Report - Trends 2017
Die Zukunft bleibt spannend
Die Einsichten und Erwartungen der befragten Marktteilnehmer lassen aufhorchen. Falls jemand tatsächlich dachte, das Fahrrad sei vollends ausgereift und zu Ende entwickelt, sieht sich angesichts der Fülle an neuen Ideen, Konzepten und Produkten eines Besseren belehrt. Die Heterogenität der Meinungen über die Trends 2017 zeigt zum einen, dass die Fahrradwelt aktuell viele verschiedene Themen anpackt, diese zudem aber auch so vielschichtig und komplex sind, dass sie auf den verschiedensten Ebenen Konsequenzen haben.
Elektronik im Fokus
Noch große Schritte erwarten die Befragten beim Thema Elektronik und Digitalisierung am Fahrrad. So ist etwa Bernhard Lange überzeugt, dass hier viele Neuheiten und Entwicklungen auf die Fahrradwelt warten. »Um es auf den Punkt zu bringen, wird das beherrschende Thema des kommenden Jahres das Thema Elektronik sein. Darunter fällt natürlich in allererster Linie der Bereich der E-Bikes, in dem wir gerade bei den E-Mountainbikes viele Innovationen und wachsende Stückzahlen sehen werden. Doch auch darüber hinaus wird die Elektronik ihren Vormarsch im Fahrradbereich weiter fortsetzen, sei es in Form von elektronischen Schaltungen, Leistungsmesssystemen, Navigationsgeräten etc. oder – vor allem – in Form von Kombinationen und der Integration verschiedener Systeme.« Eine Einschätzung, die übrigens auch mehrere andere Marktteilnehmer teilen.
Gerade das E-Bike, das ja von Haus aus mit einer potenten Batterie ausgestattet ist, bietet sich für eine Erweiterung seiner digitalen Fähigkeiten an. Wie das konkret aussehen kann, führt etwa Winora-Geschäftsführerin Susanne Puello aus: »Mit dem Haibike eConnect System schaffen wir eine technologische Basis zur Vernetzung des E-Bikes. Eine integrierte Onboard-Unit bietet neue, smarte Services und intelligente Funktionen, die gerade E-MTBs noch benutzerfreundlicher und sicherer machen. GPS-, GSM- und Bluetooth-Chips sorgen für eine Cloud-basierte Kommunikation. Dadurch werden eine GPS-gestützte Diebstahlsicherung, Tracking oder Routenexporte sowie eine automatische Notruf-Funktion möglich. Mit einer App sowie einem Online-Portal, sind die Daten jederzeit abrufbar. Die Stromversorgung wird über das Yamaha Antriebs-System gewährleistet, sollte die Batterie entnommen sein, dann hält ein Puffer-Akku die Funktion aufrecht.«
Systemintegration auf allen Ebenen
Die Systemintegration wird über die reine Elektronikseite noch weit hinausgehen, wenn man die Einschätzung von Tomas Fiegl, als Designer für zahlreiche Unternehmen der Branche aktiv, für die nächste Generation von Rennrädern teilt. »Die Systemintegration von Komponenten wird wie in den vergangenen Jahren auch weiter vorangetrieben werden. Nur eine ganzheitliche Entwicklung unter Bezugnahme vieler Einzelkomponenten ermöglicht nennenswerte technische Fortschritte am Rennrad mit Diamantrahmen. Vor allem lässt sich der Designanspruch hierdurch weiter steigern.« Sinn dieser Entwicklung sei nicht zuletzt, Schnittstellen aufgeräumter gestalten zu können. So erwartet er wie die Branchenkollegen, dass der Bikecomputer Bestandteil des Cockpits wird, darüber hinaus betrifft die Integration am Rennrad ebenso Details wie die Sattelstützklemme oder die Zugverlegung. »Die klassisch aufgesetzte Sattelstützklemme wird zugunsten integrativer Lösungen zunehmend verschwinden. Die Vollintegration von Schalt- und Bremszügen wird durch Systemintegration erst möglich, sie ist das konsequente Weiterdenken der rahmenintegrierten Zugverlegung und wird sich, allen Widerständen bezüglich der Servicefreundlichkeit zum Trotz, im High-End-Segment zunehmend durchsetzen.«
E-Bikes im Puppenstadium
Aus Design-Sicht erwartet Fiegl für andere Fahrradsegmente noch gravierende Weiterentwicklungen. Gerade das E-Bike generell sieht er noch im Puppenstadium und glaubt an noch manche Umwälzung, bevor es sich zu voller Pracht entfaltet. Gerade die heutige Tendenz, die neuesten E-Bikes wieder mehr wie klassische Fahrräder aussehen zu lassen, betrachtet er durchaus skeptisch. »Das E-Bike wird selbstbewusster im Erscheinungsbild werden. Der Akku und Motor wird zukünftig nicht mehr nur versteckt sein, sondern bewusst sichtbar integriert. Der anhaltende Trend, den Akku in das Unterrohr zu packen sehe ich nur als notwendige Übergangslösung an, um die Sehgewohnheiten langsam an einen Wandel zu gewöhnen, aber das E-Bike wird sich weiter emanzipieren. Das klassische Fahrradbild zu kopieren kann kein zukunftsweisendes Design für E-Bikes sein.«
Auch für einzelne E-Bike-Segmente formuliert Fiegl klare Vorstellungen, aber auch Wünsche, wie er selbst zugesteht. Für das urbane E-Bike erwartet er innovative Gepäcktransport-Lösungen. »Aufgrund der Moto‑
renunterstützung spielt das Mehrgewicht von Gepäck kaum eine Rolle.
