Interview - Sandra Wolf
Herausforderung Employer Branding
{b}Die gesamte Branche klagt, dass es schwierig ist, gutes Personal zu finden. Wie lässt sich die aktuelle Situation beschreiben?{/b}
Der Einzelhandel hat ähnliche Probleme wie die Industrie. Es geht darum, überhaupt gute Leute zu bekommen, die in der Lage sind, dieses sich verändernde Geschäft mitzugehen. Es findet ein Wandel in der Branche insgesamt statt, bei dem auch der Anspruch an die Fachkräfte gestiegen ist. Man braucht nicht nur Fahrradmonteure, sondern auch gut ausgebildetes Personal, das sich mit dieser deutlich anspruchsvolleren Technik auskennt. Viele Händler wachsen ja mit diesem Markt E-Bikes. Es ist mein Eindruck, dass die guten Leute, die sie in der Masse brauchen, am Markt nicht zu finden sind. Diese Beobachtung wird mir auch von unseren Fahrradhändlern bestätigt. Da ist der gleiche Mangel wie in der Industrie vorhanden.
{b}Wo kann die Branche die Leute für sich gewinnen, die derzeit gebraucht werden?{/b}
Es gibt verschiedene Ansätze. Im Moment wird unterschätzt, wie attraktiv die Branche und dieses Berufsfeld sind. Da wird gerade vom Handel noch gar nicht recht erkannt, welche Möglichkeiten das eröffnet. Von diesem Punkt kommt man zum Themengebiet Employer Branding, wo man sich unter anderem fragt, welche sinnstiftenden Berufe es gibt. Gerade das Thema Fahrrad und Mobilität der Zukunft ist für viele extrem sinnstiftend. Dem Fachhandel fällt es aber noch schwer zu kommunizieren, dass man mehr ist als nur eine Werkstatt oder ein Einzelhändler. Auch deshalb ist der Fahrradhandel als solcher noch nicht so richtig auf der Bildfläche erschienen.
Ein Problem sind auf der anderen Seite die Gehälter, die man Bewerbern anbieten kann, die aus anderen Branchen hereinschwappen könnten. Das ist durchaus ein Thema, weil der Fahrradeinzelhandel generell noch nicht so attraktiv bezahlt. Das ist für manchen Kandidaten noch eine Hürde.
{b}Welche Entwicklung würde sich denn abzeichnen, wenn nichts passiert, der Handel sich nicht anpasst?{/b}
Jeder muss etwas tun, um attraktiv zu sein. Wer das nicht tut, dessen Ladengeschäft wird an Attraktivität verlieren und es entsteht Raum für neue Formen von Anbietern. Das erachte ich schon als Problem. Man muss verstehen, dass wenn sich die einen nicht lösen, dann finden andere, die vorher gar keine Fahrradhändler waren, eine gute Möglichkeit, neue Konzepte, neue Servicestationen und neue Läden zu entwickeln. Das ist durchaus eine echte Gefahr für den alteingesessenen Fachhandel, der allerdings sehr gute Chancen hat, sich zu behaupten. Das ist Wandel und Veränderung und da müssen alle mitgehen und sich weiterentwickeln. Ansonsten entsteht etwas anderes, von dem man nicht mehr Teil ist.
Es gibt inzwischen viele branchenfremde Händler, die das Marktsegment E-Bike sehr attraktiv finden. Das waren früher etwa Banker oder Manager, die auf der Suche nach einer Betätigung sind, die ihnen Sinn gibt und Freude bereitet. Die machen dann ganz tolle Läden an Top-Standorten. Da kann der alteingessene Händler, der den Weg nicht mitgegangen ist, sich fragen, ›Macht er das so gut wie ich?‹ Bestimmt nicht. Aber trotzdem gehen die Leute in den neuen Laden. Dafür gibt es schon einige Beispiele. Das sind keine Freaks, sondern Leute, die einen guten Job machen und die eher verstanden haben, worum es den Kunden in Zukunft geht. Diesen neuen Händlern fällt es vielleicht auch leichter, gute Mitarbeiter abzuwerben. Da muss man schon aufpassen, dass man als Einzelhändler am Ball bleibt.
{b}Gibt es Beispiele aus anderen Branchen, mit denen eine solche Entwicklung verglichen werden könnte?{/b}
Man kann sich etwa die Restaurantbranche ansehen. Jahrelang waren es Fachkräfte wie Köche, aber wer macht heute den Markt? Das sind Menschen, die teilweise keine Kochausbildung haben. Foodblogger, die ein Restaurant aufmachen und damit unheimlich erfolgreich sind, weil man gar nicht so sehr auf das Prinzip des Marktes pochen darf, sondern die Veränderung mitverfolgen und ein Stück weit mittragen muss. Wenn man das einmal gesamtgesellschaftlich betrachtet, darf man nicht nur an Mechanismen festhalten.
{b}Also passe dich ein bisschen dem Zeitgeist an?{/b}
Ich kann ein Beispiel von Riese & Müller nennen. Da steht nun zusätzlich zu dem, was wir ohnehin schon anbieten, seit ein paar Monaten in unseren Stellenanzeigen auch der Satz »Die Macher der Mobilität von morgen«. Es hat sich schnell gezeigt, dass darauf unheimlich viele Leute anspringen, weil es einfach ein ganz anderes Bild zeichnet von dieser Branche. Ich erlebe, dass viele, die die Fahrradbranche gar nicht im Blick hatten, es plötzlich attraktiv finden, hier zu arbeiten.
