Marken - Produktpiraterie
Das kenn ich doch ...
Es ist der 23. Juni 2023. Die Eurobike hat Quartier in den Hallen der Messe Frankfurt bezogen. Durch die Gänge schieben sich Besucherinnen und Besucher, die bunten Stände sind bepackt mit Laufrädern, Sätteln, Helmen, Bekleidung oder Bikes. Bis auf die Box C03 in Halle 12.0. Sie gehört Revolt Zycling beziehungsweise deren Speed-Pedelec-Marke Opium Bikes – und ist leer. Dafür gesorgt hat Wettbewerber MyStromer, drei Gänge weiter in derselben Halle. Genauer gesagt: eine Gerichtsvollzieherin, die auf Erwirken von myStromer mit zwei Anwälten und den entsprechenden Dokumenten dort auftauchte und sämtliche Pedelecs konfiszierte. Der Vorwurf an Opium: Patentrechtsverletzung. Revolt habe die Nabenmotormontage per Steckachse im Ausfallende kopiert. Das war ein überraschend detaillierter Punkt bei auch ansonsten verblüffend ähnlich aussehenden E-Bikes.
Dass Produktplagiate nach Deutschland gelangen, passiert ziemlich häufig. 2023 hat der Zoll rund 3,3 Millionen gefälschte Waren im Wert von 202 Millionen Euro beschlagnahmt. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen. Einen vergleichsweise kleinen Anteil daran haben Fahrräder und Zubehör wie Ketten, Bremsen, Bremsbeläge oder Bekleidung: »Hier hatten wir 2023 zwei Aufgriffe mit insgesamt 559 gefälschten Waren im Wert von 318.750 Euro«, resümiert Andre Lenz von der Generalzolldirektion in Bonn.
Doch Plagiarismus scheint oft genug vorzukommen, um die Messe Frankfurt die Kampagne »Messe Frankfurt Against Copying« ins Leben rufen zu lassen. Mit dieser informiert sie Aussteller – nicht nur aus dem Fahrradbereich – darüber, was zu tun ist, wenn Sie glauben, ein von Ihrem Portfolio abgekupfertes Produkt an einem Stand zu entdecken. Es gibt sogar einen rechtsanwaltlichen Notdienst, der vor Ort eine Erstberatung anbietet. »Allgemein lässt sich sagen, dass es verschiedene Faktoren gibt, deren Zusammentreffen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Fälschungen von einem Produkt auftreten«, erklärt Laura Weckwerth, Rechtsanwältin bei der Hamburger Kanzlei Slopek, die regelmäßig mit der rechtlichen Handhabung von Produktfälschungen zu tun hat.
Statussymbole sind anfälliger
Zu diesen Faktoren gehören unter anderem, dass das Originalprodukt teuer ist, also für viele Konsumenten unerschwinglich, dass es sich um prestigeträchtige »Statussymbole« handelt und es für Fälscher leicht ist, das Produkt in hinreichend guter Qualität zu reproduzieren. Mit einem Durchschnittsverkaufspreis von inzwischen über 3000 Euro bei gleichzeitig starker Nachfrage, wie die Branchenverbände ZIV und VDZ feststellen, fallen E-Bikes durchaus in diese Kategorie. Bei MyStromer dürfte sogar der Faktor »leichte Replizierung in hinreichend guter Qualität« erfüllt gewesen sein – ihr ehemaliger Fertigungspartner hatte die Rahmen für Opium-Bikes gebaut. Mitteilungen von Lieferanten waren es auch, bestätigt durch die Werbung von Revolt, die MyStromer auf die Patentverletzung aufmerksam gemacht hatten. »Denen sind wir nachgegangen und haben in der Folge rechtliche Schritte eingeleitet«, erzählt MyStromers Co-CEO Karl Ludwig Kley.
Diese rechtlichen Schritte bestanden im Erwirken eines vorsorglichen Herstellungs- und Vertriebsverbots gegen Revolt in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Italien und der Schweiz beim Einheitlichen Patentgericht und dem Schweizer Bundespatentgericht. Dass die Technologie patentrechtlich geschützt war, half beim Richterspruch zugunsten von MyStromer: »Ein strategisch aufgebautes Rechteportfolio ist das A und O für ein effizientes Vorgehen gegen Nachahmer. Schutzrechte entfalten ihre volle Schutzwirkung grundsätzlich erst mit erfolgter Registrierung. Wenn man also zum Beispiel nur eine angemeldete Marke oder ein nur angemeldetes Patent hat, aber noch keine Registrierung, dann hat man Dritten gegenüber noch kein Verbietungsrecht. Deswegen ist es notwendig, möglichst früh seine Rechte zu sichern«, weiß Rechtsanwältin Laura Weckwerth.
Teure Online-Suche und -Abmahnung
Das bestätigt auch Mario Konrad. Der Mitgründer der Sportbekleidungsmarke Ryzon kämpft seit Jahren gegen Produktfälschungen im Internet: »Wenn wir die Kopien auf einer Messe entdeckt hätten, wäre das super gewesen. Da hätten wir die Leute direkt ansprechen können«, glaubt er.
Wer im Netz oder auf einer Messe das verblüffende Gefühl bekommt, dass das eigene Produkt kopiert worden ist, hat heute gute Optionen, dagegen vorzugehen. Wichtig dabei ist, frühzeitig die eigenen Entwicklungen abzusichern.
