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Betriebsführung - Lagerdrehzahl

Da dreht sich was

Die Lagerdrehzahl steht aktuell im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Branche. Wie man an dieser Schraube drehen kann, was eine gute Lagerdrehzahl ist, warum sie wichtig ist und wie man sie berechnet, darum geht es in diesem ersten Teil zur neuen Serie
Business Navigator.

Die zurzeit wichtigste Zahl in der Betriebsführung für Fahrradhändler nennt Uwe Wöll die Lagerdrehzahl. Auf den ersten Blick scheint es ganz leicht: Die Lagerdrehzahl beschreibt, wie oft das Lager innerhalb eines Jahres gefüllt und wieder geleert wurde. Doch wenn man diese Drehzahl im eigenen Betrieb exakt erfassen möchte, muss man genau hinschauen. Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Zahl ist es notwendig, eine Definition zu liefern. Diese ist zwar kurz, aber nicht unbedingt sofort verständlich.

Definition Lagerdrehzahl

Die Lagerdrehzahl ist der Wareneinsatz im Laufe eines Jahres, geteilt durch den durchschnittlichen Warenbestand.
Um diese Definition zu verstehen, muss man sich darüber im Klaren sein, was die Begriffe »Wareneinsatz« und »Warenbestand« genau bedeuten und was es mit den Zeitangaben dazu auf sich hat.

Warenbestand

Der »Warenbestand« ist der Wert der Ware im Lager zu einem bestimmten Zeitpunkt. Der »Warenbestand« wird auch gleichbedeutend als »Lagerbestand« bezeichnet. Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang noch das Wort »durchschnittlich«.

»Die Lagerdreh-zahl ist der Wareneinsatz im Laufe eines Jahres, geteilt durch den durch-schnittlichen Warenbestand.«

»Ein gutes Abbild des Lagers bekomme ich erst über den Zeitraum von einem Jahr«, erklärt Andreas Lübeck und meint damit, dass man als Händler jeden Monat, etwa zum 1. eines Monats, den eigenen Warenbestand erheben sollte.
Die Summe dieser 12 Monate plus dem Anfangsbestand geteilt durch 13 ergibt dann den besagten durchschnittlichen Warenbestand. »Es ist branchentypisch, dass beim Fahrradhändler der Warenbestand im Laufe des Jahres extrem schwankt durch die unterschiedlichen Vorordersituationen und Liefermöglichkeiten der Hersteller«, verdeutlicht Lübeck. Mit dem Durchschnittswert werden die saisonalen Schwankungen ausgeglichen.

Wer nur einmal im Jahr den Warenbestand erfasst, etwa stets zum 1. Januar, kann damit zwar auch eine Lagerdrehzahl berechnen, erhält damit aber keine aussagekräftige, verwertbare Angabe – zumindest gilt dies in der Fahrradbranche und auch in den meisten anderen Branchen. Erst wenn man den Durchschnittswert zur Verfügung hat, lassen sich belastbarere Aussagen treffen.

Wichtig ist noch der Hinweis, dass die Lagerdrehzahl keine Einheit hat. Im Fahrradhandel ist es sinnvoll, den Warenbestand in Euro zu erfassen und nicht in Stückzahlen, etwa von Fahrrädern oder Reifen. Die Lagerdrehzahl lässt sich auch segmentieren und gruppieren, doch der Erkenntnisgewinn dabei ist selten allzu hoch. Zumeist wird aus praktischen Gründen nicht segmentiert. Denn wie gleich ausgeführt wird, ist die Berechnung mitunter durchaus aufwendig durch die vielen verschiedenen Warengruppen, die es in einem Fahrradgeschäft gibt und für die man zudem die jeweiligen Warenbestände bräuchte.

