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Meilensammeln mit Pedal und Smartphone
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Portrait - Radbonus

Meilensammeln mit Pedal und Smartphone

Radbonus aus Köln ist ein Start-up, das die Menschen zu gesundem und umweltfreundlichem Verhalten motivieren möchte. Gründerin Nora Grazzini und ihr junges Team versuchen, ein digitales Belohnungs-system für Radler zu schaffen.

Es ist nur ein Knopfdruck auf dem Smartphone – und schon lockt die Belohnung, wenn man einfach Fahrrad fährt. Man muss nur tun, was man immer tut: Von A nach B pendeln, vielleicht zum Kino in die Stadt strampeln, mehr braucht es nicht für einen Bonus. Pedalumdrehungen werden Daten, und eine App wandelt sie in echte Vorteile für fahrradaffine Nutzer.
Der Gedanke klingt attraktiv: Gesund leben, Spaß an der Bewegung haben – und dafür auch noch belohnt werden. Die Kölner Unternehmerin Nora Grazzini arbeitet mit ihrem Start-up Radbonus seit Juli 2015 daran, dass aus der Idee ein Geschäft wird. Kurz gesagt: Sie möchte den Ansatz von Lufthansas Miles-and-More oder der Einkaufskarte Payback auch aufs Radfahren übertragen. Wer viel pedaliert, soll dafür auch belohnt werden.
»Es ist schön, wenn Menschen etwas tun, das gut für sie ist«, sagt die Kommunikationsdesginerin Grazzini, die nach langjähriger Tätigkeit als Art Directorin in der digitalen Agenturwelt etwas Neues beginnen wollte und daher im Start-up-Umfeld nach Impulsen suchte und die Idee zu Radbonus entwickelte. »Aber einige Menschen brauchen einen kleinen Kick dafür und unsere Partner können diese Anreize schaffen.«

Anreiz für Radfahrer

Die Unternehmerin hat das immer wieder erlebt, im Alltag und auf Konferenzen: Es gibt viele Menschen, die gern Rad fahren, die sich offen dazu bekennen und auch dafür werben. Diese Menschen erleben immer wieder, dass sie zwar ein klimafreundliches Fortbewegungsmittel nutzen und dabei ihre Gesundheit steigern – aber sie erleben eben auch, dass Investitionen und Belohnungen ebenso wie andere Fördermittel meist noch in den Autoverkehr fließen. Diese Gruppe möchte Grazzini bedienen mit ihrer Botschaft: »Du tust etwas Wertvolles, du bist ein Superheld, wir wertschätzen dich und geben dir etwas zurück.«
Ursprünglich wollte sie es gar schaffen, dass Unternehmen für gesammelte Kilometer ihrer Mitarbeiter Geld spenden, das wiederum zweckgebunden in die lokale Radinfrastruktur fließt – doch so etwas dürfte hierzulande am Recht und den Vorgaben der Behörden scheitern.

Die Macherin von Radbonus

Grazzini, braunes, langes und welliges Haar, braune Augen, ist eine Macherin. Sie passt in das Ambiente des Kölner Start-up-Hotspots Startplatz, wo viele junge Unternehmen vor allem mit internetbasierten Geschäftsmodellen an der Skalierbarkeit ihres Business tüfteln. Grazzini hat hier gemeinsam mit ihrem Mitgründer Christoph Lippert den Grundstein für das kleine Unternehmen gelegt, hat die eigene Idee ausgearbeitet und dann externe Programmierer mit dem Bau der Apps für iOS und Android beauftragt. Seit Herbst 2015 gibt es Radbonus als Smartphone-Applikation, und ein Team von jungen Mitarbeitern, viele von ihnen Studenten, soll nun für die möglichst dynamische Weiterentwicklung sorgen. Grazzini scheint Spaß an diesem Setting zu haben, zugleich merkt man ihr aber auch an: Sie hat die Zügel in der Hand und ist hier die Chefin.
Die App, das Herzstück von Radbonus, funktioniert simpel: Sobald man auf eine Radfahrt geht, drückt man auf den Start-Knopf in der Applikation. Dann zeichnet das Telefon die GPS-Spur und zeigt die zurückgelegte Distanz an. Pfuschen ist dabei weitgehend ausgeschlossen, denn dank der Interpretation der Bewegungsdaten kann man etwa Autofahrten filtern. Ist man am Ziel angekommen, drückt man erneut auf den Knopf – und die Kilometer wandern aufs Bonuskonto. So kann man etwa an Herausforderungen teilnehmen: Wer beispielsweise im Januar 150 Kilometer zurücklegte, qualifizierte sich für die Auslosung eines Kapuzenpullovers.

