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EU fürchtet Barrieren im digitalen Handel
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Recht - Geoblocking

EU fürchtet Barrieren im digitalen Handel

Die Europäische Kommission sieht den zwischenstaatlichen Handel durch Geo-Blocking bedroht und will gegensteuern. Worauf müssen sich Unternehmen beim Online-Handel einstellen?

Unter dem Begriff Geo-Blocking versteht man Beschränkungen des Onlinevertriebs, die den grenzüberschreitenden Bezug von digitalen Inhalten respektive Waren durch Verbraucher erschweren oder vollständig unmöglich machen. Die häufigsten Erscheinungsformen des Geo-Blocking sind etwa die Weigerung von Händlern, Waren ins Ausland zu liefern, ausländische Zahlungssysteme zu akzeptieren oder die automatische Umleitung von Kundenanfragen auf die Internetdomain des Heimatlandes des Kunden.
Die Folge solcher Verhaltensweisen der Händler ist für den Verbraucher in allen Fällen gleich: Er wird daran gehindert, Waren aus dem europäischen Ausland über das Internet zu beziehen. Es tritt ein Abschottungs‑
effekt ein. Insbesondere preislich günstigere Angebote aus dem Ausland können nicht wahrgenommen werden. Der Kunde sieht sich bildlich gesprochen einer »digitalen Barriere« gegenübergestellt.
Diese Entwicklung frustriert nicht nur die um die Preisvorteile geprellten Verbraucher, sondern inzwischen auch die Europäische Kommission, denn sie läuft dem Grundprinzip des europäischen Einigungsprozesses zuwider. Die Öffnung der nationalen Grenzen zum Zwecke eines ungehinderten, freien Handels war das erklärte Ziel der europäischen Einigung. Zum Schutz des innereuropäischen Wettbewerbs ist die Europäische Kommission deshalb aufgerufen, wettbewerbswidrige Verhaltensweisen innerhalb des europäischen Binnenmarktes zu unterbinden.
Geo-Blocking ist grundsätzlich geeignet, den Wettbewerb auf dem europäischen Binnenmarkt zu erschweren oder auszuschalten. Eine Schwarz-Weiß-Betrachtung verbietet sich jedoch: Nicht jede Form des Geo-Blockings ist aus Sicht des europäischen Wettbewerbsrechts bedenklich oder unzulässig. Die aktuellen Entwicklungen werden im Folgenden genauer skizziert.

Die Sektoruntersuchung eCommerce

Das Recht der Europäischen Union räumt der Kommission zahlreiche Befugnisse ein, unter anderem die Durchführung sogenannter Sektoruntersuchungen. Diese werden seitens der Kommission in Betracht gezogen, wenn zu vermuten ist, dass beispielsweise durch Preisstarrheiten oder andere Umstände der Wettbewerb auf dem europäischen Markt einge-schränkt oder ausgeschaltet wird. Im Rahmen einer Sektoruntersuchung ist die Europäische Kommission auch befugt von den betreffenden Unternehmen Informationen und Auskünfte zu verlangen.
Von dieser Möglichkeit hat die Kommission im Juli 2015 im Bereich eCommerce Gebrauch gemacht. Im Rahmen dieser Sektoruntersuchung hat die Kommission über 1.000 Händler und Handelsunternehmen einschließlich solcher der Sport- und Modebranche kontaktiert und mit umfangreichen Fragebögen zu Stellungnahmen aufgefordert. Ein Umfrageschwerpunkt lag dabei sowohl auf Vertragsgestaltungen als auch auf tatsächlichem Handeln, das die Warenströme außerhalb des jeweiligen Heimatlandes erschwert. Einen weiteren Themenschwerpunkt bildeten Einflussnahmen auf die Verkaufspreise der Händler (sogenannte Preisbindung) sowie weitere unzulässige Abstimmungen zwischen Marktteilnehmern. Der Befragung im Juli 2015 schloss sich eine weitere umfangreiche Befragung im Herbst 2015 an, die sich an Hersteller richtete. Vor Kurzem (Mitte März 2016) hat die Kommission erste Ergebnisse zum Thema »Geo-Blocking« veröffentlicht.

Zu welchen ersten Ergebnissen kommt die Kommission?

