In Taiwan werden ehrgeizige Pläne geschmiedet
Giant-Chef Lo im Interview: „Wir wollen auch die restlichen 80 %“
{b}Mr. Lo, Giant ist beim letzten Design-Wettbewerb der Eurobike für das «City Storm» ausgezeichnet worden. Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für Giant? {/b}
Tony Lo: Für uns ist dieser Award sehr wichtig. Giant hat sich als Hersteller sportlicher Fahrräder bereits einen sehr guten Namen geschaffen. Doch wir wollen für jeden Radfahrer das passende Fahrzeug anbieten, also auch für Alltagsfahrer. Die Auszeichnung für unsere jüngste Citybike-Entwicklung zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind, um dieses Ziel zu erreichen.
{b}Was unterscheidet das City Storm aus Ihrer Sicht von den anderen City-Bikes im Markt?{/b}
Tony Lo: Das City Storm steht für eine neue Citybike-Kultur. Es ist sportlich und modisch zugleich. Wir wollen damit eine ganz neue Designsprache und ein neues Konzept im Markt verankern. Bisher entwickelten wir spezifische Modelle für die einzelnen Märkte. Gerade im Alltagsbereich mussten wir dabei auf enorm viele unterschiedliche Vorstellungen eingehen. Das City Storm hingegen ist ein globales Modell, das durch sein Design überall den gleichen Anklang finden soll – vergleichbar mit dem i-Pod, der auch auf der ganzen Welt gleich aussieht und überall gerade wegen seinem Design geschätzt wird.
{b}Der i-Pod war bei seiner Markteinführung neben seinem Design aber auch technisch innovativ. Das City Storm hingegen bietet in dieser Hinsicht nur wenig mehr als ein durchschnittliches Alltagsvelo.{/b}
Tony Lo: Das durchschnittliche Citybike ist heute technisch so zuverlässig, dass es die meisten Ansprüche befriedigt. Deshalb konnten wir uns auf neue Dinge konzentrieren und die ästhetische Qualität ins Zentrum unserer Entwicklungsarbeit rücken. Das oberste Ziel war, ein Citybike zu entwickeln, das jedem auf den ersten Blick gefällt. Dafür haben wir bewusst einen Designer engagiert, der sonst mit Fahrrädern gar nichts zu tun hat. Er entwickelte das City Storm nach ästhetischen Kriterien ohne Rücksicht auf alles, was vorher je dagewesen war. Herausgekommen ist ein schlichtes und dennoch vollkommen alltagstaugliches Rad.
{b}Giant hatte sich auch schon vor dem City Storm mit innovativen Citybike-Lösungen versucht. Doch Modelle wie das sportliche SUB oder das komfortable Sesselrad Revieve konnten sich nicht durchsetzen. {/b}
Tony Lo: Wahrscheinlich waren wir mit diesen beiden Rädern unserer Zeit einfach zu weit voraus. Wir merkten das, als die Fox-Studios für den Film „I, Robot“ (2004, mit Will Smith) eine ganze Flotte von SUBs und Revieves bestellten. Dieser Film spielt im Jahr 2035 und die Filmmacher wollten mit diesen Bikes die Mobilität der Zukunft darstellen. Doch für die heutigen Sehgewohnheiten ist das Design dieser Räder mit Vollfederung, Aero-Rädern und neuen Rahmenformen wohl noch zu ungewohnt.
{b}Sind also Technikmuffel die Kunden für das City Storm?{/b}
Tony Lo: Ich würde das nicht so negativ formulieren. Der durchschnittliche Radfahrer wünscht sich einfach ein zuverlässiges Fahrzeug. Er will sich nicht mit den technischen Details auseinandersetzen müssen, genauso wenig, wie das der durchschnittliche Autofahrer tut. Vergessen wir nicht: Erst etwa zwanzig Prozent der Weltbevölkerung fahren Rad. Wenn wir künftig mehr Räder verkaufen wollen, müssen wir nicht in erster Linie diese Leute ansprechen, sondern die restlichen achtzig Prozent. Und diese Menschen müssen wir mit Argumenten abholen, zu denen sie einen Bezug haben. Da jeder Mensch beurteilen kann, ob ihm ein Velo gefällt, ist dies der bessere Ansatzpunkt als die Technik.
{b}Reicht denn ein gutes Design, um die Leute aufs Velo zu bringen? {/b}
Tony Lo: Natürlich braucht es noch mehr. Ein Produkt zu entwickeln, dass eine breitere Bevölkerungsschicht anspricht, ist nur der erste Schritt. Ein weiterer wichtiger Schritt ist, den Verkauf zu fördern und ein dritter, die Rahmenbedingungen für das Radfahren zu verbessern. All dies zusammen ermöglicht dem Radfahrer, positive Erfahrungen mit unserem Produkt zu machen.
„Giant soll zu einer starken Marke im Laden werden, im optimalen Fall zur Einzigen.“
{b}Wie setzt Giant diese Schritte um? {/b}
Tony Lo: Gegenwärtig sind wir weltweit damit beschäftigt, unsere Partnerhändler zu stärken, damit sich der Kunde im Geschäft wohl fühlt. Giant soll zu einer starken Marke im Laden werden, im optimalen Fall zur einzigen. Je weniger Marken im Laden stehen, desto mehr kann sich der Kunde darauf konzentrieren, welcher Fahrradtyp am besten zu seinen Bedürfnissen passt. Er muss sich nicht mit der Frage beschäftigen, ob nun Marke X besser ist als Marke Y. Innerhalb des Ladens müssen jedoch die verschiedenen Segmente klar voneinander getrennt werden und die Kunden zielgruppengerecht ansprechen.
