Produkttrends - Neue Lastenräder
Diversifikation unter Last
»Wir wollen viel transportieren, aber nicht per Auto.« Das ist wohl der Minimalkonsens, den moderne Lastenräder teilen. Schon bei der Fracht sind die Gemeinsamkeiten vorbei. Denn die reicht von lebendig und menschlich über tierisch bis hin zu unbelebt und zentnerschwer. Trotzdem gibt es mehr Schnittmengen als man denkt – viele Cargobikes sind Allrounder, die für manche Situationen lediglich etwas Kompromissfähigkeit erfordern. Kleine Laufräder und originelle Konzepte sind im Trend – vor allem steckt der Gedanke dahinter, Platz zu sparen.
Die Hersteller gehen auf ihr Klientel ein. »Wir haben mit dem vollgefederten Load seit Jahren ein sehr fahrdynamisches High-End-Rad auf dem Markt; ein zweites sollte eine andere Käuferschaft ansprechen«, so Tobias Spindler vom Unternehmen Riese und Müller. »Bei einer abgespeckten, preisgünstigen Variante erwarteten die Kunden keine Vollfederung, aber hohe Variabilität.« Daher gibt es das neue Packster mit zwei verschiedenen Ladeflächen-Längen und ohne deren seitlicher Begrenzung. Das bedeutete auch, dass der Lenkimpuls direkt unter der Ladefläche per Stange übertragen wird – anders als beim Load, wo diese Stange seitlich an der Ladefläche vorbeiführt. Ein Stecksystem sorgt beim neuen Packster dafür, dass in wenigen Minuten die Seitenwände einer (optionalen) Kiste abgenommen sind und auch breite Gegenstände transportiert werden können.
Dass es eine schnelle und eine Pedelec-Ausführung geben wird, versteht sich bei Riese und Müller fast von selbst. Die Komponentenauswahl ist überschaubar. Eine Touring-Version mit Kettenanschaltung und eine Nuvinci-Version sind im Angebot, das mit 3.999 Euro für das Rad mit 60 Zentimeter Ladefläche anfängt. Ein E-Motor ist immer an Bord. Abstriche macht der Käufer gegenüber dem Load auch beim Design – das ist bewusst minimalistisch gehalten – und bei den Farben. Für größere Reichweiten gibt es die Option Dual Battery – bei einem Lastenrad, bei dem gegebenenfalls hohes Gewicht viel Saft zieht, sicher eine gute Wahlmöglichkeit; der zweite Akku wird dabei unter der Transportfläche positioniert – hier ist natürlich effizienter Spritzwasserschutz gefragt.
Neue Konzepte, neue Formen
Noch im Prototypenstadium ist der Kleinlaster von Nele Dittmar. Als Designstudentin entwickelte sie ein komplettes Lastenrad ganz spezieller Prägung. »Ich will einfach meine Wasserkisten nicht mit dem Auto holen«, meint sie schlicht zu ihrer Motivation für die Entwicklung. Als Ausgangsbasis für die Transportfläche diente die klassische Bäckerkiste, die exakt zwei Wasserkisten aufnimmt. »Und wenn schon ein eigenes Rad entwickeln, dann bitte nach Maß«, so ihr Anspruch. Dadurch kann das Rad noch einmal kürzer gehalten werden. Die 20er Big-Apple-Bereifung tut in dieser Hinsicht ihr übriges. So entstand der Kleinlaster, mit kleiner Ladefläche direkt vor dem Fahrer. Die beiden Bügel, die die Kiste halten, sind einklappbar. In diesem Zustand können dann auch die klassischen Radtaschen dort befestigt werden. Zusammen mit dem Nürnberger Rahmenbauer Josef Vogeltanz wurde das Projekt realisiert. Er wird auch die erste Kleinserie bauen, in der das Stahlrad leichte 17 Kilogramm wiegen wird.
Viele Teile an diesem Rad sind Spezialteile, manche Probleme werden ungewöhnlich gelöst. Am auffälligsten ist das bei der Lenkung: Eine Kette überträgt den Lenkimpuls auf den Gabelschaft. In Serie sorgt ein kleiner Kettenspanner dafür, dass sich die jeweilige Entfernung der beiden »Lenkungsritzel« nicht nach der Anzahl der Kettenlänge richten muss. »Wie bei der Bäckerkiste!« meint hier Dittmar. »Ich bin pragmatisch. Die Systeme sind da, warum nicht nutzen? Wieso soll nicht eine Kette die Lenkkräfte übertragen?« Schönes Nebenprodukt: die Lenkung hat keinen frühen Anschlag, der Wendekreis des Rads fällt daher angenehm klein aus.
