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Report - Customer Journey

Die Reise des Kunden

Welche Rolle spielt das Internet beim Fahrradkauf? Sucht der Kunde bei Google? Fragt er Freunde auf Facebook? Liest er Themen-Blogs oder ist er einfach über eine Anzeige gestolpert, die auf Spiegel Online zu sehen war?

Eine Hassliebe verbindet den Fahrradhandel und das Internet. Reine Onlinehändler machen dem stationären Fachhandel das Leben schwer. Das Schimpfwort vom Beratungsklau wird immer dann laut, wenn ein bis dahin unbekannter potentieller Kunde den Laden verlässt, ohne zu kaufen. Stationäre Händler, die selbst zum Beispiel auf eBay anbieten, genießen ebenfalls einen zweifelhaften Ruf. Wie gut kann ein Fahrradkauf ohne dezidierte Beratung schon funktionieren?
Doch der Handel weiß längst, dass es ohne Internet nicht geht. 51 Prozent aller Kaufentscheidungen werden online vorbereitet, ermittelten die Marktforscher von TNS Infratest. 20 Prozent aller Suchanfragen bei Google haben inzwischen einen lokalen Bezug. Die User suchen also nach »eBike + Augsburg«. Wer bei diesen Suchbegriffen gut platziert ist, hat eine große Chance, einen Teil des potenziellen Umsatzvolumens abzuschöpfen, egal ob online oder offline.
Ebay und Google sind nur zwei Plattformen von einer Unzahl an Möglichkeiten, wo die Meinungsbildung des Kunden im Netz beginnen kann. Amazon oder Otto gehören genauso dazu wie redaktionelle Websites und Blogs, die sich mit Fahrradthemen beschäftigen. Gerade bei den Blogs gibt es viele, die sich über Partnerprogramme finanzieren. Sie platzieren also Links auf die Seiten des Onlinehändlers und kassieren Provision. Der Fachbegriff dafür ist das Affiliate-Marketing.
Der Nutzer kann aber auch ganz andere Wege im Netz gehen. Er kann von Publikumsmedien wie Stern.de auf ein Thema wie eBike gestoßen werden. Er kann auf ganz anderen Websites Werbebanner sehen und klicken, oder er bezieht seine Inspiration aus den sozialen Netzwerken.

Customer Journey

Die gesamtheitliche Betrachtung der konkreten Abfolge an Kontaktpunkten, die ein Kunde mit einem Thema hat und die letztlich zum Kauf eines Produktes führen, nennt die Branche Customer Journey. Freilich beginnt diese Kundenreise nicht notwendigerweise im Internet und wird auch nicht ausschließlich von digitalen Berührungspunkten – den Touchpoints – bestimmt. Klassische Medien wie Fernsehen, Print, Plakate, Schaufenster oder der Auftritt auf einer Messe oder einer großen Radveranstaltung gehören ebenso dazu und können im Einzelfall den Kauf stärker beeinflussen, als jegliche Form der Onlinewerbung zusammen genommen. Fahrrad.de experimentierte beispielsweise vor zwei Jahren mit Fernsehwerbung und konnte deutlich Anstiege der Verkaufszahlen sehen kurz nachdem die Spots gelaufen waren.
Im Gegensatz zu den Kontakten in der klassischen Medienwelt haben die digitalen Touchpoints jedoch einen wichtigen Vorteil. Sie lassen sich mit recht einfachen Mitteln sehr genau messen. Jedes Werbebanner im Netz hinterlässt eine kleine Textdatei auf dem Rechner des Nutzers, ein so genanntes Cookie. Kommt der Kunde schließlich auf der Website des Händlers an, so kann dieser analysieren, welche Werbemittel der Kunden vorher gesehen hat. Und aus der Aggregation der Daten über viele Nutzer hinweg entsteht ein immer schärferes Bild von der Bedeutung der verschiedenen Touchpoints.
Diese Analyse ist nicht immer ganz einfach. Früher war es üblich, dem letzten Werbemittelkontakt den Verkauf gut zu schreiben. Dieser Ansatz stammt noch aus einer Zeit, als die Webanalyse nicht sonderlich ausgereift war und man sich bei der Auswertung auf den so genannten Referer berief. Das ist die letzte Seite, die ein Nutzer aufgerufen hat, bevor er beim Fahrradhändler landete. Diese Technik verzerrt die wahre Customer Journey und schreibt vor allem Maßnahmen des Performance-Marketing – dazu zählen vor allem Adwords-Anzeigen auf Google und Affiliate-Programme – die größte Bedeutung zu. Dabei wurde vernachlässigt, dass der Kunde ja vielleicht deshalb nach »eBike« gesucht hatte, weil ihm tags zuvor eines im Werbebanner begegnet ist. Der Online-Marketer spricht von Assistenzeffekten und natürlich von Markenwahrnehmung.
Heute sind die Systeme klüger. Sie erstellen so genannte Attributionsmodelle. Jedem Kanal und jedem Werbemittel wird also ein relativer Wert zugeordnet (»attribuiert«), der beschreibt, welchen Anteil am Verkaufserfolg das Werbemittel hatte. Und anhand dieser Anteile werden Provisionen verteilt und die neuen Budgets geplant.

