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Portrait - Kettler Alu-Rad

Erfolgsstory ­reloaded

Ende 2015 wurde die Fahrradsparte des Traditionsunternehmens Kettler von der ZEG übernommen. Nach vier Jahren kann man sehen, wie gut Tradition des alten Unternehmens und die Zukunftsvisionen zusammenlaufen.

Ole Honkomp arbeitet am weiteren Erfolg von Kettler Alu-Rad.Verkaufsleiter Hans-Joachim Retzlaff zeigt den Quadriga Cityhopper.

Der Unternehmergeist von Heinz Kettler ist noch allgegenwärtig«, sagt Ole Honkomp, Exportverantwortlicher der Kettler Alu-Rad GmbH, »wir werden ihn auch in das neue Werk mitnehmen.« Diese zwei Sätze sagen viel darüber aus, wie man sich als Nachfolger eines altehrwürdigen Unternehmens sieht und was die ZEG mit der Traditionsfirma weiter vorhat: Großes.
Das 1949 gegründete Unternehmen Kettler war über Jahrzehnte in ganz unterschiedlichen Bereichen sehr erfolgreich und – was vielleicht noch wichtiger ist: Die Marken zählte zu den bekanntesten in Deutschland und stand für Innovationen. Anfang der Sechzigerjahre wurde Kettler mit dem Tretauto Kettcar weltweit bekannt. 1977 brachte Kettler zudem das erste in Großserie produzierte Fahrrad mit Aluminium-Rahmen auf den Markt. Kein Wunder, dass die ZEG der Ende 2015 übernommenen Fahrradsparte des Traditionsunternehmens den Namen Kettler Alu-Rad GmbH gegeben hat und so auf den einst von Kettler ausgelösten Paradigmenwechsel in Sachen Rahmen­material verweist. Schon damals stand das Werk in Kleinbittersdorf bei Saarbrücken, in dem uns Ole Honkomp, Werkleiter Jürgen Löchel und Verkaufsleiter Hans-Joachim Retzlaff im Januar 2020 empfangen.

Zeitgeist mit Fokus auf ­Tradition

Im großen Besprechungsraum wird eine ganze Palette an neuen Rädern und Klassikern aus dem Kettler-Portfolio präsentiert. Die Anknüpfung an die Tradition ist für das Nachfolge-Unternehmen wichtig, darauf wird Honkomp im Laufe des Tages immer wieder hinweisen. Die neue (Fahrrad-)Marke Kettler will den Zeitgeist der 70er und 80er in die E-Bike-Zeit transformieren. Als Beispiel lässt sich der Cityhopper anführen, ein Bike aus dem Ende der 80er, das immer noch in unsere Ära passt. Allerdings unter dem modernen Label Micro-Mobility: Ein 16er und ein 12er Laufrad definieren einen Radstand und eine Rahmengröße, wie ihn sonst höchstens ein Kinderrad hat. Das moderne Pendant mit gleichem Modellnamen kommt heute aus der Kettler-Quadriga-Reihe, die 2018 vorgestellt wurde: ein Tiefeinsteiger mit 20-Zöllern, Bosch-Active-Line-Motor und Achtgang-Nabe. Der 36-Volt-Akku ist vollständig im Unterrohr integriert, one Size fits all. Mit diesen Spezifikationen ist es als komfortables Familienrad positioniert.
Die Familie war immer schon zentrales Thema bei Kettler. Das hat sich auch unter dem Dach der ZEG nicht geändert. Das Familiano ist beispielsweise ein Longtail-Velo mit 20-Zoll-Bereifung und zwei Kindersitzen auf dem Gepäckträger. Für junge Selbststrampler gibt es die Kids-Serie, die beim Kleinkind-Velo zum Radfahren-Lernen für knapp 200 Euro einsteigt und stattliche 22 Modelle umfasst, die größten bereits mit 27,5-Zoll-Rädern. Die Bastian-Schweinsteiger-Kids-Serie legt nochmals sechs Räder drauf.
Überhaupt ist man bei Kettler Alu-Rad begeistert von dem radelnden Fußballstar. »Mit Bastian haben wir einen Botschafter gefunden, der Jüngere wie Ältere anspricht«, freut sich Honkomp. »Die Werte, die er verkörpert, das sind die Werte, die wir auch mit Kettler leben. Ich bin immer noch begeistert, ihn kennengelernt zu haben und freue mich auf die weiteren Projekte mit ihm.« Weil es so gut passt, wird die medienwirksame Zusammenarbeit ausgedehnt. Ab März 2020 wird der Publikumsliebling mit einem weiteren Spot für Kettler trommeln. Wann hat zuletzt ein Sport-Star dieses Kalibers für eine Fahrradmarke geworben? Auch daran lässt sich ablesen, wie ernst es dem Unternehmen – und der Unternehmensmutter – mit dem Einsatz für die neue ZEG-Marke ist.
Neues und ganz Eigenes will Kettler Alu-Rad auch im Detail schaffen. »Für das Design spezieller, technische Lösungen arbeitet unsere mit drei Mann besetzte Entwicklungsabteilung auch mit kreativen externen Unternehmen zusammen«, so Honkomp. Mit den angesehenen Darmstädter Designern und Entwicklern von Artefakt entstehen zum Beispiel außergewöhnliche Lösungen wie die Anhängerkupplung an den Hinterbauten der Quadriga-Modelle. Auch die Radnabenlenkung am Cargoline-Bike ist ein Novum. Dieses Rad wurde auf der letzten Eurobike vorgestellt und soll im Sommer 2020 auf den Markt kommen. Ein moderner, durchgestylter Frachter in der Tradition eines Long John mit 60 oder 80 Zentimetern Ladefläche, der auf der Messe vor allem auch aufgrund seiner Lenkungslösung und des starken optischen Auftritts die Blicke auf sich zog.