Laut Dittmar überzeugt der Kleinlaster durch sein sehr angenehmes Handling, das aus dem tiefen, mittigen Schwerpunkt resultiert. Die Entscheidung »normales Rad oder Lastenrad« soll mit dem Gefährt wegfallen – der Kleinlaster soll beides sein. Das kostet natürlich, auch durch den Bau auf Maß: Für die erste Serie ist ein Preis von um die 6.000 Euro wahrscheinlich. Der zweite Prototyp durfte übrigens schon für ein halbes Jahr im Designmuseum in Genf stehen.
Eismann auf dem Dreirad
Wie weit ist das Cargobike schon im Gewerbe angekommen? Das sieht man auch daran, welches Zubehör für die Räder entwickelt wird. Ein gutes Beispiel: Radkutsche in Mössingen. »Wir werden allmählich zum Allrounder in Sachen Aufbau«, sagt Geschäftsführer Stefan Rickmeyer. Dort hat man nicht nur für das Dreirad Musketier Boxen entwickelt, die »Muskebox« mit sagenhaften zwei Kubikmetern Volumen ist jetzt auch zur Kühlbox mutiert. Dazu verwenden die Radkutscher Carbonplatten aus dem Militärbereich. Durch diese friedliche Nutzung konnte man gegenüber der Alu-Box mit 48 Kilogramm satte 11 Kilogramm einsparen und das Fahrzeug so wirklich praktikabel machen. Schließlich kommt auch noch ein Aufsatzkühler auf die Box – wie man es von Kühlaufbauten auf Lastwagen kennt.
Wichtig, damit die Sache funktioniert: Das Rad muss beim Kunden, sei es das Lager der Kühltheke eines Supermarktes oder ein »Milchlaster« wie die Räder beim Amsterdamer »Milk Supply«, ins Kühlhaus fahren können. »Die letzte Meile ist entscheidend«, so Rickmeyer. Den Strom für die Kühlung bekommt der Transporter über die Motorakkus der Pedelecs und E-Bikes. Wo auch immer ein Be- oder Entladestopp ist, wird der Akku geladen – auch das ist Voraussetzung für die Praktikabilität des Systems. Oder es wird mit Wechselboxen gearbeitet: Dann wird die volle Box wie bei einem Containerauflieger abgenommen und im Kühlhaus behalten, eine leere aufgesetzt, und weiter geht’s. Dass das Lastenrad wirklich in der Praxis angekommen ist, kann er bestätigen: »Wir arbeiten immer mehr mit großen Kunden zusammen«, sagt Rickmeyer, »in Kürze auch mit Rewe. Die Entwicklung ist hier enorm spannend.« 4.500 Euro kostet eine Muskebox mit Kühlung. Wer investiert da für die Kurzstrecke noch in LKW?
Nur Fliegen ist schöner: Leichtbau
Dr. Thomas Heidemann ist Ingenieur und kommt aus der Automotive-Branche. Das Fahrrad hat ihn aber schon lange in den Bann gezogen, und speziell die Möglichkeiten, die man als Maschinenbauer mit dem Werkstoff Carbon hat. Zunächst baute er damit schnelle Liegeräder. Irgendwann kam aber der Wunsch nach einem leichten Transportgerät für seine Enkel auf, und die Libelle entstand. »Die Idee war, mit dem leichten Material bei einem Einspurer unter der 20-Kilogramm-Grenze zu bleiben, aber viel Volumen für zwei Kinder oder den großen Einkauf zu haben.« Das war vor zwei Jahren. Mittlerweile betreiben er und sein Partner Sebastian Sandner in Leipzig eine Kleinserienfertigung. Etwa 100 Räder im Jahr werden nun gebaut. Das ursprüngliche Prinzip, stark vereinfacht dargestellt: Man nehme ein geeignetes Fahrrad nach Kundenwunsch und laminiere statt des Steuerkopfs das Vorderteil – die »Fahrgastzelle« beziehungsweise den »Frachtraum« der Libelle an den Hauptrahmen. Seine Gewichtsvorgabe konnte der Entwickler – je nach Fahrradtyp – einhalten. »Auch weil der Frachtraum selbsttragend ist – man braucht dann keinen schweren Rahmen-Vorderbau«, erklärt der Ingenieur.
