Markt // High-End-E-Bikes
Das Segment »ganz oben«
Eines der wohl aufsehenerregendsten Produkte und zumindest preislicher Höhepunkt in der noch jungen E-Bike-Geschichte war das PG Blacktail 2 für 100.000 Euro, das 2013 vorgestellt wurde und in nur 5 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigen sollte. In Serie ging es nie und genau genommen sprengte es die Definition von »Fahrrad«. Die frühe Pleite des Unternehmens verhinderte, dass diese Geschichte weitergeschrieben werden konnte. Heute gibt es einige weitere bemerkenswerte Marktteilnehmer, die das Segment »ganz oben« bedienen.
Die 10.000-Euro-Grenze
An der Spitze des E-Bike-Markts sind 10.000 Euro eine magische Schwelle. Viele namhafte Hersteller, die ihre Räder in nennenswerter Stückzahl verkaufen wollen, bleiben mit ihren Topmodellen knapp darunter. Jenseits dieser Marke scheinen kaum noch Grenzen gesetzt. Den Vogel schießt Bugatti ab mit dem derzeit teuersten E-Bike der Welt. Das 2018 vorgestellte, 8,6 kg leichte Urban E-Bike für 75.000 Euro. In der limitierten Edition ohne Antrieb soll es schon 200-mal verkauft worden sein. Laut Designer Brian Hoehl besteht das edle Stück zu 95 Prozent aus Carbon.
Betrachtet man die Liga der Super-Bikes genauer, so fallen drei Gruppen von Anbietern auf: Ambitionierte Kleinunternehmen, die sich den Superlativen verschrieben haben. Große, etablierte Hersteller, die ihre breite Produktpalette nach oben hin mit einem Topmodell abrunden. Und letztlich im Kerngeschäft branchenfremde Anbieter, die ihr Portfolio mit Prestige-Bikes ergänzen.
Die Adrenalin-Klasse
Teuer steht bei vielen E-Bikes der Oberklasse auch für schnell, es handelt sich also um S-Pedelecs oder Bikes der Motorradklasse über 45 km/h. Was Sportwagenfahrer schon längst wussten, gilt offenbar auch fürs Fahrrad: Speed ist sexy. Nicht die Ratio alleine entscheidet, welcher Betrag am Ende das Konto wechselt. Auch nicht die technischen Features alleine. Denn in den meisten Fällen geht es für ein Viertel des Preises kaum schlechter über Stock und Stein. Es geht um Emotionen. Um Exklusivität. Oder wie es Trefecta-Gründer Haiko Visser auf den Punkt bringt: »Wenn jemand anderes mit dem gleichen Bike herumfährt, brauchst du einen sehr guten Grund, warum du so viel Geld ausgegeben hast.« Im Falle von Trefecta sind das 23.500 Euro für das Topmodell DRT Off-road Unlimited.
Die Enttäuschung über die Performance der frühen E-Bikes war für so manchen Visionär Anlass genug, ein besseres E-Bike zu bauen. So auch für Visser. Um das beste E-Bike zu bauen, engagierte er Luftfahrtingenieure, Carbon-Spezialisten und das Berliner Design-Team ID Berlin, mit denen er die viel beschriebene Gratwanderung beschritt, kompromisslose Qualität und vertretbare Kosten unter einen Hut zu bekommen. Nahezu alle Komponenten des Trefecta wurden selbst entwickelt, vom faltbaren Chassis über die Gabel und das vollintegrierte Cockpit bis hin zum 4 Kilowatt starken Antrieb. Das Ergebnis überzeugt: Das Allterrain-Gefährt erfüllt Militär-Standards, nach denen nur zum Einsatz kommt, was zuletzt bricht. Bei Privatkunden dagegen setzt Trefecta auf Unikat statt Uniform.
Höchste Qualitätsstandards gelten auch bei eRockit, wo außerhalb Berlins auf Motorradniveau gebaut wird. Die Ursprünge des Unternehmens, das kürzlich unter neuer Führung seinen Markt-Relaunch feierte, reichen bis in die 90er-Jahre zurück. Der damalige Claim, das schnellste Fahrrad der Welt zu sein, manifestiert sich mit 89 km/h in der heutigen Serienproduktion.
Dazu wurden über 150 Punkte des ursprünglichen Produkts verändert. Der »Tesla auf 2 Rädern«, wie Mitbegründer Sebastian Bruch das Geschoss mit 5 kW Motor und 6,6-kWh-Batterie nennt, ist in einer limitierten ersten Edition von 100 Stück bereits in der Auslieferung. Kostenpunkt: 11.850 Euro. Der Drehgriff eines Motorrads wurde quasi »in die Pedale verlegt«. Es unterstützt bis in die hohen Geschwindigkeiten nach dem Pedelec-Prinzip. Das Gefühl, aus eigener Kraft so schnell zu fahren, mache den Rausch aus. Um die straßenzugelassene Maschine fahren zu dürfen, profitieren die Käufer von der neuen Führerscheinregelung in Deutschland, die es Autofahrern mit neun zusätzlichen Fahrstunden erlaubt, Zweiräder der 125-ccm-Klasse zu fahren.
