Zukunft der Fachmessen
Messe ist ein Marathon
In unserem ursprünglichen Themenplan zu dieser Ausgabe von velobiz.de Magazin wollten wir Ihnen einen Ausblick auf die in wenigen Tagen beginnende Eurobike geben. Als dann klar wurde, dass die Eurobike in diesem Jahr erstmals seit 1992 ein Jahr aussetzen wird, planten wir stattdessen, Ihnen ein Stimmungsbild der Branche zum für 2021 geplanten Eurobike-Konzept zu präsentieren. Denn klar scheint, dass das Corona-Jahr am Konzept der führenden Fachmesse der Fahrradwelt nicht völlig spurlos vorbeigehen wird.
Doch auch die Themenidee, in dieser Ausgabe über das 2021er-Konzept der Eurobike zu informieren, mussten wir wieder verwerfen, denn bis Redaktionsschluss waren aus Friedrichshafen noch keine Signale zu hören, wie und wann die Eurobike 2021 stattfinden soll. Diese ungewöhnlich lange Phase der Ungewissheit ist ein Indiz dafür, wie schwer es dem Messeveranstalter offenbar fällt, für die Zukunft der Eurobike die bestmögliche Entscheidung zu treffen.
Im Umfeld der Messe Friedrichshafen waren in den letzten Wochen verschiedene mögliche Szenarien für die Zukunft der Fahrradmesse am Bodensee zu vernehmen, darunter auch potenziell gravierende Veränderungen. Dazu lauert am Horizont noch die Automesse IAA, die sich unter dem Münchner Messedach als Mobilitätsmesse neu erfinden und sich dabei auch zum Player in der Fahrradwelt aufschwingen will. Deren geplanter Termin liegt mit der zweiten September-Woche in unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft zum traditionellen Eurobike-Termin. Es ist anzunehmen, dass der Automobilherstellerverband VDA als Ausrichter der Messe bei seiner Terminwahl damit nicht die Verdrängung der Eurobike im Sinn hatte, zumal die IAA schon seit Jahrzehnten immer im September stattfindet. Eine – wenn auch kollaterale – Kampfansage an die Messe Friedrichshafen ist es wohl dennoch.
Corona war für das gesamte Messe- und Veranstaltungswesen eine Katas-trophe. Für die Eurobike kommt noch erschwerend dazu, dass die Leitmesse der Fahrradwelt vom Virus in einer Phase erwischt wurde, in der immer mehr Marktteilnehmer den Nutzen von großen Fachmessen kritisch hinterfragen. So manch einer, der sich diese Frage schon vor 2020 gestellt hat, mag als Lehre aus diesem Jahr die Überzeugung mitnehmen, dass der Markt auch ohne Messe offenbar nicht so schlecht funktioniert.
Auslöser solcher Gedankengänge ist vor allem die Frage, welchen wirtschaftlichen Nutzen Unternehmen aus einer Messeteilnahme wie aus allen anderen Marketing-Ausgaben ziehen können. Anders ausgedrückt: Was nicht unmittelbar einige Euros in das Unternehmen spült, erscheint als Marketing-Investition unzeitgemäß. Als Vorbild für solche Sichtweisen dienen dann Beispiele aus der E-Commerce-Welt, wo es schon länger en vogue ist, nur noch solche Werbung zu betreiben, deren Wirkung unmittelbar messbar ist. Das ist auch nicht besonders schwierig, wenn hinter jedem bezahlten Click ein Warenkorb steht, dessen wertmäßiger Inhalt den jeweiligen Werbeausgaben für genau diesen Kunden gegenübergestellt werden kann. Doch B2B-Marketing funktioniert so nicht. Wenn das eben beschriebene Performance-Marketing der 100-Meter-Sprint in der Werbung ist, dann ist B2B-Marketing der Marathon. B2B-Marketing zielt nicht darauf, einen Warenkorb mit einem Schutzblech, zwei Reifen und vielleicht einer neuen Radhose zu befüllen. Vielmehr geht es darum, sich als attraktiver Partner für eine langfristige, deutlich wertvollere Beziehung darzustellen. Im B2B-Marketing gibt es auch selten unmittelbare Knalleffekte, zumal Unternehmen heute ihre Partner und Lieferanten nicht mehr einfach mal so austauschen. Wer seine Messeteilnahme nur daran misst, wie viele Neukundenverträge oder Vorordern nach Messeschluss gezählt werden können, misst deshalb mit dem falschen Maßstab. Um den Wert von Messeteilnahmen zu bewerten, müssen deutlich langfristigere Maßstäbe angelegt werden. Nur bei kurzfristiger Betrachtung mag eine Fachmesse wertlos erscheinen.
Noch ein weiterer Aspekt macht nahezu allen Messen – nicht nur der Eurobike – zunehmend das Leben schwer. Immer mehr Großunternehmen denken, frei nach Sonnenkönig Louis XIV, „die Branche, das bin ich“. Soll heißen: Wer als Konzern heute einen beträchtlichen Marktanteil kon-trolliert, sieht nicht mehr die Notwendigkeit, sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit mit Mitbewerbern auf Messen zu teilen. Als Konsequenz wird man zum Beispiel auf absehbare Zeit ein Unternehmen wie Apple nicht mehr auf egal welcher Messe finden. Die globale Aufmerksamkeit bei Einführung eines neuen iPhones ist den Apple-Machern auch so gewiss. Ob das auch für die Pons und Accells der Fahrradwelt gilt, darf zumindest bezweifelt werden. Ganz sicher gilt es aber nicht für das Heer an weiteren Fahrradherstellern, die vielleicht ein paar Zehntausend Fahrräder im Jahr absetzen, sich in Messefragen aber mindestens so potent wie Apple fühlen.
Ich will damit keinen Persilschein für das Messewesen im Allgemeinen und die Eurobike im Besonderen ausstellen. Wenn eine Branche den Nutzen von Fachmessen zunehmend infrage stellt, können die Gründe dafür ganz sicher nicht allein bei den Marktteilnehmern der Branche gesucht werden. Die Markteinflüsse, denen die Eurobike unterliegt, sind zudem noch um einiges vielfältiger als nur die hier beschriebenen Facetten. Da steht zum Beispiel vor allem auch die Frage unbeantwortet im Raum, wie die Messeteilnahme nicht nur den Ausstellern, sondern auch den potenziellen Fachbesuchern wieder schmackhafter gemacht werden soll. Fachmessen müssen sich deshalb nicht erst seit dem Corona-Jahr neu erfinden. Die Messe Friedrichshafen wird in den nächsten Tagen und Wochen verkünden, welche Pläne sie 2021 mit der Eurobike hat. Eventuell überschneidet sich eine entsprechende Meldung auch bereits mit dem Erscheinungstermin dieser Ausgabe von velobiz.de Magazin. Ich bin gespannt, ob es den Messemachern am Bodensee gelingt, auf die Herausforderungen eine innovative Antwort zu finden. //
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