Arbeitsmarkt - Frauen in der Fahrradbranche
Klar können auch Frauen Fahrrad
Dass die Fahrradbranche nach wie vor eine Männerdomäne ist, belegen die Zahlen neu abgeschlossener Ausbildungsverträge des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB): Demnach traten 2022 18 Frauen (243 Männer) eine Ausbildung zur Fahrradmonteurin an. 2023 waren es 30 Frauen (228 Männer). Steigende Tendenz also, die sich aber bei der Ausbildung zur Zweiradmechatronikerin nicht wiederholt. Für diesen Ausbildungsberuf entschieden sich 2022 und 2023 jeweils 105 Frauen (2022: 1.170 Männer; 2023: 1.116 Männer).
Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass es dabei große regionale Unterschiede gibt. Zwar fehlen explizite Zahlen für die Fahrradbranche, doch zu den MINT-Berufen (Technikberufen), zu denen sowohl der Fahrradmonteur als auch die Zweiradmechatronikerin zählen, gibt es sie sehr wohl: Berlin war zum Stichtag im September 2022 Spitzenreiter mit 22 Prozent Frauen, das Schlusslicht ist das Saarland mit 13,3 Prozent Frauen in MINT-Berufen.
Annette Blum, die seit über 30 Jahren in der Fahrradbranche und seit 2008 neben Reiner Probst in der Geschäftsführung beim Berliner Fahrradladen »velophil« arbeitet und gelegentlich einen Austausch unter den Beschäftigten in ihrem Netzwerk organisiert, weiß dazu eine Anekdote: »Vor einiger Zeit kam ein Verkäufer aus München zu uns. Damals waren wir in unserem Werkstatt-Team drei Frauen, Männer gab es nur im Verkauf. Kunden zweifelten nur sehr selten unsere fachliche Qualifikation an, aber der Münchner Kollege konnte das kaum glauben. Er fragte immer wieder: ›Aber wenn ihr bei Lieferanten anruft, die nehmen euch doch nicht ernst, oder?‹ Da war klar: Die Diskrepanz zwischen Berlin und Bayern ist bei dem Thema ›Frauen in MINT-Berufen‹ eklatant groß.«
Schon als Kind der Wunsch nach Handwerk
Spricht man mit Frauen in der Fahrradbranche, kristallisiert sich schnell heraus, dass der erste Schritt dorthin schon im Kindesalter gegangen wurde. »Ich wollte nie in einem Büro sitzen«, erzählt Blum. »Das hat viel damit zu tun, dass ich immer im Werkstattkeller meines Vaters spielen und alles benutzen durfte, was ich dort fand – solange ich es wieder ordentlich aufräumte. Für meine Eltern war es auch in Ordnung, dass ich nachts über den Sperrmüll zog, um Schrotträder zu sammeln, die ich dann wieder fit machte.«
»Wir brauchen ein frauenfreund-licheres Image nach außen. Denn die Vorstellung ›Wir nehmen nur Schrauber‹ kann sich der Fahrradfachhandel schon lange nicht mehr leisten. Sie tut ihm auch nicht gut.«
Niklas Gustke
Renate Steiger und ihre Tochter Vanessa Steiger-Dehner sind neben dem Schwiegersohn Sven Dehner die Geschäftsführerinnen der »Fahrrad XXL Kalker GmbH« in Ludwigshafen-Oggersheim. Gegründet wurde der Betrieb 1922 von Anna Kalker, der Groß- beziehungsweise Urgroßmutter. Seitdem führten immer Frauen den Betrieb, in dem heute rund 200 Angestellte arbeiten. »Dadurch, dass sowohl meine Mutter als auch ich im Fahrradgeschäft aufwuchsen und immer dabei waren, war der Einstieg praktisch in die Wiege gelegt«, blickt Vanessa Steiger-Dehner zurück.
Auch Jenny Andersen, eine »leidenschaftliche Zweiradmechanikerin«, die seit sechseinhalb Jahren als Fahrradberaterin und Werkstattleiterin im Berliner »Bicicli Cycling Concept Store & Bicicli Solutions« arbeitet, lernte handwerkliches Geschick schon als kleines Kind, als sie auf Opas Werkbank saß und ihm half.
