht – , so kann es doch sein, dass in einer Kosten-Nutzen-Betrachtung (ROI, Return on Investment) die Kontextwerbung genauso gut abschneidet wie Personen-Targeting.
Und die Systeme entwickeln sich gerade rasant weiter. »Richtig gut funktioniert Kontext-Targeting, wenn man auf Einzelseiten optimiert«, meint Corinna Hessler, Managing Director Deutschland beim Technologiedienstleister Dynadmic. Vollautomatische Systeme untersuchen die Inhalte der Einzelseiten und klassifizieren sie in Gruppen. Diese Gruppen werden dann als Targeting-Ziel angeboten.

Das System von Dynadmic ist so gut, dass man auch die Inhalte von Videos vollautomatisch auslesen kann. Und man kann mit einer solchen Analyse auch erkennen, ob ein vergleichsweise harmloses Themenvideo von bösartigen Kommentaren begleitet wird. Ein Umfeld, in dem man vielleicht nicht werben will. Dynadmics Wettbewerber GumGum aus Kalifornien schaut sich auch noch die Inhalte der Bilder in Seiten an, um noch genauer zu wissen, was da passiert.

Über diesen Ansatz – semantisches Targeting genannt – lassen sich passende Werbeflächen identifizieren, unabhängig von der jeweiligen Website. Das grobe Prinzip »Sport = Kicker« gehört der Vergangenheit an.

3. Situatives Targeting

Im Grunde ist das eine Untergruppe des Kontext-Targeting, aber eine ganz besondere. Der Marketing-Volksmund sagt, dass die richtige Werbebotschaft den richtigen Kunden zur richtigen Zeit eingeblendet werden soll. Und letzteres referiert auf die Situation.
Hört sich kompliziert an, ist es aber nicht. Wenn sich eine Userin Fahrrad-Tests auf Youtube anschaut, ist es nicht vermessen zu vermuten, dass sie sich in Kauflaune befindet. Wenn sie auf Google nach dem »Händler in der Nähe« sucht, wohl auch. Volkswagen hat versucht, den Vento als Familienfahrzeug in Stellung zu bringen, und hat mit einer Youtube-Kampagne exakt die Nutzerinnen und Nutzer adressiert, die sich Videos zum Thema Heiraten, Brautkleid etc. angeschaut haben. Die in Befragungen erhobene Kaufbereitschaft stieg um 20 Prozent im Vergleich zu »normalen« Kampagnen.

Wenn sich ein digitaler Bildschirm in einem Warteraum befindet, ist es wahrscheinlicher, dass die Nutzer Zeit haben, sich einer Werbung zu widmen, als wenn der Bildschirm an der Hauptverkehrsstraße aufgestellt ist. Ein sehr vielversprechender Werbeort für die Radbranche könnten Fitnessstudios sein. Dort hängen jede Menge Bildschirme, die zum Beispiel von der One Tech Group vermarktet werden. Die Studiobesucher haben jede Menge Zeit, Werbung zu schauen, und das Umfeld ist definitiv fahrradgeeignet.

4. Native Advertising

Auch die Systeme von Taboola oder Outbrain setzen auf Semantik. Das Interessante an diesen Werbefeeds ist die Mischung aus redaktionellem und werblichem Content. Die Userin weiß nicht genau, ob hinter den Kacheln ein spannender Artikel oder ein Werbeformat lauert. Das hebt eines der größten Probleme auf, das Displaywerbung hat, nämlich die Banner-Blindheit. Die sorgt ja dafür, dass User Werbeflächen instinktiv ignorieren und die Werbung Wirkung verliert.

Die Werbung tritt in Konkurrenz zu redaktionellen Artikeln und muss sich da behaupten. Hier ist also der Raum für Content-Marketing, also Werbemittel, die unterhaltsam oder erklärend sind. Diese Mischung aus Advertising (Anzeigenschaltung) und Marketing (Inhalte) gelingt Unternehmen oft nicht besonders gut, was dafür sorgt, dass die Native Ads manchmal so banal sind wie die klassische Text-Bild-Angebots-Anzeige bei Google Ads. Wer das meiste aus Native herausholen will, braucht dafür einen speziellen Prozess.
Aber es kann sich lohnen. Publisher lieben Native Advertising, weil auch die eigenen Artikel mehr Traffic bekommen. Und da sie oft als Sekundärvermarktung eingesetzt werden, die sich auf Inventare konzentriert, die nicht vom hauseigenen Sales-Team verkauft werden, sind die Platzierungen mitunter günstig einzukaufen.

Native kann neben Targeting-Signalen auch Erkenntnisse aus dem Nutzerverhalten in einer Seite umsetzen, das sogenannte Behavioral Targeting. Man könnte also eine Anzeige mit Radbezug auch auf einer Seite mit politischen Themen ausspielen, wenn die Daten hergeben, dass eine Korrelation existiert. Im klassischen, semantischen Targeting würde das nicht passieren.

