Report - Erfa-Gruppen
Miteinander lernen und wachsen
Heute gibt es in fast jeder Branche Erfa-Gruppen:
Im Gesundheitswesen, in der Bildung und sozialen Arbeit, im Finanz- und Versicherungswesen etc. Selbst Architekturbüros und landwirtschaftliche Betriebe organisieren sich dort.
Strukturen der Erfa-Gruppen
Auf die Frage, ob sich Händlerinnen und Händler besser regional oder deutschlandweit organisieren sollten, führt Andreas Lübeck, der die Fahrradbranche seit Jahrzehnten kennt und selbst Erfa-Gruppen moderiert, für beide Varianten Vorteile an. Für regionale Gruppen spricht, dass die Betriebe dann meist leichter zu vergleichen sind, da sie ähnlichen Bedingungen unterworfen sind. »Jedoch verlangt diese Konstellation mehr Energie, um das gegenseitige Vertrauen zu sichern und zu stärken. Bei bundesweit agierenden Erfa-Gruppen sind die An- und Abreisezeiten natürlich viel länger. Zudem unterscheidet sich die Fahrradlandschaft im Süden deutlich von der im Norden.« Ulf-Christian Blume von der Unternehmensberatung 53-ELF und ebenfalls Erfa-Moderator pflichtet ihm bei: »Im Süden werden mehr sportive Räder gefahren, in großen Teilen des Ostens ist die Kaufkraft nicht so stark.« Gute Erfahrungen machte Lübeck mit Erfa-Mitgliedern aus dem gleichen Bundesland. Die Entfernungen sind moderat, die Bedingungen oft ähnlich und trotzdem liegen die Betriebe so weit auseinander, dass das Vertrauen relativ leicht aufgebaut werden kann. Florian Schöps, Manager im Bereich Unternehmensberatung bei der BBE Handelsberatung, führt als Moderator von Erfa-Gruppen noch ein Argument für bundesweite Gruppen an: »Die Chance, stärkere Häuser kennenzulernen, ist dort etwas größer.«
Erfa-Treffen finden seit dem Ende der Pandemie wieder mehrtägig – zwei bis zweieinhalb Tage – ein- bis viermal im Jahr in Präsenz statt. Die Mitglieder laden die Gruppe reihum zu sich in den Betrieb ein. »Dabei sind die Flurgespräche besonders wichtig«, stellt Thomas Barth fest. Er gründete kurz nach der Wende mit Freunden den Fahrradladen »Fahrradies« in Halle und beschäftigt heute 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. »Hier werden Allianzen geschlossen und wichtige Informationen ausgetauscht.« Andreas Lübeck zu den Unterschieden der Formate: »Was bei den Onlinesitzungen auch fehlte, war die nonverbale Kommunikation, von der die Gruppenmitglieder ganz besonders profitieren.«
Aktuelle Themen der Erfa-Gruppen
Eva Altig, die das Geschäft »Radsport Altig« führt, das Willi Altig vor 55 Jahren gründete, ist mit ihrem Zweiradmechanikermeister Alessandro Franke in zwei Erfa-Gruppen eingebunden. »In der einen geht es um die gesamte betriebliche Situation, also um den Status quo, Entwicklungsmöglichkeiten, die Stärkung des Geschäftsprofils, Personalthemen, betriebswirtschaftliche Kennzahlen etc.« Alessandro Franke nimmt an einer Werkstatt-Erfa teil. »Die Themen in den Gruppen ändern sich natürlich im Laufe der Jahre. Da spielen die politischen Rahmenbedingungen, äußere Umstände und die gesellschaftlichen Veränderungen eine Rolle.«
Eric Lenz, der mit seinen Geschwistern Verena und Thilo »Lenz E-Bikes« in Kelkheim im Taunus ebenfalls in zweiter Generation führt, teilt Altigs Einschätzung und wird konkret: »Derzeit befassen wir uns mit den Herausforderungen des hohen Lagerbestandes und der Frage, wie wir mit der aktuellen Marktentwicklung am besten umgehen können. Der wirtschaftliche Einbruch nach dem Boom ist ja volkswirtschaftlich gesehen keine Überraschung. Wichtig ist jetzt aber die Antwort auf die Frage, wie wir damit umgehen wollen: Welche Mechanismen müssen wir überdenken? Muss sich an unserem Orderverhalten etwas ändern? Wie sorgen wir dafür, dass unsere Ware besser abfließen kann?«