Zeichen unterschiedlicher Zeiten
Annette Blum ließ sich im Beruf der Mechanikerin ausbilden. »Der Beginn meiner Ausbildung fiel in die Zeit, als gesellschaftspolitisch gefordert wurde: ›Frauen in Männerberufe‹. Ich habe also mit meinem Wunsch, einen Metallberuf zu lernen, offene Türen eingerannt«, blickt sie zurück. »Mein Ausbildungsbetrieb war – glaube ich – auch ein bisschen stolz darauf, zu den Progressiven zu gehören.«
Jahre später war die Lage schon wieder eine andere. Jenny Andersen suchte nach ihrem Schulabschluss 2001 lange nach einer Ausbildungsstelle. »Zuerst bewarb ich mich in Kfz-Werkstätten, bekam aber nur Absagen. Die frustrierendste war die einer Werkstattleiterin, die mir explizit sagte: ›Wir haben nur Jungs genommen.‹« Andere fragten, ob sie sich darüber klar sei, dass sie sich die Hände dreckig machen würde. »Erst 2003 klappte es in Magdeburg bei ›Little John Bikes‹. Dort lernte ich zusammen mit zwei Jungs. Der Umgang untereinander war damals noch sehr eigen. Als sie zum Beispiel einmal über ›Jungssachen‹ sprachen und ich zuhörte, meinten sie: ›Na, damit kannst du nichts anfangen.‹ Diese Stereotype machten es nicht leicht, in einem Beruf, den vor allem Männer ausüben, zu bestehen. Heute löst so etwas nur noch Kopfschütteln aus. Allerdings war ich damals auch noch sehr unsicher.« Jetzt ist Andersen selbstbewusster und kann kontern, wenn männliche Kunden fragen: »Kann ich mal den Werkstattleiter sprechen?« Doch diese Art Kunden sind mit der Zeit weniger geworden. Dies bestätigt auch Renate Steiger von Fahrrad XXL Kalker, indem sie die fachliche und persönliche Kompetenz als Argument für die Anerkennung seitens der Kundschaft ins Feld führt.
Niklas Gustke, Inhaber der »E-motion ebike Welt« in Worms und Heidelberg, geht davon aus, dass sich beim Kundenkontakt vordergründig nicht viel ändert, wenn eine Frau sich als Werkstattleiterin vorstellt. »Weibliche Kundinnen reagieren sogar eher positiv. Und bei Männern, die aus irgendeinem Grund vielleicht gerade etwas aggressiv gestimmt sind, fällt auf, dass sich die Atmosphäre, in der das Gespräch stattfindet, oft abrupt ändert: Es kommt dann zu einem ›echten Gespräch‹, in dem das Alpha-Männchen-Getue wie weggewischt ist.«
Gustke hatte schon immer Frauen in seinen Teams. Die Filiale in Worms eröffnete er vor elf Jahren, Heidelberg kam 2019 dazu. Derzeit sind fünf Frauen in Teil- oder Vollzeit im Backoffice, Verkauf oder in der Werkstatt beschäftigt. Diverse Teams weiten seiner Meinung nach den betrieblichen Horizont und bringen andere Perspektiven in den Betrieb, die in homogenen Männer-Teams so kaum möglich wären. Seit Oktober letzten Jahres leitet Sandra Held seine Wormser Werkstatt. Gleichzeitig ist sie die stellvertretende Betriebsleiterin. »Klar sind Frauen per se keine besseren Menschen, doch werden sie immer noch anders als Männer sozialisiert und sind oft empathischer und kommunikativer. So kommuniziert Sandra in der Werkstatt, in der sechs Männer arbeiten, immer sehr offen. Sie hält das Team zusammen, fördert jeden Einzelnen und agiert glaubwürdig. Alles Faktoren, die die Männer gerne annehmen und auch schätzen«, hebt Gustke hervor.
Bewerberinnen sind eher selten
Trotzdem bewerben sich nur wenige Frauen im Fahrradfachhandel. Davon berichtet nicht nur Annette Blum. Sie führt dies unter anderem auf tief sitzende Rollenbilder zurück, die sich gesamtgesellschaftlich ändern müssten. »Auch die Fahrradindustrie könnte progressiver sein. Wieso reden zum Beispiel im Jahr 2024 noch so viele von ›Herrenrädern‹, wenn die klassische Diamantform gemeint ist? Löblicherweise ändert sich das immer mehr, die Firma Stevens zum Beispiel hat ab diesem Jahr die Kategorien ›Gent‹ und ›Lady‹ gegen ›High Tube‹ und ›Low Tube‹ getauscht.«
Isabell Eberlein engagiert sich schon seit langer Zeit für einen größeren Frauenanteil in der Fahrradbranche.
Neben Annette Blum nimmt auch Jenny Andersen von Bicicli Cycling Concept Store & Bicicli Solutions eine Rückwärtsrolle in Sachen Gleichberechtigung wahr. »In der aktuellen Bewerbungsrunde war keine Frau dabei. Auch bei uns ist jetzt neben mir nur noch eine Frau im Verkauf. Dabei startete unser Team mit mehr Frauen.« Diese Entwicklung ist angesichts der steigenden Affinität zum Fahrradfahren bei Frauen umso verwunderlicher. Ein gesellschaftliches Rollback verschärft die Lage auch deshalb, weil sich Frauen bevorzugt in den Betrieben bewerben, wo bereits Frauen arbeiten. Das weiß auch Andersen. Hinter der Bewerbung einer Umschülerin, die seit April in ihrem Team arbeitet, stand genau diese Motivation.