Bei Alltagsrädern bedeutet das beispielsweise einen starken Fokus auf das Design, während bei Rennrädern die technischen Innovationen in den Mittelpunkt gerückt werden. Wir gehen sogar soweit, dass wir Shops anregen, die nur ein einziges Kundensegment bedienen. In Taiwan eröffnete kürzlich der erste Giant-Shop, der sich ausschließlich an eine weibliche Kundschaft richtet.
„zu viele kleine, lokal tätige Fahrradfirmen mit einem engen Horizont“
{b}Abgesehen von der vereinfachten Auswahl des richtigen Fahrrads: Welche Vorteile hat ein Kunde davon, wenn nur eine einzige Marke in einem Laden vertreten ist? {/b}
Tony Lo: Längerfristig führt das dazu, dass sich innovative Firmen auf dem Markt besser behaupten können und dadurch stärker werden. Ein großer Hersteller hat mehr Potenzial in der Entwicklung und im Design. Derzeit gibt es zu viele kleine, lokal tätige Fahrradfirmen mit einem engen Horizont. Diese können zwar durchaus das Fahrrad technisch weiterentwickeln, aber sie sind nicht in der Lage, damit neue Kunden außerhalb der angestammten Märkte anzusprechen.
{b}Sehen Sie darin ein zentrales Problem der Fahrradbranche?{/b}
Tony Lo: Es ist ein Teil davon. Ein anderer ist, dass sich die Hersteller fast ausschließlich unter Gleichgesinnten bewegen und dadurch die Perspektive für die Bedürfnisse der Kunden verlieren. Das City Storm ist unser Ansatz, diesen engen Kreis zu durchbrechen.
{b}Zum Stichwort Rahmenbedingungen: Wie engagiert sich Giant in diesem Bereich? {/b}
Tony Lo: In unserem Heimatland Taiwan fördern wir die Nutzung von Fahrrädern. Das Rad hat bei uns ein sehr schlechtes Image. Nur wer zu arm ist, um sich ein Roller oder ein Auto zu leisten, fährt Rad. Dem wollen wir entgegenwirken. Seit zehn Jahren setzen wir uns bei der Regierung dafür ein, dass Fahrradwege gebaut werden. 1997 existierten in Taiwan lediglich 100 Kilometer spezieller Velorouten, heute sind es bereits über 1200 Kilometer. Und bis in drei Jahren sollen es 2600 Kilometer sein.
Daneben motivieren wir unsere Mitarbeiter, selbst Rad zu fahren. Im Management haben wir die Weisung erlassen, dass alle Führungskräfte in den nächsten zwei Jahren zu regelmäßigen Fahrradbenutzern werden sollen. Wer diesen persönlichen Bezug zum eigenen Produkt nicht bieten kann, ist bei uns künftig fehl am Platz.
{b}Fahren Sie selbst Rad? {/b}
Tony Lo: In meiner Garage stehen acht verschiedene Bikes, vom Mountainbike über das Rennrad bis zu verschiedenen Trekking- und Citybikes. Diese benutze ich abwechslungsweise.
{b}Und steigen die Taiwanesen um auf das Velo? {/b}
Tony Lo: Langsam entwickelt sich bei uns ein Bewusstsein, dass Radfahren gesund und umweltschonend ist, und dass das Fahrrad praktisch ist, weil es in unseren dicht bebauten Städten wenig Platz braucht. Wir konnten in den letzten Jahren die Zahl der verkauften Fahrräder in Taiwan um vierzig Prozent steigern.
{b}Wie sieht das Engagement von Giant außerhalb Ihrer Heimat aus? {/b}
Tony Lo: Wir engagieren uns in verschiedenen Projekten und Organisationen in Nordamerika, beispielsweise der IMBA (International Mountainbike Association) und Bikes Belong. In Europa sind wir nicht so stark engagiert, weil hier die Fahrradförderung im internationalen Vergleich schon weit fortgeschritten ist. Trotzdem sind wir auch hier aktiv, beispielsweise in der ETRA.
{b}Welchen Stellenwert hat der Umweltschutz in der Firmenstrategie von Giant? {/b}
Tony Lo: Der Schutz der Natur ist ein wichtiger Aspekt in der von uns angestrebten Fahrradkultur. Das Fahrrad ist ein gutes Mittel, um den steigenden CO2-Verbrauch zu bremsen.
{b}…gleichzeitig ist Giant aber auch einer der größten Hersteller von Carbonrahmen. Und diese haben keine sehr gute Umweltbilanz. {/b}
Tony Lo: Wir produzieren schon seit Jahren Carbon-Fahrräder, aber ausschließlich im gehobenen sportlichen Segment, in dem das Material seine Vorteile auch wirklich ausspielen kann. Trekking- oder Citybikes aus Carbon wird es von Giant nicht geben. Hier setzen wir weiterhin auf Aluminium. Und dank unserer großen Erfahrung und den hohen Produktionsstandards arbeiten wir auch in diesem Bereich sehr energieeffizient.
{b}Mr. Lo, vielen Dank für das Gespräch{/b}
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