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Report - Online-Handel

E-Commerce beschleunigt den Umbruch der Branche

Zwar besagen schon alte Binsenweisheiten, dass der Handel einem stetigen Wandel unterliegt, doch die Geschwindigkeit, mit der sich derzeit die Handelslandschaft verändert, treibt so manchem Marktteilnehmer Sorgenfalten auf die Stirn. Der Onlinehandel hat sich zu einem mächtigen Vertriebskanal entwickelt. Die Folgen dieser Entwicklung sind noch nicht in Gänze absehbar.

Fragt man Marktteilnehmer, wie sie die zu erwartenden Veränderungen im Handel und in der Industrie einschätzen, hört man höchst unterschiedliche Aussagen. Wo mancher bereits den Untergang des stationären Handels prophezeit, erwarten andere schon bald eine Welle zurück, hin zur neuen Wertschätzung von Nahversorgern und »Tante-Emma-Läden« mit persönlicher Betreuung. Gleichzeitig reicht die Einschätzung der künftigen Rolle der Hersteller vom Spielball übermächtiger (Online-)Großabnehmer bis zum selbst dominanten Marktgestalter, der dem Handel auf vielfältige Weise seine Bedingungen diktiert.

Hersteller haben die Zügel in der Hand

Ein wichtiger Aspekt dabei werden die Vertriebsstrategien der Zukunft sein. Insbesondere die Idee des selektiven Vertriebs erfährt von Seiten der Hersteller derzeit großes Interesse. Die grundsätzliche Idee ist aus Markensicht leicht nachzuvollziehen: Statt die eigenen Produkte jedem Händler anzubieten, will man die Zusammenarbeit auf die Handelspartner beschränken, die gewisse Kriterien erfüllen und etwa bei Markenpräsentation und Markenumfeld den gesetzten Ansprüchen genügen. Gerade online droht in großen Shops eine Verwässerung und Beliebigkeit der Marke, die so natürlich für deren Anbieter nicht wünschenswert ist.
Dieses wettbewerbsrechtliche Minenfeld ist allerdings komplex und setzt richtungsweisende Entscheidungen seitens der Hersteller voraus. Der mächtige und stetig wachsende Online-Handel regt so manchen Hersteller zu Gedankenspielen an: Nur online? Nur stationär? Oder kann man das Beste aus beiden Welten bekommen? Gerade der letzte Fall steht heutzutage in Frage. »Will ich stationäre Händler haben und wenn ja, wie schaffe ich es, diese am Leben zu erhalten?«, fragt etwa Andreas Lübeck, der als Unternehmensberater für die Fahrradbranche die bereits einsetzende Weichenstellung genau verfolgt. »Zwischen Hersteller und Händler gibt es ein Konditionengeflecht, das stimmen muss, damit der Handel überleben kann.« Der bisher häufig beobachtete Weg, dass man auf zusätzliche Online-Umsätze hofft, ohne die stationären zu gefährden, scheint offensichtlich nicht länger gangbar. »Online greift schon in den stationären Handel ein, es geht um den Preis und Beratungsklau«, weiß Lübeck, dieser Entwicklung müsse man sich stellen.
Derzeit seien es die Hersteller, die aus der aktuellen Situation heraus bestimmen können, wohin die Reise gehen soll. »Die Hersteller müssen sich entscheiden, ob sie Outlets vor Ort brauchen oder nicht. Ob sie auf Monolabel­stores und Showrooms setzen wollen.« Wie diese Fragen beantwortet werden sei noch offen, schließlich sei die Fahrradbranche immer ein paar Jahre der branchenübergreifenden Entwicklung hinterher gewesen. Doch auch hier habe »sich durch das Elektrofahrrad die Entwicklung unglaublich beschleunigt. Das verlangt, dass die Dinge viel schneller betrachtet werden, als es vorher nötig war, zumal es viel anspruchsvoller geworden ist. Im Zeitraum von fünf bis zehn Jahren wird sich vieles rapide verändern.«
Angesichts der offensichtlichen Verschiebung hin zum Onlinehandel überlegen natürlich auch viele stationäre Händler, hier Fuß zu fassen und in irgendeiner Form online aktiv zu werden. Es wird sich aber wohl kaum ein Händler finden, der sich dabei auf einen Schnellschuss einlassen würde. Zu offensichtlich ist die Komplexität der Aufgabe.

Ist der eigene Onlineshop heute noch eine gute Idee?

Es braucht schon eine Menge Durchhaltevermögen, eine solide Strategie und nicht zuletzt auch erhebliche finanzielle Mittel, um einen neuen Onlineshop heute noch auf tragfähige Beine zu stellen. Die Herausforderungen liegen dabei weniger in der nackten Technik, wie sie etwa das verwendete Shopsystem betrifft. Wenn erst einmal das Grundgerüst steht, dann besteht die niemals endende Aufgabe darin, stetig Kunden in den Shop zu lotsen. Im Internet gibt es keine 1A-Lagen, man muss sie sich schon selbst bauen. So steht jeder noch so prächtige Einkaufstempel zunächst einmal in der Wüste, in die eine effektive Infrastruktur gebaut werden muss. Ob man sich dieser Herkules­aufgabe stellen will, ist eine Entscheidung, die für die meisten Fahrradhändler einen gravierenden Einfluss auf das Geschäftsmodell hat.
Max Würdinger, der in Passau und Vilshofen zwei stationäre Filialen betreibt, aber auch einen Onlineshop mit inzwischen sieben Mitarbeitern betreibt, weiß um die Herausforderungen. »So nebenbei geht nicht. Sinn macht der Onlineshop nur dann, wenn man ihn professionell betreibt«, vermittelt er seine Erfahrungen. »Man muss wissen, was man dazu benötigt« und nennt einen soliden sechsstelligen Betrag im Rücken und das entsprechende Personal als Voraussetzungen.