Niklas Gustke appelliert deshalb an die Händlerinnen und Händler: »Wir brauchen ein frauenfreundlicheres Image nach außen. Denn die Vorstellung ›Wir nehmen nur Schrauber‹ kann sich der Fahrradfachhandel schon lange nicht mehr leisten. Sie tut ihm auch nicht gut. Wir brauchen in den Betrieben Offenheit und Diversität, die nach außen ausstrahlt. Dann bewerben sich sicher auch mehr Frauen.«
Wie es gehen könnte
Isabell Eberlein, eine der drei Geschäftsführerinnen der »Velokonzept GmbH«, gründete 2021 zusammen mit dem Handels- und Industrieverband Cycling Industries Europe (CIE), dem Europäischen Radfahrerverband (ECF) und der Mobilitätsberatungs- und -planungsfirma Mobycon das europaweite Netzwerk »Women in Cycling«. Ziel der Initiative ist es, mehr Frauen als Beschäftigte in die Fahrradbranche zu bringen. Gelingen soll dies über eine verstärkte Förderung der Gleichstellung und Vielfalt sowie über gute Networking-, Mentoring- und Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen. »Denn nur dann ist die Branche für Frauen überhaupt attraktiv.«
Kurz vor der letzten Eurobike beschlossen die deutschen Bündnismitglieder, ihren Arbeitsschwerpunkt künftig vor allem auf die nationale Netzwerkvariante »Women in Cycling Germany« zu legen, ohne die europäische aufzugeben. Die Macherinnen riefen eine gleichnamige Linkedin-Gruppe ins Leben, über die nun der bundesweite Austausch läuft. Zudem geben sich die Frauen gegenseitig Rückenwind.
»Um die Strukturen in der Branche für Frauen attraktiver zu gestalten, müsste zunächst die aktuelle Datenlücke geschlossen werden, denn für Deutschland gibt es bisher keine quantifizierbaren Werte zu den Fragen, wie viele und unter welchen Bedingungen Frauen in der Fahrradbranche arbeiten. Die brauchen wir aber, um überlegen zu können, an welchen Stellschrauben wir drehen müssen, damit sich Frauen selbstverständlicher in Betrieben der Fahrradbranche bewerben«, beschreibt Isabell Eberlein die derzeitige Herausforderung.
Darüber hinaus seien strukturelle Veränderungen in den Betrieben nötig, denn auch in der Fahrradbranche existiere der sogenannte Gender-Pay-Gap. »Das ist künftig nicht mehr haltbar«, merkt Eberlein kritisch an. »Neben mehr Transparenz auch in der Frage der Arbeitszeitregelungen sollten Händlerinnen und Händler zudem Möglichkeiten schaffen, um ihren Betrieb gegenüber potenziellen Bewerberinnen sichtbarer zu machen, zum Beispiel über einen Tag der offenen Tür.«
Fahrradmessen böten ebenso Möglichkeiten, um sich als Arbeitgeberin oder -geber bei Frauen zu präsentieren. »Zuletzt gab es im April auf der VELOBerlin wieder Gelegenheit dazu. Das VeloLAB veranstaltete dort in Kooperation mit dem Verbund Service und Fahrrad (VSF) und der Initiative Fahrrad-Berufe.de ein sogenanntes ›VELOJobs Matchmaking‹: Händlerinnen und Händler waren aufgefordert, arbeitssuchenden Frauen ihre freien Stellen vorzustellen und ins Gespräch zu kommen«, erklärt Eberlein das Konzept.
Betriebe, die Frauen ansprechen möchten, sollten nichts dem Zufall überlassen. Wichtig ist, sich ein Ziel zu setzen. Dies könnte zum Beispiel lauten: »Bis September 2025 möchte ich eine Frau als Auszubildende für die Werkstatt finden.« Ist das Ziel klar, sollten sich Händlerinnen und Händler eine individuelle Strategie zurechtlegen. Dabei gilt es auch herauszufinden, warum sich Frauen gegen eine Bewerbung entscheiden. Hierbei helfen Gespräche im eigenen Bekanntenkreis eventuell weiter. So verbinden manche Frauen mit einer Werkstatt vielleicht eine unattraktive Arbeitsumgebung und einen rauen Umgangston. Ist dem so, ist zu überlegen, ob man diese Faktoren im eigenen Betrieb so beeinflussen kann, dass er frauen- (und männer-)freundlicher wird.
Ist die Ausbildung abgeschlossen, sollten Händlerinnen und Händler Frauen dazu motivieren, Ausbilderinnen zu werden, damit das Ansinnen, den Betrieb diverser zu machen, verstetigt wird. Jenny Andersen schlug diesen Weg bereits ein. Seit 2023 ist sie nach erfolgreichem Bestehen der Ausbildereignungsprüfung zertifizierte Ausbilderin. //
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