BGH-Entscheidung zu Unfallschaden
Keine Mitschuld beim Radfahren ohne Helm
die sich mit klaren Worten gegen die im Mai letzten Jahres vom Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vertretene Auffassung wendete, „dass ein verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm tragen wird, soweit er sich in den öffentlichen Straßenverkehr mit dem dargestellten besonderen Verletzungsrisiko begibt.“ (Aktenzeichen: 7 U 11/12)
BGH-Urteil vom 17. Juni gibt Klägerin recht
In seinem Urteil hob der zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs das zuvor gefällte Berufungsurteil aus Schleswig-Holstein jetzt auf und gab der mit Hilfe des ADFC klagenden Radfahrerin (velobiz.de berichtete) in vollem Umfang statt. Laut Pressemitteilung des BGH führt das Nichttragen eines Fahrradhelms entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu einer Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens. Einerseits aufgrund der Rechtslage, die das Tragen eines Helms nicht vorschreibt und zum anderen aufgrund des „allgemeinen Verkehrsbewusstseins“, das die Richter deutlich anders sahen, als ihre Kollegen. Eine Teilschuld wäre demnach nur anzunehmen, wenn das Tragen von Schutzhelmen zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich und zumutbar gewesen wäre. „Ein solches Verkehrsbewusstsein“, so das Gericht, „hat es jedoch zum Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin noch nicht gegeben.“
Paradox: steigende Helmquote könnte zu Neubewertung führen
Interessant ist vor allem das „noch nicht“ in der Begründung des Gerichts, verbunden mit dem Hinweis, dass „nach repräsentativen Verkehrsbeobachtungen der Bundesanstalt für Straßenwesen im Jahr 2011 innerorts nur elf Prozent der Fahrradfahrer“ einen Schutzhelm tragen. Damit ergibt sich, dass eine steigende Helmquote zu gegebener Zeit eine Neubewertung der Sachlage führen kann und bei einer Umkehrung des Verhältnisses vermutlich sogar führen muss. Verständige Menschen, so das paradoxe Fazit, sind damit also die, die sich in der Mehrheit befinden.
Folgen einer Helmpflicht wären kaum absehbar
Während Befürworter einer Helmpflicht immer wieder den gesunden Menschenverstand, Vorbildfunktion, potenziell vermeidbare Hirnverletzungen und Verkehrstote ins Feld führen und Nicht-Helmträgern, bzw. Nicht-Helmbefürwortern Bequemlichkeit oder Unverantwortlichkeit unterstellen, ist die Lage tatsächlich deutlich komplexer. Kritisch betrachtet ist der gesamtgesellschaftliche Nutzen einer Helmpflicht ebenso schwierig einzuordnen, wie der konkrete gesundheitliche Vorteil oder die Steigerung der Überlebenswahrscheinlichkeit im Falle eines schweren Unfalls, wie Studien zeigen. Im Gegenteil legen Untersuchungen und weitere Überlegungen sogar die Vermutung nahe, dass die Einführung einer Helmpflicht kaum überschaubare Auswirkungen haben könnte. Zum Beispiel im Hinblick auf den Anteil des Fahrrads am Modal Split, den boomenden Bike-Sharing-Systemen und der Idee des multimodalen Verkehrs, einem zentralen Ansatz für eine neue Mobilität.
Sicherheit ja - aber nicht nur durch Helm
Wie kritische Kommentare aus den Medien nahelegen, ist die ständige Debatte um die Einführung einer Helmpflicht geeignet am Thema vorbeizuführen und den Blick auf tatsächliche wesentliche Probleme zu verstellen. Wie der ADFC richtig anmerkt, gehört Radfahren nicht zu den Risikosportarten. Jedenfalls nicht beim Alltagsgebrauch. Und dort, wo es doch so ist, sollten sich Handlungsträger aus Politik und Verwaltung daran machen, für Verbesserungen zu sorgen. Damit kämen sie den im Fahrradmonitor 2013 geäußerten Wünschen der Deutschen entgegen. Mehr zum Thema auch im aktuellen velobiz.de Magazin.
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