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Porträt - Alberto

Marktführer für Entdecker

Das Textilunternehmen Alberto aus Mönchengladbach erschließt ein neues Marktsegment: Mit ihren Bike-Jeans bietet die Firma dem Fahrradhandel ein attraktives Produkt für die Mobilitätsbedürfnisse der aktiven Kundschaft – und einen neuen Kontaktpunkt für den Handel.

Ein verschlissenes Produkt brachte Marco Lanowy »das geilste Erlebnis«. Auf der Fahrradschau in Berlin habe mal ein Kunde vor ihm gestanden, ein sportlicher Typ, der eine kaputte Jeans in den Händen hielt. Lanowy dachte: »Jetzt kriegst du mal richtiges Feedback.« Doch der Kunde, so erinnert sich der Geschäftsführer des Textilunternehmens Alberto mit Freude, reichte ihm die abgetragene Hose mit freundlichem Ton entgegen. »Hast du die noch mal?«, habe der Mann gefragt, ein Alltags-Rennradpendler. Für Lanowy eine prägende Erfahrung. Die Hose war zwar nicht mehr in Ordnung, hatte aber wesentlich länger beim Pendeln mit dem Fahrrad gehalten als die Alternativen. 4500 Kilometer, so habe der Kunde ihm berichtet. »Die kaputte Hose war für mich das beste Feedback.«

Tradition trifft neue Zielgruppe

In diesem Jahr feiert das Unternehmen Alberto aus der einstigen Textilhochburg Mönchengladbach großes Jubiläum, doch das Geschäft mit der Zielgruppe Radfahrer ist ein neuer Zugang des traditionsreichen Spezialisten. Wer das »Headquarter« in der Rheydter Straße unweit des Gladbacher Zentrums besucht, sieht seit Anfang Fe­bruar die lange Erfahrung der Firma auf einem bedruckten Metallschild neben der hellen Holztheke am Empfang: »100 Years of Pants«, steht da, und die Ziffern setzen sich zusammen aus Porträts der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, »Created in Mönchengladbach since 1922«. Bedeutend jünger, nämlich gerade mal sechs Jahre, ist der Vorstoß dieser Firma in den Markt mit Produkten, die zum Fahrradfahren passen.
Der Markenname Alberto ist eine Hommage an den Gründer des Unternehmens, Albert Dormanns. Vor etwa zwei Jahrzehnten wählte man den italienischen Firmennamen, in dem Vor- und Nachname des Firmengründers auf damals sehr modische Weise italienisch anklangen: Aus Albert Dormanns wurde Alberto. Jahrzehnte zuvor, 1922 war es Dr. Albert Dormanns gewesen, der in den Räumen der einstigen Tuchfabrik seines zwischenzeitlich verstorbenen Großvaters die »Dormanns Hosenfabrik« gegründet hatte.


Die Arbeit an der nächsten Kollektion gehört zu den wichtigen Tätigkeiten im Team von Marco Lanowy (stehend).

Nach dem Zweiten Weltkrieg spezialisiert sich Dormanns ab 1950 in einem neuen Firmengebäude auf die Hosenherstellung. 1968 starb der Gründer, seine Tochter Marie-Lore Walendy übernahm das Unternehmen und übertrug die Leitung ihrem Ehemann Rolf. Den heutigen Sitz des Unternehmens an der Rheydter Straße wählte Rolf Walendy aus. In einer ehemaligen Anzugfabrik gab es genug Platz für das aufstrebende Unternehmen. Bis heute ist die Firma, die zuletzt einen Jahresumsatz von etwa 50 Millionen Euro erwirtschaftete, inhabergeführt. Die Corona-Pandemie stellte auch Alberto vor Herausforderungen, doch Anfang Februar befand man sich wieder auf »Vor-Corona-Niveau«, wie es Marco Lanowy, einer der drei Geschäftsführer, zusammenfasst.
Marco Lanowy denkt aber mit seinen Kolleginnen und Kollegen das eigene Geschäft weiter, und das macht die Firma für den Radhandel spannend. »Wir haben uns angeschaut, wie sich Menschen künftig fortbewegen werden. Eines der wichtigsten Fortbewegungsmittel wird das Fahrrad sein«, analysiert der Mann, der bereits seit 2001 im Unternehmen ist. »Dann haben wir uns damit beschäftigt, was eine Hose können muss, um für diese Fortbewegungsart nützlich zu sein.« Lanowy arbeitet mit einem kleinen Team, das spezielle Hosen für besondere funktionelle Anforderungen entwickelt und Trends beobachtet. Bekannt wurde das Unternehmen etwa mit neuen Hosen für Golfer, für die der deutsche Weltklasseathlet Alex Cejka als Testimonial auftrat. Mit Blick auf den mit menschlichen Beinen angetriebenen Teil der Mobilitätswende recherchierten Lanowy und Kolleginnen, wälzten Studien der Branchenverbände und identifizierten eine Zielgruppe, für die sie daraufhin eine Bike-Jeans konzipierten – Leute, wie sie Lanowy eben auf einer Radmesse begegneten, sportliche Vielfahrer mit hohen Anforderungen ans Material.

