Portrait - Fleximodal
Hoch und weg
Wenn alle in Verbindung stehenden Logistikunternehmen dasselbe Format verwenden, ist der Transport ein Kinderspiel. Unter dieser Voraussetzung entstand die Europalette. Geboren 1961 hat sie seither einen Siegeszug angetreten, der sogar den des etwa gleichaltrigen Containers in den Schatten stellt. Heute kommt alles ab einem gewissen Volumen und unter einer gewissen Länge per Palette. Hubwagen, Gabelstapler, Fließbänder – alles kann mit ihr. Sie misst 1200 x 80 x 144 Millimeter und wiegt zwischen 20 und 24 kg. Dabei ist sie bis ins kleinste Detail definiert; so müssen zum Beispiel die Kanten der Klötzchen, welche die dreiteilige Basis der Palette von der Standfläche trennen, in einem bestimmten Winkel abgeschrägt sein, damit Hubwagen oder Stapler sie möglichst einfach aufnehmen können. Die Europoolpalette – so der offizielle Name – wurde zunächst im Europäischen Eisenbahnverkehr eingeführt. EPAL ist seit 2013 die standardisierte Bezeichnung, die auf allen Randklötzchen prangt.
Jetzt kommt das Fahrrad ins Spiel: Seit einigen Jahren zeichnet sich ab, dass die letzte Transportmeile zunehmend ein Fall für Cargo-Bikes wird oder zumindest werden sollte. Doch Fahrrad und Palette waren sich bislang nicht wirklich grün: Selbst wenn es heute Lastenräder gibt, für die Paletten in Größe und Gewicht kaum eine Schwierigkeit darstellten, gibt es ein Problem, bei der sich das Fahrrad respektive dessen Fahrer überhebt: das Anheben der beladenen Palette. Je nach Fracht kann ein Velofahrer das Frachtgut nicht alleine auf den Hänger oder das Rad hieven, Unterstützung, gegebenenfalls ein Stapler, sind vonnöten. Und einfach wie nebenher geht’s schon mal gar nicht.
»Dieses Problem ist mir klar geworden, als ich selbst einmal eine Palette per Bike transportieren wollte«, erzählt Charles Levillain. Der 32-jährige Franzose verzichtet seit Jahren auf ein eigenes Auto und hat seine Leidenschaft in der modernen Mobilität gefunden. Passenderweise ist er auch noch technischer Ingenieur – der die Palette als Herausforderung ansah. »Wenn man wirklich versuchen will, einen Großteil des Lastentransports auf Fahrrad umzustellen, muss auch die Palette möglichst einfach mit dem Rad transportiert werden können.« Erst dann lässt sich das Versprechen der »letzten Meile« in voller Breite einhalten, für das das Lastenrad immer mehr stehen soll. Und dieses Versprechen wird auch für die großen, internationalen Spediteure wie Dachser oder Schenker immer schwieriger.
Form und Fracht
Levillain ist in Rennes in der Bretagne aufgewachsen, wo er jetzt auch wieder lebt und arbeitet. Nach der Ausbildung entwickelte er zunächst mehrere Jahre als Designer für den nach eigenen Angaben ältesten Schiffsbauer Beneteau Freizeit-Yachten. Ab 2009 war er in Straßburg für die Energiewirtschaft der Verwaltung der Region Elsass tätig. »Straßburg ist eine fantastische Stadt für Radfahrer,« erzählt der drahtige Mann. Für den Studenten war es zunächst eine rein rationale Entscheidung, sich der Mobilität jenseits des Autos zu widmen. Da ist die Umweltverschmutzung, urbaner Platzmangel und die sinkende Lebensqualität in den Städten. Doch in Straßburg mit seinen 560 Kilometern Fahrradwegen lernte er auch viele andere, sehr positive Gründe für das Radfahren kennen.
