Markt - E-Scooter
Herausfordernd und zukunftsträchtig
Dass der Markt für E-Scooter durchaus auch wirtschaftlich reizvoll ist, zeigen die Marktzahlen. Sie sind recht genau verfügbar: E-Scooter sind in Deutschland versicherungspflichtig. Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat hier den Überblick. Er zählte bereits 2022 571.000 E-Scooter in privater Hand. Dazu kommen weitere 193.000 E-Scooter, die als Verleihfahrzeuge insbesondere in Metropolen, Groß- und Mittelstädten auf ihre Kundschaft warten. Der Nachteil dieser Zahlen ist das Jahr 2022. Erst im Herbst 2024 soll es neue, aktualisierte Zahlen geben. In diesem dynamischen Markt darf man davon ausgehen, dass die Bestände so nicht mehr stimmen und deutlich gestiegen sind. Die Branchenkenner gehen davon aus, dass etwa 200.000 E-Scooter in Deutschland verkauft werden. Wenn diese Zahlen auch in 2023 und 2024 erreicht wurden und würden, dann käme man aktuell auf eine Größenordnung von rund einer Million E-Scootern in Deutschland. Das gilt selbst, wenn man davon ausgehen kann, dass die Zahl der Verleih-Scooter inzwischen etwas gesunken ist. Das ist eine ziemlich beeindruckende Entwicklung innerhalb der inzwischen fünf Jahre, seit denen E-Scooter per Elektrokleinstfahrzeugeverordnung auf die hiesigen Straßen dürfen.
Das ist eine sehr relevante Größe, die sich auf den Straßen abgebildet findet – aber nicht so sehr in Fahrradläden. Ein großer Teil des Verkaufs läuft über Mediamarkt und Saturn. Hier hat sich eine Art E-Scooter-Großmacht etabliert, obwohl die Elektronikspezialisten keinerlei Werkstätten vorhalten. Dazu kommen ca 150 bis 200 Läden in Deutschland, die sich auf diese Form der Fortbewegung spezialisiert haben. Der klassische Fahrradfachhandel? Hat angesichts von Margen deutlich unter denen von Fahrrädern und E-Bikes nach wie vor wenig Lust, sich auf dieses Thema einzulassen. Dazu kommt die Sorge, das Kerngeschäft Fahrrad damit zu unterminieren. Mit dem klassischen Fahrradhandel, in dem auch E-Scooter zu finden sind, kommt man Schätzungen zu Folge auf eine Größenordnung von etwa 300 Betrieben. Eine absolute Minderheit der Fahrradhändler hat sich also auf E-Scooter eingelassen.
Florian Walberg, Gründer und Inhaber des E-Scooter-Pioniers Egret, sieht den Fahrradhandel langsam offener für sein Produkt. »Wir haben sehr gute Erfahrungen mit dem Fahrradhandel. Besser sollte man sagen: dem Mobilitätshandel, weil ich den Fahrradhandel unterscheiden würde in fahrrad- und mobilitätsdenkende Händler.« Man spüre den Unterschied sehr deutlich, aber es überwiegen die guten Erfahrungen. »Wir haben eine deutliche Zunahme der Händlerschaft. Insbesondere die Zahl derer, die proaktiv auf uns zugehen, steigt. Das finde ich echt schön. Zudem höre ich zum ersten Mal, dass sich Fahrradhändler darüber freuen, dass wir eine Preis- und Margenstabilität haben.« Da spiele natürlich die aktuelle Marktsituation den E-Scooter-Anbietern ein wenig in die Hände. Auch bei der Verfügbarkeit könne man punkten: Die Ware sei in der Regel sofort ab Lager verfügbar.
Mit einem Carbon-E-Scooter zog V-Max aus der Schweiz die Blicke auf sich.
»Das ist eine Welt, die im Fahrradfachhandel durchaus mit einer glücklichen Träne im Auge beäugt wird«, fügt er lakonisch an. Trotzdem ist der gegenwärtige Fahrradmarkt am Ende doch kein großer Anschub. Zu groß sind die Lasten aus dem Fahrradgeschäft. »Ich gehe davon aus, dass viel mehr Fahrradhändler offen sind für neue Mobilitätskonzepte, ihnen aber einfach die Ressourcen fehlen«, fügt er bedauernd hinzu.