Customer Journey versus User Journey

Die Analyse der Customer Journey hat eine mögliche und eine sichere Schwäche. Die mögliche Schwäche tritt in Kraft, wenn zu den digitalen Kontaktpunkten nicht die analogen hinzugefügt und mit bewertet werden. Schließlich geht es in der Regel um ein Gesamtbudget im Marketing und das Ziel muss lauten, Produkte zu verkaufen.
Ganz sicher ist die Analyse der Customer Journey aber schwach, wenn es um die Neukundengewinnung geht. Tatsächlich kann Software nur eine Customer Journey abbilden, die es bis auf die Website eines Händlers geschafft hat. Was aber, wenn der Nutzer darauf verzichtet, bei Qype die Adresse des Händlers nachschlägt und in der Filliale vorbeischaut? Und was ist mit den Tausenden von Nutzern, die aus welchen Gründen auch immer »nicht« auf die Website des Händlers gelangen. Gründe dafür könnten Angebote der Konkurrenz sein, oder man hat selbst Fehler in der Kommunikation gemacht oder man war am Punkt der Entscheidungsbildung einfach nicht präsent.
Eine gute Analyse der Customer Journey bezieht sich also immer auch auf den Gesamtmarkt und nicht nur die eigene Website und die eigenen Werbemittel. Gibt es Plattformen, die Sie übersehen haben? Suchen die User nach Begriffen, die Ihrer Ansicht nach falsch sind? Denken Sie zum Beispiel an Nutzer, die eine »Kaffeemaschine« bei Google suchen, obwohl sie einen »Vollautomaten« kaufen möchten. Wem es gelingt, schon an dieser Stelle den Nutzer abzuholen, der kann zu einem Zeitpunkt in die Entscheidungsfindung eingreifen, wo es noch längst nicht um konkrete Produkte oder gar um Preise geht. Die Amerikanische Marketer sprechen von TOFU, Top of the funnel, dem obersten Rand des Einkaufstrichters. So war es für Hartmut König, Berater bei Adobe Systems zum Beispiel ein absolutes Killerkriterium, welches Gewicht ein Rad tragen kann.

Customer Journey, Analyse und Modellierung

Leistungsfähige Software zur Verwaltung und Messung von Online-Marketing-Maßnahmen besitzt heutzutage sowohl Attributionsmodelle als auch die Fähigkeit, die Customer Journey abzubilden. Das gilt zumindest dort, wo der Nutzer mit einem Werbemittel in Kontakt tritt. Gute Analysesysteme reichern diese Daten mit allgemeinen Erkenntnissen aus der Marktforschung an. Der Hamburger Dienstleister SirValuse kooperiert mit der GFK und kann daher weitreichende Aussagen über das durchschnittliche Konsumverhalten bestimmter Zielgruppensegmente treffen.
Freilich ist auch die Befragung von Bestandskunden ein probates Mittel, um etwas über deren Informationsvorlieben in Erfahrung zu bringen. Neben klassischen Befragungsmethoden kommt hier auch ein Workshop-Modell zu Einsatz. Gemeinsam mit Mitarbeitern erarbeitet man die unterschiedlichen Wege zum Fahrradkauf und priorisiert die Ergebnisse. Eine wichtige Informationsquelle bildet auch der Vertrieb, der entsprechend nahe am Endkunden sitzt und dessen Bedürfnisse detailliert kennt. Auch die Redaktionen und Betreiber entsprechender Blogs wissen, was die User suchen, welche Artikel die beliebtesten sind, etc.
Eine gute Informationsquelle bildet auch gezieltes Social Media Monitoring. Die User geben sich gegenseitig Tipps, wo man sich zu Themen informieren kann. Jüngst fand etwa Schwarzkopf heraus, dass ausgerechnet Chefkoch.de eine der wichtigsten Diskussionsplattformen ist, wenn es um das Thema Haare geht. Die Nutzer haben gelernt, dass die große und aktive Anhängerschar von Chefkoch.de bereit und willens ist, Lebenserfahrungen zu teilen und das geht längst über Kochrezepte hinaus.
Aus der Kombination von Touchpoints und vermuteten Kundenbedürfnissen entsteht das Anforderungsprofil für die Werbemittel. Die werden mit spezifischen Landeseiten auf der eigenen Website verknüpft. Wer nicht online verkauft, platziert dort die Anreizmechanismen, die den Kunden in den Laden treiben. Der Gutschein ist immer ein probates Mittel, die körpergerechte Anpassung per »Popometer« ein weiteres, um den RoPo-Effekt auszulösen: Research online, purchase offline.

14. Dezember 2012 von Frank Puscher
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