Als weiteres Beispiel führt Thomas Barth an: »Auch die vielen unterschiedlichen Prozessstrukturen, die von Leasing-Gesellschaften und Versicherungen vorangetrieben werden, fordern Händler. Unterschiedliches Vokabular stößt bei uns oft auf Unverständnis und schafft schwierige, langwierige Verwaltungsprozesse. So definieren wir Profis in der Fahrradwerkstatt das Wort ›Inspektion‹ als ›Inaugenscheinnahme, Sichtprüfung und Funktionskontrolle‹. Das sind keine Wartungsarbeiten, bei denen Hand angelegt wird. Das sehen die Leasing-Gesellschaften aber ganz anders. Die Anforderungslisten bezüglich ›Inspektion‹, sehen je nach Leasing-Gesellschaft sehr unterschiedlich aus. In den Erfa-Gruppen vergleichen wir intensiv diese Prozesskulturen und arbeiten an einem schlanken Umgang damit.«
Die Rolle des Moderators
Nicht nur für Barth ist klar, dass Erfa-Gruppen versierte Moderatorinnen und Moderatoren brauchen: »Händler sind meist sehr technikaffin. Es braucht da jemanden, der die Gruppe organisiert und wachsen lässt. Dieser muss darauf hinarbeiten, dass am Ende eines Treffens die Händler mit einer logischen To-do-Liste nach Hause gehen, denn die Herausforderungen müssen aktiv gestaltet werden.« Florian Schöps fasst seine Aufgaben als Moderator zusammen: »Professionell vor- und nachbereitete Erfa-Tagungen, bei denen wir den Händlern viel Aufwand abnehmen, sind das A und O. Das beginnt bei der Auswahl des Hotels, geht weiter mit der Einladung und Abfrage des Zimmerbedarfs, etc. Wir fragen die betrieblichen Zahlen ab und bereiten alle Themen detailliert vor. Schließlich führen ein klarer Ablauf und eine straffe Moderation, die dennoch Platz für Diskussionen und Ideen gibt, zum Ziel.« Ulf-Christian Blume hebt abschließend noch ein weiteres Merkmal für eine gelungene Moderation hervor: »Um die gesteckten Ziele zu erreichen, sollten
»Erfa-Arbeit ist die Lust am Chancenausloten, Experimentieren und Gestalten.«
Thomas Barth, Geschäftsführer bei »Fahrradies« in Halle und Erfa-Mitglied
Moderatoren die Treffen auch didaktisch-methodisch gut aufbauen, um eine gewisse Spannung im Sitzungsverlauf aufrechtzuerhalten.«
Eine gute Arbeitsgrundlage ist zudem eine Geschäftsordnung. Das Regelwerk wird gemeinsam aufgestellt und alle müssen sich daran halten. Der »Business Navigator«, ein Kennzahlenwerk, das Lübeck über Jahrzehnte aufgebaut hat, zählt heute für viele Erfa-Gruppen zur Basis.
Erfa-Gruppen: ein fluides System
Erfa-Neugründungen sind für alle herausfordernd. »Drei bis vier Mitglieder, die die Kerngruppe bilden« sind nach Andreas Lübeck eine gute Ausgangsbasis. Moderatoren wie Händlerinnen und Händler halten Erfa-Gruppen mit zehn Mitgliedern für optimal. Ihre Zusammensetzung ändert sich meist dann, wenn die Schwerpunktsetzungen mit der Zeit zu weit auseinanderdriften. »Es macht dann keinen Sinn mehr zusammenzubleiben«, beobachtet Lübeck. »Werden Gruppen zu klein, sind sie für neue Mitglieder offen. Ist ein potenziell neues Mitglied gefunden, wird es in der Regel von der Gruppe eingeladen. Für das erste Treffen wird die Tagesordnung relativ allgemein gehalten. Danach entscheiden die Gruppe und der Neuzugang separat darüber, ob man sich eine gemeinsame Arbeit vorstellen kann. Da es in der Arbeit um größtmögliches Vertrauen geht, muss das Votum einstimmig sein.« Ulf-Christian Blume hält Neueinstiege für gut und wünschenswert, da sie meist neue Impulse
mit sich bringen. Dabei sollten die Umsatzgröße, die Ausrichtung und Lage des Betriebs in etwa vergleichbar sein.