Mittlerweile ist die Libelle 2.0 in der Entwicklung: Das Volumen der Box wird bei gleichem Gewicht größer, und zur einfacheren Serienfertigung legt man sich in Zukunft auf ein Fahrradmodell fest. Ein besonderer Clou ist die teilbare Libelle: Über eine patentmustergeschützte Verbindung lässt sich das Vorderteil in wenigen Sekunden per Schnellspanner abnehmen und als Kinderbuggy nutzen. Diese Version wiegt etwa 1,5 Kilogramm mehr.
Vor allem das dynamische Fahrerlebnis – resultierend aus dem geringen Gewicht und dem tiefen Schwerpunkt – ist ein großes Verkaufsargument, bei der teilbaren Ausführung aber natürlich auch die relativ einfache Möglichkeit, das Rad in Keller oder Garage unterzubringen. Die Kabine wird innen mit Kevlar-Gewebe besetzt, sodass bei einem etwaigen Unfall keine Splitter aus der Außenwand die teure Fracht gefährden können. »Wichtig ist uns: 95 Prozent der mechanischen Teile der Libelle stellt das Standardfahrrad.« Nur die Lenkanbindung und der Ständer sind Spezialteile. Daher kann jeder Fahrradhändler das Meiste an der Libelle warten oder reparieren.
Will der Lastenrad- oder Familienradfahrer keinen Motor? »Die Libelle ist für den urbanen Einsatz und die Kurzstrecke gedacht, da verzichten die Kunden gerne auf Unterstützung, wenn das Gefährt leicht genug ist.« Aber auf Wunsch bietet Heidemann natürlich auch unterstützte Varianten, derzeit noch mit Mittelmotor, bald mit Heckmotor, an.
Der Einstiegspreis der unteilbaren Libelle liegt bei 2.500 Euro, die teilbare soll in Zukunft bei etwa 2.900 Euro liegen. Falls diese Preise gehalten werden können, dürften sie eine Basis für gute Verkaufszahlen sein.
Die müssen liefern!
Wenn ein Konzern wie die Post beziehungsweise dessen Tochter DHL verstärkt ins Geschehen einsteigt, ist das ein Zeichen dafür, dass die Fahrzeuggruppe ernst genommen wird. Das Unternehmen arbeitet seit Jahren mit der Aachener Streetscooter GmbH zusammen an verschiedenen Projekten für die Zustellung. Die Partnerschaft ist mittlerweile in eine Familienbeziehung übergegangen – der Hersteller ist jetzt Tochter der Post DHL. Hier wird unter anderem an Lastenzwei- und -Dreirädern für die Briefzustellung gearbeitet – erstere sind allerdings schon auf unseren Straßen unterwegs. Mit von der Partie ist Go Swissdrive als Entwicklungspartner und Lieferant des elektrischen Antriebs. Besonderes Augenmerk gilt dabei den spezifischen Anforderungen des Logistik-Anbieters: Der Stop- and Go-Betrieb etwa ist für ein Postfahrzeug ein enorm wichtiger Aspekt. Auch eine intuitive und einfache Bedienbarkeit steht noch mehr im Fokus als bei einem Rad für Endverbraucher. Go Swissdrive erntwickelte daher die Cargo-Control-Box, ein Steuerelement für die besonderen Ansprüche an solche Räder. Unter anderem sitzt hier die Regelung für die Beleuchtung oder den Gasgriff für die Schiebehilfe.
Für Trikes gibt es etwa eine Schiebehilfe in zwei Richtungen – zum Wenden besonders wichtig – und die Möglichkeit, zwei Motoren mit zwei Akkus zu kombinieren. »Natürlich wird auch auf erhöhte Robustheit geachtet«, erklärt Immanuel Seeger, Vertriebsleiter bei Go Swissdrive. So ist der Stoßschutz der Akkus optimiert, und die Motoren haben eine höhere Dichtigkeit für die besonderen Anforderungen im Zusteller-Alltag. Beim Dreirad werden zwei Motoren angesteuert. Besonders interessant: Sie bringen je 125 Watt Leistung, um die Pedelec-Norm einzuhalten. Der Antriebsriemen treibt nur ein Rad an. »Die Daten, die hier ausgelesen werden, werden berechnet und auf das andere Rad gespiegelt«, so Seeger. »So lässt sich auch ein elektronisches Differenzial einrichten, um Schlupf zu verhindern.«
Was sich fast noch wie Zukunftsmusik anhört, ist hier heute schon Realität – Entwicklungsarbeit, die möglich wird, wenn große Auftraggeber zusammenspielen. In Sachen Cargobikes wird das wohl immer mehr der Fall sein.
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