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Messe - Interview Stefan Reisinger

Eine Vision für die Zukunft

Die Eurobike sorgt mit ihren Ankündigungen in diesem Jahr für noch größere Schlagzeilen, als sie es ohnehin tun würde. Der Wechsel nach Frankfurt, der neue Termin, die neue Ausrichtung machen die Messe damit auch zu einem Spiegel der Veränderungen in der Branche. Stefan Reisinger erklärt im Interview, wie die Eurobike in der Zukunft aufgestellt sein wird.

Die Eurobike ist für die Branche ein fester Bestandteil ihrer Jahresroutine. Wie wird dieses Jahr der Neustart nach der Corona-Pause?

Es wird natürlich ein bisschen kleiner ausfallen und es wird sicherlich auch weniger global – das liegt einfach an der aktuellen Situation. Das interkontinentale Reisen ist für viele unserer Kunden noch nicht möglich. Somit wird der Fokus sehr viel stärker auf dem europäischen Markt liegen.
Wir haben Marken, die viele Jahre auf der Eurobike waren und in diesem Jahr nicht dabei sein können, weil die Reisehürden zu hoch sind. Daneben gibt es auch Marken, die so ausverkauft sind, dass sie im Moment keine Produkte zu zeigen haben.

Überwiegt unter diesen Umständen die Vorfreude, dass es weitergeht ,oder könnten die Umstände schon noch etwas besser sein?

Also zumindest bei mir überwiegt auf jeden Fall die Vorfreude. Es ist jetzt eine lange Zeit seit der letzten Eurobike vergangen. Wir haben nun hoffentlich die Chance, die Branche wieder zusammenzubringen. Das ist auf jeden Fall positiv. Es war aber schon im letzten halben Jahr absehbar, dass die 21er-Messe-Auflage noch nicht wieder auf dem Niveau gelingen kann, wie das vor der Pandemie war. Dazu waren die Inzidenzzahlen einfach zu lange zu hoch, der ganze europäische Raum zu stark betroffen und es gab zu viele Einschränkungen und Unsicherheiten.

Dieses Jahr ist gleichzeitig auch der Abschied aus Friedrichshafen. Wie kam es zu der Entscheidung? Wie kam die Zusammenarbeit mit Frankfurt zustande?

Seit 2018 beschäftigen Klaus Wellmann und ich uns stark mit dem Thema und haben uns sukzessive einen Plan B erarbeitet. Wir wollten einfach gerüstet sein für den Zeitpunkt, wenn absehbar würde, dass Friedrichshafen für die Fahrradbranche nicht mehr der richtige Austragungsort ist, um das Thema Fahrrad in die Zukunft zu führen. Seit 2018 haben wir entsprechende Gespräche geführt. Dabei waren uns zwei Dinge besonders wichtig.
Zum einen haben wir gesagt, wenn wir wechseln, dann an einen Standort, der besser erreichbar ist und international besser angebunden ist als Friedrichshafen. Das ist erst mal relativ einfach, da wohl jeder der Top-10-Messe-Standorte in Deutschland wahrscheinlich besser erreichbar ist als wir am Bodensee.
Das Zweite, was uns wichtig war: Wenn wir wechseln, dann gehen wir irgendwohin, wo wir mitten in der Stadt sind, also auf ein innerstädtisches Messegelände. Wir müssen das Thema Fahrrad dahin bringen, wo es in Zukunft den größten Impact hat und wir es entsprechend inszenieren können. Die Standorte Köln, Düsseldorf und eben auch Frankfurt und initial die Option, uns dort als Gastveranstalter einzumieten. Zwischenzeitlich ist dann auch die Entscheidung gefallen, dass die IAA aus Frankfurt weggeht und damit öffnete sich eine Tür und ein noch viel spannenderer Ansatz. Diese Gespräche und Verhandlungen auf verschiedensten Ebenen bzw. mit Gremien haben wir im letzten dreiviertel Jahr massiv vorangetrieben.

Wenn Sie sagen, dass Friedrichshafen als Standort auf dem Prüfstand stand, dann ist das ja durchaus selbstkritisch. Welche Kritikpunkte haben Sie als angemessen empfunden und wahrgenommen?

