Report - Zukunft von Fachmessen
Fachmessen quo vadis?
Auch in diesem Jahr wird das Messegelände in Friedrichshafen zur Eurobike wieder aus allen Nähten platzen. Insgesamt 1350 Aussteller, 30 mehr als im Vorjahr, haben sich für die diesjährige Auflage der Fachmesse am Bodensee angemeldet. Von einem Ausstellerschwund kann also keine Rede sein. Doch in der Wahrnehmung der Marktteilnehmer zeichnet sich mitunter ein anderes Bild, das vor allem durch die Absagen einiger prominenter Aussteller der letzten Jahre geprägt wird. Nachdem Trek schon seit 2012 nicht mehr an der Eurobike als Aussteller teilnimmt und Specialized seit 2014 eigene Wege geht, wird nun in 2015 mit Sport Import ein weiteres Eurobike-Urgestein erstmals auf dem Messeparkett fehlen.
Der Grund für diese Entwicklung liegt nicht in einer konkurrierenden Fachmesse – es existiert ja keine mehr. Vielmehr haben sich die Schwerpunkte mancher Anbieter im Hinblick auf ihr Händler-Marketing und auch die Pressearbeit geändert. Sie setzen immer stärker auf eigene Hausmessen und Presseveranstaltungen. Und vielleicht mag sich der eine oder andere Anbieter auch gefragt haben, ob ein überdimensionierter Messestand in Friedrichshafen noch in Relation zum jeweiligen Umsatzvolumen in Europa steht.
Ein Grund zur Sorge für die Messemacher ist das sicher (noch) nicht. Die Bewertung dieser Entwicklung fällt innerhalb der Branche auch durchaus unterschiedlich aus. »Die Eurobike wird weiterhin die Weltleitmesse bleiben«, ist etwa Michael Wild, PR-Manager Marketing von Paul Lange, überzeugt. Der Shimano-Generalimporteur gehört zu den »Ausstellern der ersten Stunde« in Friedrichshafen.
Beliebte Hausmessen
»Der Trend ist ganz klar«, erklärt dagegen Arne Sudhoff, Pressesprecher von Derby Cycle. Er gehe zu den Hausmessen, die inzwischen meist schon vor der Eurobike stattfinden. »Hier werden die meisten Orders geschrieben«, berichtet Sudhoff. Die ersten neuen Modelle für die kommende Saison zeigte Derby schon im April und Mai. Auch zu diesem Zeitpunkt wurde bereits bestellt. »Besonders das Performance-Geschäft findet immer früher statt«, so Sudhoff. Für die sportlichen Räder gab es bei Derby neben der Veranstaltung am Firmensitz in Cloppenburg in diesem Jahr sogar eine zusätzliche Hausmesse in Ruhpolding. Auch die ZEG-Hausmesse im Juli fand noch deutlich vor der Eurobike statt. Derby Cycle hat auf die Entwicklung reagiert und seinen Auftritt auf der diesjährigen Eurobike neu ausgerichtet. »Wir zeigen nur noch die Highlights«, erklärt Sudhoff.
Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt beschäftigt auch Sport-Import-Marketingleiter Stefan Scheitz: »Immer mehr Hersteller lösen die Modelljahre auf. Neuheiten werden quasi das gesamte Jahr über präsentiert und erfolgreiche Modelle werden über mehrere Zyklen angeboten. Auf der letzten Eurobike waren vielleicht noch zehn echte Innovationen zu sehen.«
Dieser Eindruck wird in der Branche durchaus geteilt: »Der Sensationscharakter auf der Eurobike ist zwar ein wenig verloren gegangen«, so Paul-Lange-Manager Wild, »alle Neuheiten geballt auf einem Haufen sind aber nach wie vor nur in Friedrichshafen zu sehen.«
Vor diesem Hintergrund wird in der Branche bereits darüber diskutiert, ob die Eurobike rund einen Monat früher nicht besser den Marktgegebenheiten gerecht würde. Doch noch herrscht unter Ausstellern offenbar weitgehende Einigkeit darüber, dass eine Vorverlegung zumindest an der Situation der frühen Modellvorstellungen nichts ändern werde. »Große Anbieter werden grundsätzlich vor der Messe einen Presse-Launch veranstalten«, erwartet Scheitz. »Dann wird die Kuh nur weiter durchs Dorf getrieben«, bestätigt Shimnao-Mann Wild.
