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Betriebsführung // Vororder

Die richtige Orderstrategie für 2025

In diesem Jahr wird wieder eine größere Vorordertätigkeit erwartet. Die Warenbestände sinken allmählich, neue Ware für 2025 wird benötigt. Doch wie kauft man heute richtig ein? Wie strukturiert man seinen Orderprozess? Welche Kriterien sollten aktuell berücksichtigt werden?

Florian SchöpsSteve Ehe

Eigentlich liegen die Fragen zur Vororder jedes Jahr auf dem Tisch der Entscheider und Einkäufer in der Fahrradbranche. Entsprechend müsste man davon ausgehen, dass alle Marktteilnehmer bestens auf ihre Orderaufgaben vorbereitet sind. Doch aus dem Markt wird zurückgespielt, dass noch längst nicht überall professionelle Standards herrschen. Management by Bauchgefühl ist nach wie vor weit verbreitet. Bei den Summen, die heute im Fahrradgeschäft bewegt werden, braucht es aber zuverlässigere Ansätze.

»Solange ein Markt jedes Jahr 10 bis 15 Prozent wächst, kann man diese Planungsungenauigkeiten locker verkraften«, sagt Steve Ehe, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Handelsberatung BBE. »Wenn dann aber der Markt kippt, wird es auf einmal eng. Jetzt reift bei vielen die Einsicht, dass sie ihre Einkäufe viel besser und strategischer planen müssen.«

»Jetzt reift bei vielen die Einsicht, dass sie ihre Einkäufe viel besser und strategischer planen müssen.«

Steve Ehe, BBE

Doch wie strukturiert man den Prozess des Orderns richtig? Wie wichtig diese Frage ist, verdeutlich Florian Schöps, Manager Unternehmensberatung bei BBE. Er hat sich auf die Fahrradbranche spezialisiert und ist verantwortlich für diesen Bereich: »Es steckt extrem viel Geld im Wareneinsatz im Fahrradhandel. Wir haben hohen Wareneinsatz, und das bei hohen Durchschnittspreisen und gleichzeitig sehr hohen Vororderquoten. Zudem kommt die Ware meistens zu einem Zeitpunkt, wo man sie noch nicht abverkaufen kann, manchmal Monate vorher, und nicht jeder räumt Valuten ein. Darum ist die Einkaufsplanung extrem wichtig«.

Entsprechend hoch ist der Liquiditätsbedarf. Dazu kommt eine hohe Vororderquote. »Im Mode- und Sport-Segment haben wir eine Voroderquote von 60 oder 70 Prozent, bei Schuhen bis zu 80 Prozent. Zumindest bei Rädern und E-Bikes sind wir aktuell bei 100 Prozent«, beobachtet er. Entsprechend ernst müsse jeder Händler das Thema angehen.

»Es gibt keine andere Branche, bei der die Anforderungen an eine saubere Einkaufsplanung so hoch sind, diese aber gleichzeitig so krass vernachlässigt werden«, beobachtet Schöps. Das ist paradox und könne nicht so bleiben.

»Es gibt keine andere Branche, bei der die Anforderungen an eine saubere Einkaufsplanung so hoch sind, diese aber gleichzeitig so krass vernachlässigt werden.«

Florian Schöps, BBE

Aktuelle Einschätzung der Situation

Bevor man sich eine passende Orderstrategie zurechtlegen kann, muss man zunächst einmal die aktuelle Situation einschätzen. In den vergangenen Jahren ist durch Corona und die daraus entstandenen Verwerfungen das Schreiben der Vororder immer weiter nach vorne gerückt. Es dürfte das erste Mal in der Fahrradgeschichte gewesen sein, dass Fahrradhändler zum Teil schon im Februar zur nächsten Orderrunde zu bewegen waren. Diese Phase ist aber wieder vorbei. Für das Gros der Fachhändler ist dieses Jahr noch wenig Ordergeschehen zu vermelden. Tatsächlich dürfte man sogar eher wieder am besonders späten Zeitpunkt für Einkäufe angekommen sein.