Da waren trotz aller Erfolge stets latent die bekannten Themen, die uns in den letzten Jahren begleitet haben. Die überlastete Infrastruktur, die Anreise, die Anbindung und Erreichbarkeit, bezahlbare Übernachtungen zu finden beziehungsweise für größere Aussteller deren Teams in einem Hotel gesammelt unterzubringen und so weiter – das waren ja alles Dauerthemen.
Die eigentlichen Gründe für den Standortwechsel sind aber andere. Die Eurobike ist mit dem Mountainbike-Trend in den 90er-Jahren groß geworden und dafür haben unsere Kulisse und unser Standort natürlich sehr gut gepasst. Aber das, was wir in den letzten zehn Jahren sehen, mit der Entwicklung im E-Bike- und generell im Mobilitätsbereich, das benötigt ein anderes Setting und vor allem eine andere Perspektive. Das Fahrrad und die Fahrradbranche sind »erwachsen geworden« und dem gilt es Rechnung zu tragen. Das Fahrrad wird in den nächsten Jahrzehnten eine ganz zen­trale Rolle spielen, wenn es um Klimawandel, Energiewende und die Mobilitätswende geht. Dafür brauchen wir eine andere Kulisse, einen anderen Aufschlag und eine Vision für die Zukunft. Deswegen ist es richtig und wichtig, diesen Standort- und Konzeptwechsel zu vollziehen. Gemeinsam mit der Fahrradbranche haben wir es jetzt in der Hand, Champions League zu spielen.

Mit dem Wechsel erhält die Eurobike auch neue Gesellschaftsstrukturen. Wie werden diese aussehen?

Das passiert in den nächsten Wochen und es wird so aussehen, dass die Messe Friedrichshafen 51Prozent der Anteile hält und die Messe Frankfurt 49 Prozent. Der Standort der Firma fairnamic mit dem Eurobike-Messeteam wird punktuell verstärkt durch Frankfurt auch zukünftig aus Friedrichshafen heraus agieren. Für die Kunden und Aussteller der Eurobike bedeutet der Umzug nach Frankfurt natürlich einen großen Schritt. Wir setzen die Veranstaltung komplett neu auf und haben ganz andere Möglichkeiten. Für die meisten Aussteller werden die logistischen Themen viel einfacher hinsichtlich Anreise, Unterkünfte, Restaurants etc. Die Messe Frankfurt wiederum hat ein fantastisches internationales Netzwerk und hat eine ganze Reihe weiterer Assets, die sie in die neue Partnerschaft einbringen wird. Natürlich hat das Ganze auch eine wirtschaftliche Komponente, aber in erster Linie ist die Geschichte die, dass zwei Parteien zueinanderfinden, die beide ihre Stärken einbringen und sich damit gegenseitig unterstützen und verstärken können. Wir haben eine gemeinsame Vision, das Thema Fahrrad und die Eurobike erfolgreich in die Zukunft zu führen. Dazu gehören die Themen Internationalisierung und Digitalisierung. Und da können wir ganz stark voneinander profitieren.

Mit dem räumlichen Umzug nach Frankfurt kommt auch der zeitliche Umzug auf einen früheren Termin im Juli. Wie kam das zustande? Welche Faktoren spielten eine Rolle und wie findet man den perfekten Branchentermin, wenn es gar keinen perfekten Termin geben kann?

Für uns war klar, dass wir mit diesem Standortwechsel auch das ganze Konzept und damit den Termin verändern. Ein ganz wichtiger Baustein der Eurobike in Frankfurt wird zum einen die Endkundenansprache sein, die dort auf einem ganz anderen Niveau möglich ist. Zudem haben sich in den letzten Jahren die Prozesse und Abläufe in der Fahrradbranche dramatisch verändert – derzeit durch die Pandemie-Folgen nochmals verstärkt. Alle Handelsstufen müssen heute viel früher einkaufen und sich mit Waren und Entwicklungen für die Folgesaison beschäftigen, als das vor zehn Jahren der Fall war. Die meisten der großen Fahrradhersteller haben in diesem Jahr ihre Orderrunde schon im März, April, spätestens Mai abgeschlossen. Deswegen ist perspektivisch richtig, mit dem Eurobike-Termin nach vorne zu rutschen. Trotzdem ist klar: Es gibt den »richtigen« Termin nicht für alle. Dazu sind die Geschäftsmodelle zu unterschiedlich in der Fahrradbranche und dazu sind auch die saisonalen Schwankungen zu groß. Grundsätzlich sind wir überzeugt, damit einen guten Slot für die Zukunft anzubieten.