Die Ergebnisse der Kommission belegen, dass Geo-Blocking in Europa ein durchaus verbreitetes Phänomen ist. Nach den Ermittlungen der Kommission betreiben derzeit 38 % der be-fragten Händler aktives Geo-Blocking. Etwa 9 % der im Bereich Sport und Outdoor tätigen Unternehmen gaben zu, jeweils in mindestens einem Fall vertragliche Beschränkungen des grenzüberschreitenden Verkaufs vereinbart zu haben.
Es ist allerdings zwischen verschiedenen Erscheinungsformen des Geo-Blockings zu differenzieren: Den wohl schwersten Verstoß stellen vertragliche Vereinbarungen zwischen Her-stellern und Händlern dar, die (bestimmte) Auslandsverkäufe mittelbar oder unmittelbar ausschließen. Einen ebenso schweren Verstoß stellt es dar, wenn Auslandsverkäufe vorher mit den Herstellern mündlich abgesprochen werden (müssen). Es gibt aber auch Erscheinungsformen des Geo-Blockings, die sich verdeckt vollziehen. Hierunter fallen beispielsweise mündliche Hinweise, dass bestimmte Auslandsverkäufe nicht der Philosophie des Herstellers entsprechen oder die Absichtserklärung, sich durch (bestimmte) Auslandsverkäufe nicht gegenseitig das Leben schwer machen zu wollen.

Warum Geo-Blocking und was ist verboten?

Die Anreize für Geo-Blocking sind vielfältig: Insbesondere kleinere Händler sehen sich im Bereich des Auslandsvertriebes zusätzlichen Kosten, beispielsweise für den Versand, und schwer kalkulierbaren Risiken, beispielsweise bei der Durchsetzung von Ansprüchen, ausgesetzt. Hinzu kommt, dass nicht alle Konsumgüter in allen europäischen Mitgliedsstaaten ohne Weiteres verkehrsfähig sind. Probleme im Umgang mit ausländischen Rechtssystemen bilden dabei aber nur einen Faktor. Hinzu treten weiche Faktoren, wie die Befassung mit anderen Sprachen, Zahlungssystemen oder Versandformen. Dass die Erschließung ausländischer Märkte vor diesem Hintergrund für eine Vielzahl von Händlern demnach aus kommerzieller Sicht schlichtweg keinen Sinn macht, ist evident. Dieser Erkenntnis verschließt sich auch die Kommission nicht. Das Kartellrecht verfolgt das Ziel, die unternehmerische Handlungsfreiheit zu schützen. Entsprechend ist jeder Händler in der Wahl seines Vertriebsgebietes grundsätzlich frei. Entscheidet sich ein Händler daher, nicht oder nur in engen Grenzen ins Ausland zu vertreiben, ist dies in der Regel kartellrechtlich unbedenklich.
Aus Sicht des Kartellrechts kann Geo-Blocking jedoch insbesondere dann bedenklich sein, wenn die Beschränkung des Auslandsvertriebs auf Absprachen der Händler oder abgestimmte Verhaltensweisen des jeweiligen Händlers mit seinem Hersteller zurückgeht. Nach den Feststellungen der Kommission dient Geo-Blocking in vielen Fällen dem Zweck, abweichende Preisniveaus in unterschiedlichen Staaten zu festigen, insbesondere Kunden in einem Staat mit einem erhöhten Preisniveau den Zugriff auf Waren aus einem Staat mit niedrigem Preisniveau zu erschweren. Gezielte Beschränkungen solcher Auslandsbezüge sind aus kartellrechtlicher Sicht kritisch.
Der Kommission sind in diesem Zusammenhang auch Fälle bekannt geworden, in denen Hersteller zur Vermeidung der Verschlechterung des Online-Preisniveaus spontan einschritten. Sie hätten Händlern zum Teil sehr deutlich nahegelegt, das Online-Preisniveau anzuheben oder den Verkauf von Vertragsprodukten in bestimmte Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu unterlassen. Solche »Empfehlungen« erfolgen freilich häufig nur mündlich oder die Hersteller verhängen faktische »Sanktionen«, etwa verzögerte Warenlieferungen oder Lieferstopps. Solche Maßnahmen sieht die Kommission sehr kritisch und behält sich explizit vor, gegen solches Verhalten vorzugehen.
Vertraglich vereinbartes Geo-Blocking könnte aber bei sogenannten exklusiven Vertriebssystemen zulässig sein. Charakteristisch ist hier, dass sich der Hersteller selbst oder einem bestimmten Händler systematisch den Vertrieb in bestimmten Gebieten vorbehält. Hier ist es zum Schutz dieser zugewiesenen Gebiete nämlich ausnahmsweise zulässig, wenn der aktive Vertrieb in diese Gebiete untersagt wird. Unter aktivem Vertrieb versteht man dabei die gezielte Kundenansprache. Derzeit noch offen ist, ob bestimmte Formen des Geo-Blocking, etwa das Verbot, die Vertragsprodukte nicht unter der Domain des geschützten Landes zu vertreiben, im Rahmen eines solchen Vertriebssystems zulässig sein könnten.

Wie geht es weiter?

Einen ausführlichen Zwischenbericht zu den Ergebnissen der Sektoruntersuchung hat die Europäische Kommission für Mitte 2016 angekündigt.

27. Juni 2016 von Markus Fritsch
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