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Markt - Diebstahlschutz durch Digitalisierung

Digitalisierung der E-Bikes erhöht die Sicherheit

Dank Ortungstechnologien wie GPS-Chips können gestohlene Fahrräder leichter gefunden werden. Davon profitieren verschiedene Branchen.

Es trifft einen jedes Mal unerwartet: Man kommt aus dem Restaurant und es ist weg: das Fahrrad. Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 266.000 Fahrräder gestohlen gemeldet. Die Dunkelziffer liegt sehr hoch, vermutet wird, dass bis zu 90 Prozent der Diebstähle gar nicht gemeldet werden. Das liegt auch einer niedrigen Aufklärungsquote von unter zehn Prozent. Die Aussicht, sein gestohlenes Rad zurückzubekommen, ist stets verschwindend gering. Das kann sich nun ändern. Erste Fahrradhersteller bauen GPS-Tracker in ihre E-Bikes, mit denen sich gestohlene Räder orten lassen.
Die vergangenen Jahre haben gezeigt: Die Menschen legen Wert auf hochwertige Fahrräder. Rund 500 Euro haben die Kundinnen und Kunden laut Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) im Jahr 2023 durchschnittlich für ein unmotorisiertes Fahrrad auf den Tresen gelegt, für ein E-Bike waren es 2950 Euro. Entsprechend hoch ist der wirtschaftliche Schaden bei Diebstahl für den einzelnen Kunden, aber auch für die Versicherungsbranche.

So viel wie nie zuvor, insgesamt

160 Millionen Euro, zahlte die Branche laut dem Gesamtverband der Versicherten (GDV) im vergangenen Jahr den bestohlenen Radfahrenden. Rund 150.000 versicherte Räder wurden gestohlen, ebenso viele wie im Vorjahr. Aber damals zahlten die Versicherer 20 Millionen Euro weniger. Der Blick ins Jahr 2013 zeigt: Vor zehn Jahren wurden zwar deutlich mehr versicherte Räder gestohlen, aber ihr Gegenwert war mit 80 Millionen Euro deutlich niedriger.

Versicherung mit GPS-Tracker günstiger

Ein Grund ist der E-Bike-Boom. Die technologischen Innovationen in der E-Bike-Branche führen seit Jahren dazu, dass der Wert der Räder stetig steigt. Die Versicherungsbranche nutzt die neuen Technologien ebenfalls. Alteos, ein Tochterunternehmen der AXA, bietet inzwischen differenzierte Verträge für E-Bikes mit und ohne GPS-Tracker an. Kundinnen und Kunden, die ihr E-Bike mit einem Neupreis zwischen 3000 und 3500 Euro über Alteos versichern, zahlen 103,95 Euro pro Jahr für die Basisabsicherung ohne GPS-Tracker. Mit der Ortungsfunktion sind es rund 10 bis 16 Euro weniger.
Wie viele Menschen genau ihr E-Bike versichern, verraten die Unternehmen nicht. Aber Ansgar Holtmann, Sprecher von Alteos, sagt: »Wir haben bei den E-Bike-Versicherungen mit und ohne Tracker in diesem Jahr ein Wachstum von 70 Prozent.« Bei den E-Bike-Versicherungen mit GPS-Tracking liege das Wachstum bei 30 Prozent. GPS ist also noch lange nicht Standard.
Zwar hält ein GPS-Tracker potenzielle Diebe nicht vom Klauen ab, aber das Rad kann geortet werden. »Drei von vier Rädern bringen wir für Endkunden, Hersteller und Flottenbetreiber per Ortung und Polizei zurück zu den Besitzern«, sagt Nina Sielmann, Head of Marketing & Communications der IoT Venture GmbH, die den »It’s my Bike«-Tracker produziert. Diese Erfolgsquote sei für Versicherungen interessant, aber auch für die Hersteller. Viele verbauen das Ortungsgerät deshalb bereits in einigen Baureihen serienmäßig, wie etwa Riese & Müller. Bei dem Hersteller aus Darmstadt ist der GPS-Tracker ein Baustein von RX Connect.
Bei Riese & Müller-Rädern liegt die Wiederbeschaffungsquote bei Diebstahl zurzeit sogar noch höher. »Wir konnten vier von fünf gestohlenen Rädern mit unserem RX-Chip wiederbeschaffen«, sagt Joachim Teske, Produktmanager Digitale Services bei Riese & Müller. Der RX-Chip kombiniert GPS, Mobilfunk und zahlreiche Sensoren, um unter anderem das Rad digital abzuschließen und detaillierte Fahrstatistiken zu erstellen. »Zur Abschreckung bekommt jedes Bike noch einen Sticker, der über das GPS-Tracking informiert«, sagt Teske.
Wird es dennoch gestohlen, setzt der Besitzer mit der Diebstahlmeldung in der App oder auf der Riese & Müller-Webseite eine Kettenreaktion in Gang. »Unser Bike Hunter Team checkt zunächst den Standort des E-Bikes und meldet sich dann umgehend bei dem Besitzer«, sagt Nina Sielmann. In Deutschland muss der Eigentümer sein Fahrrad bei der Polizei selbst als gestohlen melden. Ist das erledigt, erhält die Polizei von IoT Venture die hinterlegten Daten zu dem Rad als PDF und einen Link zu den aktuellen Standortdaten. »Oft ist das Rad nach wenigen Stunden wieder bei seinem Besitzer«, sagt Nina Sielmann.

