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(Foto: Derby Cycle Werke)
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Derby-Chef Seidler baut aus wo andere abbauen:

„Made in Germany wird als Verkaufsargument akzeptiert“

Marktführer in Deutschland und dennoch „noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt“: Der Wandel von Derby Cycle Werke vom Ableger eines internationalen Sorgenkinds der Fahrradbranche zum Vorzeigeunternehmen in Deutschland ist bemerkenswert. Maßgeblichen Einfluss auf diese Entwicklung hatte Mathias Seidler, der dem Cloppenburger Unternehmen seit 2002 als Geschäftsführer vorsteht. Sein jüngster Coup: Mit der Übernahme des quasi benachbarten Fahrradherstellers Kynast wurde die dringend benötigte Kapazitätserweiterung erreicht. Während anderswo inländische Kapazitäten abgebaut werden, lief das Derby-Werk in Cloppenburg zuletzt am Anschlag. „Made in Germany“ ist für Seidler nicht nur (wieder) ein wichtiges Verkaufsargument, sondern auch betriebswirtschaftlich von Bedeutung. Im Interview mit velobiz.de erklärt Seidler wieso.

(Foto: Derby Cycle Werke)Mit über einer halben Million Fahrräder pro Jahr lief die Produktion in Cloppenburg zuletzt am Anschlag.

Die Geschichte des Cloppenburger Fahrradherstellers Derby Cycle Werke zählte in den letzten fünfzehn Jahren sicherlich zu den bewegteren in der Fahrradbranche. Der Weg vom einstigen Familienunternehmen Kalkhoff zum deutschen Ableger der Raleigh- bzw. Derby-Gruppe und schließlich wieder zu einem eigenständigen Unternehmen mit deutschen Inhabern war mit vielen Stolpersteinen gepflastert. Vielleicht war es aber auch die harte Schule der letzten Jahre, die Derby schlussendlich so erfolgreich werden ließ: Mit 14 % Marktanteil tritt Derby als Marktführer in Deutschland auf, zudem bekommt der Export in die europäische Nachbarschaft zunehmende Bedeutung. Bemerkenswert dabei: Während andere Fahrradhersteller in Deutschland pleite gehen oder mit ihrer Produktion nach Osteuropa auswandern, baut Derby seine Kapazitäten hierzulande fleißig aus.

{b}velobiz.de: Herr Seidler, Ihre Mitbewerber bauen ihre Produktionskapazitäten in Deutschland eher ab. Sie kaufen hingegen mit der Übernahme von Kynast noch welche dazu. Offenbar sehen Sie im Gegensatz zu anderen Fahrradherstellern im Mittelpreissegment einen wirtschaftlichen Vorteil, in Deutschland zu produzieren. Welchen? {/b}

Mathias Seidler: Es sind drei Vorteile. Der eine ist eine wesentlich erhöhte Flexibilität, unsere Produktion an die Marktentwicklung anzupassen. Zugekaufte Ware, wo auch immer sie herkommt, hat inzwischen einen Vorlauf von mindestens 150 Tagen. Dadurch haben wir keine Möglichkeit, Warenfluss und Bedarf vernünftig auszusteuern. Ein Fahrradimporteur kann entweder ein hohes Risiko eingehen, in dem er Ware auf Lager legt, in der Hoffnung, dafür auch Aufträge zu bekommen. Oder er geht das Risiko nicht ein und verpasst dadurch relativ viele Aufträge.
Mit einer Produktion in Deutschland sind wir in der Lage, die Auflage eines Modells besser an die Nachfrage des Marktes anzupassen. Wir können zwar die Zahlen nicht beliebig erhöhen, weil die dafür benötigten Teile dann eben doch nicht vorhanden sind, aber sind zumindest in der Lage, nach unten anzupassen. Wir akzeptieren dabei, einen höheren Bestand an Teilen auf Lager zu haben, der aber in Bezug auf Abschreibungen nicht risikobelastet ist. Ein Fahrradmodell kann spätestens nach einem Jahr nur noch zu einem reduzierten Preis abgesetzt werden. Teile kann ich hingegen auch im nächsten Modelljahr noch einsetzen.

Vorteil Nummer zwei: Wir haben ja in den vergangenen Jahren nicht nur mehr Fahrräder in Deutschland produziert, sondern auch mehr aus dem Ausland zugekauft. Was wir aber in den letzten zwei Jahren verstärkt beobachten können, ist, dass im Fachhandel eine zunehmende Orientierung zu Fahrrädern Made in Germany stattfindet. Um diesem Trend folgen zu können, brauchen wir Kapazitäten hier vor Ort. Und zwar eine Produktion, die von uns und mit unseren Leuten gesteuert und überwacht wird.

Der dritte Faktor ist rein kalkulatorisch. Ab einem bestimmten Preispunkt ist es sinnvoller, ein Fahrrad in Deutschland oder zumindest in Europa zu fertigen als außerhalb Europas. Das liegt begründet in Zoll-Barrieren und Logistikkosten. Modelle für 299 EUR lassen wir hauptsächlich in Osteuropa fertigen. Aber schon ab dem Preispunkt 399 EUR ist es für uns günstiger, in Deutschland zu produzieren.