Die Egret-Händler seien »eher nicht die ganz Großen«, obwohl es auch diese gäbe, wie das Beispiel Fahrrad-XXL zeige. »Ich würde das weniger an der Betriebsgröße als am Mindset festmachen«, erklärt Walberg. »Es sind auf alle Fälle Leute, die kreativ und innovativ sind. Sie sind offen, mit uns zu arbeiten und Ideen auszuprobieren. Sehr selten kommt ein Händler auf uns zu, der nach Standard ordern und verkaufen will.«
Dreigeteilter Markt
»Der Markt der E-Scooter-Welt verändert sich sehr stark«, beobachtet Walberg. Wenn man die bisher vorhandene Marktpyramide betrachte mit einer breiten Basis an, wie er sie nennt, »Wegwerf-Scootern«, also Billigprodukten, die kaum wirtschaftlich zu reparieren sind, dann habe sich der Markt zu einer Raute verändert. »Das heißt, dass es ein gleichbleibend stabiles Premium-Segment an der Spitze gibt. Unten gibt es ein aussterbendes Niedrigpreissegment, weil kein Mensch diesen Wegwerfschrott mehr haben will. Das Mittelpreis-Segment geht aggressiv in die Breite. In diesem Segment gibt es inzwischen ganz anständige Qualitäten. Das ist insofern relevant, weil dann automatisch diese Service-Perspektive wieder kommt. Im Niedrigpreissegment braucht man keinen Service, weil es im Zweifel günstiger ist, einen neuen Roller zuzusenden.«
Service wird professioneller
Die Wartung an sich kann heute deswegen kaum noch ein Grund sein, sich diesen Produkten zu verschließen. Zumindest die Marken, die sich aktiv um den Fahrradhandel bemühen, haben längst Produkte, die unkompliziert zu warten sind. Egret etwa gewann sogar einen Service-Award für seine Produkte. Der Schulungsaufwand für einen Mechaniker oder eine Mechanikerin beläuft sich auf einen halben bis einen Tag. Der jüngste Qualitätsanstieg zeigt sich auch an den bereits genannten versicherten E-Scootern. Ganz offensichtlich versehen sie ihr Mobilitätswerk über viele Jahre. Zumindest ist in den bisherigen Zahlen nur relativ wenig Ersatzkauf zu erkennen. Es ist ein Markt, der immer noch am Anfang seiner Entwicklung steht.
Die Service-Alternative, wie sie von den Elektronikmärkten angeboten wird, lautet nach wie vor, wartungsbedürftige E-Scooter einzuschicken an spezialisierte Werkstätten. Bis ein Kunde oder eine Kundin (75 Prozent der Kundschaft sind Männer) das eigene Fahrzeug zurückbekommt, vergehen auch im günstigsten Fall eher Wochen als Tage. Hier könnten Werkstatt-Nahversorger also auf absehbare Zeit schnell überzeugen.
Produkttrends verändern den E-Scooter-Markt
Das Produkt selbst hat sich innerhalb weniger Jahre massiv verändert. Die kleinen Rollen, wie man sie von Inline-Skates kennt, finden sich schon längst nicht mehr an E-Scootern. Solide bereifte 10-Zoll-Laufräder sind der heutige Standard, bei den Touring-E-Scootern geht es auch deutlich darüber hinaus.
1 Million:Auf diese Zahl an versicherten Bestandsfahrzeugen wird inzwischen der E-Scooter-Markt geschätzt.
13 Zoll sind bei Egret derzeit die Obergrenze. Allerdings ist es eine Obergrenze, die immer besser ankommt. »Ich sehe drei große Trends«, erklärt Florian Walberg: »Das eine ist der Trend zum großen Rad. Am zweiten Trend scheiden sich die Geister. Das ist die Verbindung des großen Rads mit einer Federung. Innerhalb dieses Trends gibt es noch die Unterscheidung zwischen Scherenfederung und einer klassischen Federgabel. Der dritte Trend sind Wechselakkus versus fest verbaute Akkusysteme.« Daneben gebe es noch eine Nische, die viel Aufmerksamkeit erzeuge, aber zumindest derzeit nur wenig Marktanteile besitze. »Das sind die Power-Scooter. Streng genommen sind sie der vierte Trend. Sie sind das, was die Foren füllt und wovon die Blogger schwärmen. Sie erzielen vielleicht 3 bis 5 Prozent des Umsatzes liefern aber 90 bis 95 Prozent aller Kommunikation online.« Es entstehe der verzerrte Eindruck, das wäre der Kern des E-Scooter-Marktes, obwohl hier vor allem wenige begeisterte Nutzer ihrer Leidenschaft nachgehen. »Trotzdem sind sie ein Trend, den man nicht ignorieren kann.«
Mitnahmeverbot schadet dem E-Scooter-Image
V-Max ist eine Schweizer E-Scooter-Marke mit Geschäftsführer Max Engel an der Spitze, der seine Produkte ebenfalls im Premium-Bereich positioniert. Aufmerksamkeit erregte er auf der Eurobike mit einem E-Scooter aus Carbon. Ziel ist ein leichtes Fahrzeug, das dem ursprünglichen Gedanken des multimodalen Einsatzes entgegenkommt. Dieser Einsatz auf der Straße und im öffentlichen Nahverkehr ist aktuell stark unter Beschuss.
