Report - Helme
Kopfschutz macht Karriere
Sie leuchten, blinken, telefonieren. Helme werden seit Jahren immer smarter und vielfältiger. Dynamisch aussehen, Musik hören und dabei noch besser geschützt werden ist mit dem Kopfschutz heute möglich. Dabei macht das Produkt selbst überraschend wenig Tamtam. Auch nicht negativ, denn das Argument, dass Helme hässlich sind, hat man wohl schon lange nicht mehr gehört. Doch die letzte Forderung nach einer Helmpflicht für Radfahrer liegt noch kein Jahr zurück. Die Dekra hatte nach einer Umfrage unter 1583 Menschen, von denen etwa ein Viertel keine Radfahrer waren, verkündet, dass sich 59 Prozent der Bevölkerung für eine Helmpflicht aussprächen. Etwa gleichzeitig meldete das Bundesamt für Straßenwesen (BASt), dass Helme »immer beliebter« würden. So trügen mittlerweile um die 33 Prozent (Dekra: 40 Prozent) der Radfahrer und Radfahrerinnen einen Helm, bei jungen Menschen und Personen ab 60 Jahren deutlich mehr. Zum Vergleich: In der Schweiz sind es insgesamt 57 Prozent (auch ohne Helmpflicht). Unter den Herstellern ist die Helmpflicht umstritten, viele glauben, dass manche Menschen dann das Fahrrad eher stehen ließen. Angesichts der Erfahrungen bei der Einführung der Helmpflicht auf dem Mofa in den Siebzigern, der zum Niedergang des gesamten Segments führte, ist dies sicher keine unbegründete Sorge.
Hightech unter der Schale: POC entwickelt einen Helm-Airbag (oben), Lazer integriert einen Rotationsschutz (unten).
Anders ist es bei den Sportlern: »Vor allem beim sportlich ambitionierten Radfahren ist Helmtragen schon fast Standard«, wie Silvia Schöner von Paul Lange erklärt, PR-Manager Softgoods und für die Helmmarke Lazer zuständig. Unter Kindern ist die Tragequote ebenfalls heute schon enorm hoch. Oft finden die Kleinen den Helm cool.
Passive Sicherheit wird immer höher
Neue Sicherheitssysteme wie Mips, Wavcell (Bontrager), Spin (Poc) und andere kommen seit etwa fünf Jahren in Helmen immer mehr zum Einsatz. Sie sollen den Schutz vor Gehirnverletzungen erhöhen, indem sie Rotationen beim Sturz vermindern. Diese Systeme sind heute weitgehend anerkannt. Kaum noch ein Helmhersteller verzichtet auf sie, manche entwickeln sie sogar selbst weiter, wie beispielsweise Giro mit dem Mips Spherical System. Zwei Schalen aus EPS-Schaum nehmen hier den Großteil der Aufprall-Energie auf. Die zwischen den beiden Teilen liegende Schicht ist die Eigenentwicklung von Giro, wie Dieter Schreiber, Senior Manager Soft Goods von Grofa, dem Vertreiber von Giro und Bell, erklärt. Diese Schicht soll Helmtragenden den vollen Mips-Schutz geben, ohne den Komfort oder die Belüftungsqualitäten des Helms zu beeinflussen.
Ähnlich entwickelt Lazer. Hier wurde mit KinetiCore ein »vollständig in den Helm integrierter Rotationsschutz vorgestellt«, wie Silvia Schöner erklärt. Bei Lazer sei man für dieses Ziel dazu übergegangen, den Helm von Grund auf neu zu entwickeln, statt in die aktuellen Helm-Strukturen einen Rotationsschutz einzubinden. Auch bei Lazer ist man der Meinung, dass erweiterter Schutz, vor allem besagter Rotationsschutz, grundsätzlich mehr Bedeutung bei der Helmentwicklung erhalten hat.
Bei urbanen und Pendler-Helmen wie dem Giro Ethos Mips spielt das Design eine immer größere Rolle.
