Report - Namensfindung
Namen: Mehr als Schall und Rauch
Ein guter Name macht noch lange kein gutes Produkt. Umgekehrt gilt aber: Ein gutes Produkt braucht auch einen überzeugenden Namen. Wenn das eine nicht zum anderen passt, kann ein Produkt im Verkauf durchaus auch mal floppen. Paradebeispiel: Die Automarke Nissan brachte ihren hierzulande erfolgreichen Geländewagen Pajero erst nach einigen Anlaufschwierigkeiten in spanischsprachigen Ländern unter dem neuen Namen Montero auf den Markt. Vorher wollte es nicht klappen: Pajero ist dort ein sexuell ziemlich anzügliches Schimpfwort. Vergleicht man mit dem Automarkt, zeigt sich allerdings: Für Modellnamen im Fahrradbereich schien bis vor wenigen Jahren obige Behauptung kaum zu gelten. Oder kennen Sie noch das Giant Escape aus den 80ern? Oder das Hercules Sport XY? Wohl kaum. Man erinnert sich an große Marken – aber an Namen kultiger Modelle? Es gibt nicht »den Carrera« unter den Bikes, »den Käfer«, schon gar nicht den »Mustang«. Lediglich Räder, die funktional sehr ungewöhnlich sind, wie etwa das Stufentandem Pino von Hase Bikes oder das Dreirad Scorpion von HP Velotechnik, kamen und kommen auch namentlich zu einer gewissen Berühmtheit. Doch seit einiger Zeit ändert sich das.
In den letzten Jahren sind die Namen von Fahrradmodellen wichtiger geworden. Sie übertragen jetzt mehr Image und helfen bei der Identifikation des Kunden mit dem Produkt. Das hat mit dem dazu gewonnenen Lifestyle-Faktor des Fahrrads zu tun. Wird Radfahren zum Trend, wird das Individuelle betont, damit auch die Produktnamen; gerade im Hipster-Bereich versuchen die Unternehmen, Funktionen auch im Namen zu transportieren.
Jörg Schindelhauer, Entwickler bei der Berliner Firma c2e-Engineering und Gründungsmitglied von Schindelhauer Bikes, ist nicht zufällig auch der Namensgeber der Marke: Schindelhauer war ein Handwerksberuf, und damit weist man schon darauf hin: Hier kommt es auf das Handwerk an. Durch die Modellnamen kommt das Heldentum hinzu: »Über die Nibelungensage sind wir auf den Siegfried gestoßen und haben dann die Helden-Systematik beibehalten«, erklärt Schindelhauer. Der Held der City – Singlespeed-Freaks und Fahrradkuriere, die Klientel von c2e, spricht das an. »Personalisierte Namen führen dazu, dass auch das Bike personalisiert wird«, erklärt der Namensgeber, »die Biker sagen zum Beispiel der Friedrich, nicht das Friedrich«, also »das Rad«. Und das spricht tatsächlich für einen anderen emotionalen Bezug zum Rad.
Heldentum ist natürlich nicht alles. Das Ganze muss auch lautmalerisch eine gewisse Logik aufweisen: »Der ›Ludwig‹ zum Beispiel klingt viel weicher, gemütlicher als ›der Viktor‹. Entsprechend heißt ein flinkes Fixie für harte Kerle bei Schindelhauer auch Viktor, nicht Ludwig.«
Auf dem Pony durch die Avenue
Für den E-Bike-Anbieter Riese und Müller zählen andere Vorgaben: »Das grundlegende Kriterium ist für uns die schöne Aussprechbarkeit und auch die Eingängigkeit der Laute«, meint Tobias Spindler. »Wir prüfen genau, ob keine missverständliche Assoziation mitschwingen kann, und auch die Aussprechbarkeit in anderen Sprachen ist wichtig.« In der Kürze liegt die Würze für die Darmstädter. Schließlich beschert die Evolution den Bikes mit der Zeit möglicherweise noch etliche Zusätze. Da wird zum Beispiel aus dem Delite das Delite Hybrid II Mountain. Daher sollte zumindest der Basisname kurz sein. Und das Lautmalerische? »Die Bedeutung muss nur ein bisschen mitschwingen, sieht man einmal von Spezialrädern wie dem Birdy oder dem Load ab.« Ein klassisches Beispiel für die Namensgebung ganz ohne Referenz: Kendu. Das Bike ist ein kompaktes, aber komfortables Pedelec für die City. »Natürlich gibt es hier auch die Assoziation ›(we) can do‹, aber sie ist zweitrangig«, so der Pressesprecher.
