Report - Die Folgen der Euro-Schwäche
Die große Preisfrage
Die Gemeinschaftswährung Euro hat es in letzter Zeit nicht gerade leicht. Man hat irgendwie den Eindruck, dass sie ständig gerettet werden muss. Der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, hat mehrmals klargemacht, alle dafür notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Vorläufiger Höhepunkt ist der milliardenschwere Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB. Gleichzeitig bleiben die Zinsen im Euro-Raum wohl noch eine Weile auf Rekordtief. Diese expansive Geldpolitik hat bereits in den letzten Monaten zu einem massiven Kursverfall des Euro gegenüber Währungen wie dem US-Dollar und dem Schweizer Franken geführt. Zum Redaktionsschluss bewegte sich der Kurs um 1,08 USD. Die weitere Kursentwicklung lässt sich kaum prognostizieren. Selbst
die sogenannte Dollar-Parität scheint nicht ausgeschlossen, dabei war der Euro vor einem Jahr noch 1,40 USD wert. Einen Dollar für einen Euro
gab es zuletzt im Januar 2002.
Dass das Szenario der Euro-Dollar-Parität – bislang – nicht wieder eingetreten ist, liegt wohl in erster Linie an der Chefin der US-Notenbank, Janet Yellen. Sie ließ die Welt im Unklaren darüber, wann sie die Niedrigzinspolitik aufgeben werde. Ein baldiger Anstieg der US-Leitzinsen hätte wohl einen weiteren Verfall des Eurokurses bedeutet.
Einzelhandelspreise werden steigen
Von einer Abwertung der eigenen Währung profitieren in der Regel exportorientierte Unternehmen, deren Produkte und Dienstleistungen im Ausland günstiger werden – ein Wettbewerbsvorteil. Importe dagegen werden teurer. Eine Gefahr, auf welche die Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels (AVE) bereits im Januar dieses Jahres hinwies. »Für 2015 rechnen wir damit, dass die Importpreise durch die anhaltende Euro-Schwäche erstmals seit zwei Jahren wieder anziehen werden«, erklärte AVE-Hauptgeschäftsführer Jens Nagel. »Hält der Kursverfall an, wird sich das auch bei den Verbraucherpreisen bemerkbar machen.« Davon betroffen wären Importe aus den USA, aber auch aus Asien, wo überwiegend in US-Dollar abgerechnet wird.
Gerade die Fahrradbranche beschäftigt sich deswegen intensiv mit der aktuellen Entwicklung. »Die Euro-Schwäche ist derzeit ein großes Thema für viele Fahrradhersteller«, erklärt Siegfried Neuberger, Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbands. »Wie die Auswirkungen konkret sein werden, lässt sich pauschal nicht sagen.« Es komme darauf an, wie stark die einzelnen Unternehmen von Importen aus dem Dollar-Raum abhängig sind. »Gerade die stark betroffenen Hersteller werden kurzfristig entscheiden, wie sie mit dem aus der Euro-Schwäche resultierenden Preisanstieg bei den importierten Komponenten umgehen werden und ob Preisanpassungen erforderlich sind. Denn angesichts der durch die EZB-Politik geschaffenen Rahmenbedingungen spricht wenig für eine schnelle Erholung des Euro-Kurses«, so Neuberger.
Die durch die Wechselkursentwicklung steigenden Importpreise könnten auch die bereits vorhandene Tendenz verstärken, zu versuchen, Teile der Produktion in den Euro-Raum (zurück) zu verlagern. »Damit könnte man das Wechselkursrisiko reduzieren und gleichzeitig mit kürzeren Transportwegen und einer größeren Flexibilität die Prozessabläufe optimieren«, so ZIV-Geschäftsführer Neuberger.
Für die Saison 2016 sind die Fahrradhersteller gerade in der Preisfindung. Bereits klar ist, dass die Preise nicht mehr mit dem aktuellen Niveau vergleichbar sein werden. Es sei mit zweistelligen Steigerungen zu rechnen, heißt es aus der Industrie. Die große Kunst sei es, eine Lösung für die Eckpreislagen zu finden.
Für die eine oder andere Sorgenfalte sorgt dabei noch die Frage, wie die Preisgestaltung der einzelnen Anbieter für 2016 in Relation zu den jeweiligen Mitbewerbern steht. Antworten auf diese Frage wird es erst im Vorfeld der Eurobike geben, wenn die Marktteilnehmer ihre Preislisten für das neue Modelljahr offen legen. Dann wird sich für die Unternehmen zeigen, ob sich bei Mitbewerbern durch unterschiedliche Wertschöpfungsanteile im Euro-Raum hier Vor- oder Nachteile in der Preisgestaltung niederschlagen.