In der Nische liegt die Kraft?

Dazu ist dann noch zu klären, wie man sich online positionieren will. Während stationär nach wie vor eine Nischen- und Spezialisierungsstrategie von vielen Seiten empfohlen wird, sei es mit einem Themen- oder Herstellerfokus, wächst online die Skepsis, ob das immer noch ein gangbarer Weg ist. So ist es inzwischen für große Shops recht leicht geworden, eine beliebige Themenseite auf die Beine zu stellen, die sich mit der mächtigen Hauptseite im Rücken unter den heutigen Bedingungen relativ gut in den Ergebnisseiten der Suchmaschinen positionieren lässt. Im Ergebnis führt diese Möglichkeit dazu, dass es kaum noch echte Nischen gibt, die von den Universalanbietern ignoriert werden und gleichzeitig ein gewisses Umsatzpotential versprechen. Würdinger erinnert sich noch an die ersten Gehversuche im Netz, als man mit einem Fahrrad-Onlineshop für Damen tatsächlich Neuland betrat und damit der damaligen Empfehlung folgte. »Das hat nicht funktioniert«, stellt er heute nüchtern fest, allerdings konnten die damals gewonnenen Erfahrungen für den nächsten und dann gelungenen Anlauf genutzt werden.
Auch wenn es kein eigener Shop sein soll: Schon heute kommen Fahrradhändler nicht mehr ohne ein eigenes Online-Profil aus. »Eine eigene Webpräsenz ist ein Muss«, ist Würdinger überzeugt, »wer das nicht hat, der ist quasi nicht existent.« Ganz ähnlich sieht das auch Lübeck: »Ohne vernünftige Homepage geht gar nichts.« Jetzt noch als kleinerer Händler mit begrenzten Ressourcen einen eigenen Onlineshop an den Start zu bringen, überzeugt den Unternehmensberater in der Fahrradbranche dagegen nicht mehr. »Ich halte das für den größten Unsinn. Man weiß ja, wie viel Aufwand, wie viel Geld und Zeit da investiert werden, um das zum Laufen zu bringen. Wie soll da ein kleiner Händler mithalten können?«

Welche Onlineaktivitäten sind tragfähig?

Bereits heute ist zu beobachten, dass das enorme Wachstum im Onlinegeschäft vor allem von den großen Marktteilnehmern generiert wird. Es sind die Unternehmen, die die Mittel und das Know-how haben, die verschiedensten Onlinekanäle für ihre Unternehmensziele effektiv zu bespielen. Ob Twitter, Facebook und Google+, ob Adwords, Newsletter- und Content-Strategie – die schiere Fülle an Baustellen, die online als Marketingtools zu beackern sind, lassen sich von kleineren Unternehmen schon heute de facto nicht mehr alle nutzen. Die Konzentration auf die wichtigsten Kanäle tut Not.

Sozial vernetzen, oder doch lieber nicht?

Herauszufinden, welche Maßnahmen sich für Handelsunternehmen auszahlen, ist eine nicht zu unterschätzende Aufgabe, bei der letztlich jeder in irgendeiner Form Lehrgeld zahlen muss. So ist bei den meisten Social-Media-Strategien längst nicht klar, ob sie angesichts des benötigten Aufwands tatsächlich einen Mehrwert schaffen. Andreas Lübeck kennt zahlreiche Fahrradhändler, die sich an diesem Thema bereits versucht haben. »Bisher konnte noch keiner darlegen, dass das wirklich funktioniert im Fahrradbereich.« Angesichts des zu treibenden Aufwands habe noch kein Händler einen vorzeigbaren Return on Investment aufzeigen können.
Wird der stationäre Fachhandel nun in die Bedeutungslosigkeit wegbrechen, angesichts der anscheinend unerschöpflichen Ideen-, Ressourcen- und Technologiereservoirs, die das E-Commerce der Zukunft bietet? Ein verschärfter Wettbewerb wird hier zwar vieles bewegen, aber ob in der Fahrradbranche die Weichen endgültig schon in die eine oder andere Richtung gestellt sind, darf durchaus noch bezweifelt werden. Sowohl Handel als auch Industrie haben noch einiges an richtungsweisender Arbeit vor sich. Lübeck sieht beide in der Pflicht: »Was den Fahrradverkauf angeht, sind ganz klar die Hersteller gefragt, wo sie ihre Räder verkaufen wollen und manche Händler sollten konsequenter sein in ihrer Auswahl.«

4. Dezember 2013 von Daniel Hrkac
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