Report // Gendern in Unternehmen
Machen oder doch lassen?
Der ganze Themenkomplex ist eine ausgesprochen junge Erscheinung. Gendersternchen und -gaps, Doppelpunkte in Wörtern und das Binnen-I sind erst seit wenigen Jahrzehnten, zum Teil auch erst seit wenigen Jahren im Sprachgebrauch zu finden. Entsprechend sind solche Schreibweisen ungewohnt, wenig verbreitet und für viele Menschen damit auch gewöhnungsbedürftig.
Sie sind im Kern Ausdruck eines wachsenden Bewusstseins für geschlechtsspezifische Diskriminierungen, die auch sprachlich so tief verankert sind, dass sie von den meisten Menschen gar nicht wahrgenommen werden. Das Ziel des Genderns ist vereinfacht gesagt, dieses Bewusstsein auch in die Sprache zu tragen und einen gesellschaftlichen Fortschritt zu bewirken. Dieser Prozess läuft inzwischen mit rasender Geschwindigkeit und lässt natürlich auch die Fahrradbranche nicht außen vor.
Warum sollte ein offensichtlich positives Anliegen für ein Unternehmen ein Problem darstellen? Es dürfte auch den an diesem Thema uninteressiertesten Leserinnen und Lesern aufgefallen sein, dass es einen lautstarken und wortgewaltigen Widerstand gegen diese »Sprachverhunzung« gibt, wie das Gendern gerne von der Kritik genannt wird. Deren Argumente drehen sich um die Ästhetik von Sprache, um Sprachlenkung, praktische Herausforderungen und um den Lesefluss, aus dem Leserinnen und Leser durch zuvor unbekannte Schreibweisen gerissen würden. Es gibt die selbst ernannten Sprachbewahrer, die grundsätzlich ein Problem mit Veränderungen an der Sprache anmelden, und diejenigen, die bezweifeln, ob auf diese Weise tatsächlich an Diskriminierung etwas geändert werden kann.
So kommt es, dass etwa Kolleginnen berichten, dass die Einführung von gendergerechter Sprache zu wütenden Kommentaren führte. Menschen, die ansonsten als umgänglich betrachtet werden, schreiben beim Thema Gendern plötzlich seitenlange Briefe, in denen harsche Kritik geübt wird. Für ein Unternehmen aus einer Branche, die einfach nur Fahrräder und gute Produkte drumherum verkaufen will, ist eine solche Kontroverse natürlich ausgesprochen reizlos. Gleichzeitig ist diese Diskussion schon so weit vorangeschritten, dass es ignorant wäre, sich nicht damit auseinanderzusetzen. Eine Umfrage der „Welt am Sonntag“ von letztem Jahr ergab, dass 56 % der Bevölkerung das Gendern ablehnen, etwas mehr als ein Drittel ist »ganz oder eher dafür«. Ganz gleich, ob man die Leserschaft der »Welt am Sonntag« als repräsentativ bezeichnet oder nicht, es ist ausgeschlossen, dass man es heute noch allen recht machen kann.
Sprachliche Praxis vor Herausforderungen
Tatsächlich ist die praktische Umsetzung des Genderns nach wie vor keine Trivialität. Viele Menschen lieben die Sprache, nur äußerst wenige finden es reizvoll, sich mit ihren Feinheiten herumzuplagen. Herausforderungen sind etwa die Unterscheidung zwischen generischem und natürlichem Maskulinum, Ausnahmefälle und sprachliche Besonderheiten des Deutschen, das nicht die gleichen Voraussetzungen bietet wie andere Sprachen.
All das kratzt erst an der Oberfläche der Thematik. Die Berücksichtigung eines dritten Geschlechts fehlt dann immer noch. Wer es richtig wissen will, schaut sich die Diskussion um Intersektionalität und cis-normative Gesellschaftskonstruktionen an. Das nötige Wissen und Verständnis dazu eignet man sich nicht mal eben an einem netten Abend an. Es ist ein Thema, das versierte Expertinnen und Experten beschäftigt, die sich ihrerseits nicht einig sind. Positiv gewendet: Es findet eine stetige Weiterentwicklung statt. So ist etwa interessant zu sehen, wie sich der Duden über die Zeit zum Gendern positioniert hat. Während in den sechziger Jahren die männliche Form immer empfohlen wurde, »wenn das natürliche Geschlecht unwichtig ist«, änderte sich diese Sichtweise in den achtziger und neunziger Jahren. Ganz aktuell steht die Duden-Redaktion mit der Einführung von Begriffen wie »Gästin«, »Mieterin« und »Bösewichtin« wieder in der Diskussion, nun aber, weil man sich damit als Treiber einer geschlechtergerechten Sprache positioniert hat.
Gutes Deutsch zu sprechen und zu schreiben ist mit oder ohne Gendern kein Hexenwerk, allerdings ist eben die Definition von »gutes Deutsch« mitunter sehr unterschiedlich. Aktuell gibt es erhebliche Vorbehalte und fehlende Vertrautheit mit dem Thema und auch manche praktische Herausforderung. An der Seitenlinie verharren muss dennoch kein Unternehmen aus der Fahrradwelt: Wenn man Unisex-Modelle anbietet, ist eine genderneutrale, inklusive Sprache naheliegend. Wenn man die Geschlechter mit dem eigenen Sortiment getrennt anspricht, gibt es das Problem ohnehin nicht. Die Branche ist insgesamt also in einer relativ komfortablen Position. Wer Frauen als Kundinnen haben will, sollte sie auch als solche direkt ansprechen. Das hat herzlich wenig mit Feminismus oder »Sprachverhunzung« zu tun, sondern mit angemessenem Marketing. //
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