Neue Services helfen bei der Markenbildung

Dieser Wiederbeschaffungsservice ist für Riese & Müller entscheidend. »Unsere Marke steht für Premiumprodukte. Unsere Räder sind hochwertig, die Komponenten sehr langlebig. Der RX-Chip ergänzt diese Qualität auf digitaler Ebene und der Dienstleister sorgt dafür, dass der Kunde sein Rad wiederbekommt. Das ist ein Service, der zu unserer Marke passt«, sagt Teske. Nachrüsten sei für ihre Kunden keine Option. »Sie erwarteten die Ortungsfunktion in der Grundausstattung«, sagt Teske.

»Wir konnten vier von fünf gestohlenen Rädern mit unserem RX-Chip wieder-beschaffen.«

Joachim Teschke, Produktmanager Digitale Services bei Riese und Müller

Der Haken dabei ist: Die Kunden müssen von dem Service erfahren. Dafür brauchen die Hersteller die Unterstützung der lokalen Fahrradhändler, wie etwa von Jürgen Fuchs. Der Fachhändler betreibt in Groß-Gerau in der Nähe von Darmstadt »Fahrrad Fuchs, die E-Bike-Erlebniswelt«. Seit rund zehn Jahren verkauft er nur noch E-Bikes in seinem Geschäft. Er sagt über die GPS-Tracker: »Die Ortungsfunktion ist für Händler wie mich entscheidend, um überhaupt E-Bikes für 5000 bis 8000 Euro verkaufen zu können.« Nur dann sei die Investition für viele Radfahrer oder Paare überhaupt vertretbar.

Händler für Beratung entlohnen

Der Hinweis auf die Ortungsfunktion per GPS-Chip gehört bei ihm zu jedem Beratungsgespräch. Neben dem RX Connect von Riese & Müller weist Fuchs auf die GPS-Tracker von Bosch hin, den Bosch ConnectModule, auf den It’s-my-Bike-Tracker und andere. Sind sie nicht serienmäßig ab Werk im Rad verbaut, kann Fuchs sie nachrüsten. In den Beratungsgesprächen spricht er seine Kunden auch immer auf ihre Hausratversicherung an. »Viele Versicherungen ersetzen Fahrräder nur bis 1000 Euro«, sagt er. Deshalb brauchten E-Bike-Käufer häufig eine Zusatzversicherung. Seine Erfahrung zeigt: »Die zusätzlichen Kosten für den Chip oder die Versicherung stören die Kunden nicht, wenn sie Räder für mehrere Tausend Euro kaufen.«

Gerade bei hochwertigen E-Bikes wird der Diebstahlschutz inzwischen von Radfahrenden und Versicherungen sehr ernst genommen. GPS-Sensoren helfen dabei.

