Interview - Mike Kluge
»Die Räder müssen wartungsärmer sein«
Was ist der größte Unterschied, den Sie am sportlichen Rad allgemein zwischen heute und früher sehen können?
Mike Kluge: Das Feld der verfügbaren Räder ist sehr unübersichtlich geworden. Früher gab es das Bonanza-Rad, das Rennrad und das Trekking-Rad. Dann kam irgendwann das Mountainbike. Heute gibt es sehr viel mehr Auswahl. Dabei haben all diese Räder ihre Berechtigung, allerdings fällt mir auf, dass oft nicht der entsprechende Kunde auf dem entsprechenden Rad sitzt. Was ich damit meine ist, dass viele Hobbyisten dazu neigen, etwas zu fahren, das die Profis nutzen. Das hat natürlich auch mit Marketing zu tun. Die Race-Maschinen muss man aber auch beherrschen. Wenn man glaubt, einem Anfänger ein schönes, leichtes Hardtail für acht- oder neuntausend Euro schenken zu müssen, dann ist das definitiv kein Gefallen, den man dieser Person macht. Mit etwas Trägerem wäre er oder sie besser bedient. Durch die bessere Technik sind die Ansprüche an die Fahrer gestiegen. Das wird unterschätzt. Selbst wenn die Menschen hochwertige Räder kaufen, sitzen sie teilweise auf gefährlichen Fahrrädern, weil sie nicht richtig eingestellt sind. Das gilt etwa für Fahrwerkseinstellung. Da kann die Fahrradindustrie helfen und den Rest kann der Händler machen. Das hat für den Händler dann auch einen großen Wert, wenn er dadurch zur Vertrauensperson wird.
Ich konnte zwar 1990 den Mountainbike-Weltcup gewinnen, aber auf dem Weg dahin sind mir irre viele Räder auseinandergeflogen, was sicherlich auch der damals noch jungen Mountainbike-Technik geschuldet war.
Wie kam es überhaupt zu dem Wechsel von Mike Kluge dem Radsportler zu Mike Kluge dem Fahrradindustriellen?
Ich war damals einfach in der Zwickmühle. Mein Ziel als Aktiver war, das beste Material zu haben. Mir war klar, dass mein Talent die Grundlage für den Erfolg ist, zu dessen Erreichung aber dann mein Training und eben auch perfektes Material kommen muss. Damit ich das Material für meinen Vorteil im Rennen einsetzen konnte, musste ich gewisse Sachen anders haben, als sie am Markt verfügbar waren. Mit den Produkten der Sponsoren, die ich damals hatte, war das nicht möglich. Es war eine unnötige und kräfteraubende Diskussion. So konnte ich zwar 1990 den Mountainbike-Weltcup gewinnen, aber auf dem Weg dahin sind mir irre viele Räder auseinandergeflogen, was sicherlich auch der damals noch jungen Mountainbike-Technik geschuldet war. Aber ich hatte keine Zeit zu warten, um am Markt durch meinen Sponsor das Material zu bekommen, das mir die passende Performance gab. Am Ende habe ich den Weltcup auch nur ganz knapp gewonnen. Ich glaube, in dem Jahr hätte ich bestimmt fünf Weltcup-Rennen gewinnen können, aber ich kam wegen technischer Probleme oft nicht am Ziel an. Dabei war ich nicht superbrutal unterwegs, ich komme ja aus dem Cross-Bereich, da muss man schon genau und sauber fahren können. Da gab es keinen Federweg und dazu schmale Reifen, man musste ein genaues Auge für den Untergrund haben. Es gab viele andere Faktoren an den Bikes, die man hätte optimieren können.
War das der Punkt, an dem Sie gesagt haben, dass Sie etwas Eigenes aufbauen möchten?
Ja, mit dieser Erfahrung aus Cross, Straße, Bahn und Autorennen habe ich jedenfalls festgestellt, dass ich eigene Räder bauen musste, weil es sehr mühselig war, die Verantwortlichen von sinnvollen Innovationen zu überzeugen. Aber das war natürlich nicht ganz so einfach. Ein Rad zu verbessern und zu optimieren, ist etwas anderes, als ein Rad komplett neu zu bauen.
Wir hatten damals unseren Businessplan aufgestellt, aber das Geld, das wir in der Anfangsphase geplant hatten, war so schnell weg, so schnell konnte man gar nicht gucken. Daraufhin bekam ein Partner schnell kalte Füße. Nach einem Dreivierteljahr ist er dann ausgestiegen. Das hat mich einerseits etwas unsicher gemacht, aber ich war voller Überzeugung, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ich musste den Partner dann auszahlen und den Rest selbst finanzieren. Danach gab es für mich ohnehin keinen Weg mehr zurück.