Kraftvoll ist das Prädikat des bayrischen Herstellers M1 Sporttechnik. Die sportliche Produktpalette wird von fünf R-Pedelecs mit TQ-Antrieb und 120 Newtonmeter Drehmoment angeführt, an deren Spitze die World-Cup-Ausführung der Serie Spitzig Evolution steht. Für dieses Image-Modell werden 15.999 Euro fällig. R steht dabei für Race, denn diese Serie geht ohne Straßenzulassung ins Rennen. Als sein Topmodell bezeichnet Geschäftsführer Thorsten Cornils jedoch das straßenzugelassene S-Pedelec M1 Spitzing Evolution, denn es hat die hochwertigste Ausstattung und beginnt in der Basisversion schon bei 8.999 Euro, wobei 90 Prozent der Kunden zusätzlich in einen größeren Akku investieren.
S-Pedelecs und SUVs
Begibt man sich bei den Geschwindigkeits- und Leistungswerten eine Stufe tiefer, findet man sich in Produktregionen, die schon sehr viel häufiger in einem Fahrradladen zu finden sind. Dann ist man zunächst in der Welt der S-Pedelecs, die als Leistungsträger zwar viel zu bieten haben, aber neben ansehnlichen Preisschildern auch aufgrund der bestehenden Rahmenbedingungen zumindest in Deutschland ein Nischendasein fristen.
Der Stromer aus der Schweiz hat den Trend zu hochpreisigen S-Pedelecs schon um die Jahrtausendwende gesetzt und die 45 km/h schnelle Klasse in Sachen Design, Integration und technischen Features maßgebend angeführt. Das aktuelle ST5-Modell beginnt in der Limited Edition bei 11.190 Euro. Der Basispreis der regulären Serie liegt bei 9.490 Euro und kann online nach Kundenwunsch konfiguriert werden.
Das Premium-Segment bei den regulären wie den schnellen Pedelecs hat auch Riese und Müller früh für sich definiert und hier ein umfangreiches Angebot mit vielseitigen Konfigurationsmöglichkeiten auf den Markt gebracht. Das Superdelite S-Pedelec mit Doppelakku und Rohloff-Nabe hat neue Maßstäbe im Reisesegment gesetzt.
Für alle Abenteuer-Fans hat HNF Nicolai jüngst sein neues Flaggschiff XF3 Adventure vorgestellt. Mit einem in Deutschland von Hand gefertigten Full-Suspension-Rahmen und hochwertiger Ausstattung trägt der »Unimog der E-Bikes« zwar die Gene aus dem Offroad- und Downhill-Bereich in sich. Eine zusätzliche Komfort-Ausstattung inklusive Doppelakku optimiert das Bike für Alltag und Reisen. Dafür sind 9.995 Euro vom Kunden zu überweisen.
Mit Leichtigkeit über Berge, Trails und Straße
Die E-Bike-Flaggschiffe der großen Hersteller wie Cube, Haibike, KTM, Scott, Specialized sind durchgehend eMTB-Fullys für den Extremeinsatz. Carbon-Rahmen, reichlich Federweg, CX-Bosch-Antrieb und zunehmend elektronische Komponenten sind aus dieser Klasse nicht mehr wegzudenken.
Hier geht Specialized mit seinem 2020 erschienenen Leichtgewicht S-Works Levo SL preislich in Führung. Das 16,9 kg leichte Schmuckstück, dem man das E kaum ansieht, ist für 12.999 Euro zu haben und mit neuem Antriebskonzept eindeutig auf dem Trail zu Hause, sinnigerweise mit neu und feiner dosierter E-Power bis an die 25-km/h-Schwelle. Haarscharf unter der 10.000-Euro-Marke bleibt hingegen KTM mit der Speerspitze seiner neuen Produktpalette, dem komplett neu entwickelten Fully Macina Prowler Sonic 2020 mit 180 mm Federweg für 9.999 Euro.
Preislich folgen die Top-E-MTBs von Cube, Haibike, Husqvarna und anderen. Interessanterweise liegen zum Beispiel die Schweizer Marken Flyer und Bergstrom mit ihren derzeitigen Königsmodellen sowohl für Berg und Trail wie auch für die Stadt deutlich unter 10.000 Euro.