»Die Entwicklung hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht«, sagt auch Torsten Mendel, PR-Manager beim Sicherheitsspezialisten Abus. »Und zwar angefangen vom Material EPS über die Gurtbänder bis hin zu den Verstellsystemen. Das sind alles Dinge, die auch Sicherheit und Tragekomfort betreffen.« Die Abus-eigene Entwicklung ActiCage soll dabei das verwendete EPS-Helmmaterial noch robuster machen. Zusätzlich nennt Mendel die niederländische Norm NTA8776 für den Helmeinsatz auf S-Pedelecs einen Sicherheitsgewinn, da sie inzwischen von vielen Helmen erfüllt wird.
Airbag auf dem Kopf
Noch weiter ging der schwedische Hersteller POC, der 2022 mit dem auf Sicherheit spezialisierten Automotive-Zulieferer Autoliv das Konzept eines Helms mit integriertem Airbag vorgestellt hat. Im Falle eines Sturzes soll der Airbag einen Teil der Aufprallenergie durch sein explosionsartiges Aufbauen absorbieren, während die klassische Helmschale darunter liegt und den Kopf weiter schützt, wenn der Airbag seine Wirkung entfaltet hat. Bei einem Aufprall mit 20 Stundenkilometern sollen laut Autoliv 50 Prozent aller ernsthaften Verletzungen vermieden werden. Allerdings gibt es von diesem Helm bislang nur eine Konzeptstudie.
Hilferuf vom Helm
Vor wenigen Jahren noch Science-Fiction, ist bei diesem wie auch anderen Herstellern der NFC-Chip (deutsch: Nahfeldkommunikation) bereits Realität. Das kleine Ding liefert bei einem nicht ansprechbaren Verunfallten per Smartphone wichtige Daten wie Identität seines Trägers oder seiner Trägerin, Blutgruppe, medizinische Unverträglichkeiten und Ähnliches. Zum Auslesen legen im Notfall Herbeieilende einfach ein Handy an den Helm an. Lediglich der Helmträger oder die Helmträgerin braucht eine entsprechende App, um die Daten auf den Chip zu lesen.
»Die Entwicklung hat große Fortschrittegemacht!«
Torsten Mendel,
Abus
In dieselbe Sparte gehört der Notfallsender. Mit einem Beschleunigungssensor und der Verbindung zur Handy-App ausgestattet, erkennt er einen Sturz und fragt zunächst nach, ob es dem Biker oder der Bikerin gut geht. Antwortet das Unfallopfer nicht, wählt der Sender selbstständig die Notfallnummern, also die Lebensrettung sowie bestimmte persönliche Kontakte, die vorher festgelegt wurden.
Bei Uvex und dem Helmhersteller Alpina ist es ein Sender des bekannten Herstellers Tocsen. Er gibt den Notfall weiter und definiert beim Empfänger seinen Standort. Diese Sender werden von einigen Unternehmen vertrieben oder auch von Helmherstellern gelabelt, bei Abus nennt sich das integrierte System Quin-Crash-Detection. Das kleine Kästchen beherbergt fünf verschiedene Sensoren und hat Bluetooth-Verbindung mit dem Handy, sodass direkt auch die GPS-Daten versendet werden können.
Je nach Modell ist der Sender integriert oder kann an unterschiedliche Helme geklebt oder geklettet werden, sodass Multisportler nur einen Sensor für verschiedene Einsätze brauchen.
Immer mehr kommt auch der Recco-Reflektor zur Anwendung, der bisher aus der Lawinenrettung bekannt ist. Er hilft mit einer Art Radar-Antwort auf einen Detektor, der von professionellem Rettungskräften eingesetzt wird. Diese Detektoren werden allerdings standardmäßig nur bei Hubschrauberortung oder der Bergwacht eingesetzt. In vielen Fahrradfällen dürfte dieser oft auch in der Kleidung von Bergsteigern untergebrachte Sensor kaum eine Rolle spielen.
Licht ins Dunkel: In der City fast Standard
Ein anderes Sicherheits-Feature am Helm sind neben klassischen Reflektoren auch Lichtquellen. Nahezu jeder Hersteller bietet City- oder Tourer-Helme mit Leuchtdioden an. Meist gibt es eine Lichtquelle am Hinterkopf. Anke Gaab, Head of Marketing bei Uvex, zählt die LED-Lichter am Helm zu den wichtigen technologischen Entwicklungen in den letzten Jahren. Per Lichtsensor schaltet ein smarter Helm die Beleuchtung automatisch ein. Manche Hersteller verpassen dem Helm-Hinterteil aktuell auch ein breites »Bremslicht«, Beschleunigungssensoren machen es möglich, etwa beim Livall MT1 Neo. Aktuell gibt es einige Modelle mit einer kompletten LED-Spur von der einen Helmseite über den Hinterkopf bis zur anderen Seite.