Zurück auf den Erfolgskurs

War es ein weiter Weg von der Übernahme Ende 2015 bis hierhin? Ja und nein. Das große Potenzial der Traditionsmarke stand schon 2015 außer Frage. Allerdings war das damals auf 80 Mitarbeiter geschrumpfte Unternehmen durch die Probleme der Jahre zuvor auch arg gebeutelt. »Heute haben wir 170 Mitarbeiter, inklusive Auszubildende«, betont Werkleiter Löchel die positive Entwicklung. »Es ist nicht leicht, qualifizierte Leute zu finden. Wir versuchen so, natürlich auch selbst für Nachwuchs zu sorgen«, erklärt er weiter.

Das neue Werk wird eine der modernsten Fahrradfabriken Deutschlands.Ole HonkompKettler Alu-Rad

Etwa 16.000 Quadratmeter groß ist das Werk an der Heinz-Kettler-Straße. Seine Hoch-Zeiten erlebte es in den Achtzigerjahren mit 320 Mitarbeitern. Letztes Jahr liefen hier schon wieder 40.000 Produktionseinheiten vom Band. Heute wird etwa 90 Prozent des Umsatzes mit E-Bikes gemacht, also mit Produkten, die deutlich teurer, vor allem aber viel komplexer sind als die Räder vor 40 Jahren. Die Fläche ist inzwischen viel zu knapp geworden. Zusätzliche 8.000 Quadratmeter sind auf einem benachbarten Gelände als Lager angemietet. Ein neues Werk ist bereits in Planung, bald fällt der Startschuss zum Bau. Etwa 38.000 Quadratmeter soll das neue Werk dann haben, das zum Großteil auf dem aktuellen Gelände entstehen wird. Ab 2025 könnten hier dann etwa 200.000 Räder und E-Bikes im Jahr aus den Hallen rollen. »Das neue Werk wird eine der modernsten Fahrradfabriken Deutschlands«, so Honkomp. Die Pläne sind auch in anderer Hinsicht ehrgeizig: Ähnlich der gläsernen Manufaktur eines Autoherstellers sollen Besucher die Herstellung der Fahrräder miterleben können. Zur schönen, neuen Fahrradwelt soll auch eine Teststrecke zum Ausprobieren der neuesten E-Bike-Modelle gehören.

Digital in die Zukunft

Nach der Übernahme wurde im Unternehmen ein neues IT-System installiert, das alles, vom Wareneingang bis hin zum Ausgang, aber natürlich auch die Verwaltung, digital betreut. »Ohne geht’s heute nicht mehr, das ist klar«, verdeutlicht Retzlaff. Und Löchel fügt hinzu: »Wir haben hier an den Automotive-Bereich angelehnte Arbeitspläne. Beispielsweise werden Drehmomente bei bestimmten Arbeitsschritten im Detail im System erfasst. So können wir eine konstant hohe Qualität liefern.« Natürlich kann man als große Einkaufsgenossenschaft hier Synergien nutzen – auch andere Marken der ZEG arbeiten mit diesem System.

Motivation durch Vertrauen

Trotz der Vorteile, die es mit sich bringt, wenn ein großer Player aus der Branche ein insolventes Unternehmen übernimmt, kann man sich vorstellen, dass der Anfang hart war. Honkomp arbeitete die ersten zweieinhalb Jahre nach dem Neustart vor Ort in Kleinblittersdorf. Die Veränderungen waren für die Mitarbeiter in der neuen Situation schwer. «Wir haben aber bewiesen, dass wir die Mitarbeiter einbeziehen und auf sie bauen, schließlich gab es eine Arbeitsplatzgarantie bei der Übernahme durch die ZEG«, so Honkomp.
»Heute sind wir stolz auf die Entwicklung des Unternehmens, jeder Mitarbeiter identifiziert sich mit unseren Produkten. Die Mitarbeiter aus dem Versand fragen, wie es im Markt läuft. Man merkt das Interesse und die Motivation«, erklärt auch Retzlaff.
Die Geschäftsführer der Kettler Alu-Rad GmbH sind Georg Honkomp und Egbert Hageböck, die Vorstände der ZEG. Natürlich müssen bei Kettler Entscheidungen vom ZEG-Vorstand abgesegnet werden. Trotzdem fühlt man sich in Kleinblittersdorf weitgehend frei in den unternehmerischen Plänen. »Das war auch für mich ausschlaggebend, um hier zu mitzuwirken«, sagt der junge Honkomp, der vorher längere Zeit für die Messe Ispo aktiv war. Zum einflussreichen Vater besteht eine sachliche Beziehung: »Was das Geschäftliche betrifft, gehen wir auch rein professionell miteinander um, darauf kommt es an.« Zunächst habe Ole Honkomp sich zwei Jahre bei Kettler vorgenommen, nun sind es schon vier Jahre als Exportverantwortlicher, auch wenn er sich nicht »nur« um das Exportgeschäft kümmert.
Dass es so gut läuft, rechnet man auch der Offenen-Tür-Philosophie zu: »Die Kommunikation ist hier das Wichtigste – von unserer Seite, als auch der Seite der Mitarbeiter«, bekräftigt Vertriebsleiter Retzlaff.

