Portrait - Veloheld
Heldenhaft authentisch
Gut, dass der Winter gerade ein bisschen Pause macht, als wir im Showroom der Dresdner Velohelden stehen: Der etwa 150 Quadratmeter große Raum im charmanten Industriebau aus DDR-Zeiten ist nicht beheizt – das würde wohl auch wenig Sinn machen, denkt man mit einem Blick gen Dachgebälk. Dass man sich aber auf Präsentation versteht, beweisen die etwa 30 Fahrräder, die hier nach einer gelungenen Dramaturgie drapiert sind. Kein Wunder – hat man es hier mit gelernten Gestaltern und Designern zu tun. Die bewiesen schon 2007 wenn nicht ökonomisches Heldentum, dann zumindest Mut: Carsten Maiwald gründete damals mit zwei Studienkollegen das Designbüro Neongrau und die Marke Veloheld. In Sachen Fahrrad ging es – wie auch beim Design – den Newcomern um Minimalismus. »Wir wollten etwas Bodenständiges machen, keine abgehobenen, elitären Designs, wie wir es von unseren Profs kannten«, erklärt der 37-jährige Maiwald schmunzelnd. »Etwas Verweigerungshaltung war da schon dabei.« Selbst aus der Szene, hatte der Fixie-Trend sie motiviert; bald gab es ein minimalistisches Eingangrad. Der Fortschritt des Unternehmens in Sachen Fahrradmodelle war allerdings gering, der Fixie-Trend irgendwann etwas erlahmt, Meinungen im Team über die weitere Entwicklung zu unterschiedlich. So trennte man sich 2012, und Maiwald baute mit dem heute 35-jährigen Michael Nikolai, auch ein Mann der ersten Stunde, heute Kundenberater, das Unternehmen Veloheld weiter aus. Übrigens: Der Bezug zu den ehemaligen Design-Kollegen ist noch da. Zum Beispiel über den für einige Modelle erhältlichen, bekannten Pendix-Antrieb – Neongrau hat hierfür das Design entwickelt. Allerdings ist die Nachfrage nach Veloheld-Rädern mit Unterstützung »verschwindend«. Ein Grund dafür könnte sein, dass man sich selbst so gar nicht mit E-Antrieb identifiziert, wie sich im Laufe des Tages herauskristallisiert.
Fixies beziehungsweise Singlespeeder gibt es noch eines im Portfolio. »Die Fixie-Szene ist ja endlich«, sagt man bei den Velohelden. »Am stärksten ist bei uns der City-Bereich.«
Exkurs: Wann ist man ein Veloheld?
»Der Name entstand auf einem Auslandssemester in der Schweiz«, so Maiwald. Das Schweizer Wort für Fahrrad – damals in Deutschland noch kaum gebraucht – und der in kreativen Kreisen damals auch noch deutlich weniger genutzte Begriff des Helden fanden dort zusammen. »Wir kamen aus der Fahrradkurier-Szene und aus der Rennszene, und wir wollten damit natürlich auch unseren Stars huldigen.« Da denkt man an schwarz-weiße oder überkontrastierte Farbbilder aus lang vergangenen Jahren des Radsports; an Blut, Schweiß und Tränen, welche die »Helden der Landstraße« vergossen. Das Kopfkino wird jäh unterbrochen: »Natürlich ist das aber auch ironisiert«, schiebt der CEO hinterher.
Und zum City-Bereich meint er: »Aber warum sollte nicht auch eine alleinerziehende Mutter, die bei Wind und Wetter mit dem Kleinen im Kindersitz durch die City zischt, eine Heldin sein?« Eine Interpretation, die sich im Portfolio der Velohelden deutlich widerspiegelt, wie wir noch sehen werden.
Wir sitzen im angenehm nüchtern gehaltenen Büro. Für vier Leute, die hier tagtäglich arbeiten, ein großer Raum, der viel Luft für Kreativität lässt. Carsten Maiwald, großer, drahtiger Ex-Nationalkader-Fahrer und deutscher Junior-Meister auf der Bahn hat wie jeden Tag die fertig gepulverten Rahmen mitgebracht. Bei ihrem Anblick wird klar: Was den Namen Veloheld auf dem Unter- oder Oberrohr trägt ist, erstens, hochwertig verarbeitet und, schon von der Idee her, tatsächlich sehr durchdacht. Und zweitens, zu einem hohen Grad vom Kunden individuell gestaltet.
Online oder Fachhandel?
Um die 90 Prozent aller verkauften Räder werden vom Kunden individualisiert. Fast grundsätzlich ist es schon mal der persönliche Farbgeschmack: Es gibt eine Standardfarbe und gegen 100 Euro Aufpreis sämtliche RAL-Farben zur Wahl. Der Renner ist dieses Jahr »Schwarzrot« – ein elegantes Dunkelgrau, das je nach Licht rötlich schimmert. Warum das interessant ist? Es steht vielleicht für einen Wesenszug des Veloheld-Designansatzes: minimalistisch – aber mit viel Stil. Auch die unternehmenseigene Schrift, die für den Namenszug entwickelt wurde, drückt das aus. Und der Umstand, dass dieser an den sportlichen Rädern das Unterrohr in voller Länge ziert, im City-Bereich aber deutlich kleiner am Oberrohr zu finden ist.