Andreas Lübeck moderiert auch Erfa-Gruppen, deren Mitglieder seit Jahrzehnten zusammenarbeiten. »Ich habe eine Gruppe in dritter Generation mit einem erstaunlichen Zusammenhalt. Die Treffen dieser Gruppe ähneln inzwischen eher Familientreffen.« Thomas Barth macht gerade ähnliche Erfahrungen: »Auf Grundlage unserer vertrauensvollen, offenen und ehrlichen Zusammenarbeit begleiten wir uns gegenseitig selbst bei privaten Angelegenheiten und Herausforderungen. Das kann eine Krankheit eines Kollegen sein oder zum Beispiel die Frage: Ist es klug, wenn Familienangehörige im Betrieb mitarbeiten?«
Anforderungen an die Mitglieder
Vertrauen, Transparenz und absolute Offenheit sind die Eigenschaften, die Erfa-Mitglieder mitbringen müssen, »ebenso wie die Lust am Austausch und Neugierde«, argumentiert Schöps. »Meine Motivation war, dass ich mich und unseren Betrieb weiterentwickeln wollte«, blickt Eva Altig auf das Jahr 2008 zurück, als sie ihrer ersten Erfa-Gruppe beitrat. Eine Auffassung, die auch Thomas Barth und Eric Lenz teilen, wobei für Lenz noch etwas anderes wichtig ist: »Die Gewissheit, dass das, was in der Gruppe besprochen wird, dort bleibt, hält uns zusammen.« Florian Schöps erwähnt abschließend, »dass die Teilnahme regelmäßig gewährleistet sein muss. Mal dabei sein und mal nicht, ist nicht.«
Damit Erfa-Mitglieder den größten Nutzen aus der Gruppe ziehen können, müssen sie kritikfähig sein. »Wo externe Unternehmensberater vorsichtig sind, können einzelne Mitglieder einer Gruppe mit ihrer Kritik – die nicht persönlich sein darf – schon mal gnadenlos sein«, unterstreicht Andreas Lübeck.
Erfahrungen: Praxisbeispiele
Trotz dieser hohen Anforderungen schwört nicht nur Thomas Barth auf Erfa-Gruppen. »Sie sind ein guter Kompass. Mein Laden heute ist das Ergebnis langjähriger Erfa-Arbeit!« 2018 profitierte er massiv davon. Damals setzte er einen Neubau an das denkmalgeschützte Gebäude, in dem sein Ladengeschäft untergebracht war. Künftig sollte der Verkauf in den Neubau, die Werkstatt in das alte Gebäude ziehen. Eine nervenaufreibende Sache, vor allem die Kommunikation mit dem Denkmalamt gestaltete sich schwierig. Als Barth sein vermeintlich fertiges Projekt seiner Erfa-Gruppe vorstellte, bemängelte diese, dass die Eingangstür zur Werkstatt viel zu schmal sei. »Dein Schaufenster muss die Tür zur Werkstatt werden, ohne Automatik-Tür bist du verloren«, hieß es. »Bock auf weitere Diskussionen mit dem Denkmalamt hatte ich keinen«, erinnert sich Barth. Die Erfa-Mitglieder ließen aber nicht locker, sodass er aus der Erfa-Sitzung heraus das Denkmalamt anrief.
24 Stunden später lag die Sondergenehmigung auf dem Tisch.
Ähnliches erlebte auch Eva Altig: »Der Umzug unseres Verkaufs in eine neue Räumlichkeit vor inzwischen über 13 Jahren ist aus der Erfa-Arbeit heraus entstanden. Dadurch konnte am ursprünglichen Standort eine größere und gut ausgestattete Werkstatt entstehen. Aktuell gibt es wieder eine Möglichkeit, an einen neuen Standort umzuziehen. Das Vorhaben stellte ich bereits in der Erfa-Gruppe vor und erhielt viel Zuspruch. Das macht Mut.«
Eric Lenz möchte seine Erfa-Gruppe ebenfalls nicht missen. »Wir bei ›Lenz E-Bikes‹ profitierten schon mehrfach davon. Ergebnisse des Austauschs fließen bei uns in Entscheidungen bezüglich des Sortiments, der Geschäftsentwicklung, der Ausstattung von Laden und Werkstatt, aber auch bei Entscheidungen zum Ladenbau mit ein. Interne Prozesse, Abläufe und die betriebliche Organisation konnten wir auch schon effizienter gestalten.«
Kein Wunder also, dass sowohl Erfa-Moderatoren als auch Erfa-Händlerinnen und -Händler ausschließlich Vorteile in der Mitgliedschaft sehen. Andreas Lübeck appelliert deshalb an alle, »die es bisher noch nicht probiert haben: Sucht Euch eine Erfa-Gruppe, die zu euch passt!« Eric Lenz erzählt abschließend dazu noch eine Anekdote: »Als meine Erfa-Gruppe bei uns tagte, besuchten wir ein Restaurant. Als der Besitzer erfuhr, wer wir
sind, machte er sich selbst auf die Suche nach einer Erfa-Gruppe für Restaurant-Inhaber. Er hat sie inzwischen gefunden.« //
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