Report - Ladeinfrastruktur für Elektroräder
Je weniger Licht, desto mehr Schatten
Dass die Entwicklung einer Ladeinfrastruktur für die weitere Entwicklung des E-Bike-Marktes durchaus von Bedeutung ist, zeigt ein Blick in die Geschichte: Vor nicht einmal 100 Jahren wurde der Durchbruch des Automobilmarktes nicht etwa durch bessere Autos erreicht, sondern durch ein dichtes Tankstellennetz. Erst damit gelang es, den Kunden die Angst zu nehmen, mit leerem Tank im Nirgendwo liegenzubleiben. Bei E-Bikes ist der Fall natürlich etwas anders gelagert, aber dennoch lägen die Vorteile eines dichten Netzes von E-Bike-Ladestellen so klar auf der Hand, dass von vielen Stellen entsprechende Strukturen herbeigesehnt werden.
Vor allem die Tourismusregionen und Großstädte dieser Welt entdecken gerade die Vorzüge einer Elektrobike-Infrastruktur und legen die Weichen für einen entsprechenden Aufbau. Bevor hier aber in wirklich großem Umfang Lösungen entwickelt werden, warten viele Beobachter noch die Entwicklung der Grundlagen ab. Bisher legt die E-Bike-Welt den Schwerpunkt gezwungenermaßen auf größere Reichweiten (was bei PKW schon nicht funktioniert hat). Das ist verständlich, ist es doch der Hebel, der direkt in der Hand der Hersteller liegt. Es fehlen vor allem noch wichtige Normen, bevor der Startschuss für eine gute Infrastruktur gegeben werden kann.
Zu viele Zutaten verderben die Suppe
Ein Kernproblem für Infrastrukturplanungen heute ist der Umstand, dass jeder E-Bike-Hersteller und jeder Systemanbieter sein eigenes Süppchen kocht. Die Ladetechnik bei aktuellen Pedelecs besteht weitestgehend aus proprietären Lösungen, die untereinander nicht kompatibel sind. Die Situation erinnert stark an den Handy-Kabelsalat in der Schublade vor dem Siegeszug von Micro-USB. Wer heute eine Ladestation für Pedelecs errichten will, die alle Möglichkeiten an Steckerverbindungen abdeckt, steht vor einer praktisch unlösbaren Aufgabe. Bike-Energy, als einer der wenigen Anbieter, der bereits eine fertige Ladestation für Elektroräder (und E-Autos) anbieten kann, bietet sagenhafte 12 verschiedene Ladekabel an, damit E-Biker deren Stationen nutzen können. Aktuell gibt es weit über 70 Ladestecker auf dem Markt.
Deshalb ist es gängige Praxis geworden, da wo kein spezialisierter Systemanbieter am Werk ist, einfach eine herkömmliche Schuko-Steckdose für den Außeneinsatz zu errichten und dem E-Biker diese als Batterietankstelle anzudienen. So lobenswert ein solches Engagement auch sein mag, so hat diese Lösung ihre Schattenseiten. Für den Verbraucher hat die Steckdose im Freien gleich zwei gravierende Nachteile: Erstens muss er dann sein eigenes Ladegerät während der Tour mitführen. Dies bedeutet ein Mehrgewicht von mindestens einem Pfund, dazu kommt noch die nötige Tasche oder der Platz im Rucksack für den Transport. Und zweitens hat der E-Biker zusammen mit seinem neuen E-Bike mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Ladegerät bekommen, das nur für die Nutzung in geschlossenen Räumen zugelassen ist. Wenn er also dieses, mühsam mitgeführte, Netzteil auf einer Hütte ins nasse Gras oder gar in den Regen legt, droht ihm zu allem Überfluss Gefahr für Leib und Leben und Technik. So verboten die Outdoor-Nutzung des Ladegeräts damit sein mag, so konsequent und zwangsläufig wird dies derzeit von E-Bike-Reisenden ignoriert. Alternative Lösungen sind zwar vorhanden, aber entweder noch nicht weit verbreitet oder auf ein bestimmtes System ausgelegt.