Aber klar ist auch: Nur die gut gemachte Anzeige wird geklickt. Es ist kein lineares Format, bei dem ein Interstitial (also Unterbrecherwerbung) den Medienkonsum des Nutzers radikal unterbricht.

5. Choice Driven Advertising

Damit ist Native Advertising auch Teil eines ganz neuen Segments. Choice Driven bedeutet, dass die Nutzerin oder der Nutzer entscheidet, ob und welche Werbung sie sehen wollen. Hier gehört auch das Youtube-System True View dazu. Der Nutzer kann bei Youtube-Videos die Werbung nach fünf Sekunden überspringen, wenn sie ihm nicht gefällt. Das zwingt Werber dazu, bessere Werbung zu machen und gibt dem Nutzer die Möglichkeit, sich selbst einem Thema zuzuordnen. Dazu braucht es dann nicht mal eine Zustimmungserklärung.
Die neueren Formen von Choice Driven treiben den Ansatz weiter. Unternehmen wie Welect oder Ogury zeigen der Userin nur vier Vorschaubilder von Werbespots und sie darf sich entscheiden, welche Werbung sie vor dem eigentlichen Content sehen will. Hier entsteht ein interessanter Wettbewerb zwischen den Werbenden. Zahlen von Welect zeigen, dass die Akzeptanz dieses Ansatzes sehr hoch ist. Sie schätzen die freie Wahl. Damit steigt auch die Werbewirkung.

6. Digital out of Home

DOOH, so das Akronym, ist laut Mr. Media Thomas Koch der letzte Reichweiten-Kanal. Die Digitalisierung des Plakats, die Bildschirme in Bahnhöfen, Bürocentern, Shoppingmalls und Flughäfen sind nicht einfach eine Modernisierung dieses traditionellen Formats. Sondern es verlangt nach komplettem Umdenken. »DOOH ist näher an Digitalwerbung als an klassischer Außenwerbung«, erklärt Claudia Zayer vom DOOH-Vermarkter Goldbach.
Sie verkauft unter anderem die Werbeflächen in Flughäfen. Dort kann eine Werbung präzise Bezug nehmen auf das Flugziel an einem bestimmten Gate und genau für diesen (kurzen) Zeitraum dort laufen. Das hat nichts mehr zu tun mit dem klassischen Wochenrhythmus des Plakatklebens. Auch kurzfristige Verkaufsaktionen lassen sich über digitale Bildschirme bewerben, vor allem, weil man mit den digitalen Planungs- und Steuerungswerkzeugen sehr gezielt lokal werben kann.

7. Connected TV

Der mit dem Internet verbundene Fernseher ist zurzeit eine spannende Plattform für Markenwerbung. Auch wenn die Media-Agenturen nicht müde werden zu betonen, dass theoretisch zwei von drei Haushalten in Deutschland über diesen digitalen Kanal erreichbar sind, muss man genau hinschauen. Ja, auch junge Zielgruppen nutzen den Fernseher, um Youtube-Videos zu schauen oder Spiele zu spielen. Aber das Gros des Traffics findet auf Netflix, Disney+, den Mediatheken der ARD oder AmazonPrime statt und diese Kanäle sind werbefrei.

Christian Wilkens, der Chief Operating Officer der Mediaagentur Mediacom, ist der Meinung, dass es noch zu früh ist, in kleinteiligen Targeting-Kampagnen zu denken. Der Aufwand für die Planung ist erheblich, die Reichweite in einzelnen Zielgruppen überschaubar. Mit einer Ausnahme: Auch CTV erlaubt lokales Targeting. Hier können sich Händler (ähnlich wie beim Kino) in lokaler Bewegtbildwerbung üben.

Zur Verfügung stehen im Wesentlichen drei Formate. Die klassische In­stream-Werbung ist der digitale Videospot. Er läuft zum Beispiel als Vorlauf, wenn ein Nutzer einen neuen Kanal startet. Peloton hat dieses Feld schon stark besetzt. Das Format steht praktisch bei jedem digitalen Videokanal zur Verfügung. Wer bei Youtube Spots bucht, kann in bestimmten Formaten sogar die Daten aus der Google-Suche nutzen.

Große Sender wie RTL oder ProSiebenSat.1 bieten ein Format namens SwitchIn XXL. Das ist ein L-Förmiges Banner, das das Videobild einrahmt. Ist die Werbezeit abgelaufen, vergrößert sich das Video wieder auf Vollbild.

Samsung, der Platzhirsch in Sachen Smart-TV, bietet Werbeflächen im Smart-TV-Menü an, die auch sichtbar sind, wenn von TV-Konsum auf ein Konsolenspiel umgeschaltet wird. Christian Russ, Verkaufsleiter Europa bei Samsung Ads, sagt: »Das Besondere bei Samsung ist, dass man viel über das veränderte Mediennutzungsverhalten junger Menschen lernen kann«. Lineares TV, Streaming, Video-on-Demand und Gaming finden im permanenten Wechsel statt.