Wareneinsatz

Der Wareneinsatz, auch als »Absatz« bezeichnet, ist die Summe aller in einem Geschäftsjahr verkauften Waren, berechnet zum Einkaufspreis. Diese abstrakte Beschreibung wird verständlicher, wenn man sie anhand eines Beispiels erklärt:
Ein Händler kauft am 01.01. des Jahres 10 Schläuche zu 2 Euro ein. Wenn er bis zum 01.01. des nächsten Jahres exakt 10 Schläuche wieder verkauft hat, ist das sein Wareneinsatz: 10 mal 2 Euro, also 20 Euro. Er hat Schläuche im Warenwert von 20 Euro verkauft.

Wareneinkauf

Zu unterscheiden vom Wareneinsatz ist der Wareneinkauf. Es ist eine häufige Komplikation bei der Berechnung der Lagerdrehzahl, dass dieser Unterschied oft nicht gemacht wird. »In den meisten BWA (betriebswirtschaftliche Auswertung) der Händler steht der komplette Wareneinkauf, nicht der Wareneinsatz«, sieht Lübeck in der Praxis. Der Wareneinkauf ist die Summe der Einkaufsrechnungen im Laufe des Jahres. Für die Berechnung der korrekten Lagerdrehzahl taugt diese Zahl nicht, denn es würden sonst Lagerbestände mit einbezogen, die gerade nicht »gedreht« sind, sie sind noch im Besitz des Betriebs.
Anders formuliert: Der für die Lagerdrehzahl relevante Wareneinsatz ist also der Wareneinkauf minus oder plus die Bestandsveränderung. Die Warenbestandsveränderung sollte also sinnvollerweise berücksichtigt werden. Lübeck empfiehlt den Betrieben, den Steuerberatern ihren Warenbestand monatlich mitzumelden, damit sie in ihrer BWA dann einen tatsächlichen Wareneinsatz sehen können. Nur dann lasse sich auch der tatsächliche Gewinn pro Monat ausweisen.

Mögliche Problemquellen

Oft wird die Lagerdrehzahl berechnet, indem der Jahresumsatz durch den Warenbestand am Ende des Jahres geteilt wird. Eventuell wird beim Warenbestand noch ein Durchschnittswert ermittelt, indem der Warenbestand am Jahresende mit dem Warenbestand am Anfang des Jahres gemittelt wird. Hier bleibt das Problem bestehen, dass nicht abgebildet wird, wie extrem die Warenbestände im Fahrradhandel schwanken.
Der Aufwand, eine genaue Lagerdrehzahl im eigenen Betrieb zu ermitteln, könnte an dieser Stelle recht hoch erscheinen, die Aussagekraft überschaubar.

Die Lagerdrehzahl ist eine in vielen Zusammenhängen relevante und aussagekräftige Zahl.

Doch Thorsten Larschow von Rad & Tour Cuxhaven ermutigt dazu, den Aufwand zu betreiben, zumal er am Ende doch nicht so hoch sei: »Es mag zunächst etwas komplex erscheinen, aber wenn man es verstanden hat, ist die Kennzahl relativ einfach. Sie vermittelt auch schnell ein Gefühl, wo man steht. Wenn man seine Daten monatlich richtig einpflegt und die Berechnung richtig anstellt, dann ist es gar nicht mehr kompliziert.«

Die Bedeutung der Lagerdrehzahl

Es kann die Situation eintreten, dass die Lagerdrehzahl nachrangig wird – dann nämlich, wenn man bei einem Lieferanten zu besonders attraktiven Konditionen einkaufen kann. Wenn sich die Gelegenheit ergäbe, 100 Schläuche zu einem Preis von 1,5 Euro einzukaufen, würde bei gleichem realisierten Verkaufspreis die Rendite steigen. Die Lagerdrehzahl geht hingegen in den Keller. Ein solcher Einkauf kann also sinnvoll sein, wenn man die notwendige Liquidität besitzt und absehbar ist, dass man die eingekaufte Ware in angemessener Frist wieder abverkaufen kann.

