Spezialradmesse 2023 – Teil I
Es bleibt alles … anders!
Auf 5.500 Quadratmeter Hallen-Innenfläche wurde ausgestellt, gefachsimpelt und beraten. Eine Testbahn innerhalb der Halle wurde teils schon zu ausgiebig genutzt, eine externe war vorhanden, ebenso eine weitere für den Autoverkehr gesperrte Strecke von drei Kilometern Länge mit ordentlichen Steigungen. Dazu gab es auf dem Gelände eine zweite Halle, in der sich das Catering abspielte und wo Samstagabend auch eine Band auftrat. In einer umgewidmeten Werkstatt fanden Reisevorträge, Kaufberatungen und eine Podiumsdiskussion statt. Das Angebot, das die neuen Veranstalter Wolf & Wolf boten, war also durchaus groß genug, um die umliegenden Städte und Gemeinden zum Besuch zu animieren, zumal auch das Wetter, zumindest am Samstag, durchaus freundlich gesonnen war. Insgesamt über 6000 Besucherinnen und Besucher wurden gezählt.
Pelikan für Radkuriere
Bicicapace ( www.bicicapace.com ) ist unter den italienischen Herstellern für kleine, sehr nutzerorientierte Lastenräder mittlerweile der bekannteste. Mit dem Pelican hat er neben dem klassischen Rad mit großer Tasche am Steuerkopf auch einen Wave-Rahmen mit fester, modular bespielbarer Ladefläche rund um den Steuerkopf herum kreiert. Ganz neu stellt Bicicapace nun auf der Spezi den Pelican Sport vor: Das Lastenkonzept ist dasselbe, doch die Geometrie ist die eines abgewandelten Diamantrahmens mit nach unten gebogenem Oberrohr. Der zusätzliche Komfort beim Absteigen oder bei Stop-and-go geht so nicht auf Kosten der Rahmensteifigkeit. Außerdem bestätigte eine erste Probefahrt über den Hallen-Testparcours, dass das Rad Chancen hat, die Mailänder Fahrradkuriere mit seiner Wendigkeit und Spritzigkeit zu begeistern. Dank flexiblem System können verschiedene Taschen und Kästen für den Transport auf der bis 65 Kilo zugelassenen Fläche transportiert werden. Auch ein Einsatz als Tourenrad ist damit denkbar – allerdings wegen des 16-Zöllers an der Front nur auf asphaltierten Wegen. Einstiegspreis ohne Tasche: 2390 Euro.
Professionalität und Perfektionsstreben
In Sachen Mobilität spielte das Lastenrad – wie auf wohl jeder Spezi – seit Jahren eine große Rolle. Den eindrücklichsten Nachhall hat dabei wohl Golo-Bike hinterlassen, ein Vierrad-Cargobike mit der Transportkapazität zwischen den Hinterrädern. Hier kann je nach Ausstattung im Pickup-Stil transportiert werden, aber auch eine abnehmbare Box, ein Kinder-Abteil mit bis zu acht Plätzen oder ein Container können als Module fungieren. Letzterer ist ein besonderes Schmankerl: Das Rad selbst kann sein Hinterteil wie manche großen Laster bis zum Boden senken, was dann aussieht wie bei einem US-Straßenkreuzer der 60er-Jahre. Der verankerte Container wird gelöst und auf kleinen Rollen aus dem Radhinterbau gezogen. Die 1,5 Kubikmeter Volumen können nun zum Entladen oder Zwischenlagern – etwa in einem Hub – bereitgestellt werden. Ist eine Palette auf dem Rad, kann sie mit einem Hubwagen heruntergezogen werden.
Wer sich wundert ob so viel Logistik-Professionalität: Die Macher um Andre Vrielink machten schon mit der Liegerad-Marke Flevobike mit innovativen Lösungen, etwa zur Integration von Komponenten und Zügen und Wartungsarmut, von sich reden.
Entsprechend wirken auch die Lösungen beim Golo. Die vier Räder sind einzeln aufgehängt und gefedert, der Sitz des Golo lässt sich in Sekundenschnelle auf Schienen verstellen. Das ist wichtig für gewerbliche Nutzer. 2023 soll eine Serie mit 30 Stück verkauft werden. Unter den ersten Kunden sind Universitäten und Lebensmittel-Auslieferer, letztere liefern ihre die Ware dank Kühlschrank-Modul garantiert frisch an. Die DHL will laut Vrielink noch warten, bis Golo größere Stückzahlen liefern kann.
