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Recht - Handelsgerichtliche Gerichtsverfahren

Das erste Mal vor Gericht

Auch eine grundsätzlich kooperativ agierende Branche wie die Fahrradbranche kommt nicht ohne Meinungsverschiedenheiten aus. Wenn sich diese nicht einvernehmlich regeln lassen, hilft nur der Gang vor Gericht. Doch wie läuft so ein Gerichtsverfahren ab? Was kostet es? Wie lange dauert es? Und welche Maßnahmen helfen, um das Verfahren vielleicht doch zu vermeiden oder zumindest schnell zu einem Ende zu bringen?

Kaum jemand streitet gerne. Die Fahrradbranche ist trotz des Wachstums der Corona-Jahre und der stattfindenden Konsolidierung im Anschluss immer noch eine kleine, fast familiäre Branche. Man kennt sich und zu konfrontatives Verhalten ächtet die Branche auf ihre eigene Art und Weise. Es spricht sich herum, wenn einzelne Akteure zu aggressiv agieren. Gleichzeitig sollte das niemanden davon abhalten, die eigene Rechtsposition zu kennen, zu analysieren und nötigenfalls vor Gericht durchzusetzen. In einem Rechtsstaat ist die Entscheidung von Konflikten durch neutrale staatliche Instanzen schlicht das Mittel der Wahl.
Dieser Artikel soll gerichtsunerfahrenen Parteien einen Einblick geben, wie handelsrechtliche Streitigkeiten vor Gericht ausgetragen werden und welche Implikationen und Rahmenbedingungen sie mit sich bringen. Der Fokus soll auf handelsrechtliche Streitigkeiten beschränkt sein. Das deutsche Recht kennt fünf Gerichtszweige. Arbeitsrechtliche oder steuerrechtliche Verfahren folgen sehr eigenen Regeln, die hier den Rahmen sprengen würden.

A. Ablauf und Dauer eines handelsrechtlichen Gerichtsverfahrens

Ein handelsrechtlicher Streit kann sich um Abnahmeverpflichtungen oder Schadensersatzansprüche drehen. Es kann um Ausgleichsansprüche von Handelsvertretern und Vertragshändlern gegen den Hersteller gehen oder um Mängelgewährleistungsansprüche. Allen diesen Streitigkeiten ist ihr B2B-Charakter gemein.
Gerichtsverfahren solcher Art fallen nicht vom Himmel. Sie bahnen sich über Monate oder Jahre an. Wenn die Streitparteien keine Einigung finden, wird die Partei, die den Anspruch behauptet, den Weg vor Gericht wagen. Hierzu muss sie Klage beim zuständigen Gericht erheben, was üblicherweise in handelsrechtlichen Streitigkeiten das Landgericht ist. Amtsgerichte sind nur bis zu einem Streitwert von 5000 Euro zuständig. Selbst wenn die Ampelregierung die Zuständigkeitsschwelle demnächst auf 8000 Euro erhöht, werden die meisten handelsrechtlichen Streitigkeiten höhere Streitwerte betreffen. Es geht selten um ein einzelnes defektes Fahrrad, sondern um eine defekte Container-Lieferung oder um einen Ausgleichsanspruch aus der Beendigung eines Vertriebsvertrages.
Der Kläger prüft die örtliche Zuständigkeit, die sich aus bestimmten Regeln der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO) ergibt. Er reicht eine Klageschrift ein, die den Anspruch beziffert und den Sachverhalt darlegt. Der Beklagte erwidert und es erfolgt mindestens ein weiterer Schriftsatz, die sogenannte Replik. Häufig wird noch einige weitere Male Schriftsatz-Ping-Pong betrieben, bevor es zur mündlichen Verhandlung kommt.
Bis zu diesem Zeitpunkt sind häufig einige Monate vergangen. Erst jetzt treffen die Kontrahenten vor Gericht aufeinander. Innerhalb des Landgerichts ist die Kammer für Handelssachen zuständig. Die ist grundsätzlich mit einem Berufsrichter und zwei Kaufleuten besetzt. »Grundsätzlich« bedeutet aber, dass es Ausnahmen hiervon gibt. Der faktische Regelfall dürfte die Entscheidung durch den Einzelrichter sein.
Es erfolgen Beweisaufnahmen, Zeugenvernehmungen und Sachverständigengutachten. Zwei Jahre bis zu einem erstinstanzlichen Urteil sind keine Seltenheit, und es schließt sich möglicherweise noch eine zweite Instanz vor dem Oberlandesgericht an, was davon abhängt, ob die unterlegene Partei noch Berufung einlegt. Der Weg in die dritte Instanz zum Bundesgerichtshof ist äußerst selten. Aber schon die ersten beiden Instanzen beanspruchen zusammen regelmäßig drei oder vier Jahre.
Der Kläger kann im Anschluss mit dem Titel vollstrecken, was aber selten nötig ist, denn der Beklagte sollte spätestens jetzt freiwillig zahlen. Das Vollstreckungsverfahren kann durch einen Gerichtsvollzieher oder durch Kontenpfändungen geschehen.