Steckdose als einziger Standard?
Die gute alte Steckdose wird auf absehbare Zeit auch weiter eine wichtige Rolle in der öffentlichen Infrastruktur spielen, wofür auch Marktführer Bosch Kritik einstecken muss. Bosch ist einer der Anbieter, die besonderen Wert auf die Nutzung des passenden, eigenen Ladegeräts legen, weil das implementierte Sicherheitssystem sich auf beide Komponenten verteilt. Bei Gebrauch einer Nicht-Bosch-Ladestation erlischt der Gewährleistungsanspruch. Unausgesprochen, aber doch legitim spielt hier wohl auch eine Rolle, dass das Ladegerät nicht nur wertvolles Know-how birgt, sondern als recht teure Komponente ein nicht zu verachtender Umsatzfaktor ist.
Unter der gegenwärtigen Situation leiden vor allem diejenigen Marktteilnehmer, die sofort von nutzbaren Standards profitieren könnten, wie beispielsweise die Touristiker. Hier herrsche noch sehr viel Unklarheit, was denn aktuell tatsächlich gebraucht würde, beobachtet Markus Stuckmann, Tourismusdirektor der Ruhpolding Tourismus GmbH. »Viele Leistungsträger und Touristiker sind leicht überfordert mit dem, was es an Systemen gibt und was wirklich benötigt wird. Das hindert viele daran, sich im Detail mit dem Thema auseinanderzusetzen.« Und das, obwohl man bereits jetzt in umgesetzten Projekten beobachten kann, dass Ladestationen als Magnet für E-Bike-Touristen wirken.
Dass eine solche komplexe Situation nicht gerade optimal ist, ist schon lange bekannt. Da kommt es sehr gelegen, dass die EU schon 2010 in weiser Voraussicht die Weichen gestellt hat, um Abhilfe zu schaffen. Mit einer eigens erlassenen Direktive wurde ein Prozess angestoßen, um einen Standard für eine öffentliche Ladeinfrastruktur zu entwickeln.
Der vor fünf Jahren erteilte Auftrag der EU-Kommission, eine Standard-Ladeinfrastruktur zu definieren, ist erst in diesen Tagen erfüllt worden. Das Ergebnis der Arbeit wurde von der EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc vor wenigen Wochen auf der IAA (Internationale Automobil Ausstellung) im Rahmen der G7-Verkehrsministerkonferenz in Frankfurt vorgestellt. Auf Basis der EnergyBus-
Entwicklungen steht nun ein umfassender Standard zur Verfügung – zumindest prinzipiell. In trockenen Tüchern ist nämlich noch nichts. Die Arbeit an den Standards geht in den Gremien und Ausschlüssen munter weiter, tatsächlich abgesegnete Normen gibt es noch nicht.
Nägel mit Köpfen macht unterdessen eine bisher unterschätzte Zielgruppe für E-Bike-Infrastruktur, die erst seit kurzer Zeit in Erscheinung tritt, wie Peter Schitter von Bike-Energy erfreut beobachtet: »Mit den Gewerbekunden ist eine sehr interessante Zielgruppe dazugekommen. So haben sich die Lidl-Gruppe und die Rewe-Gruppe für unser System entschieden. Sie wollen in Zukunft nicht nur E-Bikes verkaufen, sondern auch die entsprechende Infrastruktur auf ihrem Gewerbegrund bieten.« So plant die Lidl-Gruppe, rund 400 Bike-Energy-Ladestationen zu errichten, was alleine schon eine massive Vergrößerung der bestehenden Infrastruktur darstellen würde.
Das Ringen um Standards
Alle wollen eine standardisierte E-Bike-Welt. Weil aber nicht alle die gleichen Vorstellungen davon haben, wie solche Standards aussehen können und wie weit diese Standardisierung gehen soll, gibt es immer noch ein recht zähes Ringen um die Ausgestaltung. Die Fahrradindustrie sträubt sich etwa gegen ein Kommunikationsprotokoll, das zu tief in ihre Systeme eingreifen könnte. Auch die Wahl einer geeigneten Steckverbindung gestaltet sich zäh.