Der Abus Hud-Y orientiert sich laut Abus stark an aktuellen Mode- und Fashion-Trends.
Im urbanen Bereich finden diese Helme durchaus Anklang, wie man tatsächlich in größeren Städten sehen kann. Es gibt smarte Helme mit Komfort-Features wie integrierten Kopfhörern für die Handy-Musik, akustischer Navigation per Navi-App und Freisprechanlage. Überschwemmt haben diese Helme mit komfortorientierten Features den Markt allerdings noch nicht, wie man vor Jahren bei der Präsentation der ersten smarten Kopfschützer annehmen hätte können.
Design, Aerodynamik und Komfort
Zunehmende Aufmerksamkeit schenken die meisten Hersteller im mittleren und höherpreisigen Bereich den Gurten und Einstellsystemen. Hier geht es um genauere Einstellbarkeit und mehr Tragekomfort. Bei Uvex ist man der Auffassung, dass der Helm immer mehr ein modisches Accessoire und ein Lifestyle-Statement ist. Dabei sei kein klarer Trend über die Kategorien auszumachen. Allerdings »werden die Designs grundsätzlich cleaner und minimalistischer«, so Marketing-Frau Gaab. Einig ist man sich unter den Herstellern auch, dass die Helm-Optik aktuell weniger zerklüftet ist und glatter ausfällt. Das sieht auch Grofa-Mann Dieter Schreiber so, »die Helme sind runder und umfassender geworden«. Einen Grund dafür sieht er unter anderem im Gravel-Trend und den dabei genutzten Helmen.
»Das Produktdesign spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung unserer Helme«, bekräftigt Torsten Mendel von Abus. Wie das Design letztendlich ausfällt, orientiere sich vor allem an Markt- und Fashion-Trends.
Damian Philipps von POC erkennt bei den Rennradhelmen die Aerodynamik als das wesentliche Design-Element, das sich durch die Entwicklung hindurchzieht. In allen Kategorien nehmen außerdem Komfort und Belüftung auf die Formgebung deutlichen Einfluss. Allerdings scheint auch im Sportbereich die bloße Zahl der Lüftungskanäle nicht mehr ein so wichtiges Bewertungskriterium eines Helms zu sein wie vor etwa zehn Jahren noch.
Besonders im Gravel-Sektor werden die Helme runder und großflächiger. Ein Beispiel dafür ist der Uvex Gravel Y.
Erfolg im stationären Verkauf
Ist der Helm ein Mitnahmeprodukt? »Natürlich«, sagt Silvia Schöner. »Gemeinsam mit dem Schloss sorgen Helme für mehr Sicherheit auf dem Fahrrad. Die notwendige Beratung in puncto Passform erwartet man vom stationären Fachhandel.« Schließlich weiß jeder und jede, dass der Helm passen muss. Das kommt dem stationären Fachhandel zugute. Außerdem sollte beim Kauf darauf hingewiesen werden, dass der Helm nach Sturz oder alle drei bis fünf Jahre ersetzt werden sollte. »Mehr als die Hälfte unserer Helme werden stationär verkauft!« Den Fachhandel sieht man bei Abus ähnlich stark, auch wenn hier keine Zahlenverhältnisse kommuniziert werden. »Der Sicherheitsanspruch ist in den letzten Jahren gewachsen, und mit ihm ganz klar die Nachfrage«, sagt Torsten Mendel.