Der »richtige« Zeitpunkt der Messe sei »ein Diskussionspunkt, der uns ständig beschäftigt«, berichtet Stefan Reisinger, Bereichsleiter für die Eurobike bei der Messe Friedrichshafen. Hierzu hört er im Markt sehr viele unterschiedliche Meinungen. So würden einige große sportlich orientierte Fahrradhersteller für einen früheren Messetermin plädieren. Sie sind es ja auch in erster Linie, die ihre Neuheiten schon vergleichsweise früh im Jahr der Presse und ausgewählten Händlern präsentieren. Auf der anderen Seite favorisieren viele Accessoires- und Zubehör-Anbieter den jetzigen Eurobike-Termin. Ähnlich vielfältig sei das Meinungsbild in der Händlerschaft.
Für Derby-Cycle-Sprecher Sudhoff ist der Messetermin ohnehin nicht das wichtigste Kriterium: »Der entscheidende Vorteil unserer Hausmessen ist, dass wir hier unsere Händler exklusiv treffen.« Einen Abschied von der Eurobike plant Derby Cycle dennoch keinesfalls. Zu wichtig ist die Messe eben nach wie vor schon allein aus Image-Gründen. »Gerade für mich als Pressesprecher ist es besonders interessant, mich auf der Eurobike mit der Vielzahl der dort versammelten Journalisten über unsere Neuheiten auszutauschen«, berichtet Sudhoff. »Die Eurobike wird immer mehr zur Image-Messe.«
Informations-, Order- und Imagemesse
Aus Händlersicht sei die Messe zudem weiterhin sowohl Informations- als auch Ordermesse. »Für viele Händler dient die Eurobike der Vorbereitung der Order«, beobachtet Paul-Lange-Vertreter Wild. Während Fachhändler also eine gleichbleibend wichtige Zielgruppe bleiben, begegnet der PR-Manager in Friedrichshafen einem stetig wachsenden Interesse der Medien. »Hier wird deutlich, dass das Fahrrad einen immer höheren Stellenwert in der Öffentlichkeit hat«, erklärt Wild. »Spätestens seit Angela Merkels Besuch 2013 haben viele Publikumsmedien die Eurobike für sich entdeckt.«
Aus Sicht der Messe Friedrichshafen erfüllt die Eurobike mehrere Funktionen, von denen keine allein und ausschließlich im Vordergrund steht: »Wir haben viele Kunden, die die Eurobike ganz konkret als Ordermesse nutzen«, sagt Messe-Manager Reisinger. Bei einigen Ausstellern habe die Bedeutung der Messe als Orderplattform zuletzt sogar zugenommen. »Genauso gibt es aber gegenläufige Tendenzen«, fügt Reisinger hinzu. »Andere Unternehmen sehen die Eurobike vornehmlich als Kommunikations- und Marketingplattform. Das ist in den letzten Jahren insgesamt ein ganz zentrales Element der Messe geworden.«
Qualitätszeit für Händler fehlt
Die Anbieter, die auf einen Messestand in Friedrichshafen nun (vorerst) verzichten, haben aber durchaus auch ihre Gründe. »Die Eurobike ist zunehmend eine internationale Messe geworden«, stellt Sport-Import-Marketingleiter Scheitz fest. Die Zielgruppe deutscher Fachhändler könne nach seiner Beobachtung nur noch bedingt für Qualitätszeit erreicht werden. Deshalb ist Sport Import in diesem Jahr erstmals nicht mehr in Friedrichshafen vertreten. »Wir haben uns schlicht die Frage gestellt: Können wir als Sport Import in unserer Marktposition das Budget für die Eurobike nutzbringender einsetzen? Unsere Überlegungen führten zu einem »Ja«, und das werden wir jetzt nach und nach umsetzen«, erklärt Scheitz. »Die Zeit reicht einfach nicht, um die anwesenden bestehenden Händler ausführlich zu betreuen. Neukundenakquise ist dann erst recht schwierig. Die bestehende Eurobike erfüllt nicht mehr unsere veränderten Bedürfnisse.«
Scheitz bezweifelt zudem, dass die Messe den Ansprüchen aller Fachbesucher gerecht wird. Händler, die ohne festen Plan auf die Eurobike gehen, seien oft überfordert. Ihnen fehle die Zeit, um alle Eindrücke aufzunehmen. »Die Messe ist einfach zu riesig«, glaubt der Sport-Import-Manager. »Sie ist in erster Linie ein großes Get-Together.« Umfassende Information oder gar Orders für Händler seien kaum möglich.
Ob die Größe der Eurobike Fachbesucher tatsächlich überfordert, hänge nach Ansicht des Messeveranstalters von der Zielsetzung des Händlers ab. »Wer für einen Tag kommt und die ganze Messe sehen will, wird das nicht schaffen«, so Reisinger. An drei Tagen, sofern sie gut durchstrukturiert sind, sei ein umfassender Überblick aber durchaus möglich und vielen Händlern – gerade unter dem Aspekt Synergien zu nutzen und den Aufwand zu minimieren – auch ein Anliegen.