Es heißt ja immer, dass unterschätzt wird, wie kapitalintensiv so ein Markenaufbau ist. Nach all den Jahren sei an dieser Stelle die Frage erlaubt, welche Summe von Ihnen damals in die Hand genommen wurde?
Wir hatten ja schon allein mit den Markenrechten zu kämpfen. Schon an diesem Punkt kamen zig Leute, die alle meinten, sie haben ein »F« oder ein »O« oder ein »C« oder ein »U« und ein »S« im Namen. Mit dem Burda-Verlag lagen wir sechs Jahre im Clinch. Die Markenrechte allein haben uns am Ende schon 400.000 DM gekostet. Das ganze Fahrradthema, also bis wir die ersten zwanzig Räder am Start hatten, hat uns weitere 120.000 DM gekostet. Diese Räder habe ich dann in den Rennen genutzt, danach verkauft, dann das nächste genommen und so immer weiter die Räder verbessert. So habe ich etwa gelernt, was 10 mm mehr Vorbaulänge ausmachen. Kettenstrebenlängen, Q-Faktor, Reifen, Lenkerbreite, all diese Themen haben wir in dieser Zeit an unseren Bikes getestet.
Sie haben dann im Jahr 2000 Focus verkauft. Danach gingen Sie und die Marke zunächst getrennte Wege, was sich aber recht bald wieder änderte. Wie kam es dazu?
Nach dem Verkauf bin ich erst mal zwei Jahre um die Welt gereist, um nach den sehr intensiven Jahren als Unternehmensgründer und -leiter den Kopf wieder freizubekommen. Danach wurde ich von dem neuen Management bei Focus wieder als Berater geholt und konnte dort wieder einige Ideen einfließen lassen. Mir lag immer viel daran, für eine Marke zu arbeiten, die voll auf den Rennsport setzt, unter anderem weil das Material so auch für den Amateurbereich am besten entwickelt und getestet werden kann. Insbesondere als ich Hanka Kupfernagel als ihr Trainer ins Team holte, konnte Focus viele Erfolge einfahren, wie etwa den Weltmeistertitel im Cross 2005 und im Zeitfahren 2007 und einige weitere Weltmeistertitel. Danach zog sich Focus nach meinem Eindruck aber mehr und mehr aus der Entwicklung und dem Rennsport zurück. Das tat weh, denn ich hatte Focus ursprünglich als Performance-Marke gegründet und wollte damit immer irgendwie im Rennbereich vertreten sein, und so verließ ich Focus in 2009. Nach einer vierjährigen Pause kehrte ich auf Wunsch dann 2013 jedoch zurück, und wir waren mit neuen Entwicklungen auf einem guten Weg, waren wieder im Profisport vertreten und hatten unsere verschiedenen Teams. Diese Ausrichtung hat sich nach meiner Auffassung dann doch wieder etwas abgeschwächt und so habe ich meine Vereinbarung mit Focus dann ab März 2023 nicht mehr verlängert. Es ist Zeit für etwas Neues und ich freue mich auf interessante Innovation in der Zukunft.
Einerseits halten etwa E-MTBs im Gelände heute bemerkenswert viel aus, das ist schon beeindruckend. Aber dass angesichts der Leistungswerte der Motoren eine schmale 12-fach-Kette an ihre Grenzen kommt, ist auch klar.
Was ist aus Ihrer Sicht der nächste, vielleicht der wichtigste Punkt, an dem die Fahrradbranche in den sportlichen Segmenten hinfassen muss? Wo sind die größten Baustellen?
Die Wartung der aktuellen E-Bikes nimmt aktuell zu viel Aufwand in Anspruch. Ich habe selbst einen relativ großen Fuhrpark an Rädern und das kostet viel Zeit. Einerseits halten etwa E-MTBs im Gelände heute bemerkenswert viel aus, das ist schon beeindruckend. Aber dass angesichts der Leistungswerte der Motoren eine schmale 12-fach-Kette an ihre Grenzen kommt, ist auch klar.
Was mich auch irritiert, ist der Umstand, dass es die Fahrradindustrie nicht geschafft hat, sich auf eine einheitliche Ladesteckerlösung zu einigen. Das ist eine Katastrophe. Ich selbst habe Schränke voll mit Ladegeräten. Umso mehr hat es mich gefreut, dass bei Smartphones demnächst nur noch USB-C erlaubt sein wird. Es spricht nichts dagegen, so eine Lösung auch im Fahrradbereich zu etablieren. Das wäre eine Maßnahme, die auch dazu führt, dass man mehr Freiheiten unterwegs hat. Da wünsche ich mir mehr Kooperation zwischen den Big Playern, insbesondere in einer Branche, die gerne und oft von Nachhaltigkeit redet.