B. Kosten handelsrechtlicher Streitigkeiten

Gerichtsverfahren zu führen oder sich gegen Ansprüche zu verteidigen, ist teuer. Der Kläger muss zunächst einmal die Gerichtskosten vorstrecken. Bei einem beispielhaften Streitwert von 100.000 Euro liegen die Gerichtskosten bei 3387 Euro. Ohne diese vorzuschießen, wird die Klage schon nicht zugestellt.
Vor den Landgerichten müssen sich alle Parteien anwaltlich vertreten lassen. Eine kunstgerechte Prozessführung wäre in Eigenregie aber auch nicht machbar. Hinsichtlich der Kosten könnte man von den Mindestgebühren nach Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) ausgehen. Das Problem hierbei ist ein faktisches:
Es gibt sehr wenige spezialisierte Rechtsanwälte, die nach diesen Gebühren arbeiten.
Ein Rechenbeispiel kann dies veranschaulichen. Nach RVG verdient ein Rechtsanwalt in der ersten Instanz bei einem Streitwert von 100.000 Euro genau 4137,50 Euro. Das klingt ganz passabel, aber realistischerweise wird das über zwei Jahre und vielleicht 50 Nettostunden Arbeit verdient. Nahezu alle Wirtschaftskanzleien rechnen daher nach Aufwand ab. Statista hat für das Jahr 2021 einen mittleren Stundensatz von
394 Euro für Rechtsanwälte, die im Bereich »Konfliktlösung« spezialisiert sind, ermittelt. Die Kosten für den eigenen Rechtsbeistand können also leicht 20.000 Euro und mehr über eine Instanz betragen.

Bevor man den Gang zum Gericht geht, sollte klar sein, welche Dauer und Kosten des Verfahrens zu erwarten sind.

Nun könnte man sich in der Gewissheit wiegen, dass man diese Kosten doch bei Obsiegen zurückbekommt. Diese Binsenweisheit ist zwar so in der ZPO geregelt, hilft aber nicht weiter. Ersetzt werden schließlich nur die gesetzlichen Mindestgebühren. Der Kläger bleibt daher auch bei vollständigem Obsiegen auf vielen Tausend Euro Rechtsverfolgungskosten sitzen.

C. Internationale Streitig-keiten und Schiedsverfahren

Internationale Streitigkeiten sind ein Sonderfall. Schon der Streit mit dem niederländischen Lieferanten, der 50 Kilometer entfernt hinter der Grenze ansässig ist, wirft die Frage auf, ob deutsche oder niederländische Gerichte international zuständig sind. Insbesondere im Zusammenspiel mit dem Austausch von Einkaufs- und Verkaufsbedingungen im beliebten Bestellvorgang »Angebot, Bestellung, Auftragsbestätigung« ist nur mit Mühe feststellbar, welche Gerichtsstandsklausel nun gilt. Darüber wird nicht selten dann auch tatsächlich vor Gericht gestritten.

Eine beliebte Alternative zu staatlichen Gerichtsverfahren stellt daher gerade bei Lieferverhältnissen mit höheren Gegenstandswerten im internationalen Kontext die Schiedsgerichtsbarkeit dar. Schiedsgerichte sind private Gerichte, die aber staatlich anerkannt werden. Vereinbaren die Parteien die Zuständigkeit eines solchen Gerichts, kommen sie üblicherweise deutlich schneller zu einem Urteil, das international auch deutlich besser vollstreckt werden kann. Im internationalen Kontext
neigen Parteien dazu, ihre Heimatgerichte zu bevorzugen. Schiedsgerichte sind überstaatlich und so aus Sicht der Parteien neutral.

Ersetzt werden nur die gesetzlichen Mindestgebühren. Die Rechtsverfolgungskosten können aber viel höher sein.

Zudem sind in Schiedsverfahren anders als in staatlichen Gerichtsverfahren Rechtsverfolgungskosten in voller Höhe er-
satzfähig. Schiedsgerichte sind im Wirtschaftsleben daher anerkannt und beliebt.

D. Verhandlungs- und Vermeidungsstrategien

Wer nun weiß, dass Gerichtsverfahren viel Geld und Zeit kosten, Unwägbarkeiten mit sich bringen und vielleicht auch die eigene gute Laune beeinträchtigen, wird sinnvollerweise alles daran setzen, Prozesse zu vermeiden, dies aber nicht um jeden Preis. Um eine gute Verhandlungsstrategie festzulegen, sollte man das Gerichtsverfahren als BATNA (»Best Alternative To Negotiated Agreement«) kennen und abwägen. Es mag zuweilen unbefriedigend sein, faule Kompromisse einzugehen, es wäre unternehmerisch aber unklug, nicht den Kompromiss zu wählen, wenn dieser Kompromiss in Abwägung zu einem Gerichtsverfahren sich kommerziell als bessere Option darstellt. Jedenfalls muss aber vorher eine schonungslos offene Analyse der Chancen und Kosten eines Verfahrens stehen.
Wer Prozesse vermeiden will, sollte das an geeigneter Stelle tun – deutlich bevor Konflikte entstehen. Wer in guten Zeiten die Weichen richtig stellt und Ungleichgewichte in Verträgen nachverhandelt oder Unklarheiten beseitigt, freut sich zu späterer Zeit darüber, wenn sich dann doch noch ein Konflikt materialisieren sollte.

E. Fazit

Gerichtsverfahren kosten Zeit, Geld und Nerven. Sie sind in einem Rechtsstaat aber der einzige Weg, Ansprüche durchzusetzen. Deshalb sollten Unternehmen den Ablauf, die Dauer und Kosten von Gerichtsverfahren kennen und sie in einem zweiten Schritt sauber gegen andere Verhandlungsoptionen abwägen. Wer frühzeitig vorsorgt, vermeidet später teure und anstrengende Gerichtsverfahren. //

26. September 2024 von Johannes Brand
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