Die Gründe sind die gleichen wie zuvor: Lieferketten, Warenbestand, Einkaufsverhalten und Liquidität im Unternehmen – nur, dass sich bei all diesen Punkten die Vorzeichen gedreht haben. »Wir haben immer noch relativ volle Lager«, beobachtet BBE-Fachhandelsexperte Florian Schöps. »Bei den meisten Händlern, die wir kennen, gehen wir davon aus, dass sie relativ gut abverkauft sind, wenn die Saison so weiterläuft. Nach dem, was ich bisher höre und sehe, erreicht der Handel in etwa Vorjahresniveau, manche sind etwas darunter, manche leicht darüber.« Seiner Überzeugung nach gibt es absehbar Einkaufsbedarf für einen großen Teil der Händlerschaft, auch wenn aktuell das Lager noch anders aussieht. Zudem will man vermeiden, nächstes Jahr vom Überfluss wieder in einen Mangel zu rutschen.

Der Weg zu einer gelungenen Warengruppenplanung, hier schematisch dargestellt, ist ein mitunter komplexer Prozess. Angesichts der investierten Beträge im Fahrradsegment ist er die Mühe wert.

Um das richtige Maß für das eigene Geschäft zu treffen, braucht es die entsprechende Planung. Zu dieser gehört auch, sich einen gewissen Spielraum zu lassen. »Der gute Händler, der eine entsprechende Umsatz- und Limit-Planung hat und seinen Bestand am Ende des Jahres einschätzen kann, lässt sich immer ein bisschen Limit, um etwa bei Sonderposten und anderen Produkten zuschlagen zu können«, sagt Schöps. So könne er, wenn ihm gut verkäufliche und gut kalkulierte Ware angeboten wird, diese immer noch untermischen. »Cash is King«, ergänzt Ehe, »das ist natürlich eine Trumpfkarte. Wer seine Liquidität im Griff hat, dem bieten sich sicherlich Chancen auf den einen oder anderen Posten, aber man darf das nicht überbewerten. Man braucht genauso neue, frische Ware. Wenn man das vernünftig miteinander mischt, kommt man trotz Preisschlachten mit einer vernünftigen Ausgangsmarge aus der Saison raus.«

Für viele Beteiligte bedeutet die aktuelle Situation auch, dass sie gerade eine Krise überstanden haben oder zumindest wieder das Licht am Ende des Tunnels sehen. Sie haben gesehen, wie sich die Marken und Geschäftspartner verhalten haben, was hilfreich war und was nicht. Dieser partnerschaftliche Gedanke sollte laut Schöps in der Planung nicht vergessen werden. »Gerade Partnern in der Industrie, die einen in der Corona-Zeit und mit Lieferterminen unterstützt haben, hilft natürlich eine verlässliche, frühe Order. Sie können dann ihrerseits besser planen.« Zumal der Handel eventuell zu vorsichtig sein könnte, wenn es um das nächste Jahr geht. Wer jetzt noch Warendruck verspürt, hat natürlich auch wenig Neigung, sich direkt wieder in diese Situation zu begeben. Gerade dafür hilft die gute, vorausschauende Planung mit besonderem Blick auf den Warenbestand am Ende des Jahres.

Doch wie viel Warenbestand wäre eigentlich normal für einen Händler am Ende des Jahres? Ganz grob sollte der Warenbestand in Euro etwa ein Viertel bis ein Drittel des Jahresumsatzes betragen. »Viele Händler entwickeln sich allmählich wieder auf das Warenbestandsniveau, das sie auch in den Jahren vor Corona hatten«, beobachtet Schöps.

»Die große Gefahr, die ich sehe, ist dass einige Händler in der kommenden Orderrunde zu wenig ordern«, fürchtet Schöps. »Das ist ein großes Problem für die Industrie. Deswegen ist es unglaublich wichtig, in die operative Planung zu gehen, konkret in die Zahlen zu schauen und Umsatzentwicklung und -planung zu betrachten. Welche erzielte Marge habe ich? Was ist mein Wareneinsatz? Wo möchte ich beim Warenbestand stehen? Entsprechend muss ich Ware einkaufen.« Zu einer gewissen Normalität zu kommen, ist dabei nicht ganz einfach. »Wir kommen aus zwei ganz extremen Saisons. Nach Lageraufbau steht nun der Lagerabbau auf der Agenda. Zum Ende des Jahres wird sich das für viele wieder nivelliert haben. Das bedeutet eigentlich wieder ein normales Ordern für 2025.«

Risiken minimieren durch Entscheidungsmatrix

Bei der normalen Order gilt es zwischen Vor- und Nachorder zu unterscheiden. »100 Prozent Vororder bedeuten 100 Prozent Risiko«, erklärt Ehe. »Das heißt, dass es keinen Sinn ergibt, den gesamten Bedarf in der Vororder auszugeben, sondern sich einen gewissen Puffer zu lassen. Wie weit das möglich ist, hängt ab von den Verfügbarkeiten bei den verschiedenen Marken, die leider häufig nicht gegeben sind.«