Unruhige Branche
Die zwangsläufig angepasste Kalkulation der Fahrrad- und Teilehersteller dürfte sich über höhere Einkaufs- und Verkaufspreise in einigen Bereichen auf den Fachhandel auswirken. »Es ist eine gewisse Unruhe im Markt«, berichtet Helmut Sova, Geschäftsführer des Fahrradhändlerverbands Bike&Co. Die zu erwartenden Preissprünge seien schließlich sehr gravierend. »Eine vergleichbare Situation hatten wir in den letzten 15 Jahren nicht.« Die Auswirkungen könne noch niemand einschätzen. »Die Entscheidungen über die Bestellungen für die nächste Saison müssen aber teilweise schon jetzt getroffen werden«, so Sova. Das gelte insbesondere bei Produkten mit langen Vorlaufzeiten wie Rahmen und Schaltungen. »Bei gleichen Stückzahlen würden die Umsätze explodieren.« Sova rechnet deswegen mit einem Rückgang bei den verkauften Einheiten.
Bei den Mitgliedern von Bike&Co werde die Situation unterschiedlich eingeschätzt: »Die süddeutschen Händler sind da relativ entspannt«, sagt Sova. »Hier erlaubt es die hohe Kaufkraft der Kundschaft, auch mal 100 EUR mehr für ein Fahrrad auszugeben. In Ostdeutschland sind steigende Preise dagegen ein großes Problem.« Der Bike&Co-Geschäftsführer glaubt nicht, dass sich diesmal die Preiserhöhungen durch abgespeckte Ausstattungen bei Eckpreislagen ausgleichen lassen. »Das wird natürlich versucht werden. Jedoch wird es kaum reichen, von acht auf sieben Gänge zu reduzieren.« Und ob der Kunde für denselben Preis statt einer Acht-Gang- eine Drei-Gang-Schaltung akzeptiere, sei fraglich.
Demnach dürfte es auch schwierig werden, Einstiegspreislagen, wie etwa 399 EUR für ein City-Rad, in der kommenden Saison darzustellen. Manche Marktbeobachter rechnen jedenfalls schon damit, dass es 2016 nicht möglich sein wird, ein Fahrrad in Fachhandelsqualität für unter 499 EUR anzubieten.
Steigende Preise und die Folgen
Zumindest kurzfristig entstehen durch die Euro-Schwäche für die Fachgeschäfte jedoch nicht nur Nachteile. In der laufenden Saison können die Händler sogar teilweise bessere Margen erzielen. »Das ist möglich, wenn die Hersteller – wie etwa Gudereit – bereits höhere Verkaufspreise kommuniziert haben und es der Wettbewerb zulässt«, erklärt Sova. »Allerdings ist das nur ein kurzfristiger Effekt.«
Insgesamt dürfte die Euro-Schwäche dem Fachhandel weniger Kopfzerbrechen bereiten als der Industrie. »Die meisten Händler gehen gelassen mit den Wechselkursturbulenzen um«, berichtet Andreas Lübeck vom Beratungsunternehmen LBU. »Steigende Preise sind für den Handel ja grundsätzlich positiv. So kommt es zu keiner Entwertung der Lagerbestände. Und Kunden, die mit baldigen Preissteigerungen rechnen, werden ihren Fahrradkauf vielleicht sogar vorziehen.«
Eine langfristige Prognose zu den Folgen der Euro-Schwäche für die Fahrradbranche ist kaum möglich. »Ich glaube aber nicht, dass sich der Wertverlust des Euros negativ auf den Fahrradabsatz auswirkt«, erklärt Lübeck. »Viele Branchen sind ebenso stark von Importen geprägt, die in US-Dollar abgerechnet werden, und folglich genauso von Preissteigerungen betroffen.«
Die Schweiz und der wild gewordene Franken
Während der Kursverfall des Euro gegenüber dem US-Dollar als stetige, kontinuierliche Abwärtsbewegung beschrieben werden kann, kam es beim Wechselkurs der Gemeinschaftswährung zum Schweizer Franken Mitte Januar dieses Jahres zu einem regelrechten Paukenschlag: Die Schweizer Nationalbank (SNB) verabschiedete sich von dem seit September 2011 festgelegten Mindestkurs von 1,20 CHF. Mit ständigen Aufkäufen von Euro-Reserven und Euro-Anleihen hatte die SNB dies sichergestellt. Damit sollte die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Exportwirtschaft gewährleistet werden. Als die SNB dann überraschend verkündete, die Stützung des Euro-Kurses nicht mehr aufrechterhalten zu können, folgte ein jäher Absturz. Kurzzeitig war ein Euro sogar weniger als ein Schweizer Franken wert. Anschließend pendelte sich der Kurs um 1,05 CHF ein, was auch noch zum Redaktionsschluss Bestand hatte.