Aber Gepäckvolumen benötigt mehr Platz. Das beeinflusst maßgeblich Designkonzept, und Konstruktion und der klassische Diamantrahmen als Vorbild scheint hierbei keine Lösung zu sein. Mit neuen Rahmenkonzepten lässt sich hier die Lücke zum Lastenrad schließen.«
Für das E-MTB gilt es seiner Auffassung nach, seine sportlichen Wurzeln weiter freizulegen. »Batteriekonzepte mit wahlweise ein oder mehr schaltbaren Akkus sind eine spannende Designaufgabe, dienen der Gewichtsoptimierung und verdrängen die ewige Diskussion über die Endlichkeit von Reichweiten.«
Lastenräder reanimieren Innenstädte
Das Lastenrad steht bei Branchen-Urgestein Pingo Magduschewski unter besonderer Beobachtung. »Ich sehe einen sehr großen Trend bei Cargorädern. Der wird im nächsten Jahr stärker und hat dann mit Sicherheit noch nicht seine Vollendung erreicht.« Dessen Auswirkungen sind seiner Ansicht nach umfassend, vor allem im urbanen Umfeld. »Mit diesen Bikes ist Kindertransport und Shopping ohne Parkplatzsuche möglich.« Wer so problemlos vor das Ladengeschäft in der Innenstadt fahren kann, um dort auch größere Einkäufe zu erledigen, braucht die grüne Wiese plötzlich nicht mehr. Magduschewski beobachtet zudem, wie immer mehr unter 20-Jährige das E-Bike über seinen Praxisnutzen für sich entdecken. »Für diese Zielgruppe wird es auch bezahlbarere Modelle geben, die nicht günstiger sind, weil sie schlechter wären, sondern weil sie vieles weglassen. Der praktische Nutzen steht im Vordergrund.«
Harte Zeiten für High-End
Bei so vielen positiven und spannenden Entwicklungen müsste es doch irgendwo auch Bereiche geben, die nicht mithalten können. Gunnar Fehlau vom Pressedienst-Fahrrad sagt vor allem den hochwertigen Mountainbikes ohne Motor eine schwierige Zukunft voraus. Er erwartet nichts weniger als den »Tod der Replika-Modelle bei den Rennrad- und Mountainbike-Vollsortimentern«. Gemeint sind die High-End-Bikes, die sich an den Rädern der Profis orientieren. »Ich denke, vor allem beim MTB wiederholt sich, was wir beim Alltags- und Trekkingrad schon erlebt haben. Nämlich das die unmotorisierte Oberklasse ihre Leitfunktion, was technische Ausstattung und Preisentwicklung von Rädern angeht, für breite Publikums- und Käuferschichten verlieren wird. Die unreflektierte Bereitschaft, für ein am Ende ein paar hundert Gramm leichteres, dem Bike der Profis sehr ähnliches Modell Mörderkohle auszugeben, die erodiert gerade bei den breitaufgestellten Marken.« Noch seien die Stimmen in dieser Richtung relativ zaghaft. »aber das wird im nächsten Jahr an Dynamik gewinnen.«
Handel mit wachem Auge
Die möglichen Negativentwicklungen im Auge zu behalten, ist bei aller Freude über die starken Produkttrends eine Aufgabe, die die Branche nicht aus den Augen verloren hat. Stephan Geiger, Geschäftsführer bei BOC, sieht im nächsten Jahr vor allem ein Handelsthema auf der Agenda, das wohl so ziemlich jeden Fahrradhändler betrifft. Er stellt sich die Frage, welche Player in Zukunft verstärkt die Einstiegspreislagen anbieten werden. Seine Beobachtung ist, dass sich ein zu großer Teil des Fahrradhandels zu stark auf hochwertige Fahrräder konzentriert und damit ein Einfallstor offen lässt für Interessenten, die bisher noch keine besondere Rolle spielen konnten. Seiner Einschätzung nach sind Decathlon und andere Großunternehmen auf dem Weg dahin. »Das Thema wird von vielen Marktteilnehmern unterschätzt oder ignoriert. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann sich zusätzliche Mitspieler, gerade auch im Pedelec-Bereich aber auch im Bereich Service in Deutschland formieren. Der Fahrradfachhandel, die Verbände und die Industrie müssen sich und ihre Partner darauf vorbereiten.«