Widerstände und Skepsis im Handel überwinden

Als Alberto anfing, sich mit dem Fahrradgeschäft zu beschäftigen, herrschte allerdings auch viel Skepsis. Bei den ersten Gesprächen mit Händlern habe es Desinteresse gegeben, erinnert sich Lanowy. Bis heute, ein gutes halbes Jahrzehnt später, ist die Integration von alltagstauglichen Bike-Beinkleidern kein intuitiver Bestandteil von Fahrradfilialen. »Die Crux ist, dass die allermeisten Fahrradläden keine Umkleidekabine haben«, benennt Lanowy ein nicht ganz unwichtiges Hemmnis für die Geschäftsentwicklung.

»Manche Radhändler nehmen gar nicht wahr, wie viel Umsatz sie schon mit Hosen machen.«

Marco Lanowy

Die Skepsis der eingesessenen Branche brachte das Team in Mönchengladbach allerdings nicht von seiner Überzeugung ab. Für die Berliner Fahrradschau produzierte man vor sechs Jahren erstmals Hosen, wie man sie sich für die Zielgruppe vorstellte, und das bereits in lagerfähigen Stückzahlen. Was dann geschah, war ein Erweckungserlebnis für Lanowy und sein Team. An drei Tagen verkaufte der Kleidungsspezialist 170 Hosen direkt an Konsumenten, die ja eigentlich eher wegen technischer Innovationen auf die Messe kommen. Ein Zufallserfolg? Das Alberto-Team stellte auch auf der Cyclingworld in Düsseldorf aus, wo die lokalen Konsummuster anders sind als in Berlin. Und auch dort verkaufte man eine ähnliche Stückzahl direkt an die Nutzer. »Das hat uns gezeigt, dass wir hier wirklich Potenzial haben«, erinnert sich Lanowy.

Überzeugender Zusatznutzen

Was eine Fahrrad-Jeans ausmachen soll, das zeigte Alberto schon damals und geht diesen Weg bis heute weiter. Es geht um wichtige Einschränkungen herkömmlicher Jeans, die mit dem neuen Produkt überwunden werden. Lanowy, selbst begeisterter Radfahrer, kennt etwa die Einschränkungen von »Raw Denim«, wenn man sich aufs Rad schwingen möchte oder wenn man größere Objekte in den Hosentaschen hat wie etwa Smartphones oder größere Schlüsselbunde. »Hier spürt man deutlich die Vorteile unserer Jeans mit Stretch«, sagt Lanowy und zeigt diese im lichten Showroom des Unternehmens auch an einem Beispiel. Dieser strukturelle Aspekt der Hosen ist ein Kernpunkt, ein anderer aber auch die Ausstattung mit Details fürs Radeln: Wasserabweisende Oberflächen schützen gegen Regen, in den Taschen gibt es Frottee-Einsätze zum Trocknen der Hände, auf der Rückseite hat die Hose einen höheren Bund, sodass sie nicht unter den Rücken rutscht, und es gibt Einsätze auf der Rückseite, die Hemden vom Herausrutschen abhalten. »Wir bieten Hosen mit zusätzlichem Nutzen, auch für die Sicherheit«, sagt Lanowy und zeigt auf die reflektierenden Elemente auf der Rückseite des Hosenumschlags.

Jeans für Radfahrer? Die Besonderheiten dieser Kombination werden bisher meist im Sport- und Fahrradhandel erklärt.

