Gesprächsrunde
Kampf gegen den Fachkräftemangel in der Branche annehmen
Die Fahrradbranche erlebte in den letzten Jahren einen Boom bisher unbekannten Ausmaßes. Das hat auch Auswirkungen auf den Stellenmarkt. „Lange Jahre galt die Fahrradbranche als unsexy, weil wenig Geld bezahlt wurde. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Es gibt höhere Umsätze und höhere Absätze, aber jetzt fehlen die Leute“, so der Ulf-Christian Blume von der Unternehmensberatung 53-elf. Speziell im Bereich des Ausbildungsberufs des Zweiradmechatronikers besteht ein hoher Bedarf an neuen Auszubildenden, der allerdings nicht gedeckt wird. Aktuell belegt der Ausbildungsberuf Platz 75 in der Ausbildungsstatistik des Bundesinstituts für Berufsbildung. Laut Uwe Wöll, Geschäftsführer des Verband Service und Fahrrad (VSF) müssten aber rund 15.000 Stellen deutschlandweit neu besetzt werden.
„Wir haben es 2020 erlebt. Es wurde in vielen Werkstätten am Limit gearbeitet, aber trotzdem kam man nicht hinterher“, so Wöll. Eine Folge: Der Handel würde sich beim Verkauf und der Beratung auf teure Räder konzentrieren, weil keine Kapazitäten mehr für günstige Produkte vorhanden wären. „Fahrradmarken in diesem Bereich werden unter Druck geraten, weil der Handel sie nicht mehr führen wird“, vermutet Wöll. Er gibt jedoch auch zu bedenken, dass der Fachkräftemangel von Region zu Region unterschiedlich ist. Insgesamt sei die Zeit für die Branche aber gut. Der Fahrradmarkt genießt eine hohe Attraktivität und einen hohen Stellenwert – gerade bei jungen Menschen. „Es ist jetzt die Zeit angebrochen, um Menschen aus der Automobilbranche abzuwerben“, sagt Wöll.
Attraktivität der Branche steigt
Im Wettbewerb um die besten Köpfe könne sich der Fahrradbereich mit anderen Branchen mittlerweile messen, ist sich auch Blume sicher. Als Beispiel nennt er den Premium-E Bike-Hersteller Riese & Müller, der im Großraum Frankfurt am Main in direkter Konkurrenz zu anderen Branchen steht, sich aber als attraktiver Arbeitgeber etabliert habe. Es werden in den Fahrradbranche mittlerweile auch Gehälter gezahlt, die auf dem Niveau anderer Branchen seien. Aber nicht jeder Hersteller kann wiederum diese Entwicklung mitgehen, wie Stephanie Römer, Geschäftsführerin des Herstellers Tout Terrain, bestätigt. Das Unternehmen aus Freiburg beschäftigt rund 30 Mitarbeitende und ist aufgrund eines starken Wachstums in den letzten Jahren auf der Suche nach neuem Personal. Was früher mit Stellenausschreibungen in der Zeitung und Mund-zu-Mund-Propaganda funktionierte, bedarf heute einer Recruiting-Kampagne. Die Quantität an Bewerbungen habe sich zwar erhöht, die Qualität lässt sich bislang schwer beurteilen – auch weil mit manchen Bewerberinnen und Bewerbern keine Einigung beim Gehalt erzielt wurde. „Da lagen wir schon erheblich auseinander“, sagt Römer, die darauf hinweist, dass es gerade für kleinere Unternehmen unbesetzte Stellen schmerzhaft seien: Kommen dann noch Urlaub oder Krankheit dazu, fehle es schlicht an einer guten „Ersatzbank“ und die Belastung steige für das Stammteam weiter. Gewissermaßen wird in Unterzahl gespielt, um den Sportvergleich zu Ende zu bringen.
Branchenkenntnis lässt sich erlernen
Deshalb ist das Recruiting mit einem wachsenden Mehraufwand für Unternehmen verbunden, der sich langfristig aber lohnen sollte. „In erster Linie ist die fachliche Qualifikation wichtig, die Branchenerfahrung kann man sich aneignen“, so Römer, die bewusst nach Menschen mit mehrjähriger Berufserfahrung sucht. Initiativen wie das neue Schulungsprogramm bootcamp.bike von pressedienst-fahrrad-Gründer Gunnar Fehlau (velobiz.de berichtete) kann sie nur unterstützen.
Junge Leute finden Fahrrad sexy
Auf die Karte eigene Ausbildung setzt das Unternehmen SKS Germany. Um die zehn Azubis werden jährlich bei dem sauerländischen Traditionsunternehmen eingestellt. Über Aktivitäten in Schulen bringt sich das Unternehmen früh ins Spiel – und profitiert zusätzlich durch seinen guten Ruf sowie die Bekanntheit seiner Produkte. „Das macht es uns leichter, gerade junge Menschen anzusprechen“, sagt Christoph Hillebrand, der den Ausbildungsbereich verantwortet. Er weiß aber auch, dass es in ländlichen Regionen immer schwieriger wird, Bewerberinnen und Bewerber zu erreichen. Man habe sich deshalb mit mehreren örtlichen Unternehmen zusammengeschlossen, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. „Wir sehen uns dabei nicht als Konkurrenten um die besten Köpfe, sondern wollen den Ausbildungsmarkt in der Region grundsätzlich stärken“, so Hillebrand. Um die Jugendlichen langfristig im Unternehmen und der Region halten zu können, muss das Gesamtpaket stimmen. „Sie müssen sich wohl fühlen, Spaß haben und vor allem: Sinn in ihrer Arbeit sehen. Wir profitieren deshalb als ganze Branche aktuell, weil das Thema Fahrrad bei Jugendlichen sexy ist“, so Hillebrand.
Branche wird weiterwachsen
Doch wie lange wird das Thema so sexy bleiben? „Es ist gerade schwierig, langfristig zu denken, weil wir nicht wissen, was in fünf Jahren ist. Wir können daher gar nicht sagen, welche Position wir im Unternehmen besetzen müssen“, sagt Stefanie Römer. Dennoch gehen Experten von einem Wachstum des Fahrradmarktes mindestens bis 2030 aus. „Die Mobilitätswende wird die Branche weiter beflügeln. Die Corona-Pandemie hat bereits gezeigt, dass neue Menschen aufs Fahrrad kommen“, fasst Blume die Entwicklung zusammen. Deshalb werde auch der Fahrradmarkt als Arbeitergeber interessant bleiben – sowohl im Handel aus auch in der Industrie. Wobei hier auch auf moderne Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingegangen werden muss. Während größere Betriebe Schichtarbeit und Teilzeit ermöglichen können, ist in vielen kleinen Werkstätten eine Sechs-Tage-Woche noch immer Standard. „Das ist nicht familienfreundlich und sollte angepasst werden“, rät Blume. Wenn solche branchenspezifischen Eigenheiten bedacht werden, kann auch der Fachkräftemangel gelöst werden.
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