»In der Einkaufsplanung sollte man unterscheiden zwischen strategischer und operativer Planung«, sagt Steve Ehe. »Auf strategischer Ebene muss sich jeder Händler Gedanken um sein Markenportfolio machen und sich fragen, wo man strafft, Partnerschaften intensiviert, und sicherstellen, dass man auf die richtigen Marken setzt. Dafür braucht man eine klare Entscheidungsmatrix«, erklärt der Handelsexperte.

Strategische Überlegungen

Bevor man den Orderzettel ausfüllt, müssen die Einkäufer ihre Hausaufgaben machen. Dazu gehört, dass man die Marken nach verschiedensten Kriterien beurteilt. Dabei geht es laut Ehe »in erster Linie um Verkäuflichkeit der Marke. Dazu gehört auch, wie die Marke aufgestellt ist, wie sie in das eigene Sortiment passt und welches Image sie vermittelt. Es gibt ebenso auch wirtschaftliche Aspekte, die mitentscheiden, wie gut eine Marke ist: Was habe ich für Kalkulationen? Wie ist die Nachlieferfähigkeit?« Ein weiteres Thema ist die Preisstabilität einer Marke. »Ist eine Marke preisstabil verkäuflich, habe ich eine bessere Ausgangsmarge«, erklärt Ehe. »Preisstabil« bedeutet aber nicht zwingend auch »gut verkäuflich«, der Blick auf die Abverkaufsqoute bleibt wesentlich.

Gerade in diesem Jahr gilt es eine Frage zu beantworten, die sonst eher nachrangig ist: Wenn der Handel weniger ordert, wie es zuletzt der Fall war, dann verlagert sich der Liquiditätsstress auf die Industrieseite. Als Händler muss man sich fragen, ob der eigene Lieferant einen wahrscheinlichen Bereinigungsprozess überstehen wird. Bevor man sich entscheidet, auf welche Pferde man setzen will, gilt es, auch diese Frage zu beantworten. Was sonst nur ein Nachgedanke ist, sollte aktuell nicht völlig ignoriert werden.

Ansonsten gibt es viele weitere Punkte, die aus strategischer Sicht marktrelevant sind. Dazu gehören Markenimage und Marktkommunikation eines Herstellers oder das ganze Feld der Nachhaltigkeit. Preis-Leistungs-Verhältnis, Design, Zielgruppenrelevanz samt Produktpalette und Innovationen sind ebenfalls Kriterien, die man beim Einkauf berücksichtigt. Händlerbetreuung und Service sind Punkte, die in der Markenwirkung nicht so direkt spürbar werden, aber für den Fachhandel sehr wohl relevant sind. Andere Kriterien dieser Art sind die Vertriebspolitik, Preisstabilität im Markt, Gebietsschutz und Exklusivität, Mindestbestellvolumen und natürlich die Händlerspanne.

Wie stark welcher Aspekt gewichtet wird, hängt mehr oder weniger stark von eigenen Präferenzen ab. Je wichtiger ein Kriterium für den wirtschaftlichen Erfolg ist, desto weniger wird man es ignorieren können und wollen. »Verkäuflichkeit und Marge sind zwei entscheidende Punkte bei der Markenentscheidung,«, verdeutlicht Ehe. Doch auch an diesem Punkt kann man es sich nicht zu einfach machen. »Es gibt Marken, die nicht die höchste Marge bieten, aber vielleicht ist ihre Verkäuflichkeit und Preisstabilität so gut, dass man über die Stückzahlen trotz geringerer Prozentmarge einen höheren Deckungsbeitrag generiert. Umgekehrt bringt es nichts, die beste Marge zu haben, wenn die Marke einfach deutlich schlechter verkäuflich ist.«

Schöps gibt zusätzlich zu bedenken, dass sich der Markt gedreht hat. Aus dem Verkäufermarkt der Corona-Jahre ist jetzt wieder ein Käufermarkt geworden. Was einem eben noch aus den Händen gerissen wurde, kann jetzt wieder wie Blei im auf der Fläche stehen. »Es ist wieder entscheidend geworden, die Mehrwerte der Marke herauszuarbeiten. Die Frage lautet immer, ob eine Marke in fünf Jahren immer noch begehrlich ist. Wie ist mein Markenportfolio? Wie ist meine Markenstrategie bis 2030? Das sind Gedanken, die sich ein Händler immer machen muss und die für 2025 besonders wichtig sind.«

Wenn einmal die grundsätzlichen Fragen zur Sortimentsplanung abgeschlossen sind, geht es an die Umsetzung und Übersetzung in die Order. In vielen Aspekten überschneiden sich diese Fragen.