Insgesamt sprechen wir von sieben Modellreihen: MTB, Rennrad, Fatbike, Cyclocross, Citybike, Urban-/Tourenbike und Singlespeeder. Dazu kommt die Rakete: ein – tatsächlich auch minimalistisch gehaltenes – Kinder-Laufrad für 199 Euro. Noch ein Aspekt: 35 Prozent der Räder verlassen das Haus mit einem Riemenantrieb. »Eigentlich hatten wir den schon vor Schindelhauer im Programm«, erklärt Maiwald ein bisschen stolz. Das zeigt, wie sehr das »Abenteuer City und Tour« die Käuferschaft bestimmt. Sie setzt in diesem Bereich auf Wartungsfreiheit, Einfachheit und Komfort. Wobei nicht gesagt sein sollte, dass es keine sportlichen Räder mit dem Carbonstrang bei Veloheld gebe: Das Lane Stnlss hat einen Rennlenker, eine 11-Gang-Nabe mit elektronischer Di2-Schaltung und genannten Riemen. Grundsätzlich wird die Centertrack-Ausführung von Gates verwendet. Für die Riemen-Tauglichkeit braucht es bekanntermaßen eine Rahmenöffnung, und das Rad braucht ein Ausfallende, das Nabenschaltungen aufnimmt sowie eine spezielle Spannvorrichtung für den Riemen. Das schicke Stnlss – der Name steht für »stainless«, rostfrei, ist unlackiert und aus Edelstahl, und schon durch diesen Look etwas Besonderes. Aber grundsätzlich gilt: »Unsere Käufer stehen auf das Individuelle und auf Wartungsarmut« – auch das ein Argument für den Riemen. »Sie sind im Schnitt knapp 40 Jahre alt«, haben also oft auch den Wunsch, etwas Besonderes zu bekommen, selbst wenn sie dafür ein paar Euro mehr ausgeben müssen. Andererseits ist Minimalismus wieder gut für den Geldbeutel: Federgabeln gibt’s nur im MTB-Bereich. Die »Path«-Modelle aus dem City-Bereich – etwa für das Kopfsteinpflaster der Dresdner Altstadt – dämpfen die Schläge des unbeliebten Untergrunds mit breiten Reifen. Gekauft werden kann bei einem der etwa 25 Partner im Fachhandel und online. Gerne nach ausführlicher Beratung per Telefon, für die Michael Nikolai und Daniel Brete zuständig sind. »Die Kunden schätzen die Nähe«, so Nikolai. Wer dann online weiterklickt, findet einen einfachen und übersichtlichen Konfigurator, mit dem er beispielsweise aus unterschiedlichen Gabeln – Carbon oder Stahl – oder Laufrädern auswählen kann.
Stahl war zum Start von Veloheld tatsächlich eine Nische. Haben die Dresdner Jungs einen Riecher für gesellschaftliche Strömungen? Ja schon, aber grundsätzlich wollte man sich absetzen von den »Carbonheinis«, wie Maiwald es salopp ausdrückt. Zum anderen haben Designer sicher die Nase im Wind des gesellschaftlichen Geschmacks. Und das durchaus erfolgreich: Gerade ist man dabei, die vorhandenen 350 Quadratmeter Unternehmensfläche um etwa 200 Quadratmeter zu erweitern – das wird vor allem das Lager betreffen, wo es jetzt, im Februar, ziemlich eng ist. Alle Rahmen, die vom Rahmenbauer kommen, werden hier zwischengelagert, bevor es zum Pulvern geht. Derzeit gibt es einige Wochen Wartezeit für die meisten Modelle. Die Stahl-Sportmodelle haben kernige Namen wie »Icon« (Rennrad) oder »Iron« (MTB). Teils können die Kunden in diesem Bereich nur die einzelnen Rahmen bestellen – hier wird gern selbst aufgebaut oder doch zumindest selbst zusammengestellt.
In Sachen Rahmenbau vertrauen die Helden gern auf ihren taiwanesischen Partner. »Wenn wir eine neue Modellvariante bringen, sprechen wir miteinander über Geometriewerte und sämtliche Maße.« CAD-Daten werden nicht gesendet – »das macht keinen Sinn«, so Entwickler Maiwald, »weil die die Daten sowieso wieder an ihre Maschinenvorgaben anpassen müssten.« Der Erfolg der Räder gibt diesem Verfahren jedenfalls Recht. Klar tut der lange Transportweg einem ökologischen Image nicht unbedingt gut, doch mit einem großen europäischen Rahmenbauer sei man schon mal ziemlich reingefallen. Trotzdem will man in nicht allzu ferner Zukunft den Rahmenbau nach Deutschland holen – ein süddeutsches Unternehmen will sich bald vergrößern; er könnte der richtige Partner sein, glaubt man bei Veloheld.