Steht die Messelandschaft in der Fahrradbranche nun also vor einer größeren Veränderung? Auf Hausmessen kann man zwar seine Kunden exklusiv versammeln, aber: »Sie sind ein zweischneidiges Schwert für den Händler«, weiß auch Sport-Import-Manager Scheitz. Denn selbst wenn er nur die Messen seiner wichtigsten Lieferanten besucht, steigert sich seine Reisetätigkeit enorm. Sport Import arbeitet deshalb daran, Händlern ganzjährig die Möglichkeit zu bieten, die Vertriebsprodukte an einem zentralen Ort zu begutachten. Einen weiteren Trend sieht Scheitz bei spezialisierten kleineren Fachmessen. Beispiele gibt es schon genügend, wie die SPEZI, das E-Bike-Event in Dortmund, den Triathlon Convent oder die BMX Trade Show in Köln. »Ich glaube, da wird sich noch mehr entwickeln.«
Dass sich rund ums Fahrrad immer mehr Publikumsmessen und auf bestimmte Themen wie E-Bikes spezialisierte Veranstaltungen etablieren, begrüßt selbst auch Eurobike-Chef Reisinger: »Jede Veranstaltung, die das Thema Fahrrad voranbringt, ist positiv.« Sorgen würde es der Messe Friedrichshafen nur bereiten, »wenn eine neue Veranstaltung denselben Anspruch verfolgt wie wir«. Die ist zwar nicht in Sicht, »aber man darf sich nie in Sicherheit wiegen«, warnt der Messemacher.
Eine Entwicklung, die am Bodensee durchaus zwiespältig gesehen wird, ist die zunehmende Bedeutung von Hausmessen in der Fahrradindustrie. Die Zielsetzung der Anbieter, ihre Handelskunden exklusiv für sich zu haben, kann Reisinger nachvollziehen. »Das muss man respektieren. Wir können das mit unserer Plattform nicht leisten.« Allerdings erwartet er, dass der Markt nur eine bestimmte Anzahl von Hausmessen zulassen wird. »Wenn es irgendwann soweit kommen würde, dass ein Händler zu 20 Veranstaltungen im Jahr fahren müsste, würde sich diese Entwicklung revidieren.«
Zu stark überlaufen?
In den USA hat Specialized schon vor geraumer Zeit, die Teilnahme an der amerikanischen Leitmesse Interbike in Frage gestellt und veranstaltet dort nun seit über zehn Jahren selbst Messen und Testtage für seine Handelspartner. Seit vergangenem Jahr wird diese Strategie auch in Europa umgesetzt. So erreicht der US-Hersteller seine Fachhändler nach eigener Einschätzung am besten.
»Dieses Umfeld hat die Eurobike nicht mehr gewährleistet«, erklärt Sebastian Maag, Marketing Manager von Specialized. »Der große Aufwand für die vier Tage Messeauftritt hat sich für uns nicht mehr gelohnt«, begründet Maag den Rückzug. »Die Eurobike versucht, eine Plattform gleichermaßen für OEM, Hersteller, Einzelhändler und Endkonsumenten zu sein. Dieses Format führt heute dazu, dass die Messe stark überlaufen ist, die Fachbesucher sich mit den Endkonsumenten mischen und somit die Zeit, persönlich auf den einzelnen Messebesucher und auch auf Fachbesucher einzugehen, nicht mehr gegeben ist.«
Die durch den Abschied von der Eurobike frei werdenden finanziellen Mittel steckt Specialized nun in die eigenen Veranstaltungen. »Das heißt jedoch nicht, dass wir Messen komplett abschwören«, betont Maag. »Die Berliner Fahrradschau etwa hat nach wie vor eine große Zugkraft für uns.« Dabei handelt es sich freilich um eine Publikumsmesse. Ob Fachmessen eine Zukunft haben, bezweifelt der Specialized-Manager – zumindest dann, wenn sich der Trend zu Hausmessen von Herstellern und Distributeuren weiter fortsetzt. »Die Eurobike sollte vielleicht auch für ein breiteres Publikum zugänglich sein und mehr Testmöglichkeiten bieten.« Eine Rückkehr nach Friedrichshafen »in zwei oder drei Jahren« schließt man bei Specialized übrigens nicht aus. »Wir reagieren flexibel auf die Marktentwicklungen«, erklärt Maag.
Trotz der gestiegenen Anzahl von Hausmessen und Testveranstaltungen einzelner Anbieter rechnet Paul-Lange-Manager Wild dagegen nicht mit einer großen Veränderung der Messelandschaft in der Fahrradbranche. Das Fernbleiben großer US-Marken von der diesjährigen Eurobike sei deren individuelle Marketingentscheidung. »Der Qualität der Messe tut das keinen Abbruch.
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