Händlerumfrage - Warenversorgung und Lieferfähigkeit
»Das ist manchmal wie ein Roulette-Spiel«
Wir fragten Fahrradhändler, wie ihre derzeitige Warenversorgung aussieht und ob sie ihre Vororder aus dem Vorjahr bereits vollständig erhalten haben. Dabei zeichnet sich ein vielschichtiges Bild, das manchen Lichtblick, aber auch viel Schatten aufzeigt. Praktisch jeder Bereich der Beschaffung ist betroffen, allerdings trifft es die Fachhändler unterschiedlich stark. Wir stellten unsere Fragen Mitte März, was die kurze Phase war, in der Fahrradläden wieder flächendeckend öffnen durften.
Komponenten bereiten Probleme
Besonders häufig wurde von Händlern die Versorgung mit Ersatzteilen beklagt. Auch und gerade die großen Komponentenanbieter Shimano und Sram können den unglaublichen Warenbedarf derzeit nicht decken. »Shimano-Komponenten (Kassetten, Kurbelgarnituren, Tretlager, Schaltwerke) sind bei keinem Grossisten oder bei Paul Lange verfügbar. Auch hier sind viele Bestellungen aus der August-Vororder noch nicht geliefert worden«, beobachtet man beim Zweiradfachgeschäft Josef Böckmann und bestätigt, was viele andere erfahren. Die Versorgung mit Ersatz- und Verschleißteilen betrachtet Rad Michel in Oberkirch derzeit als ausgesprochen schlecht: »Sram-Ketten mit einem Liefertermin erst im Herbst, das geht gar nicht!«
Überhaupt ist die Einschätzung »katastrophal«ˌ in diesen Tagen keine Seltenheit. »Die aktuelle Warenversorgung, egal ob Neuräder oder Verschleiß/Zubehörteile ist katastrophal. Wenn der Fachhändler bei Ebay, Fahrrad.de etc. Ersatzteile zusammensuchen muss, weil sämtliche Großhändler restlos ausverkauft sind, kann von einer ›guten Warenversorgung‹ keine Rede sein. Es entstehen zusätzliche Kosten (Zeitaufwand), um für jede Reparatur die benötigten Ersatzteile über diverse Internetportale zusammenzusuchen. Das ist extrem aufwendig und nervraubend. Eine Besserung ist nicht in Sicht, für die Zukunft sehe ich auch im Bereich Reifen und weitere gängige Dauerläufer sehr, sehr schwarz«, kritisiert Fahrrad am Bächle, Oberwolfach. Dass etablierte Fahrradhändler bei Internetversendern einkaufen, gab es schon in der Vergangenheit oft genug zu bestaunen, in dieser Saison scheint das in verstärktem Maße stattzufinden, da diese Notlösung mehrfach genannt wurde.
Das händeringende Warten wird wohl noch eine Weile dauern.
Die Lieferzeiten sind extrem lang, teilweise erst Ende des Jahres.
Bisher stehen bereits einige Räder bei uns, die wir nicht fertigstellen können, da Ersatzteile fehlen«, bemängelt Fahrrad Claus. »Die Versorgung mit Ersatzteilen ist katastrophal. Viele wichtige Ersatzteile fehlen (Kassetten, Bereifung, Felgenbänder usw.). Für kleine Geschäfte, die sich kein großes Lager leisten können, entstehen schwerwiegende Probleme«, bestätigt auch die Radstation Bergedorf.
Die Knappheit betrifft derzeit also längst nicht nur Schaltungskomponenten. »Abus- und Uvex-Helme sind nicht lieferbar. Wir haben bereits deutliche Lücken im Sortiment, die nicht geschlossen werden können«, bedauert Fahrrad Claus.
Die derzeit vorhandenen Lücken im Sortiment werden immerhin dadurch etwas erträglicher, dass die Kundschaft mitunter Verständnis für die Lage aufbringt, wie Jochen Rogoss von Speiche Zweirad in Bremen sieht.