Der Kursverfall zwang auch die Schweizer Fahrradbranche zu schnellem Handeln, bedeutet er doch deutliche Währungsverluste bei Exporten in den Euro-Raum. Man sei jedoch nicht in Panik verfallen, erklärt Simon Lehmann, CEO von Flyer-Anbieter Biketec. »Wir haben eine Task Force gegründet, um die notwendigen Maßnahmen festzulegen.« Drei Wochen später wurden diese kommuniziert: Schweizer Fachhändlern gewährte Biketec für den Zeitraum von Anfang Februar bis Anfang April einen Preisnachlass von 400 CHF auf alle 2015er Flyer-Modelle. »Das ist sehr gut angekommen«, berichtet Lehmann. »Die Abverkäufe in der Schweiz haben nicht gelitten.«
Gleichzeitig erhöhte Biketec die Einkaufs- und Verkaufspreise für den Euro-Raum um 10 %. Diese Anpassung stieß auf Gegenwind von Seiten des Verbands des Deutschen Zweiradhandels (VDZ). Dieser beklagte in einer Mitteilung an seine Mitglieder, dass die Preiserhöhungen zu deutlichen Margenverlusten für die Fachhändler führen würden. Allerdings unterlief dem Verband hier ein kleiner Rechenfehler, der tatsächliche Verlust für den Händler ist vergleichsweise gering.
Die Preiserhöhung sei allgemein gut angenommen worden, betont Lehmann. Er weist zudem darauf hin, dass der Vororderanteil im deutschen Fachhandel bei rund 60 % liege. Wer bei diesen zu alten Preisen eingekauften Modellen einen höheren Verkaufspreis erzielt, verbessert also sogar seine Marge. Das gelinge jedoch nicht immer, so Lehmann. »Der deutsche Endkunde ist relativ preissensitiv. In den Benelux-Ländern war die Akzeptanz für die Preiserhöhung noch größer.«
Es sei noch zu früh, um die langfristigen Folgen der Währungsturbulenzen einschätzen zu können. »Wir werden die Entwicklung im Auge behalten.« Beim Einkauf sieht Lehmann für Biketec zwar durchaus Preisvorteile gegenüber Herstellern aus dem Euro-Raum. »Das wird aber die Verluste durch die Kursschwankungen nicht ausgleichen.« Zusätzlich plant Lehmann, die Wirtschaftlichkeit von Biketec weiter zu verbessern, indem Prozesse optimiert werden und das Unternehmen weiter wachsen soll. An der Positionierung von Flyer als Schweizer Marke und der klaren Ausrichtung auf Deutschland als wichtigsten Absatzmarkt werde auch die Euro-Schwäche nichts ändern.
Herausforderungen für den Schweizer Fachhandel
Nicht nur die Schweizer Fahrradindustrie, auch der dort ansässige Fachhandel hat unter den Währungsturbulenzen zu leiden. Gerade Fahrradgeschäfte in grenznahen Gebieten können nun mit den Preisen ihrer Kollegen im Euro-Raum erst recht nicht mehr mithalten. Fast alle Schweizer Hersteller und Importeure haben wie Biketec mit Preissenkungen reagiert. Dennoch steht der Schweizer Fahrradfachhandel vor großen Herausforderungen: »Die aktuelle Situation ist unbequem und wir alle stehen im Konflikt, einerseits die Forderungen unserer Kunden, auf der anderen Seite die Interessen, aber auch Verpflichtungen unserer eigenen Geschäfte in den Griff zu bekommen«, fasst René Albisser vom Trailrider Bikeshop in einem offenen Brief an Händlerkollegen und Lieferanten die Lage zusammen. Jeder Shop stehe nun selbst in der Pflicht, seine Kalkulation so anzupassen, dass unter dem Strich seine Rechnung aufgehe. »Je nach Lage, Lagerbestand und Fixkosten kann so ein Bike bei einem Händler durchaus ein paar Franken teurer sein als bei einem Mitbewerber«, so Albisser. »Wer seinen Job gut macht, wird trotzdem Räder verkaufen und kann den Kunden durch Service und Beratung davon abhalten, nur den günstigsten Preis zu jagen.«
Die Schweizer Fahrradbranche steht aufgrund der Währungsturbulenzen also vor ganz anderen Problemen, als dies im Euro-Raum der Fall ist. Fest steht in jedem Fall, dass sich die Preise ändern werden. Im Euro-Raum nach oben, in der Schweiz nach unten. Bleibt die Frage, wie stark – und darauf hat noch kaum ein Marktteilnehmer eine Antwort.
Verknüpfte Firmen abonnieren
für unsere Abonnenten sichtbar.