Ein Veloheld auf Expedition
Die Kunden zieht es auch in die internationale Ferne: »Wir sind natürlich nicht Tout Terrain«, sagt Maiwald, der durchaus Respekt vor der bekannten Reiserad-Marke hat, »aber Abenteuer-Reisende kommen mittlerweile immer mehr auf uns zu«. Ein ganz besonderes Beispiel ist Philipp Markgraf. Der 26-Jährige will nach einer überstandenen Krebskrankheit mit dem Rad von Deutschland nach Süd-Indien fahren, über die höchsten Passstraßen der Welt. Per Blog wird er über sein Abenteuer berichten und Spenden für die Deutsche Krebshilfe sammeln. Vor allem aber will er unter dem Stichwort »Pedals kill Cancer« – »Pedale töten den Krebs« – Mut geben, um gegen die Krankheit anzukämpfen. »Eigentlich sponsern wir nicht«, erklärt Maiwald, »aber das finden wir eine klasse Idee, deshalb sind wir hier dabei.« Und velobiz.de war zufällig dabei, als der Radreisende in Sachen Krebshilfe seinen frisch gepulverten Rahmen in Empfang nehmen konnte – der natürlich mit dem entsprechenden Schriftzug gekürt ist – siehe Bild.
In vielen Dingen zeigt sich, dass nicht nur Velo-Technik und -Design es den Machern angetan haben, sondern auch alles drumherum. »Wir kommen entweder vom Sport oder von der Kultur her«, sagt Nikolai, der selbst schon Kuriermeisterschaften gefahren ist und einmal Deutscher Trackstand-Meister war. »Wir leben Fahrrad, und versuchen das in unser Image zu integrieren.« Oder gleich selbst Kultur zu pflegen und in ein stimmiges Veloheld-Ambiente einzubauen: Im Showroom gibt es eine Leinwand – um Räder zu fotografieren, aber auch um per Beamer zum Beispiel Vortragsabende von Reisenden zu veranstalten. Gleich daneben ist die Theke, dahinter die offene Küche, aus dessen Kühlschrank man an Event-Sommerabenden das Publikum mit Getränken versorgt.
Gemeinsam Held sein
Noch passender sind die Outdoor-Events der Velohelden: Die letzten Jahre gab es im Winter Crossrennen – »keine ›echten‹, die Leute sind aus Spaß an der Freude mitgefahren, und der BDR war da auch nicht mit dabei«, erklärt Nikolai mit einem Schalk in den Augen. Denn die klassischen Crossrennen findet man hier »viel zu verbissen«. »Wenn da einer vom Bund Deutscher Radfahrer mit einer Schablone rumläuft und guckt ob die Reifen nicht zu breit sind … oh Mann!« Verbissenheit hat bei den Helden keine Schnitte. »Bei einem unserer Rennen sind wir selbst als Scherz mit einer Reifenschablone rumgelaufen. Um zu zeigen, was für ein Spaßkiller das ist.« Es gilt: Genießen ist wichtiger als die sportliche Leistung. Gravel-Ausfahrten mit anschließendem Grill-Overnighter in Tschechien zeigen das. »Wir machen, was uns Spaß macht.« Und das ist gut so. Spaß kann man sicher mit den Jungs und Margit Schaffrath, Assistentin und die bislang einzige Frau bei Veloheld, sicher haben.
Beim gemeinsamen Mittagessen in der Sitzecke des Büroraums – hier wird jeden Tag gekocht und immer mittwochs kocht ein anderer Mitarbeiter für alle – geht es viel ums gemeinsame Fahrradfahren. Und jeder kann aus seiner Geschichte einiges beitragen. Werkstattleiter Konstantin Schade und Schrauber Tankred Spittler debattieren über die besten Trails und Wege durchs weithin grüne Umland, Carsten und Michael erzählen von ihren Alleycat-Erfahrungen – eine Mischung von Schnitzeljagd und Rennen, das aus der Kurierfahrer-Szene kommt. Hier sitzt ein Haufen Fahrradverrückter, die es super finden, wenn sie ihre Leidenschaft mit eigenen Produkten in die Welt tragen können.
Apropos Produkte: Auch Bekleidung und Accessoires gibt es von Veloheld – aber stilecht: Da ist zum Beispiel das T-Shirt mit dem Aufdruck »Trust in Steel. Save Aluminium for Beer Cans«, da sind Bibs und Trikots mit Veloheld-Logos. Außerdem gibt es seit Ende 2018 einen Shop-In-Shop von der Dresdner Bekleidungsmarke Biehler – auch die Region hoch zu halten ist für Veloheld ein wichtiger Nachhaltigkeitsfaktor. Und da ist natürlich – unvermeidlich – die Stahl-Tasse mit Aufdruck »I am a Veloheld«.
Unter diesem Motto geht es bei Veloheld 2019 auch interaktiv zu: Kunden können ihre Fotos zum Thema an Veloheld einsenden und so sich und ihre Räder über die Instagram- und Facebook-Seiten des Unternehmens präsentieren. Die Einbettung in die Community, zu der sich die Macher des Unternehmens auch selbst zählen, ist sicher eine gute Art von Kundenbindung und -Gewinnung. Eines sind die Velohelden jedenfalls mit Sicherheit: Überzeugend – und fast schon heldenhaft authentisch.
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