SQlab vs. RTI Sports:
Kleine Barends, großer Patentstreit
Die Auseinandersetzung der beiden Ergonomie- und Zubehörspezialisten in diesem Fall begann im August 2014, als SQlab von RTI abgemahnt wurde. „Dieses mal wurde untersagt, den Griff 711 stubby mit integriertem Barend und einer außenliegenden Klemmung zu verkaufen. So etwas ist immer sehr ärgerlich und oft auch eine ernste Bedrohung, mit der ganzen Firma in Schieflage zu geraten. Die Insolvenzgefahr für beide Parteien kann bei Patentstreitigkeiten sehr hoch werden. So sind dann meist langjährige Entwicklungsarbeiten umsonst und in diesem Fall mussten Werkzeugkosten im sechsstelligen Bereich abgeschrieben werden. Bereits ausgelieferte Griffe mussten zurückgerufen werden, ein sehr hoher Aufwand in einer Phase, in der die Kosten dringend eingespielt werden müssen“, erklärt SQlab-Geschäftsführer und -Gründer Tobias Hild die Ausgangslage aus seiner Sicht. „Viele Händler, die sich bereits entschieden hatten, voll auf SQlab Griffe zu setzen, haben wir dadurch wieder verloren. Die betroffenen Griffe sollten ab 2014 50 % unseres Griffumsatzes ausmachen.“
Streitpunkt "einteiliger Griff mit fixierter Winkelstellung"
Auf der anderen Seite dieses Konflikts steht RTI Sports, wo man auf die Einhaltung eigener Patentrechte bezüglich Barends pochte. „Ergon hat ganz zu Beginn den Flügelgriff mit Barend so konstruiert, dass der Winkel des Flügels und der Winkel des Barend voneinander unabhängig eingestellt werden können. Für diese Erfindung wurde ein europäisches Patent erteilt. Im Jahre 2007 hat Ergon einen Griff entwickelt, bei dem die Winkel nicht unabhängig voneinander verstellbar waren, d.h. das Barend ist fix mit dem Griff und damit auch dem Flügel verbunden. Diese Bauart ist günstiger in der Herstellung und wurde für Fahrradhersteller im Bereich Erstausrüstung konzipiert“, erklärt Franc Arnold, RTI-Sports-Geschäftsführer seine Perspektive. „Für diesen einteiligen Griff mit einer fixierten Winkelstellung hat Ergon nach Fertigstellung ebenfalls Schutzrechte angemeldet (Gebrauchsmuster und Patent). Das europäische Patentamt hat diese Anmeldung geprüft, ein Patent erteilt und in Kraft gesetzt – und genau um dieses Patent ging es in der Auseinandersetzung mit SQlab.“
Patentaberkennung nach sechs Jahren
Aus Sicht von Franc Arnold wäre der Streit wohl vermeidbar gewesen: „Im Jahre 2013 hat SQLab unter der Bezeichnung Stubby einen einteiligen Griff mit fixierten Barend vorgestellt. Nach Auffassung von Ergon hat dieser Griff das vorher beschriebene Patent eindeutig verletzt. Offensichtlich hat SQLab im Vorfeld der Produktentwicklung Schutzrechte andere Anbieter nicht umfangreich recherchiert, eine Aufgabe, die heute zu jeder Produktentwicklung gehört. Man wusste um das Patent von Ergon mit der unabhängigen Verstellbarkeit von Flügelgriff und Barend, nicht aber von dem Patent mit fixierten Barend, wegen mangelnder Recherche im Patentregister. Ergon ist aber gegenüber SQLab keinesfalls aggressiv vorgegangen oder hat SQLab gar direkt verklagt, sondern hat außergerichtlich auf die Verletzung des Patents hingewiesen und SQLab aufgefordert, den Verkauf des betreffenden Produktes zu unterlassen. SQLab hat die Unterlassung und damit das Patent respektiert. Gleichzeitig wurde Ergon mitgeteilt, dass man versuchen wird, gegen das erteilte Patent beim Patentamt vorzugehen.“
Runde sechs Jahre später ist SQlab nun mit diesem Vorstoß zu einem Erfolg gekommen. Am 06.02.2020 wurde besagtes Patent von der Beschwerdekammer des europäischen Patentamts aufgehoben. Dort konnte SQlab dem Gericht darstellen, dass bereits zuvor „der entscheidende Anspruch des Patents vom Hersteller Velo benutzt wurde und das Patent von RTI erst danach angemeldet wurde“, erklärt Tobias Hild.
Kritik am Europäischen Patentamt von beiden Seiten
Bemerkenswerterweise halten sich beide Unternehmen nicht mit Kritik am europäischen Patentamt zurück. Hild kritisiert, dass es zu leicht sei, „die Schwäche des europäischen Patentamts, einfach maximal viele Patente zu erteilen, hemmungslos auszunutzen“. Sein Vorwurf lautet, dass es „schon lange nicht mehr um den Schutz von Entwicklungen und Innovationen geht. Hier geht es ganz klar um die maximale Ausnutzung einer monopolartigen Stellung im Markt.“
Auf der anderen Seite kritisiert Franc Arnold die Entscheidungsfindung des Patentgerichts, das RTI in erster Instanz noch Recht gegeben hatte. So sei das vorherige Produkt von Velo keineswegs mit der eigenen Entwicklung gleichzusetzen, „und auch nicht jeder Richter fährt Fahrrad“, sieht Arnold einen Grund, warum hier die eigene Leistung nicht erkannt worden sei.
Schadenersatz oder nicht?
Für SQlab ist der nächste Schritt nicht nur die patentrechtliche Genugtuung, sondern auch die finanzielle, erklärt SQlab-Frontmann Hild: „Den Schadensersatz für nicht verkaufte Griffe seit August 2014 werden wir aber dann doch von der RTI einfordern. Einen Teil dieses Geldes werden wir wieder an die Radln und Helfen Stiftung spenden und den Rest stecken wir in unsere Entwicklungsabteilung in das Projekt Griffe.“
Derlei Begehrlichkeiten erteilt Arnold sogleich eine Absage: „Hinsichtlich Schadensersatzforderungen von SQlab gegenüber Ergon aufgrund der von SQlab abgegebenen Unterlassungserklärung ist festzuhalten, dass Schadenersatzansprüche ein Verschulden voraussetzen. Weil die Unterlassungserklärung aufgrund eines vom Europäischen Patentamt erteilten Patent erfolgte, liegt ein Verschulden durch Ergon nicht vor.“
Ausgestanden sind die Rechtsstreitigkeiten zwischen den beiden Parteien auch darüber hinaus noch nicht. Am 5. Mai geht es weiter mit einer mündlichen Verhandlung zu einer weiteren Patentanmeldung von Ergon, bei der SQlab keine ausreichende Schöpfungshöhe erkennen mag.
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