8. Audiomarketing

Auch die Radiowerbung hat sich digitalisiert. Als Streaming-Kanal kommt digitales Radio ohne Cookies aus und ist von den Veränderungen im Markt nicht berührt. Auf Smartspeakern hören viele Nutzer klassische Radiosender. Die haben ihre Targeting-Segmentierung inzwischen sehr fein justiert, sodass man nicht nur lokal, sondern auch zielgruppengenau Werbung schalten kann. Das Format der Wahl ist im ersten Schritt der klassische Radiospot.

Spannender ist zurzeit die boomende Podcast-Szene. Viele Unternehmen schauen zuerst auf die Möglichkeiten, den eigenen Podcast zu produzieren und zu veröffentlichen. Mindestens genauso interessant und weniger aufwendig ist es aber, mit einem Angebot in bestehende, erfolgreiche Podcasts zu gehen. Hier braucht es neue, kreative Ansätze. Ein erfolgreiches Format ist zum Beispiel der Host Read. Die Podcaster sprechen selbst die Werbung ein und erzeugen dadurch eine nahtlose Integration in die Episode.

Apropos Integration: Podcast-Spots lassen sich inzwischen in Echtzeit in Podcasts integrieren. Das bedeutet: Auch wenn Nutzerinnen eine zwei Jahre alte Folge eines Podcasts hören, kann dort eine aktuelle Werbung stattfinden. Die Werbung ist nicht mehr »backed in«, wie die Buzzword-Jünger sagen. Sie ist nicht mehr fest integriert.

9. Influencer Marketing

Der Influencer-Hype ebbt nicht ab. Im Gegenteil. Es gilt inzwischen als gesetzt, dass Influencer-Marketing vor allem in der Awareness-Phase viel Aufmerksamkeit auf neue Produkte ziehen kann. Aber das ist längst nicht alles. »Natürlich können Influencer auch verkaufen«, meint die Beraterin Sarah Emmerich. Die Mechanik von Social Media sorgt dafür, dass eine Sales-Aktion, die von Influencern beworben wird, schnell die Runde macht und von Nutzerin zu Nutzer weitergeleitet wird. Für viele Marken ist es dieser Tage besonders spannend, dass Instagram, Pinterest, Facebook, Snapchat und TikTok eigene Shops einrichten. So kann der Nutzer ein Produkt erwerben, ohne die Seite wechseln zu müssen. Marken haben hier einen direkten Endkunden-Zugang mit überschaubarem Aufwand (Buzzword für den Stammtisch: D2C, Direct to Consumer). Freilich können auch Händler diesen zusätzlichen Kanal nutzen.

10. Digital Retail Media

Im Grunde kann man hier von einer Unterform der Kontextwerbung sprechen, denn die User sind bereits im Onlineshop unterwegs und in Kauflaune. Plattformen wie Amazon oder Ebay haben sehr tiefes Wissen über die Interessen und Vorlieben der Nutzerinnen und Nutzer. Außerdem kennen sie deren Kaufhistorie. Das funktioniert auch datenschutzkonform, weil die User sich bei diesen Plattformen einloggen und eine entsprechende Trackingerlaubnis erteilen.

Bislang trauen sich vor allem diejenigen Marken und Händler auf diese Plattformen, deren Produkte auch direkt dort gehandelt werden (endemische Anbieter). Das muss aber nicht sein. Spannend ist natürlich, dass die Plattformen über die schiere Masse an Kaufdaten interessante Korrelationen zwischen Produkten und Kategorien sehen können. Nach dem Motto: Wer gestern eine neue Kaffeemaschine gekauft hat, zeigt gesteigertes Interesse daran, morgen ein E-Bike zu erwerben.

Fazit

Die Möglichkeiten für digitale Werbung sind endlos. Zu den genannten kommen zum Beispiel noch die mobilen Werbeformen hinzu, klassisches Social Media Advertising oder Werbung in Spielen.

Klar ist, dass mit dem Verlust der 3rd-Party-Cookies das Targeting von Individuen komplizierter wird. Dafür wird das Zielgruppen-Targeting wieder wichtiger. Und Zielgruppen definieren sich eben nicht mehr nur nach demographischen Daten, sondern auch nach Verhalten, Kontext des Medienkonsums oder der konkreten Situation, in der sie sich befinden. Klar ist aber auch, dass die Werbemittel selbst stärker in den Fokus rücken müssen. Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit wird schärfer, weil der Rückgriff auf die personenbezogenen Daten fehlt.

Die Werbeexperten von Moloco formulieren es wie folgt: »Your creative has to be irresistible«. Mit dieser Ausrichtung und flankierend einer Strategie, die versucht, möglichst guten Kontakt zu bestehenden Kundeninnen und Interessenten aufzubauen und diesen zu pflegen (1st-Party), ist man als digitaler Werber auch bestens vorbereitet für das zu erwartende neue Google-System FLoC (Federated Learning of Cohorts), wo es genau darum gehen soll, kleine und kleinste Zielgruppen gezielt anzusprechen. Aber bis das wirklich kommt, wird es noch
dauern. //

2. Dezember 2021 von Frank Puscher
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