»Die Sicherheitsfeatures können vor Ort wesentlich genauer und eindrucksvoller erklärt werden«, darauf weist auch Jessica Negele von POC hin. Dennoch wird gerade bei diesem Hersteller das Gros der Helme online verkauft. Doch auch hier weiß man: »Der stationäre Handel hat weiterhin eine bedeutende Beratungsfunktion und bildet vor allem für Sportenthusiasten und Individualisten mehr als einen Sportladen. Mit richtigen Konzepten werden hier Communitys gebildet, die einen treuen Kundenstamm und Store Ambassadors formen.« Das volle Verkaufspotenzial des Helms nutzt man laut Grofa im Fachhandel am besten mit auf die einzelnen Einsatzbereiche spezialisierten Verkäuferinnen und Verkäufern. Nur so könne man dem mittlerweile hoch diversifizierten Angebot und den Kundenwünschen gerecht werden. Ob sich ein solches Ziel in der Handelspraxis umsetzen lässt, sei angesichts des Mangels an qualifiziertem Personal gerade in den Zubehörabteilungen dahingestellt.
Das kostet Sicherheit
Die Einstiegspreislage in den Helmbereich hat sich für den klassischen urbanen oder Tourenhelm in den letzten Jahren kaum geändert und ist bei etwa 60 Euro zu finden. Selbst mit Mips oder vergleichbarer Technologie geht es oft unter 100 Euro los. Nach oben hin wird erst ab 300 Euro das Angebot dünner. Oft sind das dann hoch spezialisierte Full-Face-Helme für den MTB-Einsatz oder Rennrad-Aero-Helme mit besonderen Komfort-Features. Dazwischen liegen die meisten, auch smarten Helme. Nur einige Hersteller bieten in der obersten Preisklasse auch smart ausgestattete Helme für den urbanen Bereich an. Da dürfte aufgrund der stetig wachsenden Zahl von Pendlern und Menschen, die auf Alltagswegen immer mehr das E-Bike als Autoersatz sehen, durchaus noch Käuferpotenzial zu erwarten sein.
Wie sieht die Zukunft aus?
Für die nahe Zukunft bleibt der Helm auf den eingeschlagenen Wegen, lautet die Markterwartung. Es gibt ein weiteres Wachstum, schon Umweltbewusstsein und Verkehrswende würden dazu beitragen, glauben viele Hersteller mit Blick auf urbanes und Pendlerradfahren. Interessanterweise gab es auf die Frage zur Zukunft des Helms in diesem Bereich niemals das Stichwort »geringeres Gewicht« als Entwicklungsperspektive. Zum einen ist man wohl an einem guten Level angekommen, zum anderen spielt Gewicht auf den tendenziell eher kurzen Strecken in der Innenstadt nur eine kleinere Rolle. Viel smartes Zubehör wirkt sich bei Verwendung effizienter Helmmaterialien letztendlich gewichtssteigernd aus.
Anders beim Sport: »Für die MTB-Downhill-Klasse wird es immer leichtere Full-Face-Helme geben«, ist Dieter Schreiber von Grofa überzeugt. »Natürlich wird im Urbanen auch der Trend zum smarten Helm weitergehen. Elektronische Funktionen wie Crash-Sensor sowie Licht und Blinker werden vor allem im urbanen Bereich präsenter werden.« Er verweist auf Helme wie den Giro Ethos, dessen Blinkerfunktion über einen Button am Lenker bedient wird.
Der Faktor Nachhaltigkeit dürfte wie überall auch im Helmsektor breiten Einzug halten, meint Silvia Schöner von Lazer. Der Fahrradhelm sei für breite Bevölkerungsgruppen nicht mehr nur Gebrauchsgegenstand, sondern individuelles Produkt, das zur Persönlichkeit passen muss, und dazu zählt auch der Nachhaltigkeitsanspruch. Bei Urge, der neu von Centurion vertriebenen französischen Helmmarke werden Helme zu 80 Prozent aus recycelten Materialien hergestellt. EPS lässt sich gut recyceln, ebenso das PET, aus dem die Riemen hergestellt werden.
Von allen Seiten beleuchtet erfüllt der Fahrradhelm den Anspruch an ein smartes, nachhaltiges und rundum zeitgemäßes Produkt für die Sicherheit. Sein wichtigster Job ist es, Verletzungen zu verhindern oder zumindest zu mindern. Den Straßenverkehr selbst sicherer machen können aber nur sein Träger und seine Trägerin und andere Verkehrsteilnehmende zusammen mit der passenden Infrastruktur. Auch dies ist eine Message, die der Handel Helmkäufern und -käuferinnen mitgeben kann. //
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