18. Fahrradkommunalkonferenz
In die Pedale treten für den Radverkehr
Vor 12 Jahren hat die Fahrradkommunalkonferenz schon einmal in der niedersächsischen Landeshauptstadt gastiert. Seitdem hat sich nicht nur vor Ort viel verändert in Sachen Radverkehr. Die Rekordbeteiligung von 450 Teilnehmenden vor Ort und einer dreistelligen Teilnehmerzahl im Live-Stream lässt laut Christian Hoffmann, Präsident des Bundesamts für Logistik und Mobilität, den Schluss zu, dass auch das Interesse am fachlichen Austausch seitdem zugenommen hat. 2012 waren 250 Expertinnen und Experten vor Ort.
„Gemeinsam Radverkehr gestalten“
Nicht nur bei den verschiedenen Exkursionen ließ sich beobachten, dass die Stadt Hannover unter Oberbürgermeister Belit Onay sich mitunter durchaus als Vorreiter im Radverkehr sehen lässt. Laut Hoffmann beispielhaft ist etwa die Zusammenarbeit zwischen Region und Stadt, die das Veranstaltungsmotto „Gemeinsam Radverkehr gestalten“ beispielhaft illustriert. Gute Kooperation, so betonte auch Iris Reimold, Abteilungsleiterin Straßenverkehr im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV), brauche es auch zwischen den verschiedenen politischen Ebenen, bis hinein in die Kommunen. Potenzial für mehr Radverkehr sieht Reimold beim Pendeln, dass durch eine vollumfängliche Infrastruktur, ohne Lücken und mit Abstellmöglichkeiten, noch attraktiver werden könne.
Ein Streitpunkt, der auf der Fahrradkommunalkonferenz ausgehandelt wurde, war die Frage, inwiefern sich das Verkehrssystem zu langsam wandelt. Für Steffen Krach, Präsident der Region Hannover steht zwar fest: „Wünschenswert wäre, wären wir schon einen Schritt weiter.“ Jedoch mahnt er auch, dass Infrastrukturprojekte auf dem Weg seien, aber lange Zeit in Anspruch nehmen können.
Für die Bundestagsabgeordnete Swantje Michaelsen klafft im planerischen Alltag häufig eine Lücke zwischen Masterplänen, die beschlossen werden und den tatsächlichen Veränderungen an konkreten Stellen in den Netzen. Während erstere auf viel Zustimmung treffen, ist vom „Gemeinsamen“ nicht mehr viel übrig, wenn es um die konkrete Veränderung vor Ort geht. Sie plädiert dafür, präzise zu zeigen, was der Radverkehr für Vorteile bringt und den Rechtsraum zu nutzen, der schon unter dem alten Straßenverkehrsgesetz nicht oft genug ausgenutzt wurde. Es gäbe zwar Umwidmungen von öffentlichem Raum, aber die Beispiele sind zu wenige und sie werden zum Teil wieder gestoppt oder zurückgebaut. Tempo 30 vor KITAs und Schulen wolle das Land Berlin zurücknehmen und in Hannover werden Fahrradstraßen gerichtlich gestoppt.
Verkehrsprognose 2030 ist Warnsignal
Mehrfache Erwähnung fanden die jüngst veröffentlichten Verkehrsprognose 2030 vom BMDV, nach der sich der Radverkehrsanteil im Modal Split nur moderat steigern würde
(velobiz.de berichtete)
. Für Oberbürgermeister Onay ist sie ein Warnsignal, was mit der aktuellen Wandelsgeschwindigkeit blüht. Wenn Menschen Angst um ihr Leben haben müssen, sagte er außerdem ist der Radverkehr keine ernstgemeinte Alternative.
Gegenüber dem Autoverkehr müsse der Radverkehr auch deshalb als Lösung selbstverständlich sein, weil er viel mehr Menschen zur Verfügung steht. 30 Millionen Menschen besitzen keine Kfz-Fahrerlaubnis. Autos lassen sich sogar für autofahrende Menschen als Belastung sehen. Wenn mehr Menschen Rad fahren, könnte das außerdem auch helfen, weniger verstopfte Straßen für alle zu erhalten.
Mittel müssen abfließen
Positiv zu werten ist, dass das Sonderprogramm Stadt und Land die Kürzungen im Haushalt weitgehend unbeschadet überstanden hat und gut genutzt wird. Oft sei es dennoch schwierig, die Mittel tatsächlich abfließen zu lassen, weil Infrastrukturprojekte in der Praxis oft anders ablaufen als sie sich planen lassen. Hinzu kommt, dass immer wieder kleine Abschnitte, die Förderhürden nicht nehmen, ganze Projekte scheitern lassen können.
Dass die Mittel aber möglichst vollumfänglich abgerufen werden, sei laut Reimold wichtig, weil sich nur so überzeugend signalisieren lässt, dass noch mehr Mittel benötigt werden. Das dürfte schließlich auch deshalb im Interesse der Radverkehrsakteure sein, weil viele Kommunen knappe Kassen haben, wie Thomas Kiel d’Aragon vom Deutschen Städtetag am zweiten Konferenztag erklärte. Die Kommunalfinanzen sind in einer dauerhaften Schieflage. Und es ist anzunehmen, dass der Investitionsrückstand von aktuell ca. 186 Milliarden Euro weiter ansteigen wird. Laut Prognosen dürfte der Finanzierungssaldo bis einschließlich 2026 sukzessive negativer werden. Dass es zudem oft mehr Geld braucht, also zunächst gedacht, zeigt auch das Beispiel der Hannoveraner Velorouten. Zwischen 50 und 60 Millionen Euro werden in das Projekt fließen. Anfangs gingen die Verantwortlichen von rund zehn Millionen Euro aus.
Neben einem kurzweiligen Rahmenprogramm hatten die Anwesenden in drei Sessions die Wahl aus einigen Fachforen und Theorie- und Praxissessions hier im Programmüberbllick zum Download mit verschiedensten Themen. Als Highlight gab es unter anderem eine Keynote von Monika Sattler, die einen Blick hinter die Kulissen ihres Weltrekords gab, bei dem sie alle 124 Pässe der Schweiz mit insgesamt rund 56.000 Höhenmetern in 26 Tagen fuhr. Sie riet den Anwesenden, bei großen Zielen das Ende nicht aus den Augen zu verlieren, aber sich an Zwischenzielen zu orientieren. Selbst wenn man einmal scheitere und ein Ziel nicht erreiche, eröffnen sich auf dem Weg meist andere Ziele.
Christian Artopé von der Kommunikationsagentur GUD.berlin begeisterte das Publikum mit einem multimedialen Vortrag zum sehr präsenten Thema Kommunikation. GUD.berlin steckt unter anderem hinter der Kampagne „Weil wir dich lieben“, mit der die Berliner Verkehrsgesellschaft seit 2015 einen deutlichen Image-Gewinn verzeichnen kann. Als Erfolgsfaktoren benannte er Humor, außerdem Relevanz und Haltung. Auszahlen könne sich insbesondere, am Puls der Zeit zu sein, weshalb die Verkehrsbetriebe etwa auf TikTok Sketches mit Puppen als Protagonisten verbreiten, die sich spontan für die Content-Erstellung nutzen lassen.
Die Fahrradkommunalkonferenz ging traditionell mit der Staffelstabsübergabe zu Ende. Die kommende Ausgabe im nächsten Jahr wird in Landau in der Pfalz stattfinden.
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