Kompromisse im ­Traditionswerk

Der Produktionsrundgang fängt beim Auspacken der Rahmen an. Die kommen aus Asien und werden hier detailliert auf Qualitätsfehler hin untersucht, bevor es direkt in die Lackiererei geht.
Die räumliche Auslegung der Anlage lässt erahnen, dass damit früher nicht nur Fahrradrahmen lackiert wurden, sondern auch andere Kettler-Produkte. »Heute werden hier nur unsere Fahrrad- und E-Bike-Rahmen lackiert, sorgfältig und einzeln per Hand. Ein Fahrradrahmen ist schließlich verwinkelt, hat Kanten und Hohlräume«, erklärt Werkleiter Löchel. Der verwendete Lack ist wasserlöslich; alle Kettler-Räder bekommen einen Dreischichten-Lackierung. Teilweise kommen Rahmen-Chargen aus Asien aber auch schon lackiert an, derzeit habe man (noch) nicht die volle Kapazität, um alles inhouse zu machen. Außerdem werden hier auch die Rahmen anderer Marken assembliert – beispielsweise lässt der ZEG-Bruder Hercules manche Modelle hier produzieren. Aber auch Räder der Marke Rotwild sieht man auf dem Produktionsband.
Die Montagelinie in der Mitte der riesigen Halle lässt derzeit 28 Arbeitsplätze zu. »Wir sind in der glücklichen Lage, hier richtig gut arbeiten zu können«, sagt Löchel, der auch schon im Automobilbereich und bei DHL tätig war. Er ist seit 15 Monaten in Kleinblittersdorf und schätzt seine Arbeit auch deshalb, weil hier recht unbürokratisch und effektiv investiert wird. Jetzt, Anfang Januar, läuft die Produktion auf Hochtouren. Das Lager, das den kompletten hinteren Teil der Halle einnimmt, ist gut gefüllt. Viele hundert Räder sind bereit für ihren Versand. Zufrieden ist man mit dem bisher Geschafften, auf die Zukunft freut man sich. Im Rahmen des Umzugs wollen die Verantwortlichen noch in manche Maschine investieren, um das Werk auf den modernsten Stand zu bringen.

Zukunftsaussichten: sehr gut!

Kettler Alu-Rad sieht sich als Premium-Hersteller und sucht sich auch seine Händler-Partner sorgfältig aus, so Retzlaff. »Wir sehen unsere Händler nicht als Kunden, sondern als Partner«, sagt er. »Auch darin zeigt sich, dass wir ein eigenständiges Unternehmen sind: Heute verkaufen wir Fahrräder an alle möglichen Händler. Bico, ZEG, kleine, große, spezialisierte Händler. Wir haben mit unseren eigenen Rahmen bewiesen, dass wir das Vertrauen unserer Partner verdienen und das zahlt sich aus. Wir bauen Premium E- Bikes ‚Made in Germany‘.«
Als Fokusmärkte nennt man bei Kettler Alu-Rad noch Benelux, Schweiz und Österreich; in diesen Ländern ist der Hersteller bereits sehr aktiv. Außerdem konnte Retzlaff seine jahrelange Erfahrung aus dem Vertrieb in Frankreich einbringen und die Partner dort neu begeistern.
Man ist zudem in Dänemark und Norwegen tätig. »Wir müssen aber nicht überall sofort aktiv werden«, so Honkomp, »wir bauen Vertrauen auf und wollen so langsam, aber stetig wachsen.«
Getrennt hat man sich vom langjährigen Online-Partner Otto. »Das E-Bike ist ein komplexes Produkt, das muss vom Fachhandel betreut werden«, erklärt Honkomp. Zwar bietet man selbst auch einen Online-Kauf an, die Auslieferung erfolgt aber immer über den Fachhandel. »Und wir haben festgestellt, dass der Kunde nach der ersten Auswahl im Internet meist dann doch lieber direkt beim Händler kauft.«
Irgendwann in den nächsten Jahren will man an einem Punkt ankommen, an dem potenzielle Endkunden sagen: »Fahrrad und E- Bike heißt für mich Kettler. Da finde ich das Richtige«, so Honkomp.
Es dürfte noch ein gutes Stück Weg dahin sein, doch schon jetzt steht man gut da. Und eine große Portion Selbstvertrauen hilft bekanntlich immer.

9. Februar 2020 von Georg Bleicher

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