So aber ist es kaum möglich, gegen die Produzenten vorzugehen, »die meist irgendwo in China sitzen. Die Kosten wären zu hoch«, sagt Konrad, dem nichts anderes übrig bleibt, als stattdessen die Plattformen abzumahnen, auf denen Ryzon-Fälschungen angeboten werden. Das übernimmt ein Legal Tech, bei dem sie ihre Urheberrechte hinterlegt haben, und das das Internet mittels KI automatisiert nach Verstößen absucht – und Hunderte pro Monat findet. Rund 18.000 Euro kostet Ryzon diese Suche pro Jahr, dazu nochmals jährliche Anwaltskosten, die ebenfalls im fünfstelligen Bereich liegen – für ein Unterfangen, das Mario Konrad vorkommt, wie ein Kampf gegen Windmühlen: »Man schlägt einen Kopf ab und zwölf andere wachsen nach«, fasst er zusammen.
Plagiat entdeckt, was tun?
Deutlich bessere Chancen, zu ihrem Recht zu kommen, haben Unternehmen mit Patent(en), die den Produzenten der Plagiate direkt ausfindig machen können. »Wenn eine Produktfälschung vorliegt, kann der Hersteller dies in aller Regel ohne große Schwierigkeiten nachweisen. Es handelt sich dann aus Sicht des Rechteinhabers um Fälle, die man praktisch nicht verlieren kann«, weiß Anwältin Laura Weckwerth skizziert das rechtliche Vorgehen in einem solchen Fall folgendermaßen:
- Zunächst ist es wichtig, seine Produkte mit geeigneten Schutzrechten abzusichern. Hier bietet der gewerbliche Rechtsschutz ein großes Instrumentarium, das von Marken über technische Schutzrechte, wie Patente und Gebrauchsmuster, bis hin zu Designs reicht. In der Regel werden vor allem die wirtschaftlich wichtigen Produkte mit mehreren Schutzrechten parallel abgesichert. Ein strategisch aufgebautes Rechteportfolio ist essenziell, wenn es darum geht, sich gegen Produktfälscher zur Wehr zu setzen.
- Neben den rechtlichen Schutzin-strumenten gibt es auch technische Instrumente. In die Produkte werden oftmals sogenannte Echtheitsmerkmale eingearbeitet. Dies können etwa Etiketten, Hologramme, Sicherheitsfäden und Ähnliches sein. Mithilfe dieser Echtheitsmerkmale fällt es den Rechteinhabern leicht, Produktfälschungen schnell und sicher als solche zu identifizieren.
- Auf Grundlage der rechtlichen und technischen Schutzinstrumente wird in der Praxis dann vielfach ein Grenzbeschlagnahmeantrag beim Zoll gestellt. »Im Regelfall kann der Zoll nur einschreiten und gefälschte Waren beschlagnahmen, wenn der betroffene Rechteinhaber einen sogenannten Grenzbeschlagnahmeantrag gestellt hat. Als zentraler und kompetenter Ansprechpartner steht den Herstellern von Markenprodukten hierfür seit vielen Jahren die Zentralstelle Gewerblicher Rechtsschutz des Zolls zur Seite«, bestätigt Andre Lenz. Dies ist deswegen von besonderer Relevanz, weil der Großteil der Fälschungen aus dem Ausland, insbesondere aus China, stammt. Ein Grenzbeschlagnahmeantrag enthält eine Art Leitfaden für den Zoll, wie er Fälschungen als solche erkennen kann. Auf diese Weise kann ein nicht unerheblicher Teil an rechtsverletzender Ware bereits beim Import abgefangen werden.
- Schließlich sollten Unternehmen auch den Handel, insbesondere den Online-Handel und gegebenenfalls Fachmessen aktiv überwachen. In der Praxis tun dies oftmals auf den gewerblichen Rechtsschutz spezialisierte Kanzleien, die aktiv nach Produktfälschungen suchen. Wenn ein Verdachtsfall besteht, wird in der Regel ein anonymer Testkauf getätigt und der Anbieter, wenn sich der Verdacht bestätigt, kostenpflichtig abgemahnt. In manchen Fällen wird auch Strafanzeige gestellt. Diese Verfahren helfen den Rechteinhabern, weitere Informationen zu erhalten, insbesondere über die Händler, von denen rechtsverletzende Ware bezogen wurde, sowie andere gewerbliche Annehmer. Auch gegen diese wird dann zivil- und gegebenenfalls strafrechtlich vorgegangen.
Und was geschah bei MyStromer?
Bei MyStromer reagierte das Einheitliche Patentgericht sehr schnell und entschied noch am Antragstag, in der Schweiz dauerte das Verfahren sechs Monate. »Wir werten das als ein deutliches Zeichen, dass E-Bike-Unternehmen, die in die Entwicklung ihrer Technologie investieren, sowohl in der Schweiz als auch in der Europäischen Union erfolgreich gegen Nachahmungen und Kopien vorgehen können«, so MyStromers Co-CEO Karl Ludwig Kley. Opium wendete das drohende EU-Patentrechtsverfahren mit einem Vergleich ab und veränderte die Bauweise des Hinterbau-Nabenmotors. //
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