Dr. Richard Aumayer, vormals Leiter der Zentralabteilung Regierungs- und Politikbeziehungen bei Bosch und nun als Berater für das Unternehmen in die Zweirad-Normungsarbeit involviert, hat tiefen Einblick in die aktuelle Entscheidungsfindung. Seiner Darstellung nach sind viele Aspekte einer öffentlichen Ladeinfrastruktur noch Gegenstand von Erörterungen. »Auf dem Gebiet des Steckers gibt es noch Diskussionsbedarf, auf dem Gebiet der Kommunikation gibt es Diskussionsbedarf und es wird noch diskutiert, ob man eine Nachrüstmöglichkeit vorsieht und ob eine Kommunikation in das System zugelassen wird oder nicht.« Diese Punkte zeigen die Komplexität des Themas. Es ist ein durchaus spannendes Zusammenspiel aus der Lösung von technischen Fragen und den im Hintergrund wirkenden eher politischen Zielsetzungen der beteiligten Parteien. Verschiedenste Aspekte wollen berücksichtigt werden.
Der Stecker von EnergyBus etwa bietet neben der Ladefunktion auch eine Schließmöglichkeit für Pedelecs oder Elektroroller. Dabei kommt die Near Field Communication (NFC) Technologie zum Einsatz, wie sie auch die meisten modernen Smartphones mitbringen. Diese Komponente wird von E-Bike-Herstellern jedoch kritisch beäugt. Es wird befürchtet, dass dieser Bestandteil nicht zuverlässig genug funktionieren könnte. Stattdessen will man noch eine alternative Steckervariante von Mennekes (das Unternehmen, das bereits für die Steckverbindung Typ 2 bei Elektroautos verantwortlich zeichnet) prüfen, die nur mit mechanischen Kontakten arbeitet.
Babylonische (Sprach-) Probleme
Ebenfalls spannend ist die Frage nach den Kommunikationsstandards, die zum Einsatz kommen sollen. Die Argumente der Industrie gegen eine weitgehende Standardisierung der Kommunikation ist zum einen, dass man nicht auf eigene Lösungen verzichten will. So sei die mitunter umfangreiche Kommunikation zwischen Ladegerät und Batterie am besten in den Händen einer Instanz, nämlich des Herstellers. Als Systemhersteller sind sie verantwortlich für die Sicherheit und Funktionalität des Gesamtsystems. Aus dieser Position heraus wollen sie nicht zulassen, dass jemand von außen mit diesem System kommuniziert. »Es ist ganz entscheidendes Firmen-Know-how, wie man solche Batterien lädt«, erklärt der Doktor der physikalischen Chemie Aumayer.
Trotz all der ungeklärten Punkte gibt es keinen Grund zu verzagen, denn seit Beginn der Diskussionen ist man einer Lösung der Fragen deutlich nähergekommen. Derzeit läuft die dritte »Commitee Draft« Runde, in der bestehende Entwürfe erörtert werden. Es besteht die verhaltene Hoffnung, dass dies auch die letzte sein könnte.
Eine Lösung rückt näher
Noch ist unklar, wie die Standards endgültig aussehen werden und wann diese kommen. Frühestens Mitte nächsten Jahres könnten Entscheidungen getroffen werden, wenn sich denn bis dahin ein fertiger Entwurf aufbieten lässt, der die Zustimmung der beteiligten Parteien findet. Ob sich die Hersteller mit ihrem Wunsch nach weitgehender Gestaltungsfreiheit durchsetzen werden oder es eine weitgehende Durchnormierung der Ladestrukturen geben wird, ist kaum absehbar. Für den Moment darf man festhalten, dass in der Praxis noch mehr Schatten als Licht in Sachen Ladeinfrastruktur besteht. Man kann es aber auch als Morgendämmerung sehen.
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