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Technik - 3D-Druck

Das Fahrrad aus dem Hinterzimmer

Der 3D-Druck hat nach der Ansicht vieler Experten großes Potenzial. Auch in der Fahrradwelt gibt es bereits zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten, darunter schon sehr sehenswerte Produkte. Doch das ist erst der Anfang.

Beim metallurgischen 3D-Druck sprühen die Funken. So entstehen bei Urwahn Schicht für Schicht Bauteile für einen Fahrradrahmen.Auch Carbonrahmen lassen sich inzwischen mittels 3D-Druck fertigen, wie Arevo mit dem Emery One zeigt.3D-Druck in all seinen Möglichkeiten: Urwahn verbindet Designanspruch mit Leichtbau, Integrationstiefe und Verarbeitungsqualität. Die Rahmen sind zudem reparierbar und die Geometrie nach Kundenwunsch anpassbar.

Der 3D-Druck wird schon seit den 80er-Jahren in der Praxis genutzt. Damals wie heute war die Technik eine ideale Möglichkeit, mit überschaubarem Aufwand schnell Prototypen und sonstige Einzelstücke herzustellen, sofern Geld keine allzu große Rolle spielte. Inzwischen hat sich die Technik allerdings weiterentwickelt. Inzwischen kommen nicht nur Plastik, Metall und Keramik aus mehr oder weniger großen Druckern, sondern sogar biologische Materialien. So werden heute ganze Häuser, Schuhe, Prothesen, Zähne, in Zukunft vielleicht sogar menschliche Organe, Körperteile, Bratpfannen und die dazugehörigen essbaren Steaks gedruckt, zumindest arbeiten Forscher derzeit an solchen Projekten. Auch wenn vieles davon noch in frühen Entwicklungsphasen steckt, die Technik hat zumindest das Potenzial, die Welt zu verändern, auch und vielleicht sogar schon früh in der Fahrradbranche.
Die Relevanz für die Fahrradwelt besteht darin, dass die Verarbeitung der benötigten Metalle und Kunststoffe für die verschiedenen Bauteile schon weit ausgereift ist. Das Drucken von Fahrradrahmen ist inzwischen seit rund zehn Jahren ein relevantes Thema für die engagierten Konstrukteure, hat sich bisher aber zumeist in Nischen und akademischen Kreisen abgespielt. 2015 gab es einen ersten Eurobike-Award für ein gedrucktes Rad aus Italien, das »Bhulk«. Spätestens seitdem geht es Schlag auf Schlag. Zuletzt haben viele kleinere und größere Hersteller 3D-gedruckte Neuheiten herausgebracht. Zu nennen sind etwa das 3D-gedruckte Carbon-E-Bike Emery One des Start-ups Arevo oder der gleichfalls gedruckte Downhiller von Atherton, Sättel von Specialized und Fizik. Kinazo, Bastion Cycles und VMR sind weitere Neulinge, die sich dem Fahrrad-3D-Druck verschrieben haben. Daneben loten die etablierten Unternehmen der Branche die Möglichkeiten der 3D-Verfahren aus.

In fünf bis zehn Jahren könnte man attraktive Preisgefüge erreichen.Sebastian MeineckeCEO und Gründer von Urwahn

Was im Detail bereits jetzt möglich ist, zeigt Urwahn aus Magdeburg. Dort stellt das Start-up seit vergangenem Jahr seine Fahrradrahmen im 3D-Druck her und verkauft sie auch über den Fachhandel. Allerdings ist das junge Unternehmen bereits seit sieben Jahren in diesem Bereich aktiv. Die ersten Jahre verbrachte das Team damit, den Prozess des metallurgischen 3D-Drucks zu beherrschen. »Wir hatten fünf bis sechs Jahre Vorentwicklungszeit, weil wir erst verstehen mussten, was da passiert«, erklärt Sebastian Meinecke, CEO und Gründer, den Werdegang bei Urwahn. Die Komplexität des Fertigungsprozesses beschäftigt das Unternehmen nach wie vor. »Wir machen immer noch umfassende Analysen, um den Prozess im Griff zu behalten«, erklärt der Unternehmer Meinecke. Für Urwahn dreht sich alles um den metallurgischen 3D-Druck, Kunststoffe spielten keine Rolle für das eigene Konzept. Das liegt auch daran, dass die Technik schon sehr weit ist in diesem Bereich. »Der Metalldruck ist soweit ausgereift«, stellt Meinecke fest. »Es gibt unterschiedliche Materialien, die man fahren kann, sei es Aluminium, Edelstahl oder hochfester Arbeitsstahl. Auch Titan- und Chrom-Molybdän kann man heute schon drucken. Da sind mittlerweile keine Grenzen mehr gesetzt. Man muss allerdings die Prozesse verstehen.« Bei Urwahn erfüllt man diese Bedingungen. In der Produktion gebe es keinen Ausschuss, alle gedruckten Bauteile seien verwendbar. Das fertige Produkt bewährt sich ebenfalls im Einsatz. »Ein Rahmenbruch wäre bei uns reparierbar. Das kann kein anderer Hersteller in Taiwan.« Allerdings fehlt es dafür am Bedarf. Bisher hat man noch keine Reklamationen jedweder Art, was ebenfalls für den 3D-Druck spricht oder zumindest für Urwahn. Bislang spielt Stahl die Hauptrolle für das Unternehmen, doch ist man bereits für andere Metalle offen: Im nächsten Jahr will man mit einem gedruckten Titan-E-Bike das nächste Highlight vorstellen. Die hörbare Begeisterung von Meinecke für das Material rührt aus der günstigen Kombination von Festigkeit, Elastizität und Leichtbau.
Auch dieses Projekt wird mit den lokalen Partnern umgesetzt. Praktisch erfolgt die gesamte Produktion in einer kleinen Region zwischen Dresden und Magdeburg, mit zusätzlichen Partnern im Westen der Republik. »Wir versuchen gerade, alles nach Deutschland zurückzuholen«, erklärt Meinecke. Die Herstellung der Rahmenteile wie auch die Montage und Beschichtung geschieht in Deutschland. »Das ergibt dann ein anderes Preisgefüge, dafür haben wir eine faire Lohnpolitik.« Ein weiterer Vorteil ist die Nähe zu allen beteiligten Unternehmen: »Ich bin innerhalb von zwei bis drei Stunden bei allen meinen Partnern.«
Von der Flexibilität im Rahmenbau profitiert auch die Kundschaft. »Bikefitting vor Ort machen wir schon«, erklärt Meinecke. Der Kunde kann bereits jetzt bei Urwahn zahlreiche Parameter nach seinen Wünschen, Erfordernissen, Bedürfnissen anpassen. »Das ist auch wieder eine Prozessoptimierungsfrage, da man sehr viele Daten von A nach B schicken muss. Das ist dann Next Level.« Grundsätzlich ist das mit 3D-Druck aber keine unbezahlbare Aufgabe mehr.