Und so stand dieser Mensch, der sich dem Transport per Bike verschrieben hatte, irgendwann vor einer Palette, die er transportieren musste. Die Idee, die ihm dazu kam, führte zu seinem ersten Produkt Bicylift – und zur Gründung des Unternehmens Fleximodal, wie: »flexibel, weil auf verschiedene Arten nutzbar«.
Endlich aufgegabelt!
»Das Schwierigste war, die Palette auf den Hänger zu heben.« Eine separate Hebevorrichtung kam nicht in Frage, da sie das System verkomplizierte. Bald war klar: Basis musste eine Vorrichtung sein, die nicht nur die Palette transportiert, sondern sie vorher auch anheben und festhalten kann – denn so perfekt die Palette für den Transport, so schlecht ist sie für das Anheben auf den wie auch immer gearteten Transporter gewappnet. »Ein Hebearm der Teil der Transportvorrichtung ist, musste der Schlüssel zum Problem sein – wie beim Hubwagen«, wurde Levillain klar. Noch 2015 entstand der erste Prototyp. Er konnte schon anheben, war aber eine eher wackelige Sache. Kurz darauf der zweite. Der Trick gelingt schließlich rundum souverän mit einer zusätzlichen Gabel: ein U-förmiges Vier-kantrohr, das zunächst an den Längsseiten mittig durch die Palette geschoben wird, bis sie beidseitig einige Zentimeter in Form von je zwei Zapfen übersteht. Damit die Gabel direkt an der Unterseite der Palettenfläche sitzt, drückt eine Blattfeder aus Stahl von unten gegen das Holz.
Dann kommt der eigentliche Trailer als Hebearm in Aktion: Er ist selbst wie ein U geformt, das die Palette von drei Seiten umschließen kann. An den beiden »Armen« des U sind 20-Zoll-Räder gelagert. Man schiebt diese also die Längsseiten der Palette entlang, bis der Trailer die Palette umschließt. Durch Anheben der Trailerdeichsel kann je ein Haken an den Enden des U unter die zwei Zapfen links und rechts der unter die Palette geschobene Gabel einklinken. Drückt man nun die Deichsel des Trailers wieder nach unten – wie beim Hubwagen – rasten automatische die beiden weiteren Zapfen der Gabel, die vor den Rädern liegen, in gesicherte Klinken des U ein. Die Palette ist angehoben und fest mit dem Trailer verbunden. Das eigene Gewicht hält sie davon ab, nach vorn oder hinten zu rutschen – was allerdings ohnehin sicherheitstechnisch unproblematisch sein dürfte, da dies nur innerhalb eines sehr geringen Bereiches möglich ist, den die Abstände der Klötzchen von der Gabel definieren. Die Deichsel des Bicylift kann wie ein Lenker höhenverstellt werden, sodass die Vorrichtung zum einen wie ein Handkarren, zum anderen eben wie ein Hänger verwendet werden kann. An ihr sitzt auch ein Bremsgriff, verbunden mit zwei Scheibenbremsen in den Rädern.
Koppelung mit dem Fahrrad: Am linken Hinterbau des Zugrads sitzt die Kupplung mit einem Kugelkopf, der das Gegenstück in der Deichsel aufnimmt. Um bis zu 200 Kilogramm Ladung ziehen zu können ist sie entsprechend stabil aufgebaut, umgreift je nach Typ Sitzstrebe und Kettenstrebe mit Festspannbolzen. »Wir haben mittlerweile vier verschiedene Kupplungssysteme für die wichtigsten Cargo-Bike -Modelle«, so Levillain, »aber wir arbeiten ständig an weiteren«.
Verbunden mit der Kupplung ist eine klassische Auflaufbremse: Seilzug-Disks sorgen dafür, dass das Zugrad nur seine eigene Bewegungsenergie abbremsen muss, denn sobald das Rad gebremst wird, zieht die Vorrichtung in der Kupplung mit dem Eigengewicht des Hängers ebenfalls am Bremszug für die Disks hinten.