Liquidität

Die Liquidität ist ein wichtiges Stichwort an dieser Stelle. Sie zeigt auf, warum eine hohe Lagerdrehzahl so wichtig ist. Wenn beispielsweise ein Händler für die kommende Saison plant, insgesamt 1000 Fahrräder mit einem durchschnittlichen Einkaufspreis von 1000 Euro zu ordern, dann kann es je nach Situation unterschiedlich laufen.
Wenn alle diese Räder von einem Lieferanten kommen und dieser ihm alle Räder pünktlich am 01.01. eines Jahres auf den Hof stellt, dann muss dieser Händler in diesem Moment (theoretisch) eine Million Euro in die Hand nehmen.
Wenn stattdessen vereinbart wird, dass am 01.01. nur 200 Räder geliefert werden und dann alle zwei Monate die nächsten 200 Räder geliefert werden, gibt dies dem Händler (theoretisch und praktisch) die Möglichkeit, in der Zeit zwischen den Lieferungen die bereits erhaltene Ware zu verkaufen. Mit den Erlösen aus den Zwischenzeiten kann er die nächste Lieferung bezahlen.
Selbst wenn es in beiden Situationen gelingt, die Ware innerhalb eines Jahres komplett abzuverkaufen, musste in Situation 1 besagte 1 Million Euro eingesetzt werden. In Situation 2 konnte der Händler den gleichen Umsatz im Idealfall mit nur 200.000 Euro Kapitaleinsatz erzielen. In Situation 1 ergibt sich eine Lagerdrehzahl von 1, in Situation 2 kommt man auf eine Lagerdrehzahl von 5.

Risiko

Obwohl der Händler in beiden Situationen den gleichen Umsatz erzielt, wird er nur in Situation 2 bei seiner Bank mit besonderer Sympathie rechnen können. In Situation 1 wird die Bank feststellen, dass er mit hohem Kapitaleinsatz nur bescheidene Renditen einfährt. Das macht ihn zu einem Risikofaktor, was sich auf sein Banken-Rating und seine Kreditwürdigkeit und die entsprechenden Konditionen auswirkt. Andreas Lübeck weist darauf hin, dass es zwei Fälle gibt, in denen das zum Problem wird. »Wer seinen Warenbestand finanzieren, also Zinsen zahlen muss, wird feststellen, dass die Bank extrem auf die Lagerdrehzahl achtet. Hoher Warenbestand bedeutet hohes Risiko. Je geringer die Drehzahl, desto höher ist das Risiko«.

Bei der Lagerdrehzahl gilt das Gleiche wie bei allen relevanten Kennzahlen: Wer sie kennt, kann die eigene Lage besser analysieren und zielgerichtet reagieren.

Nur wer selbst kapitalstark aufgestellt ist und also keine Bank braucht, muss sich nicht um die Lagerdrehzahl kümmern. Das dürfte aber seit jeher eine Minderheit im Markt sein.
Für Händler, die über eine Nachfolgeregelung nachdenken, gilt noch ein zweiter Punkt: »Die Lagerdrehzahl ist extrem wichtig für alle, die vorhaben, ihren Laden in absehbarer Zeit zu verkaufen. Bei einem Laden mit einer Drehzahl von 1 weiß der Käufer, dass er noch viel Geld in den Warenbestand investieren muss. Und im Moment ist bei jedem Ladenverkauf der Warenbestand der größte Posten.« Eine hohe Lagerdrehzahl wirkt sich also auf unterschiedlichste Weise aus.

Was ist aktuell eine gute Lagerdrehzahl?

