Interview // Kooperation VSF und Bico - Teil II
Jeder Händler hat Schulungsbedarf
Teil 1 des Interviews finden Sie hier.
Ein weiterer Aspekt der Zusammenarbeit ist die politische Arbeit. Der vivavelo-Kongress war schon ein erster Aufschlag. Was ist da weiter geplant?
Wöll: Die Kooperation in diesem Bereich gibt es bereits seit vielen Jahren. Sie ist nun verstärkt worden und vor allem wird sie jetzt öffentlich. Wir haben schon immer die Vertretung des Fachhandels übernommen und haben uns damals immer mal wieder erlaubt, für die ganze Branche zu sprechen. Das machen wir nicht mehr. Wir sind ein Fachhandelsverband. Wir wollen genau diesen vertreten, und wenn wir nun mit der Stimme von weit über 1000 Händler sprechen können, dann ist das etwas komplett anderes, als von 250 Händlern zu sprechen. Im Hintergrund machen wir bereits Umfragen gemeinsam mit den Bico-Händlern und erörtern zusammen politische Themen. Das wird auch der nächste Schritt sein: Was ist denn politisch gewollt in den Verbänden? Welche Unterstützung sucht der Fachhandel? Diese Interessen wollen wir im Bund, gegenüber den Ländern, den Städten und Kommunen vertreten. Als Allererstes haben wir die Grundlagen geschaffen, die inhaltliche Arbeit muss jetzt folgen.
"Auch die besten Händler unter uns, und gerade die, haben sicher nichts dagegen, noch besser zu werden."
Jörg Müsse
Die Weiterbildung und Schulung der Händlerschaft und ihrer Mitarbeiter erfährt derzeit viel Aufmerksamkeit. Wie ist der aktuelle Stand in dieser Hinsicht? Sind die Händler schon gut oder ist es eine Großbaustelle?
Müsse: Meine Einschätzung ist ganz klar, dass ein ganz großer Teil der Fachhändler, die sich im VSF und in der Bico organisiert haben, als die qualifiziertesten zwei Händlergruppen gelten. Ich weiß, dass dies von großen Streckenlieferanten überprüft wurde. Es gibt Panels und Studien dazu. Trotzdem sind wir noch lange nicht am Ende. In Schulnoten geht das von bestenfalls 1- und 2+ bis zur 3-. In jedem Fall ist genug Entwicklungspotential da. Auch die besten Händler unter uns, und gerade die, haben sicher nichts dagegen, noch besser zu werden.
"So individuell die Händler sind, so individuell ist auch ihr Fortbildungsbedarf."
Uwe Wöll
Wöll: Im Grunde hat jeder Händler Bedarf. Es gibt Händler, die haben konkreten und massiven Weiterentwicklungsbedarf, weil sie bisher ihr Geschäft nur nach eigenem Ausbildungsstand und besten Wissen und Gewissen betreiben. Auf der anderen Seite stehen Händler, die jede Schulung mitnehmen und seit Jahren in Erfa-Gruppen organisiert sind. Letztere haben verstanden, dass sie nur eine permanente Weiterentwicklung vorne hält – was deren Zahlen auch belegen. Dazwischen bewegt sich natürlich alles. Je nach Fokus sind Händler z.B. perfekt in der Werkstatt aufgestellt, haben aber Bedarf im Verkauf – oder umgekehrt. Es gibt eben alle Facetten! So individuell die Händler sind, so individuell ist auch ihr Fortbildungsbedarf. Deswegen nennen wir den Begriff der 360-Grad-Beratung. Alles, was der Händler zur Weiterentwicklung braucht, müssen wir anbieten können. Dazu gehört Einrichtungsberatung in allen Bereichen, das Thema Finanzen genauso wie das Recruiting. Alles muss möglich sein.
So intensiv, wie die aktuelle Zusammenarbeit nun aussieht, stellt sich eine Frage, die VSF und Bico in ihrer Kooperationsmitteilung eigentlich schon ausgeschlossen haben: Es sieht ein bisschen aus wie eine Verlobung, ist denn da eine Hochzeit in absehbarer Zeit in Sicht? Oder wenigstens eine Vernunftehe?