{b}velobiz.de: Was sind nach Ihrer Auffassung die Gründe für die Orientierung des Handels zu in Deutschland gefertigten Fahrrädern? Ist das vor allem ein ethisches Verlangen oder spielen hier noch andere Faktoren eine Rolle? {/b}

Seidler: Jeder Bürger in Deutschland hat in den letzten fünf Jahren gemerkt, dass sein Arbeitsplatz nicht sicher ist, wenn er immer mehr Produkte aus China kauft. Bieten Sie ein vergleichbares Produkt zum gleichen Preis, dann wird „Made in Germany“ vom Verbraucher als wichtiges Verkaufsargument akzeptiert. Das trifft auch für Derby zu: Unsere Fahrräder sind mit einem sehr guten Preisleistungsverhältnis auch gegenüber importierter Ware sehr wettbewerbsfähig. Das heißt, wir können bei einem vergleichbaren Produkt noch ein zusätzliches Verkaufsargument bieten. Und das funktioniert auch in der Praxis.

{b}velobiz.de: Wie hoch ist der Anteil der in Deutschland produzierten Fahrräder im Absatz von Derby? {/b}

Seidler: Über 80 %.

{b}velobiz.de: Haben Sie schon mal mit dem Gedanken gespielt, wie Ihre Mitbewerber eine eigene Produktion in Osteuropa aufzuziehen? {/b}

Seidler: Das ist für uns im Moment nicht relevant. Aber ich möchte es für die Zukunft nicht ausschließen.

{b}velobiz.de: Kynast war als Fahrradhersteller auf große Mengen im eher unteren Preissegment ausgelegt. Lassen sich solch ein Werk und dessen Mitarbeiter so einfach auf den höheren Anspruch der Derby-Marken umschalten? {/b}

Seidler: Das war bei Kynast vielleicht einmal vor zehn Jahren so. In den letzten Jahren vor der Insolvenz 2003 hatte sich dies aber schon deutlich geändert. Und in diesem letzten Versuch, Kynast wieder zum Leben zu erwecken, war das Unternehmen schon komplett anders aufgestellt. Wir übernehmen dort eine eingearbeitete Produktionsmannschaft, die wir aber noch ergänzen müssen, weil durch die letzte Insolvenz einige Mitarbeiter das Unternehmen bereits verlassen haben. Auf der anderen Seite übernehmen wir Produktionsanlagen, die nach Umbauten dem Qualitätsanspruch von Derby entsprechen.
Wir werden allerdings nicht die Produktion von höherwertiger Fachhandelsware von Cloppenburg nach Quakenbrück verlagern. Dort werden vor allem niedrigpreisige (Export-) Aufträge vom Band laufen sowie Spezialprodukte, wie beispielsweise Industriefahrräder. Die Erweiterung der Kapazität in Quakenbrück ermöglicht uns, Fachhandelsware konzentrierter hier in Cloppenburg zu produzieren.

{b}velobiz.de: Das Unternehmen Derby hat sich seit der Trennung von Raleigh offenbar prächtig entwickelt, ist mit einem Absatz von über einer halben Million Fahrräder wieder Marktführer in Deutschland. Ihre Marken-Range deckt das gesamte Spektrum ab: von günstigen Einstiegspreislagen bis hin zu mehrere tausend Euro teuren Carbon-Bikes. Wo sehen Sie noch Potenzial für ein weiteres Wachstum? {/b}

Seidler: Wir sind in Deutschland mit Sicherheit noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt. Hier gibt es im Fachhandel aus unserer Sicht noch hohe Wachstumspotenziale. Aber unser größtes Potenzial ist derzeit die Belieferung des Fachhandels in Europa mit unseren sportiven Marken Focus und Univega.

{b}velobiz.de: Das ist ein Terrain, das Sie seit der Trennung von Raleigh intensiver bearbeiten. Wie erfolgreich ist diese Strategie bisher? {/b}

Seidler: Vor sechs Jahren hatten wir praktisch noch keinen Auslandsumsatz, was auch mit der damaligen Politik innerhalb der Unternehmensgruppe Raleigh zusammen hing. Inzwischen liegt unser Auslandsanteil am Gesamtumsatz bei 30 % und nimmt noch stark zu. Insofern sind wir hier also erfolgreich.

{b}velobiz.de: Wie wollen Sie in Deutschland noch wachsen? {/b}

Seidler: Aufgrund des steigenden Volumens sind wir beispielsweise in der Lage, auch immer mehr Nischenprodukte anzubieten. Auch die Leistung unserer Hochpreisprodukte wächst, was man an immer besseren Test-Ergebnissen in den Fachzeitschriften ablesen kann. Und wir sind in der Lage, dem Handel insgesamt attraktivere Angebote zu machen. Das geht vom Produkt über die Vermarktung, die Finanzierung und den Service. Im Gesamtpaket werden wir dadurch ein immer attraktiverer Partner für unsere Händler.

{b}velobiz.de: Ist der Zukauf anderer Marken für Sie auch ein gangbares Mittel zum Wachstum?{/b}

Seidler: Nein. Über den Zukauf von Marken denken wir nicht nach. Im Bezug auf unser Marken-Portfolio wachsen wir organisch.

{b}velobiz.de: Dabei wünschen wir Ihnen weiterhin viel Erfolg. Vielen Dank für das Gepräch.{/b}

12. November 2007 von Markus Fritsch

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