Ein Randsegment im E-Bike-Bereich sind Rennräder. Bis auf das letzte Gramm optimiert, bieten Scott und Cube 25-km/h-Modelle an, die zu den teuersten E-Bikes zählen: das Scott Addict eRide Premium für 9.499 Euro mit Carbon-Rahmen, Mahle-Motor und 460-Wh-Batterie, dicht gefolgt vom Cube Agree Hybrid C:62 SLT mit Fazua-Antrieb.
Von Luxus über Alltag bis Extremsport
Wer kauft die E-Bike-Superlative? Und wofür? Die Klientel und die Anwendung der teuren Schmuckstücke und Sportgeräte ist so divers wie das Angebot. Ob als Statussymbol, Mittel zur Alltagsmobilität oder für Fun- und Extremsport, die Kunden sind Individualisten mit hohen Ansprüchen.
Im Luxusmarkt gehören Yacht- und Grundbesitzer dazu, ebenso wie Scheichs in Dubai, die gerne eine Runde durch die Wüste drehen. Dieser Markt ist weltweit gesehen sehr klein. Zu Trefectas Kunden gehören beispielsweise auch ein Jäger oder ein Banker, Menschen mit besonderen Bedürfnissen, die ihr Bike für ihre Arbeit, ihr Hobby oder ihre täglichen Wege nutzen.
eRockit sieht sich als Mobilitätsanbieter. Die Käufer sind Early Adopters: Technik-Fans, Ingenieure, Kenner der Photovoltaik, und Menschen, die mit Elektro-Speed und grünem Mindset ihre täglichen Wege zurücklegen wollen. Auch Sammler der ersten limitierten Auflage sind bereit, den Preis für ihre Trophäen zu bezahlen.
Die Super-E-Mountainbikes, -Rennräder und Co. sprechen Sportler an, die es ernst meinen oder einfach das nötige Kleingeld für ihr Traumbike auf den Tisch legen.
Der Mobilitätsmarkt birgt ein gigantisches Potenzial. In Indien wurde das größte Förderprogramm für Elektromobilität auf zwei Rädern angekündigt, und das ist erst der Anfang. Die coronabedingten Abstandsregeln und zunehmende Fahrverbote für Autos in Innenstädten steigern die Bereitschaft der Käufer, in alternative und individuelle Mobilität zu investieren. Dabei helfen Leasingprogramme, die ein Bike um die 12.000 Euro für unter 200 Euro im Monat erschwinglich machen und die monatlichen Mobilitätskosten abdecken. Kein Sprit mehr, keine Parkplatzgebühren, keine Abos für öffentliche Verkehrsmittel. Als Autoersatz kommen Lastenräder zunehmend ins Visier für private und kommerzielle Anwendung, deren Vielfalt und preisliche Spanne stetig steigt.
Im kommerziellen Bereich sind Verleiher und Tourismus-Anbieter zunehmend an E-Bikes interessiert. Nächstes Jahr soll es beispielsweise Touren mit dem eRockit geben, wie wir sie vom Segway kennen.
Auf militärische Anwendungen hat sich Trefecta nebst privater Kundschaft spezialisiert. Auch die Polizei in verschiedenen Ländern interessiert sich für das Gefährt aus den Niederlanden.
Der Verkauf geschieht bei den kleinen Anbietern mit limitierter Stückzahl individuell, persönlich und direkt. Den Service übernimmt teilweise ein Händlernetz. Für das Customizing bei größeren Stückzahlen spielt der Online-Konfigurator eine immer größere Rolle. Die großen Marken, die bereits ein etabliertes Händlernetz haben, nutzen dieses auch für ihre Flaggschiffe.
Es geht nicht nur um Geld
Es ist wie bei der Kleidung: Die einen tragen Designerkleidung, weil sie gehobene Qualität, herausragende Funktion, guten Stil und angenehme Materialien schätzen. Andere tragen teure Marken, um vor dem Nachbarn zu bestehen. Die Dritten bezahlen bewusst für Nachhaltigkeit und faire Produktion. Wieder andere bezahlen einen überhöhten Preis für geschicktes Marketing und günstige Herstellung in Fernost.
Für den Kunden zählen Prädikate wie Handarbeit, made in Germany oder Switzerland. Es gibt noch mehr überzeugende Argumente: Ein Maximum an Ausstattung und Qualität. Die Liebe fürs Detail. Modernste Materialien. Integration. Technische Finessen. Die Einzigartigkeit der Spezifikationen. Die persönliche Note. Es geht um Passion. Image. Exklusivität. Für den Kunden geht es insgesamt also in diesen Preisregionen häufig um Emotion und nicht um den Preis. Daraus ergibt sich für Hersteller und Handel die Verantwortung und Aufgabe, dem Kunden einen fairen Deal anzubieten. //
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