Mit dem Juli-Termin stellt sich automatisch die Frage nach der Eurobico. Was sind denn da die Pläne? Bleibt sie da, geht sie auf einen anderen Termin?

In der Form wird es die Eurobico nächstes Jahr nicht mehr geben. Das ist dieses Jahr ein einmaliges Unterfangen und ein Stück weit haben wir damit der aktuellen Entwicklung mit dem Wechsel der Eurobike nach Frankfurt Vorschub geleistet. Unser Ziel ist es, nächstes Jahr mit der Branche einen großen zentralen Eurobike-Aufschlag in Frankfurt zu machen.

Die Bedeutung der Endverbraucher haben Sie bereits angesprochen. Welche Erwartungen hat die Eurobike an diese Zielgruppe, etwa bei Besucherzahlen?

Wir haben noch keine konkrete Zahl, die wir nach draußen spielen können, aber ich bin sicher, dass wir da eine Riesenchance haben mit diesem Standort und dieser Erreichbarkeit. Das wird jetzt ein großes Thema in der Vorbereitung für das nächste Jahr sein, um mit den entsprechenden Themen und Highlights auch die Endkunden zu faszinieren und anzusprechen.

»Die altenZeiten werden nicht automatisch zurückkehren.«

Stefan Reisinger

Über die letzten 30 Jahre hat sich das Bild von der Eurobike als Weltleitmesse verfestigt. Ist diese Wahrnehmung, dass es einen Event gibt, auf den wirklich alle Branchenteilnehmer gehen, vielleicht sogar hinderlich für die zukünftige Entwicklung der Messe? Dass dieses Ideal aus der Vergangenheit nicht mehr erreichbar ist, weil es nicht mehr existiert?

Die alten Zeiten werden nicht automatisch zurückkehren. Mit Blick auf Corona kann man gerade bei Konsumgütermessen nicht einfach davon ausgehen, dass man wieder an der Stelle aufsetzen kann, wo man 2019 aufgehört hat. Er hat sich viel verändert. Und ich glaube auch, dass die, die jetzt mit neuen Visionen, neuen Ideen, neuen Konzepten antreten, eher zu den Gewinnern gehören werden als diejenigen, die nur versuchen, das Gleiche zu machen wie vor Corona. Es ist unsere Aufgabe, dass wir als Veranstaltung unser Produkt jetzt so attraktiv wie möglich machen. Je besser das gelingt, umso mehr Branchenteilnehmer werden sich dann auch wieder einklinken, selbst wenn sie die letzten Jahre vielleicht auf keiner Messe waren.
Wertvoll kann sein, sich gegenüber der Branche, den Medien, der Politik und auch gegenüber den Endverbrauchern in Szene zu setzen. Aber das geschieht dann mit einer anderen Inszenierung, die mehr fokussiert ist auf Neuheiten, auf Highlights, auf Leuchtturmprojekte und weniger auf das Zeigen des gesamten Sortiments.
Große Fahrradhersteller werden vielleicht seltener einen Stand mit 1000 Quadratmetern aufbauen, wo sie jedes Fahrrad in jeder Rahmengröße und jeder Farbe hinstellen. Das ist Vergangenheit und erfolgt heute und in Zukunft auf eigenen Ordermessen oder digital.

Wird die Eurobike in Zukunft wieder eine Arbeitsmesse sein?

Die Eurobike hat den Anspruch und die Vision, die ganze Welt des Fahrrads an einem Ort einmal im Jahr physisch zusammenbringen. Ich glaube, dass sie damit für viele eine Arbeitsmesse werden wird, wo man im Rahmen der Veranstaltung dann in drei Business-Tagen sehr viele Termine, Kontakte und Gespräche haben kann. Ich glaube, dass es diese Plattform braucht, wo man sich persönlich trifft und wo man sich auch mal zu einem Meeting zurückziehen kann. Das wird auch nach Corona wichtig bleiben.

5. August 2021 von Daniel Hrkac

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