Und auch der VSF verfolgt den erwartbaren Strukturwandel der Branche im nächsten Jahr mit Argusaugen, wie Albert Herresthal deutlich macht. »Die Produktwelt bleibt sicher weiter spannend, das ist das Adrenalin für den Verbraucher, von dem wir leben. Aber als Fachhandel sind es vor allem Vertriebsfragen, die über unsere Zukunftsfähigkeit entscheiden. Drei Aspekte möchte ich nennen: Da sind erstmal die politischen Rahmenbedingungen, die mit darüber entscheiden, wie sich der Markt entwickeln kann und ob der Gesamtmarkt wachsen kann oder stagniert (Stichwort: Lobbyarbeit der Verbände). Dann ist es die Thematik, wie das Produkt zum Verbraucher kommt (Stichworte: Digitalisierung, OmniChannel, Leasing, sinnliches Einkaufserlebnis vor Ort) und es ist die Frage, welche Lieferanten für den Fachhandel auch künftig faire Partner sein wollen und welche anderen Versuchungen erliegen, die nicht fachhandelskompatibel sind. Das hinter allem stehende Thema lautet in unserer digitalen Welt: Vertrauen. Welchem Vertriebsweg vertraut der Verbraucher? Traut er dem anonymen Netz mehr als dem Menschen, dem er gegenübersteht? Kann der Fachhandel nachhaltige Beziehungen zum Verbraucher aufbauen? Wie werden sie gepflegt und entwickelt? Und welchem Lieferanten kann der Fachhändler langfristig vertrauen? Spannende Zeiten!«
Happy Birthday liebes Fahrrad!
Auf ein besonders schönes Thema, das auch weit über die eigentliche Fahrradwelt hinaus wirken wird, weist der ZIV hin. »Über allem steht im Jahr 2017 das 200-jährige Fahrradjubiläum. Karl Drais erfand 1817 seine Laufmaschine, den Vorläufer des modernen Fahrrads. Am 12. Juni 1817 unternahm er die erste Fahrt von Mannheim Richtung Schwetzingen mit der von ihm konstruierten Laufmaschine. Diese Exkursion gilt als Geburtsstunde der individuellen Mobilität«, erklärt ZIV-Frontmann Neuberger. Wie groß das Thema in der öffentlichen Wahrnehmung sein wird, zeigen die bereits bekannten Planungen: »Auch die Bundesregierung und hier im speziellen das Verkehrsministerium planen Aktionen zum Jubiläum.« Auch der ZIV wird sich mit einer Reihe an begleitenden Maßnahmen, wie etwa Radiospots und Veranstaltungen das ganze Jahr diesem Thema widmen, ebenso wie die Mitglieder des ZIV angehalten sind, das Thema gebührend zu feiern. Es ist also anzunehmen, dass das Fahrrad nächste Saison eine Menge Aufmerksamkeit erfahren wird, die die Branche auf verschiedenste Weise für sich nutzen kann.«
Daneben hat der ZIV aber noch eine weit umfassendere Agenda, die das Tagesgeschäft des Verbandes darstellt. »Unsere Mitgliedsfirmen und somit auch der ZIV sind sicherlich nach wie vor fokussiert auf den Megatrend E-Bike. Auch wird sich der Trend zu qualitativ hochwertigen Fahrzeugen durch alle Modellgruppen fortsetzen, denn der Konsument ist bereit, dafür mehr Geld auszugeben. Das Fahrrad ist nicht mehr nur Freizeitgerät, sondern längst Lieblingsobjekt und Partner der individuellen Mobilität im Allgemeinen«, sagt Neuberger. Dazu werden noch zahlreiche weitere Themen und Projekte für den ZIV eine Rolle spielen, dazu gehören »Kinder zurück aufs Fahrrad, Marktentwicklung und Marketing für sportliche Fahrräder und natürlich weiterhin Lobbyarbeit für bessere Fahrradverkehrsinfrastruktur, sichere Abstellmöglichkeiten oder optimale rechtliche und normative Bedingungen für die Branche, um nur einige zu nennen.«
Und was ist nun der gemeinsame Nenner dieser zahlreichen Trends? Die Fahrradwelt ist in Bewegung. Gewaltig. Und sie hat eine Menge an spannenden Themen zu bieten, die im nächsten Jahr und darüber hinaus für reichlich Gesprächsstoff sorgen werden.
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