{b}Was konkret kann der Händler machen, um seine Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern?{/b}
Diese Frage stellt sich immer wieder. Wenn man empfehlen würde, dass nun jeder ›Macher der Mobilität von morgen‹ schreiben sollte, dann funktioniert das natürlich nicht so einfach. Wenn man eine Arbeitgebermarke aufbauen will, dann ist das nicht von einer Stellenanzeige auf die Nächste passiert. Es gilt zu akzeptieren, dass man auch als Arbeitgeber attraktiv sein und eine Botschaft übermitteln muss. Dass es nicht nur um den Einzelhändler geht, sondern um die Frage, wer wir denn als Team sind, als Laden und was wir anbieten können. Der nächste Punkt ist, dass man nicht so sehr fragt, ob der Kandidat Fahrradmonteur ist oder er schon im Fahrradfachhandel gearbeitet hat. Bei dem aktuellen Mangel an Fachkräften muss man versuchen, Quereinsteiger für das Thema zu begeistern. Aus unserer Erfahrung funktioniert es gut, wenn man eigene Weiter- und Ausbildungsangebote bietet. Auch beim Thema angemessenes Gehalt kann man offen argumentieren, warum man nicht mehr bezahlen kann. Wenn man mit dem Thema offen umgeht und es nicht unter den Tisch kehrt, lassen sich Mitarbeiter gewinnen, die vielleicht kein so hohes Gehalt brauchen. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit transparenten Gehaltsstrukturen gemacht, bei denen man erklärt, warum es auch mal nicht so hoch ist.
Ich glaube schon, dass es eine große Chance des Fahrradeinzelhandels und der Fahrradbranche ist, Teil einer großen Sache zu sein, um es etwas pathetisch zu sagen.
{b}Die Positionierung fängt also schon an, wenn man noch gar keinen akuten Bedarf hat?{/b}
Genau. Das »akut« funktioniert nicht und ich weiß auch nicht, wann das funktionieren soll. Wenn man jemanden braucht, der mehr als Basisarbeiten macht, die wirklich jeder kann, dann braucht das einen gewissen Vorlauf. Und das unterschätzen viele. Es sind nicht nur zwei Wochen, sondern eine längere Phase.
Man muss in einen Dialog mit den Leuten eintreten. Etwa indem man sich in der lokalen Presse als guter Arbeitgeber darstellt oder auf der eigenen Internetseite das eigene, gute Team zeigt. Die meisten Betriebe haben eine super Arbeitsatmosphäre, was aber meist gar nicht kommuniziert wird, weil im Betrieb gedacht wird, das wäre normal. Aber es ist überhaupt nicht normal. Wenn Aushilfskräfte aus Niedriglohnbereichen kommen, dann kommen sie oft von Unternehmen, wo sie schlecht behandelt werden, nichts sagen dürfen und gar nicht als Mensch behandelt werden. Das ist eine große Chance, aber das muss man eben auch vermitteln.
{b}Wie funktioniert Employer Branding in diesem Zusammenhang genau?{/b}
Es geht um die Arbeitgeberattraktivität. Es wird eine Marke aufgebaut, in die man auch etwas hineininterpretieren kann. Es geht um die Frage, wie ich es schaffen kann, als Arbeitgeber so attraktiv zu sein, dass jemand bei mir arbeiten möchte. Und im Prinzip läuft das wie ein ganz normaler Markenprozess ab, den ja ganz viele intuitiv machen und nicht professionell. Beim Employer Branding geht es wie bei jedem Branding darum, dass man das strukturiert macht und die Frage stellt, was uns ausmacht als Arbeitgeber. Ist es das tolle Team? Ist es die tolle Branche? Sind es die tollen Geschichten, die man sich über uns erzählt? Ist es die Historie als Familienunternehmen? Ist es die Qualität, für die wir stehen? Können wir gut bezahlen? Machen wir tolle Sachen als Team? Es geht darum, dass man die eigenen Stärken herausarbeitet und im nächsten Schritt kommuniziert. Da reicht es nicht, diese Punkte mal auf die Webseite zu stellen, sondern man muss diese mit Leben füllen. Es braucht immer Beispiele, die man anführen kann, um das immer wieder darzustellen, bis es irgendwann einmal in den Köpfen derjenigen landet, die eine Anstellung im Einzelhandel suchen. Und das dauert bekanntlich.
{b}Das kann man einem stationären Händler raten, der an seinem Standort Vollbeschäftigung und hohe Gehälter vorfindet? Wo kann er ansetzen?{/b}
Das sind immer Spezialfälle, ein Patentrezept gibt es nicht. Man sollte sich nicht nur auf die Attraktivität des einzelnen Ladens beschränken, sondern man muss den Leuten schmackhaft machen, in dieser Branche zu arbeiten. Das ist für mich ein Schlüssel zum Erfolg. Ich kann da nur den Appell loswerden, die Attraktivität des Segments Fahrrad und E-Bike nicht zu unterschätzen. Da kann nicht nur jeder Einzelhändler, sondern die ganze Branche etwas dafür tun, dass mehr Fachkräfte in die Fahrradwelt kommen. Und das ist die zentrale Story, die jeder erzählen kann, der jemanden sucht. Zeige mir ein anderes Produkt, bei dem du auf jeder Party stehen kannst und die Leute bekommen leuchtende Augen, wenn Du sagst, du arbeitest entweder bei einem Fahrradhersteller oder für das Thema E-Bike. Da sagt doch niemand, ›wie doof ist denn das‹ oder ›da fällt mir keine Frage dazu ein‹. Ich kenne keine andere Branche, die für so viel Inhalt steht. Das kann auch der Fahrradeinzelhändler nutzen. Neue urbane Mobilität bewegt die ganze Welt. Das ist so eine tolle Sache, dass man damit auch Fachkräfte gewinnen kann.
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