Müsse: Das ist ja ein verstaubtes Familienbild. Und das ist auch schon die Antwort. Klar rücken wir näher zusammen, weil wir gemeinsame Interessen haben. Das Wort Ehe im rechtlichen Sinne, es schwingt ja etwas wie eine Fusion mit, ist nichts, worüber wir jemals gesprochen oder auch nur nachgedacht haben. Das sind Dimensionen, die am Ende wahrscheinlich nicht mehr zeitgemäß sind. Ich meine das ganz ernst: Ich glaube, wir werden nur dann Gutes für unsere Fachhändler und den Mobilitätswandel tun können, wenn wir in gute Kooperationen hineingehen. Die können mal enger und an manchen Stellen sehr eng sein, aber diese Idee, wir könnten fusionieren, diese Diskussion bringt uns inhaltlich gar nicht weiter. Mir ist es viel wichtiger zu sagen, wir bauen eine gemeinsame Akademie auf für alle qualitätsorientierten Fachhändler in Deutschland. Das ist für mich viel wichtiger.
Wöll: Es geht ja auch um DNA und eigene Herkunft. Die ist bei uns sehr ausgeprägt und wir haben eine lange Geschichte.. Deswegen machen wir eine Kooperation, die sinnvoll und richtig ist und wollen diese stark gestalten. Alles Weitere ist für uns erst einmal irrelevant und kein Thema. Wichtiger ist, den gesamten Fachhandel weiterzuentwickeln.
Müsse: Ein Beispiel, wo der gesamte Fachhandel teilhaben kann, ist Bikes.de. Dieses Digitalisierungsthema ist offen für alle Fachhändler, verbandsunabhängig. Es ist kein Bico-Projekt. Daran merkt man vielleicht, wie die Bico seit Jahren tickt: Wir wollen den Kuchen insgesamt größer machen, nicht nur unser Stück am Kuchen.
Wagner: Im Moment haben wir etwa 30 Nicht-Bico-Händler auf der Plattform. Das ist prozentual gar nicht so wenig. Wir wollen uns da offen zeigen und für den Fachhandel da sein. Das ganz exklusive Denken ist auch in dieser Hinsicht ein wenig verstaubt.
"Es geht nicht darum, Canyon digital nachzubauen und dann direkt zu liefern. Wir bieten den Endkunden eine Plattform, auf der sie sich online informieren können, sehen, welcher Händler welche Räder hat, aber dann im besten Fall im Fachhandel einkaufen."
Georg Wagner
Es wurde schon angedeutet, dass der Bereich Digitales noch ausgebaut werden wird. Was wird das größte Projekt aus Digitalisierungssicht werden in dieser Zusammenarbeit?
Wagner: Wir haben viele Themen, die zusammenhängen. Wir haben viele Händler, die wir vor Ort digitalisieren müssen. Das Stichwort ist hier Warenwirtschaft, die immer noch von vielen nicht genutzt wird. Das nächste Thema ist, wie man im Handel die eigenen Produkte digital anlegt. Auch das ist sehr wichtig. Nur so kann man sich mit externen Systemen verbinden, etwa einem Marktplatz. Wenn man keine saubere Produktdatenpflege hat, wird es schwerfallen, sich an externen Marktplätzen anzubinden beziehungsweise die Produkte dort zu verkaufen.
Genau diesen Punkt, dass mehr Kunden wieder zum Fachhandel gehen, wollen wir mit Bikes.de abbilden. Es geht nicht darum, Canyon digital nachzubauen und dann direkt zu liefern. Wir bieten den Endkunden eine Plattform, auf der sie sich online informieren können, sehen, welcher Händler welche Räder hat, aber dann im besten Fall im Fachhandel einkaufen. Das alles ist ein Prozess und eine Entwicklung, die nicht auf Knopfdruck funktioniert. Da müssen die Händler geschult und mitgenommen werden. Wir müssen viel mehr Dienstleistungen darum herum bauen, weil wir die Händler mit der Produktanlage nicht alleine lassen können. Wenn man das alles zusammenbekommt, bietet man dem Händler einen Service, bei dem er sich auf sein Tagesgeschäft konzentrieren kann, wir ihn aber dabei bei der Digitalisierung und beim Verkauf unterstützen.
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