Wenn man wissen will, was eine gute Lagerdrehzahl ist, braucht man auch den Vergleich mit anderen Händlern, idealerweise solchen, die in einer vergleichbaren Situation sind. Zumal auch die gesamte Branche gerade gemeinsam Schwankungen unterworfen ist. »Es gab Zeiten, da hatte ich eine Lagerdrehzahl über 5«, berichtet Larschow, »das war ganz fantastisch. Ich habe dann sogar Geld verdient. Aber im Augenblick ist es in der Fahrradbranche so, dass man wahrscheinlich mit einer Lagerdrehzahl über 2 schon sehr glücklich ist.« Andreas Lübeck bestätigt diese Wahrnehmung: »Wen man aktuell eine Lagerdrehzahl über 2 hat, dann ist das super. Im Schnitt liegt die Drehzahl aktuell im Bereich von 1,3 bis 1,4.« Das liege natürlich vor allem daran, dass man über das Jahr 2023 rede, als der Handel zu Jahresbeginn viel weniger Ware auf Lager hatte als am Ende.
In normalen Zeiten, so haben es die meisten Händler in der Vergangenheit gelernt, gilt eine Zahl ab 2,5 oder 3 als eine gute Lagerdrehzahl in der Fahrradbranche. Wer mehr schafft, darf sich glücklich schätzen. In der aktuellen Phase ist man schon mit weniger zufrieden: Eine Zahl zwischen 1 und 2 gilt als normal und hinnehmbar und innerhalb des Branchenschnittes. Aus dem Markt ist zu hören, dass es Händler gibt, die aktuell immer noch Lagerdrehzahlen über 5 erzielen. Es gibt aber auch Betriebe, bei denen die Lieferungen der letzten drei Jahre noch auf Abnehmerinnen und Abnehmer warten. Die Spannbreite ist also enorm, der genannte Schnitt aktuell macht klar, dass der Handel insgesamt noch viel Arbeit vor der Brust hat.

Welche Stellschrauben gibt es?

»Die Auswahl der Lieferanten ist die größte Stellschraube, wenn man höhere Drehzahlen erreichen will. Das muss man ganz klar so sagen«, verdeutlicht Lübeck. Es ist im Grunde das Beispiel aus dem Abschnitt zur Liquidität. Wenn der Lieferant alles auf einmal liefert und im Rest des Jahres nichts mehr geschieht, dann kann zumindest bei diesem Lieferanten die Drehzahl eine glatte 1 nicht übersteigen. Wer dagegen seine Vororder auf 12, 7 oder 5 verschiedene Liefertermine aufsplitten kann, gibt sich die Möglichkeit, mit geringerem Kapitaleinsatz auszukommen.
Auch Custom-Made-Ansätze erhöhen die Lagerdrehzahl. Wer immer nur auf Kundenwunsch Räder bestellt und diese dann nach einem Tag wieder aus dem Laden rausschieben kann, erreicht eine rechnerisch vorzügliche Lagerdrehzahl.
Ein anderer Ansatz sind Marketing-Aktivitäten. Eine Rundmail an die Kundschaft, die das Eintreffen der neuen Ware verkündet, sollte natürlich dazu beitragen, den Abverkauf zu beschleunigen. Wie gesagt macht das aber nur dann einen Unterschied bei der Lagerdrehzahl, wenn im Anschluss neue Ware beschafft werden kann.
Der Stoff rund um die Lagerdrehzahl mag auf den ersten (und zweiten) Blick trocken bis langweilig und dazu noch kompliziert erscheinen. Ein Verständnis der Bedeutung dieser Zahl macht aber das Leben des Fahrradhändlers und der Fahrradhändlerin deutlich leichter. »Ich glaube, es ist grundsätzlich sinnvoll, wenn Händler die Kennzahlen des Fahrradhandels wissen und ihr Geschäft dazu verorten können. Die Lagerdrehzahl ist dabei eine der wichtigsten«, gibt VSF-Frontmann Uwe Wöll zu bedenken. Werkzeuge wie der Business Navigator helfen dabei, die eigene Situation in der jeweiligen Marktsituation korrekt einzuschätzen. »Wenn man dann sieht, dass die eigene Drehzahl nicht gut ist, dann sollte man für sich auch den entsprechenden Handlungsbedarf erkennen. Und das wäre für mich das Wichtigste: Die Kennzahlen helfen, die Wirtschaftsfähigkeit meines Betriebes einzuschätzen.«
Die korrekte Erfassung dieser Zahl ist aus all den genannten Gründen also nicht nur sinnvoll, sondern für jeden Betrieb unabdingbar. Von der Lagerdrehzahl muss niemandem schwindlig werden. //

27. Mai 2024 von Daniel Hrkac

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