Produkt mit Potenzial
Im März 2016 war es so weit. Levillain konnte das System auf dem großen Cargobike Festival in Nijmegen zeigen – und erregte tatsächlich viel Aufsehen.
Bereits seit 2016 gibt es nun das Unternehmen Fleximodal. Der Bicylift, das Produkt, das die Palette als bisher einziges hebt und dann damit losfährt, ging Ende 2016 in die erste Mini-Serie. Geholfen haben bei der Entwicklung zur Serienreife auch Männer und Frauen eines Fahrradkurierdienstes in Rennes. Networking führte dazu, dass seit kurzem auch in New York City ein Bikemessenger-Unternehmen den Bicylift nutzt. »Die urbanen Kuriere bleiben auch mit dem Bicylift schnell«, so Levillain. Je nach Gewicht der Palette macht das Pedalieren mit elektrischer Unterstützung aber deutlich mehr Sinn – und mehr Spaß als mit einem Bike ohne Unterstützung. Dass man mit dem Bicylift wendig bleibt, davon kann man sich in einem Youtube-Video überzeugen – das lange Lastenrad ist auch noch mit dem Trailer wendig genug für den U-Turn. Und die Konstruktion mit ihrem tiefen Schwerpunkt lässt das Gespann laut Levillain ebenso flott wie sicher um die Kurven schwingen.
Bicylift scheint manchem eine Schlüssel-Lösung für den Bike-Transport zu sein. Auch eine Box mit dem Grundformat der Palette gibt es – zum Transport von Paketen oder sonstiger loser Fracht. Er ist verschließbar, steht auf Rollen wie ein Einkaufswagen, wird aber auch per Bicylift aufgegabelt und gezogen. Dass das Produkt, das zu weniger Umweltverschmutzung beitragen soll, auch nachhaltig produziert wird, ist für Levillain selbstverständlich. Der Rahmen kommt wie die meisten Komponenten aus französischer Metallverarbeitung. Nur bei den typischen Fahrrad-Teilen greift man bei großen internationalen Zulieferern ins Regal.
Doch der Einsatz des etwa 2100 Euro kostenden Trailers ist bisher überschaubar. Die Möglichkeiten sind enorm, das merkt jeder, der sich mit Mobilität beschäftigt – oder sie nutzt. Doch warum rollt sich Bicylift nicht schneller in den Markt? »Die Unternehmen brauchen Zeit, um das Potenzial des Produkts zu verstehen«, meint der Entwickler. »Wir brauchen Zeit, um sie zu überzeugen. Aber es wird ein Selbstläufer.« Allzu lange soll das seiner Vorstellung nach nicht mehr dauern. Ein Beispiel: »Bicylift kann den Einsatzbereich jedes Fahrradkurierdienstes erweitern – und die Arbeit für Speditionen einfacher und günstiger machen«, meint Levillain.
Probleme, dass Konkurrenten für Bicylift in Zukunft wie Phönix aus der Asche schießen, erwartet er nicht – er sieht sich mit dem Patent für die Hebevorrichtung perfekt abgesichert. Derzeit arbeitet er bereits an einer neuen Serie – in seiner 150-Quadratmeter-Werkstatt in Rennes, in der heute auch noch das Lager untergebracht ist. Hier werden auch die Bicylifts montiert. Momentan genießt er noch den Luxus, freien Platz zu haben. Die neuen Modelle sollen übrigens etwas günstiger werden. Außerdem geplant: eine Bicylift-Kühlbox. Grundsätzlich soll Bicylift nicht das einzige Produkt von Fleximodal bleiben; Levillain sieht das Unternehmen als Lieferanten für Mobilitätslösungen – Bicylift ist nur eine davon.
Übrigens: Partnerfirmen von Dachser und Schenker wie Les Triporteurs de l‘Ouest, der derzeitige Hauptabnehmer von Bicylift, sind mittlerweile auch auf der letzten Meile mit dem »Bike-Hubwagen« unterwegs.
Bicylift auf Youtube: https://youtu.be/hgbZTNIMn48
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