Ein anderes Thema, bei dem Sie dem Sie seit einiger Zeit engagiert sind, ist der Wasserstoffantrieb am Fahrrad. Was ist denn an dieser Front der Stand der Dinge? Davon hat man schon länger nichts Neues mehr gehört.
Ich schon, aber leider im Moment nichts Gutes. Es ist für mich ein bisschen enttäuschend, wie das letztlich gelaufen ist, denn eigentlich bin ich schon lange von dieser Idee begeistert. Mit Wasserstoff hätten sich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen lassen sollen: Es hätte leichter werden sollen und meine »Spaßzeit« auf dem Fahrrad sollte nicht durch Akku-Kapazitäten beschränkt sein.
Zusammen mit Partnern, die sich ebenfalls für Wasserstoff begeistern, und der Unterstützung von zwei Instituten hatten wir einige Parameter definiert, die erfüllt werden müssten, damit das Produkt dann am Markt bestehen kann. So sollte etwa eine wiederaufladbare Wasserstoff-Kartusche für die nötige Energie sorgen, die auch universal sein sollte. Mein Anspruch war schon relativ hoch.
Das Ende vom Lied ist, dass die Brennstoffzelle, die uns in Aussicht gestellt worden war, nicht umgesetzt werden konnte. Weder von der Baugröße, noch vom Gewicht und schon gar nicht von der Leistung. Wäre nur einer dieser Parameter noch zu verbessern gewesen, hätte man daran noch weiterarbeiten können, aber so lief das Projekt nun Ende März aus. Es wird einen Abschlussbericht geben, aber dann ist das Thema zunächst beendet. Ich sehe das dennoch nicht als Ende, denn es ist für mich nach wie vor die Zukunft. Da wird sich noch viel entwickeln und das wird spannend.
Es gibt ja auch Motocross-Rennen, also warum sollte man nicht Radrennen haben, wo man seine eigene Kraft mit einbringt?
Was halten Sie eigentlich von E-Bike-Rennen?
Ich finde sie superinteressant. Es gibt ja auch Motocross-Rennen, also warum sollte man nicht Radrennen haben, wo man seine eigene Kraft mit einbringt? Ich bin aber der Ansicht, dass diese Rennen offen sein müssen, damit sie richtig funktionieren und akzeptiert werden. Das heißt, die Rennen dürften nur von ehemaligen Profis und Lizenzfahrern gefahren werden, die mit Protektoren unterwegs sind auf Bikes mit Gewichtslimit und auf Strecken, die im Grenzbereich sind. Es wäre so interessant, wenn das ein Wettkampf der eingesetzten Technologie würde, es wäre spannend zu sehen, was die Industrie daraus macht. Ich bekomme gerade eine Gänsehaut. Mit gedrosselten E-Bikes ist das schon weniger tauglich, um daraus eine Königsdisziplin im Radsport zu entwickeln.
Sie haben jetzt ein ganzes Leben mit Radsport- und Branchenerfahrung gefüllt. Wohin sehen Sie den Radsport sich entwickeln, insbesondere mit dem Einfluss, den das E-Bike nimmt? Wird das Rennrad damit zu einem Exoten?
Wir sind ja alle ein bisschen durch Medien gesteuert und kaufen das, was wir präsentiert bekommen. Ein Beispiel ist wieder Gravel. Eigentlich gibt es das Rad ja schon als Cross-Rad. Die großen, dicken Reifen machen es schwerfälliger und der Crosser ist per se leichter und wendiger. Das Rennrad wird immer seine Freunde haben. Wichtiger sind die anderen Fragen: Die Räder müssen wartungsärmer sein, niemand will ständig auf der Suche nach dem Knacken am Rad sein. Mein Wunsch wäre ein Rad, das hochdruckreinigerresistent ist. Die Pflegezeit ist in der heute immer knapper werdenden Zeit ein wichtiger Faktor. Mit der Zahnbürste gehts einfach zu lange und schon gar nicht beim E-Bike. Die leichte Reinigung ist wichtig, man hat ja viel mehr Fahrleistung und Werterhaltung, wenn der Antriebsstrang sauber und gepflegt ist.
Auch die Autoindustrie hat das Bike wieder für sich entdeckt, aber ich habe das Gefühl, jetzt mit mehr Nachdruck und das wird spannend werden. Eines der sehr vernachlässigten Themen ist die Sicherheit beziehungsweise Fahrtechnik. Den Wenigsten ist klar, wie ein Ausweichen richtig und schnell eingeleitet wird oder wie ist die Körperhaltung bei einer Notbremsung sein sollte. Selbst einige Profis können diese Frage leider nicht klar erklären. //
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