Einige Hersteller wie Bosch verlangten zudem eine monatliche oder jährliche Gebühr für die Nutzung ihrer App. Auch die zahlten die Kunden bereitwillig.
Für ihn und seine Kollegen heißt das im Alltagsgeschäft, dass ihr Beratungsaufwand steigt. »Die Hersteller profitieren, wenn wir ihre digitalen Services verkaufen«, sagt Fuchs. Deshalb sollten die Händler an dem Verkauf der digitalen Produkte und den Versicherungen mit einer Vermittlungs- oder Empfehlungsprovision beteiligt werden. »Bei Alteos, Enra, Wertgarantie ist das üblich«, sagt er. Bei dem Versicherer von Riese & Müller nicht, hier sieht er noch Verbesserungsbedarf.
Jörg Matheis, Sprecher bei Riese & Müller sieht für die Händler den Vorteil an anderer Stelle, etwa durch die Werkstattbindung bei Versicherung. »Die Händler profitieren langfristig von der Versicherung über die Instandhaltung«, sagt er. Etwa indem Verschleißteile wie altersschwache Akkus oder knackende und knarzende Federgabeln ausgetauscht werden, anstatt sie aufwendig zu reparieren. Er sieht darin für den Händler einen betrieblichen und ökonomischen Mehrwert.

Was kann das digitale E-Bike in Zukunft?

Die weitere Digitalisierung der E-Bikes soll das Radfahren komfortabel und sicherer machen. Indem die Hersteller heute ihre Räder mit GPS-Sendern, Funk und weiteren Sensoren ausstatten, schaffen sie die Grundlage, um sie zukünftig mit anderen Fahrzeugen zu vernetzen. Etwa mit anderen Fahrrädern, aber auch mit anderen Fahrzeugen wie Auto, Bus oder Lastwagen. Im Fachjargon heißt das Vehicle-to-Everything-Kommunikation, kurz V2X oder auch C-V2X, die Abkürzung für Cellular Vehicle-to-Everything oder auch Bike2X-Kommunikation.
»Es ist denkbar, dass E-Bikes einander über das eingebaute V2X-System vor Glatteis warnen«, sagt Tim Salatzki, Leiter Technik und Normung beim Zweirad-Industrie-Verband (ZIV). Möglich sei auch, dass sich Fahrzeuge wie ein E-Bike und ein Auto warnen, wenn sie sich auf einer schlecht einsehbaren Kreuzung einander nähern. Das Ziel hinter der Bike2X-Kommunikation ist stets, die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer zu erhöhen, indem alle Fahrzeuge miteinander kommunizieren. Ein ausführlicher Artikel zum Thema V2X findet sich in Ausgabe 6/2024 des velobiz.de-Magazins (ab Seite 46).

Mit den richtigen Daten sicher Rad fahren

Aber bereits heute können die Daten, die E-Bikes über ihre GPS-Chips und andere Sensoren sammeln, dabei helfen, die Sicherheit für Radfahrende zu erhöhen. Auf Wunsch der Kunden oder einer Kommune kann IoT Venture einmal im Quartal einen anonymisierten Datenreport erstellen. »Das kann den Kommunen bei der Radverkehrsplanung helfen«, sagt Nina Sielmann. In Tübingen beispielsweise wird im Rahmen eines Feldversuchs aktuell untersucht, ob die schnellen Speed-Pedelecs sich mit herkömmlichen Fahrrädern die Radinfrastruktur teilen können. Anhand der Daten untersuchen die Wissenschaftler, wie schnell S-Pedelecs im Alltagsverkehr tatsächlich unterwegs sind, wo sie unterwegs sind, ob durch die schnellen E-Bikes Konflikte auf dem Radweg entstehen und wenn ja, welche. Dafür werden unter anderem die GPS-Daten und die Fahrstatistik wie die gefahrenen Geschwindigkeiten ausgewertet.
»Die Digitalisierung des Fahrrads steht noch am Anfang«, sagt Steffen Dautzenberg, Produktmanager Connectivity bei Riese & Müller. Zukünftig könnten beim Fahrrad viele Services möglich werden, die beim Auto längst üblich sind. »Dazu gehört, dass das Fahrrad mir meldet, wenn es zu wenig Luft in den Reifen hat oder mich aktiv daran erinnert, den Akku aufzuladen«, sagt er. Allerdings nutzt auch ein perfekt digitales E-Bike nicht, wenn die Infrastruktur für gutes Radfahren fehlt. Hier nimmt Dautzenberg die Kommunen in die Pflicht. Er sagt: »Eine gute Infrastruktur ist der Schlüssel für alles.« //

2. September 2024 von Andrea Reidl

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