»Die Kundinnen und Kunden sind entspannt und nehmen Lieferverzögerungen (Schindelhauer) gelassen entgegen.« Auch er hat mit der Teile-
Versorgung zu kämpfen. »Das ist schon manchmal wie ein Roulette-Spiel. Dennoch sind wir sehr froh, dass wir dieses supertolle Produkt verkaufen und nicht wie viele unserer Nachbarn (Gastronomie, Bekleidung etc.) unter dieser aktuellen Situation leiden.«
Beim E-Bike-Center Lechenbauer sieht die Lage rosiger aus. Zwar fehle noch ein großer Teil der Vororder, doch die bisherigen Erfahrungen stimmen zuversichtlich: »Die Nachfrage ist sehr hoch und wir haben bereits einen Großteil unserer bestehenden Ware verkauft. Auch aus der Vororder sind einige Räder bereits fest verkauft. Wir haben aufgrund einer hohen Vororder eine gute Ausgangslage und sind gut gewappnet für die laufende Saison. Durch die Mehrbestellung sind wir laufend gut lieferfähig. Sorgen machen wir uns hierzu nicht - wir haben ein gutes Gefühl bis in den Herbst.«
Trotz Lockdown gute Geschäfte? Zumindest auf etwa die Hälfte der Umfrageteilnehmer trifft das zu. Gleichzeitig mussten viele zu Jahresbeginn ein dickes Umsatzminus hinnehmen.
Fahrradversorgung mit Licht und Schatten
Dass der Komponentenmangel bereits eine Dimension früher angesiedelt ist, zeigt sich an den Problemen der Hersteller, ihre eingesammelte Vororder auszuliefern. »Etwa die Hälfte der Vororder haben wir bereits erhalten, bei etlichen Bikes wurden die Liefertermine um einige Wochen nach hinten verschoben, manche wurden auch ganz storniert, weil die Komponenten nicht in ausreichender Menge geliefert worden sind«, musste Axel Schäfer von Renn- und Bikesport in Lichtenstein erfahren und reiht sich damit in die Masse der Händler, denen bestellte Ware noch nicht zugestellt wurde.
Verzögerte Lieferungen sind in der Branche nicht gerade eine völlige Neuheit, aber das aktuelle Ausmaß ist es dann doch. Manche Händler erwarten, dass sie noch ausreichend versorgt werden, wie etwa bei Munix Finest Bicyles: »Es gibt bei allen Herstellern Lieferprobleme. Da wir aber sehr viele Räder bestellt haben, gehen wir davon aus, dass wir, allerdings mit deutlichen Verspätungen, noch genug Ware bekommen.« Der Kollege Schäfer erwartet dagegen, dass er die guten Vorzeichen dieser Saison unter den gegebenen Umständen nicht nutzen kann. »Ich erwarte trotz der hohen Nachfrage ein deutliches Umsatzminus im Vergleich zum Vorjahr.«
Insgesamt überwiegen zumindest in unserer Umfrage knapp die Stimmen, die von einer aktuell gerade noch akzeptablen Versorgung mit Fahrrädern sprechen – die sie aber in einer normalen Saison auch nicht hinnehmen würden. Wie schmal der Grat ist, zeigt sich an der Einschätzung zum weiteren Saisonverlauf. Für viele Händler ist bereits jetzt absehbar, dass es ein weiteres Rekordjahr diese Saison nicht geben wird: »Wir haben unsere Vororder zu 70 % termingerecht erhalten, jedoch ist schon sehr viel abgeflossen.
Unser Warenbestand ist ca. um die Hälfte zu wenig für die aktuelle Zeit.
Es fehlen grundsätzlich alle Segmente. Nahezu jedes Rad, was noch kommt, hat schon eine Reservierung. Wir erwarten im Juni einen leeren Laden«, sieht Carsten Bischoff von Bike Point noch einiges Ungemach am Horizont aufziehen.