Kosten sind noch Hauptfaktor

Überhaupt sind die Kosten derzeit der Hauptgrund, warum 3D-gedruckte Produkte noch eine Nische sind. »Die Maschinen für den 3D-Druck von Rahmen sind im sechs- bis siebenstelligen Bereich anzutreffen. Da stellt sich natürlich die Frage, wo man mit dem Prozess hinwill«, sieht Meinecke. Um eine solche Investition finanzieren zu können, braucht es eine entsprechende Auslastung, die im Moment praktisch niemand hat. Da hilft es auch nicht genug, dass man an anderer Seite einsparen kann: »Wir fertigen unsere Rahmen wirklich nur on Demand auf Kundenbestellung. Das verschafft uns den Vorteil, dass wir viel flexibler sind. Das heißt, wir haben keine große Lagerhaltung, da wir viel auf Leichtteile setzen und wir können Markttrends sofort aufgreifen. Wir haben keine Werkzeuge, die wir benötigen würden, um Rahmen herzustellen. Wir können etwas heute verändern und nächste Woche in Produktion bringen.« Bis man preislich mit dem konventionellen Rahmenbau mithalten kann, wird es dennoch eine Weile brauchen: »Ich glaube, davon sind wir noch fünf bis zehn Jahre entfernt. Die Industrie entwickelt sich wahnsinnig schnell, aber jetzt ist im Metalldruck ein Plateau erreicht, da geht es nicht mehr so sehr um die Maschinenoptimierung, sondern mehr um die Prozessoptimierung und viel mehr auch die Werkstattoptimierung. Das sind feinste Parameter, an denen jetzt noch geschraubt wird. Der Irrglaube bei 3D-Druck ist immer noch, dass es sich ab Stückzahl eins schon rentiert. Man muss auch da gewisse Stückzahlen schaffen, um die Maschine auszulasten und dann Preisgefüge zu erhalten, die attraktiv sind«, so die Einschätzung von Meinecke.
Ob der 3D-Druck einmal sogar die dominierende Herstellungsart für Fahrräder sein wird, lässt sich heute nicht absehen. Es ist prinzipiell denkbar, dass eine solche Entwicklung im genannten Zeitraum einmal stattfindet. Zumindest im High-End-Segment ist eine Zukunft ohne 3D-Druck kaum vorstellbar. Für Händler und Hersteller dürfte das Grund genug sein, die weitere Entwicklung näher zu verfolgen. Denn wenn der Tag gekommen ist, an dem 3D-gedruckte Fahrräder in konsumigeren Preislagen angeboten werden können, sie vielleicht sogar besser und leichter als konventionell gefertigte Modelle sind, dann dürfte das eine Revolution in der Fahrradbranche auslösen. Ein Jahr im Voraus Räder für unbekannte Kunden bestellen? Maßgefertigte Bikes für jeden! Kapitalbindung und trotzdem Lieferprobleme? Druck on Demand und nie wieder Altware! Die Qualifikationen, die ein Fahrradhändler braucht, werden sich ein weiteres Mal verändern: Bikefitting wird noch wichtiger, Produktionskenntnisse in neuen Technologien ebenso. Welche Rolle werden dann Markenanbieter spielen? Die Leistungen, die sie dann ihren Händlern anbieten, würden andere sein, ihre Produktzyklen über den Haufen geworfen. Ein neues Modell lässt sich, sobald es fertig entwickelt ist, innerhalb Stunden und Tagen an die Drucker dieser Welt verteilen. Statt langer Vorlaufzeiten sind Neuheiten schnell verfügbar, was ungeahnte Reaktionsmöglichkeiten auf Marktveränderungen erlauben würde. Wie viel davon Realität wird? Das Tor zu einer neuen Welt ist geöffnet, aber trotz mancher Highlights bislang nur ein kleines Stück weit. Die Revolution, sie wird wahrscheinlich nach und nach kommen. Schon in ein paar Jahren wissen wir genauer, wie es hinter dieser Tür aussieht.

6. Juli 2020 von Daniel Hrkac

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