Marktzahlen - Branchenkennzahlen Fahrradhandel
Jobmotor Fahrradhandel
Die hier vorgestellten Tabellen kommen beide von den Finanzbehörden, der gleichen Quelle wie die Umsatzsteuerstatistik. Sie sind also sehr genau. Und sie machen deutlich, dass sich der Fachhandel keinesfalls zu verstecken braucht, wenn es um seine Bedeutung geht. Ganz im Gegenteil.
Die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen im stationären Fachhandel zeigt, dass er sich in den letzten Jahren zu einem großen Jobmotor entwickelt hat. Trotz der zum Teil noch vorläufigen Zahlen für die vergangenen zwei Jahre ist klar, dass aktuell mehr Menschen im Fahrradhandel in Lohn und Brot stehen als je zuvor. Allerdings ist die Entwicklung dahin ausgesprochen interessant.
Bereits Mitte der Neunzigerjahre, in den Hochzeiten des Mountainbike-Booms, hatte der Fahrradhandel ein beachtliches Beschäftigungsniveau erreicht. Danach ging es aber langsam und stetig bergab. Bemerkenswert sind die zwei besonders harten Jahre 2005 und 2006 mit bis zu 17 Prozent Stellenabbau pro Jahr im Radhandel. Zur Erinnerung: 2003 ging als »Jahrhundertsommer« in die Geschichte ein. Der nach wie vor wärmste Sommer seit Wetteraufzeichnung in Deutschland, Österreich und der Schweiz brachte der Branche ein besonders erfolgreiches Jahr mit Rekordzahlen. Erst zwei Jahre später kam es zum Einbruch der Beschäftigtenzahlen.
In knapp drei Jahrzehnten Einzelhandel mit Fahrrädern ist eine ganze Menge passiert. Die Entwicklungen spiegeln sich oft direkt in den Beschäftigtenzahlen.
Man darf hoffen, dass dies nicht ein Vorzeichen für die aktuelle Marktphase ist. Wie lange ist noch mal die Corona-Sonderkonjunktur her? Damals spielten allerdings Elektrofahrräder noch keine Rolle und auch sonst gab es nur wenig markttragende Trends. Der Rückgang der Beschäftigtenzahlen ging noch weiter bis zum Tiefpunkt im Jahr 2009, als dann die Trendumkehr begann. Seitdem gibt es jedes Jahr und ohne Ausnahme stetiges Stellenwachstum. Hallo E-Bike! Das Tempo des Personalaufbaus hat sich dabei immer weiter beschleunigt. Das führt zu den aktuellen Niveaus.
Beschäftigungsrekorde erst seit Corona
Im Jahr 2020 kamen dann auf 5822 tätige Inhaber und Inhaberinnen 32.143 Angestellte und weitere 587 »sonstige Beschäftigte«. Insgesamt waren also 38.552 Personen im stationären Handel beschäftigt. Dies ist ein großer Sprung zum Vorjahr, als noch insgesamt 33.812 Menschen ihr Berufsleben im Fahrradhandel führten. Innerhalb eines Jahres ist laut Statistik die Zahl der im Handel und seinen Werkstätten Beschäftigten um 10,4 Prozent gestiegen. Dieser starke Zuwachs hält nun schon im dritten Jahr an und hat sich erst im Jahr 2022 zum ersten Mal seit 2011 verlangsamt. Die Zahlen nach 2020 sind noch vorläufig, aber werden sich absehbar nur noch marginal verändern. Im Jahr 2021 arbeiteten diesen Zahlen zufolge noch mal 11,3 Prozent mehr Menschen in der Branche und 2022 stieg die Zahl um weitere 7 Prozent. Wenn man diese provisorischen, prozentualen Steigerungen hineinrechnet, sind aktuell fast 46.000 Menschen im stationären Fachhandel beschäftigt. Dazu kommen noch all jede Fahrradexperten und -expertinnen, die im Sportfachhandel, bei Discountern und Baumärkten, Mobilitätshäusern, Online-Anbietern und sonstigen Branchen hauptberuflich mit Fahrrädern zu tun haben.
Insgesamt, und das ist bemerkenswert, arbeiten erst seit dem Corona-Fahrradboom wieder mehr Menschen im stationären Fachhandel als 1994. Auch das erlaubt einen tiefen Einblick, wie sich die Branche über die Jahrzehnte verändert hat und welche Aufs und Abs sie hinter sich hat. Von vielen kleinen Händlern hin zu immer weniger, dafür aber immer größeren Fachbetrieben hat der Arbeitsmarkt in dieser Zeit eine bemerkenswerte V-Kurve in die Statistik gezeichnet. Trotzdem: Seit dem Tiefststand in 2008/2009 hat sich die Zahl der Beschäftigen im stationären Fahrradhandel ziemlich genau verdoppelt.
In anderen Kernteilen der Branche wie Industrie und Services ist es vermutlich nicht schlechter gelaufen. Das ist ein Pfund, mit dem man wuchern gehen kann, wenn es das nächste Mal darum geht, welche Branchen zukunftsfähig und förderungswürdig sind. Der Vergleich mit dem gesamten Einzelhandel zeigt ebenfalls die Ausnahmestellung des Fahrradhandels. Im gleichen Zeitraum nahm die Zahl der Beschäftigten im Einzelhandel nur um etwas mehr als 10 Prozent zu.