Ein Team vom Entwickler übers Marketing bis hin zum Geschäftsführer sammelt Ideen und wertet Sie aus, diskutiert und verwirft, bis nur wenige Vorschläge übrig sind. Dann lässt man die Nutzbarkeit des Namens prüfen und entscheidet sich schließlich – gemeinsam, oder, wenn kein Konsens gefunden wird, hierarchisch – für einen Begriff.
Einem festen System folgt Riese und Müller dann doch noch: Die Namensvergebung richtet sich nach dem Alphabet: Avenue, Birdy, Culture, Delite, … Und da ist man mittlerweile beim »P« angekommen: Die R+M-Neuheit auf der Eurobike 2014 läuft unter Blue Label, heißt Pony und ist so etwas wie die Kompaktausgabe des Charger. Kommt also jetzt doch ein kleiner Mustang auf den Markt?
Mit E-Cito auf dem Camino
Wer dagegen beim Vollsortimenter Stevens die Modelle durchsieht, stößt auf den ersten Blick auf kein System. Da stehen Kunstnamen wie Super Flight und Devil’s Trails neben Begriffen wie Strada, aber auch einfache Zahlen-Buchstaben-Kombis sind zahlreich vertreten. »Wir machen das nicht mit einer Kreativ-Agentur«, so Volker Dohrmann, Produktmanager bei den Hamburgern, »wir setzen uns im Team zusammen und entwickeln die Namen.« Mitarbeiter mit anderer Muttersprache sind oft sehr findig, so sorgte Dohrmanns Kollegin zum Beispiel für das Premium-Trekkingrad Camino – der Begriff bedeutet auf spanisch »Weg«. »Wichtig ist natürlich immer die freie Nutzbarkeit des Namens.« Das muss nachgeprüft werden – heute im ersten Anlauf ganz einfach per Internet; wenn man sich dann auf einen Namen eingeschossen hat, sollte man von Spezialisten noch einmal abklären lassen, ob der Name nutzbar ist und man ihn schützen lassen kann. »Mir sind am liebsten die Nummern«, sagt Dohrmann. »Da ist es einfach, klare und vor allem für den Kunden nachvollziehbare Hierarchien aufzustellen.« Aber auch mit Nummern- und Buchstabenkombinationen ist es nicht immer einfach, weiß er. Die Namensgebung einer großen Automarke veranlasste die Hamburger schon einmal zum Umschwenken bei der Typenbezeichnung – obwohl es nur um ein paar »X« kombiniert mit Nummern ging. Überhaupt: »Das Rechtliche bei der Namensgebung wird immer wichtiger«, so Dohrmann, der aus seiner langjährigen Erfahrung einige Fälle schildern könnte, wo es wegen Namensgleich- oder -Ähnlichkeit zu Diskussionen mit anderen Unternehmen gekommen ist.
Scorpion ist gleich Scorpio?
Wer bei der Überprüfung der Nutzbarkeit eines Namens schludert, bekommt gelegentlich Post von Rechtsanwälten anderer Unternehmen. Grundlage für die Verwendbarkeit ist, ob der Name frei ist. Der Punkt dabei: Nicht nur ein anderes Rad darf nicht schon Pony heißen. In der sogenannten Nizza-Klassifikation steht das Fahrrad und die meisten seiner Komponenten in der Klasse 12. Das bedeutet: Der Wunschname für ein Fahrrad darf nicht von Unternehmen mit Produkten, die dieser Klasse zugeordnet sind, bereits geschützt sein. Zu ihr gehören alle Fahrzeuge – worunter hier auch Flugzeuge und Schiffe und deren Motoren und diverse Komponenten fallen. Es reicht also nicht, festzustellen, ob ein Mitbewerber die gleiche Bezeichnung benutzt. Angemeldet und meist zunächst für zehn Jahre eingetragen wird der Modellname beim Deutschen Patent- und Markenamt, auf dessen Internetseiten man auch die wichtigsten Informationen findet. Streitfälle gibt es immer wieder auch bei sorgfältiger Recherche und Anmeldung: Schließlich gilt auch das gesprochene Wort als Markennennung; was anders geschrieben wird, aber gleich oder ähnlich klingt, ist möglicherweise riskant.