Mitunter reicht auch eine gute Vororderauslieferung nicht aus, wie das Zweiradhaus Sprenger + Brünink befürchtet: »Wir haben einen Großteil unserer Vororder an Fahrrädern und E-Bikes bereits erhalten. Insbesondere bei den ZEG-Marken Pegasus, Bulls und KTM liegt die Lieferquote bei gut 85 % der Vororder. Allerdings sieht es bei der Nachorder sehr schlecht aus. Dies wird sicherlich dazu führen, dass zum Ende des Jahres wohl mit einem Umsatzminus zu rechnen ist. Wir haben deshalb, um das abzufedern, noch eine weitere Marke mit aufgenommen.« Tatsächlich macht sich kaum ein Betrieb Hoffnungen, in dieser Saison über Nachordern nennenswert Lücken schließen zu können. Dafür scheint das ganze System
derzeit zu sehr am Anschlag.
Auf der anderen Seite finden sich aber genügend Händler, die sich für die Saison gut aufgestellt sehen. »Natürlich fehlen noch viele Räder aus der Vororder, aber wir sind noch gut sortiert und können gut verkaufen«, heißt es beim Zweiradcenter Schicketanz. »Die Vororder kommt überwiegend pünktlich oder mit kleinen überschaubaren Verzögerungen«, sieht Klaus Schmitt vom Zweiradshop Niederhofer. Ähnlich äußert sich Annika Koch von Annis Fahrradladen: »Teile und Zubehör sind gefühlt 50 % nicht lieferbar, das wird sicher das ganze Jahr über schwierig bleiben, ansonsten bin ich aber sehr optimistisch, was diese Saison angeht, da die Nachfrage nach neuen Rädern nicht nachlässt.«
Durchgehend höhere Ordervolumen
Dass die Klagen wegen noch nicht erfolgter Lieferungen nicht noch stärker ausfallen, liegt wohl auch daran, dass durchgehend mehr geordert wurde als im Vorjahreszeitraum. »Wir haben früh und sehr reichlich Fahrräder und E-Bikes vorgeordert und auch noch nachgeordert, davon ist auch schon etliches geliefert worden und das Lager ist gut gefüllt. Leider fehlen auch noch einige gängige Hersteller«, heißt es bei 2-Rad Jepkens in Marl. Eine Steigerung der Vororder um bis zu 30 Prozent ist häufig (siehe Grafik). Vereinzelt wurde das Vorordervolumen sogar verdoppelt.
Kein einziger teilnehmender Betrieb hat weniger vorgeordert als im Vorjahr.
Januar und Februar liefen erstaunlich gut
Obwohl sich das Land durch den Winter-Lockdown quälte, konnten Fahrradhändler die Monate Januar und Februar, die vergangenes Jahr die letzten Monate der Normalität waren, oft besser nutzen als im Vorjahr ohne Lockdown. Eine bemerkenswert große Zahl an Händlern berichtet von Umsatzsteigerungen. Am anderen Ende gibt es aber genauso Händler, die sehr starke Einbußen wegzustecken haben. Der März wurde von uns noch nicht abgefragt, er dürfte aber vielerorts die Nadel deutlich zum Positiven bewegt haben: »Der März ist jetzt schon deutlich besser als das Vorjahr, das Click-and-meet funktioniert sehr gut«, berichtet 2-Rad Jepkens.
Die Umfrage gibt interessante Einblicke in die aktuelle Situation im Einzelhandel, ist aber dennoch nicht repräsentativ. Das ist bei dieser Fragestel-
lung vielleicht auch gar nicht nötig. Die womöglich wichtigste Einsicht hier ist, dass die einzelnen Betriebe mitunter sehr unterschiedlich von Lieferengpässen und -verzögerungen betroffen sind. Je nach Marken- und Sortimentsgestaltung im Laden trifft es Händler unterschiedlich stark. Die verschiedenen Stimmen zeigen, dass es in dieser Saison kein einheitliches Branchenbild gibt. //
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