Operative Planungen

Neben den strategischen Überlegungen gibt es auch die ganz konkrete operative Planung. Dabei muss man vor allem in die eigenen Bücher schauen: Was wurde von einer Marke verkauft, wie lauten die Hochrechnungen, was ist noch an Beständen vorhanden, mit welchen Teilen davon kann man im nächsten Jahr noch etwas bewegen?
Dabei geht es dann um die Planung von Stückzahlen, Preislagen und den richtigen Produktmix, insbesondere wenn es darum geht, ein eventuelles Überlager noch abzubauen. Schließlich wird das Budget, insgesamt und nach Marken, festgezurrt und die endgültigen Stückzahlen geplant.

»Im Planungsprozess für den Einkauf ist eine Hochrechnung sinnvoll. Dabei wird geschaut, was bisher verkauft wurde und was voraussichtlich bis Saisonende verkauft wird. Dann hat man schon mal den Gesamtumsatz mit einer Marke. Anschließend schaut man sich das Lager an, berücksichtigt also die Warenbestände, und kann dann entscheiden, wie zu reagieren ist.« Insgesamt beobachtet Ehe, dass die Fahrradbranche im Vergleich zu anderen planungstechnisch noch nicht gut aufgestellt ist. »Wir stellen leider fest, dass der Radhandel sehr häufig keinen sauberen Planungsprozess hat. Anders als vielleicht bisher muss dieser wesentlich ausdifferenzierter und professioneller werden, dafür braucht es gute Tools.« Diese fehlen noch weitgehend. Dabei ist das Operative laut Ehe eigentlich gut zu überblicken. Man geht von seinen Zahlen aus, und setzt sich auf dieser technischen Basis ein Einkaufsbudget. An dieser Stelle geschieht nichts Romantisches, erklärt Ehe: »Das ist Handwerk.«

Doch selbst beim Handwerklichen gibt es dieses Jahr Besonderheiten, auf die man seine Aufmerksamkeit richten sollte. Beim Einkaufsbudget muss man zwar die Bestandssituation berücksichtigen, »aber man kann nicht pauschal mit dem Rasenmäher das Einkaufs-Limit reduzieren«, sagt Steve Ehe. »Das muss man mit Augenmaß und Weitsicht machen.« Abgesehen von der Berücksichtigung bestehender Lager bleibe die Mechanik aber stets gleich. Schöps weist zudem darauf hin, dass bei neuen Innovationszyklen am Fahrrad die eigene Ware neu zu bewerten ist.

»Jeder Händler sollte noch ein kleines Kreativ-Limit haben«, sagt Ehe abschließend zur Orderplanung. »Es gibt immer Trends, die man in Vergangenheitszahlen nicht abbilden kann«. Damit geht man auch ein gewisses Risiko ein, weil man sich auf unbekanntes Terrain begibt. »Das Budget dafür sollte jedoch im Rahmen bleiben«, aber gerade mit Blick auf einen Messebesuch sei es wichtig. So bleibe die Möglichkeit, auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren und etwas einzukaufen, das nicht geplant war.

Damit die Orderplanung gelingt, muss man sich nicht zuletzt das Wunschergebnis vor Augen führen. Ein einigermaßen gut begehbares Lager, ruhiger Schlaf und ausreichend verfügbare Liquidität dürften für die meisten Fahrradfachhändler ein guter Indikator sein, dass das Geschäftsjahr gut gelaufen und damit auch die Planung gelungen ist. »Ich glaube zwar, dass sich die Situation Ende 2024 deutlich entspannen wird, aber noch nicht bei allen«, schätzt Schöps. »Die Liquidität wird sich 2024 wahrscheinlich bei vielen Marktteilnehmern verbessern, auch durch einen verringerten Einkauf für das Modelljahr 2024. Jedoch sind noch nicht alle überm Berg, da auch die Rentabilität vermutlich erst in 2025 wieder das Vor-Corona- oder Corona-Niveau erreichen wird.« //

7. August 2024 von Daniel Hrkac
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