Unterschiede zwischen Männern und Frauen
Seit jeher gilt die Fahrradwelt im Großen und Ganzen als Männerdomäne. Schmutzige Hände und übermäßige Begeisterung für Fahrradtechnik sind nun mal was für Jungs – so das Klischee. Umso bemerkenswerter ist daher die Verteilung der Geschlechter im Fahrradhandel über die letzten Jahre. Im Jahr 2006 zählt die Statistik 14.628 Männer und 9019 Frauen im stationären Fachhandel. Dieses Verhältnis von annähernd 60 zu 40 belegt, dass die Wahrnehmung der vermeintlichen Männerdomäne ziemlich täuscht.
Die Zahl der Beschäftigten im Fahrradhandel wächst nun schon seit vielen Jahren. Wenn man die jüngsten Entwicklungen berücksichtigt, hat sich die Zahl seit 2008 glatt verdoppelt. Eine einmalige Erfolgsgeschichte.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich seitdem die Zahlen deutlich in Richtung der Männer verschoben haben. Denn seit 2006 ging es zunächst steil bergab mit dem Frauenanteil. Die gute Nachricht: Seit 2017 steigt die Zahl der Frauen wieder deutlich. Jedes Jahr wurden rund 10 Prozent mehr Frauen im stationären Handel eingestellt. Erstaunlich ist, was dann im Corona-Jahr 2020 geschah: Von den 4740 neuen Mitarbeitern waren die meisten genau das: männlich. In diesem Jahr lag der Frauenanteil bei den Neueinstellungen bei knapp unter 10 Prozent. Das ist eine deutliche Abweichung vom langjährigen Schnitt. Dieses Jahr allein verschlechterte sich das Geschlechterverhältnis von 68 zu 32 auf nun 71 zu 29. Ist der Fahrradhandel also nun doch eine Männerdomäne oder nicht? Das hängt natürlich auch mit den Positionen zusammen, die die Geschlechter bekleiden. Diese Zahlen liegen aber leider nicht vor.
Es wäre naheliegend zu spekulieren, dass die Überzahl der Männer auch mit Teilzeit- versus Vollzeitstellen zu tun haben könnte. Tatsächlich hat bis zur Corona-Krise die Zahl der Teilzeitstellen etwas stärker zugenommen als bei Vollzeit. In 2020 drehte sich dies dann um, aber nicht so gravierend, dass es als alleinige Erklärung taugt. In diesem Jahr stieg die Zahl der Vollzeitstellen um 11,8 Prozent, zugleich wurden 8,9 Prozent mehr Teilzeitbeschäftigte gezählt. Beides sind Rekordwerte in den verfügbaren Daten seit 1994.
Wenn man sich die Zahlen auf Monatsbasis ansieht, dann sieht man für die jüngste Vergangenheit ein Abflauen der Einstellungspraxis. Für den Januar 2023 steht »nur« noch ein Plus von 6,3 Prozent in den Büchern, dieser Herbst und Winter waren sogar noch verhaltener. Seit August 2022 liegen die Einstellungen auf dem niedrigsten Niveau seit April 2020, aber noch immer über 5 Prozent.
Entspanntere Fachkräftegewinnung?
Corona hat damit den immerzu beklagten Personalmangel offenbar etwas gelindert, zumindest in der Hinsicht, dass nun mehr Menschen im Handel arbeiten. In anderen Branchen freigesetztes Personal ließ sich für das Fahrrad begeistern. Von 2020 bis vergangenes Jahr konnte praktisch alljährlich zehn Prozent Personalzuwachs verzeichnet werden. Ein enormer Zuwachs auf diesem erreichten Niveau. Aber ist es im Großen und Ganzen heute tatsächlich eine leichtere Aufgabe geworden, Menschen für die Fahrradbranche und insbesondere den Fahrradhandel zu gewinnen? Oder ist die Situation schärfer als je zuvor? Gerade im Werkstattbereich hört man eher wenig von frisch ausgebildeten Fachkräften, die nun massenhaft zur Verfügung stünden. Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist ganz im Gegenteil auf ausgesprochen niedrigem Niveau. Sehr viel des neuen Personals sind Quereinsteiger und -einsteigerinnen, die ihre neue Tätigkeit auf den verschiedensten Ebenen antreten. Wer entsprechende Fahrradqualifikationen nachweisen kann, dürfte nach wie vor ein gefragter Mann und eine gefragte Frau bleiben. Man darf gespannt sein, wie die nächsten Jahre verlaufen werden im Spannungsfeld zwischen wachsenden Filialketten, generell immer größeren Verkaufsflächen und damit auch steigendem Wettbewerbsdruck.
Noch ein Wort zu den Daten: Wer die Tabellen aufmerksam vergleicht, stellt fest, dass die Zahlen nicht hundertprozentig übereinstimmen, wenn es um Zuwächse und Rückgänge geht. Das erklärt sich hauptsächlich über die verschiedenen Zeitpunkte, zu denen gezählt wird. In Tabelle 2 ist der 30. September der Stichtag, in Tabelle 1 ist es der Jahreswechsel, in den dann das ganze Vorjahr einfließt. //
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