Mit dieser Ausstattung unterscheiden sich die Produkte deutlich von üblichen Modehosen, und so ist es auch verständlich, dass Alberto die Bike-Jeans nicht über Modeketten vertreibt. »Die verstehen den Nutzen nicht«, sagt Lanowy.
Allerdings muss man auch im Radhandel erst noch peu à peu Überzeugungsarbeit leisten. Ein paar Vorreiter arbeiten schon länger mit Alberto: Globetrotter etwa, der Outdoor-Spezialist, der Versandriese Rose oder auch der auf Fahrradkleidung spezialisierte E-Commerce-Laden Paul & Prediger. Im stationären Handel gibt es auch Vorreiter wie etwa Awsum in Düsseldorf-Flingern. Im Moment befindet sich Alberto aber gerade mit Blick auf den stationären Handel noch im Status des Missionars. »Manche Radhändler nehmen gar nicht wahr, wie viel Umsatz sie schon mit Hosen machen«, sagt Lanowy. Er berichtet von einem Händler, der beim Gespräch gesagt hatte, Hosen seien doch nicht interessant. Allerdings hatte er alle georderten Exemplare, 30 Stück, schleichend verkauft, der UVP liegt zwischen 120 und 150 Euro. Man habe dem Händler vorgerechnet, was da so nebenher in die Kasse kam. Bei einer im Modehandel üblichen Spanne (Faktor 2,5) habe sich der Kaufmann dann doch noch selbst vom Thema Radhose überzeugt.
Ins Geschäft mit Bike-Jeans einzusteigen, ist gar nicht so komplex. Ein bis zwei Quadratmeter Fläche an einer Rückwand oder im Zentrum des Geschäfts sind ausreichend, eine Umkleidegelegenheit, dazu eine Order von etwa 40 bis 60 Hosen, das ist ein überschaubares Investment. Alberto bietet Hosen, die sich auch in der Länge unterscheiden, sodass hier ein paar unterschiedliche Passformen vorrätig sein sollten. Es gibt verschiedene Farb- und Textilmodelle, weswegen Lanowy es für realistisch hält, dass überzeugte Kunden bis zu vier Paar Hosen kaufen. Gut laufende Ware kann unmittelbar nachgeliefert werden, die komplette Produktion des Unternehmens durchläuft die Lagerhallen in Mönchengladbach, wo etwa 270.000 Hosen auf Vorrat hängen. Bislang ist nur ein Bruchteil davon für die Fahrradkollektion vorgesehen.
Lanowy betont, wie sehr er sich in die Bike-Branche vernetzt, wie viel er mitbekommt von den Trends in der Industrie und im Nutzerverhalten. Die Hose sieht er nach den Schuhen als radnächste Komponente. Alberto ist schon seit Langem Kooperationspartner der Berliner Kultmarke Schindelhauer, zur Cyclingworld in Düsseldorf gibt es zudem eine Zusammenarbeit mit dem Magdeburger 3D-Druck-Rahmenpionier Urwahn. Lanowy schaut sich auch Händler genau an, beobachtet die Abläufe zwischen Schaufenster und Werkstatttheke. »Noch ist es eine Seltenheit, dass beim Servicetermin auch gefragt wird, ob der Kunde Inte­resse an einer neuen Hose hat. Aber das ist eine Entwicklung, die dem Handel guttäte«, argumentiert der Geschäftsführer.

Der lange Weg raus aus der Nische

Alberto sieht sich als »Marktführer« bei den Bike-Jeans. Allerdings ist der Markt eher noch eine Sache für Entdecker. Bekannte Hersteller von Fahrrad-Funktionskleidung haben sich bisher nur selten auf dieses Feld begeben. »Wir kommen aus der Hose, wir denken Hose, und dabei immer an den Nutzen. Deshalb haben wir einen besonderen Zugang«, sagt Lanowy. Einen Zugang, den die identifizierte Zielgruppe zu schätzen wisse. Das sind zunächst einmal sportliche Fahrerinnen und Fahrer, die sonst besonders gute technische Kleidung nutzen und diese Erfahrung in den Alltag überführen möchten, wie es Lanowy ausdrückt.
Noch ist die Nische also klein. Doch Lanowy erinnert auch an Schindelhauer und die Ausstattung von Fahrrädern mit Riemenantrieb. Es dauerte, bis sich diese avantgardistische Idee durchsetzte. Heute ist sie aus dem Markt nicht mehr wegzudenken. Bei Alberto sind sie der Überzeugung, dass sie einen ähnlichen Schub liefern können. »Wenn wir als spezialisiertes Unternehmen aus Mönchengladbach die Branche motivieren können, dann haben wir schon etwas erreicht«, sagt Marco Lanowy.

3. März 2022 von Tim Farin

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