Das Lasten-Pedelec mit bis zu 200 Kilo Nutzlast und 107 Kilogramm Eigengewicht wird von einem Bafang-Tretlagermotor unterstützt, die Akku-Ausstattung kann bis zu zweimal 750-Wattstunden Kapazität betragen. Natürlich ist das Rad mit 87 Zentimetern Breite Radweg-Kompatibel.
Entspannt im Liegen Graveln
Dass auch Strömungen von außen in den Spezialrad-Bereich wirken können, zeigen die Liegerad-Spezialisten von Azub ( www.azub.com ). Sie haben das Max 700 mit Gravelbereifung und entsprechenden robusten Felgen ausgestattet. Dazu kommt eine leichte Lauf Grit SL-Federgabel und schon ist das Rennrad zum Liegen ein Gravelbike. Weniger der Federweg ist es, der die Grit hier prädestiniert, sagt Jan Herbrek, verantwortlich für den internationalen Vertrieb bei Azub, sondern die besondere Fähigkeit der Gabel, Vibrationen zu schlucken. Schlucken muss der eine oder die andere vielleicht auch beim Preis des hochwertig ausgestattetem Max 700 Gravel aus Tschechien: 10.000 Euro.
Feinschliff für das freundliche Vierrad
Vertreter der neuen Mobilität haben schon früher die Spezi als Bühne benutzt. Nach vier Jahren wieder zu sehen war Thomas Viebach mit seinem Pedilio (
www.pedilio.de
), einem Vierrad, das sehr ausgereift erscheint und das er bereits in kleinen Stückzahlen verkauft. Sicher zum Erfolg seines Rads trägt das freundlich wirkende Design bei. Die Karosserie des Quads ist nur vorn und oben geschlossen, Windschutz und Frontscheiben ziehen sich aber etwas in die Seiten hinein. Die neue Version ist mit einem Solarpanel über dem Fahrersitz zu bekommen, das bei Sonneneinstrahlung Strom für etwa 20 bis 30 Kilometer täglich sorgen soll – was etwas optimistisch scheint. Man steigt wie bei einem normalen Trike ein, indem man sich seitlich auf den komfortablen Sessel setzt und dann ein Bein über den Rahmen schwingt. Der Pedilio ist optisch nah am Auto – etwa mit Bremslichtern und Blinker – hat aber den Untenlenker eines Liegerads. Die vier Räder sind gefedert und sitzen an einem steifen Stahlrahmen. Ein Scheibenwischer schiebt das Wasser aus dem oberen Blickfeld. Angetrieben wird das Pedilio von einem Direktläufermotor im rechten Hinterrad, was laut Viebach kräftemäßig ausreicht, auch bei leichten Anstiegen. Der Motor rekuperiert beim Bergabfahren, außerdem gibt es einen Rückwärtsgang.
Macht die Tür das Auto?
Noch mehr Auto will das Quadvelo ( www.quadvelo.com ) sein: Hier ist die Glasfaser-Karosserie rundum geschlossen, zwei Türen öffnen nach hinten, Fenster können ausgestellt beziehungsweise verschoben werden. Technisch wirkt das Rad mit ZF-Motor und Neunfach-Kettenschaltung etwas weniger ausgereift. Das Fahrwerk ist ebenfalls voll gefedert, die Sturmey Archer Trommelbremsen werden in der nächsten Serie durch hydraulische Discs ersetzt. Durch die leichten Karosserieteile und den geschlossenen Fahrgastraum werden die Fahrgeräusche deutlich verstärkt. Wie groß das Interesse an der neuen Mobilität aus Ungarn ist, ließ sich ganz klar am Ansturm auf Testräder von Quadvelo ablesen – wahrscheinlich der am meisten belagerte Stand der Messe. Das Quadvelo kostet 9.999 Euro und sollte damit konkurrenzfähig sein.
Weitere Highlights und die Fazits von Ausstellern und Messemachern lesen Sie in kürze im zweiten Teil des Messeberichts zur Spezi auf velobiz.de.
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