Egret besetzt mit seinen E-Scootern das Premium-Segment.
Grund ist das inzwischen verbreitete Verbot, E-Scooter in Bus und Bahn mitzuführen. Walberg findet scharfe Worte für diese Entwicklung. Die Studie, die zur Verbotsempfehlung der Verkehrsbetriebe führte, habe ihm Tränen in die Augen getrieben. »Ich habe angefangen zu heulen, weil ich noch nie eine so schlechte Studie gesehen habe.« Doch alle Interventionen fruchteten nicht. Die Dynamik war nicht mehr einzufangen. Der VDV (Verband deutscher Verkehrsunternehmen) sprach seinen Mitgliedsunternehmen seine Empfehlung aus, E-Scooter zu verbannen. Erst jetzt wird versucht, den entstandenen Schaden wieder einzufangen. Eine White-List wird erarbeitet, die die Billig-Spreu vom Qualitäts-Weizen trennen soll. Doch bis dahin leidet die E-Scooter-Branche an den Einschränkungen. »Es war eine gigantische Fehlentscheidung, die aufgrund von mangelndem Verständnis ausgesprochen wurde«, beklagt Walberg. »Diese Empfehlung zum Mitnahmeverbot von E-Scootern in Bahnen ist eine Katastrophe für das Image von E-Scootern. Nach den wirklich erheblichen Schäden an der Reputation von E-Scootern durch die schlechte Regulatorik im Sharing jetzt einen Nachschlag zu bekommen in Form von polemisch erzeugter Angst vor vermeintlich unsicheren Akkus ist einfach eine gigantische Katastrophe.« Doch gleichzeitig sieht er auch einen Hoffnungsschimmer: »Zum Glück haben alle Beteiligten verstanden, welche Wissenslücken dazu geführt haben, dass an dieser Stelle eine Fehlentscheidung getroffen wurde. Ich bin sehr glücklich, dass das Verkehrsministerium zusammen mit dem VDV eine Lösung gefunden hat und demnächst eine positive Meldung kommen wird in Form einer Mitnahmeempfehlung unter bestimmten Voraussetzungen.«
Interessant ist übrigens der Seitenhieb von Walberg auf den Blinker, der am E-Scooter inzwischen Standard geworden ist, obwohl er gar nicht verpflichtend verbaut werden muss. Die Kundschaft erwarte heutzutage Blinker an ihrem Neufahrzeug. Selbst für geübte Nutzerinnen und Nutzer gibt es Situationen, nicht mehr ganz so moderne Infrastruktur sei Dank, in denen sie keine Hand vom Lenker nehmen können für ein Handsignal. Trotzdem ist er selbst nicht recht überzeugt von ihrem Nutzen. »Da scheiden sich die Geister. Persönlich finde ich Blinker nicht gut. Sie bieten eine trügerische Sicherheit.« Man glaube, sich bemerkbar gemacht zu haben, kann aber trotzdem leicht übersehen werden. Ob diese Erfahrungen der E-Scooter-Nutzenden auch aufs Fahrrad übertragen werden können, wo seit Kurzem nun auch Blinker erlaubt sind, sei dahingestellt. Sehr wahrscheinlich wird es eine gewisse Gewöhnungsphase benötigen, bis blinkende Fahrräder so unmittelbar wahrgenommen werden wie ein Handzeichen.
Über den Service steht die Tür für den Fahrradfachhandel nach wie vor weit offen, im E-Scooter-Markt Fuß zu fassen. Es wäre ein weiteres Mittel, die eigene Werkstatt ohne großen Aufwand noch besser auszulasten, wo das benötigt wird. Auch der Verkauf ist wahrscheinlich nicht so kritisch, wie es oftmals wahrgenommen wird. Die erzielbaren Margen im Verkauf sprechen tendenziell dagegen, sich auf das Thema einzulassen. Erst wenn man überzeugt ist, dass sich Fahrrad und E-Scooter ergänzen und nicht eines das andere kannibalisiert, ergibt es Sinn, beides anzubieten. Die Entwicklung der E-Scooter-Technik und des -Marktes lassen vermuten, dass sich in den nächsten Jahren noch sehr viel verändern wird. Ein regelmäßiger Blick auf dieses Thema ist das Mindeste, was sich jeder Fahrradhändler auferlegen sollte. //
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