Rabatte bei Partnerunternehmen

Daneben gibt es Rabatte für zurückgelegte Kilometer bei einer ganzen Reihe von Anbietern, etwa dem Online-Shop des Modeunternehmens Bench, beim Hersteller von Diebstahlsicherungen Fahrrad-Jäger und auch bei Helmheld. So gibt es bei Helmheld etwa 5 Prozent Rabatt nach 50 Kilometern, 10 Prozent nach 100 Kilometern und 15 Prozent nach 150 Kilometern.
Als eines der ersten Unternehmen war der Taschenhersteller Ortlieb dabei. Peter Kühn ist dort PR-Manager. Er sagt, das Unternehmen habe Radbonus unmittelbar unterstützt: »Uns hat der Ansatz gut gefallen, Menschen dafür zu incentivieren, dass sie aufs Rad steigen.« Ortlieb selbst ist ein Unternehmen, das von einer starken Motivation getrieben wird, die Rahmenbedingungen für das Radfahren zu verbessern und damit das Klima zu schützen und den Verkehr menschlicher zu machen. Es brauchte also nicht viel Überzeugungsarbeit, bis Ortlieb den Teilnehmern von Radbonus einige Taschen in einer Challenge als Gewinn präsentierte.
»Es geht für uns dabei nicht um den direkten Verkauf oder den Return on Investment«, sagt Kühn, »wir sehen in der Förderung des Radfahrklimas ein Netzwerkthema – und Radbonus hat hier einen sehr interessanten Ansatz.« Es sei noch nicht so weit, dass man mittels Radbonus die Bekanntheit der eigenen Marke steigert. Vielmehr gehe es andersrum um »Starthilfe für eine wirklich gute Sache«, sagt Kühn.
Etwa 10.000 Nutzer hatte Radbonus nach eigenen Angaben Mitte Januar. Das ist eine Community, um deren Entwicklung sich die etwa 20 Teammitglieder nun kümmern, ebenso wie um die Kontaktaufnahme zu neuen geschäftlichen Partnern. Das geschieht in dynamischer Start-up-Atmosphäre: An einem langen Holztisch sitzen die Mitarbeiter vor ihren Laptops, an den Wänden Whiteboards, daneben Flipcharts vollgepackt mit Handschrift, Pfeilen und Post-its. Grazzini freut sich über die kreativen Studenten. »Sie haben den Eindruck, dass sie hier etwas bewegen können, dass sie nicht in festen Strukturen stecken, sondern auch etwas Gutes bewirken.« Die Mitarbeiter entwickeln Inhalte für die eigene Seite, bespielen die Social-Media-Kanäle, bereiten Kampagnen mit Partnern vor und suchen auch nach neuen Partnern. Grazzini hat ein ausgemachtes Ziel: »Wir wollen uns klar in Richtung Gesundheitssektor bewegen und würden gern mit Krankenkassen zusammenarbeiten.«

Unterstützt von Förderprogrammen

Derzeit gibt es drei »Leistungsversprechen« bei Radbonus, wie Grazzini es nennt. Einmal verdient das Unternehmen als klassischer Affiliate, wenn Kunden den freigeschalteten Rabattcode in einem Onlineshop einlösen. Daneben bietet das Start-up die Fläche für Image-Marketing – wobei natürlich die Reichweite noch begrenzt ist. Und es gibt, als zusätzlichen Aspekt des Marketings, die Möglichkeit, dass Anwender genau jene Aktion ausführen, die sich ein Geschäftspartner wünscht.
Aktuell lebt das kleine Unternehmen von Geldern aus Förderprogrammen. Zum einen gibt es Fördermittel von Climate-KIC, einer Initiative der EU für Ideen zur Bekämpfung des Klimawandels. Zweiter Hauptunterstützer ist Eon mit seinem Accelerator-Programm :agile. Bis wann daraus ein selbsttragendes Unternehmen werden kann? Grazzini sagt das lieber nicht, sondern benennt die Möglichkeiten: »Wir haben großes Potenzial, müssen jetzt aber schauen, welche Leistungen unsere Geschäftspartner am meisten interessieren und welche starken Partner mit an Bord kommen. Alleine können wir das nicht stemmen.«

Herausforderung Kundenbindung

Das Problem dabei ist: Die Sache mit dem Knopf und den Kilometern ist dann doch nicht so einfach, wie man meint. Schließlich muss es Radbonus schaffen, dass die Menschen dranbleiben, dass sie wiederkehren und ihre gewonnenen Gutscheine auch nutzen. »Wir haben tolle Startbedingungen, weil wir etwas fördern, was unsere Zielgruppe schätzt: grünes, gesundes, aktives Leben«, sagt Grazzini, »aber man kann intrinsische Motivation auch zerstören.«
Dieses Rätsel möchte Grazzini lösen: Was wünschen sich Radfahrer, die ihre App benutzen? Wie kann sie sie gar dazu motivieren, noch ein bisschen mehr Rad zu fahren und an neuen Challenges teilzunehmen? Grazzini hat sich mit diesem Thema in den vergangenen Jahren intensiv beschäftigt, sie hat in New York mit einem führenden Forscher der Verhaltensökonomie zusammengesessen, denn sie weiß: Die App mag simpel wirken, aber damit sie ein Erfolg wird, muss sie bei den Nutzern in Erinnerung bleiben und ins Alltagsverhalten aufgenommen werden.
Grazzini ist guter Dinge, sie sagt, 50 Prozent der angemeldeten Nutzer seien »aktiv«, 11 Prozent nutzten sie regelmäßig. Könnte sie ihre Zielgruppe deutlich aufstocken, wären das für die Marketingleute in der Fahrradbranche sicher spannende Zahlen. Bis dahin ist noch jede Menge Überzeugungsarbeit zu leisten. Selbst in ihrem Team fahren nicht alle mit dem Rad – zumindest im Winter, so hört man im Startplatz, bevorzugt manch einer bei Radbonus den ÖPNV.

12. Februar 2017 von Tim Farin
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