Auf dem Flitzer durch Santo Domingo
Ein anderer Fahrrad-Vollsortimenter setzt vor allem auf Traditionsnamen. Länder- oder überhaupt geografische Namen werden bei den Trekkern und Tourern besonders häufig verwendet. So gibt es das Winora Domingo, das Mallorca, das Labrador oder das Orinoco. Wichtig: »Der Klang muss passen«, sagt Florian Niklaus, aus dem Produktmanagement der Schweinfurter.
Deutlich moderner geht es bei der Tochterfirma Haibike zu: Im MTB-Sektor beispielsweise beherrschen englische Ausdrücke gemixt mit Ziffern- und Buchstabenfolgen das Portfolio. Leute aus dem Produktmanagement, der Design- und Marketingabteilung sowie der Geschäftsführung brainstormen zusammen, wenn es um neue Modellbezeichnungen geht. Sprechende Namen wie Heet (Anklang zu Heat) und Power sind besonders beliebt. Die erste Prüfung der Verwendbarkeit übernimmt man selbst, dann geht es mit Patentanwälten weiter. Winora lässt sich hierbei auch sämtliche Logos schützen. »Natürlich kostet das alles richtig Geld«, erklärt Niklaus, »und wo es sich anbietet, nutzen wir auch gerne bereits gut eingeführte Namen weiter.«
Einfacher macht es sich Winora fast durchgängig mit seinen Pedelecs: Hier setzt man in Schweinfurt auf Verführung durch technische Anmutung und benennt zum Beispiel mit Abkürzungen und der Angabe der Wattstunden – F3 468 Wh zum Beispiel.
Auf der Flucht
Bei international aktiven Unternehmen ist Namensgebung für den deutschen Standort oft keine große Sache mehr. »Bei Giant gibt es eine globale Marketingabteilung, die auch über Namen neuer Modelle entscheidet«, erklärt Steffen Barkhau, Produktmanager im Unternehmen. »Wenn Bedarf an neuen Namen für den deutschen Markt ist, setzt sich hier das Produktmanagement mit dem Vertrieb zusammen und sammelt Ideen. Letztendlich entschieden wird aber in der Zentrale.« Und nicht jedes Jahr gibt es drei oder vier neue Modelle für den hiesigen Markt. »Außerdem versuchen wir mehr und mehr, ein globales Programm zusammenzustellen.« Das bedeutet, dass immer weniger Namen aus dem deutschsprachigen Raum kommen müssen.
Als Namenskonzepte findet man bei Giant infolge fast nur englische oder anglisierte Begriffe. Da ist es vom Dreh (Twist) bis hin zur Flucht (Escape) nur ein kleiner Schritt. Aber auch den schlichten Tourer findet man hier.Hier Text einfügen
Auf dem Izalco schnell übern Berg
Ähnlich geht man auch bei Focus vor. Hier wird zunächst analysiert, welche Klientel man mit dem jeweiligen Rad bedient, welche Stärken das Rad hat – daraufhin wird der Name in Modernität, Klang etc. eingeerdet. »Dann kommt ein klassisches Brainstorming«, erzählt Pressesprecher Arne Sudhoff, »hauptsächlich mit Brand- und Produktmanagern. Eine Top-Fünf-Liste der besten Vorschläge wird erarbeitet, die in die vorläufige rechtliche Prüfung kommen.« Die großen Unternehmen der Branche scheinen hier alle ähnlich vorzugehen: »Verständlich«, meint Sudhoff »die Rechte-Frage ist heute wichtiger denn je und kann dem Unternehmen viel Geld sparen.«
Aber bei den Cloppenburgern gibt es einige traditionelle, gerne weitergeführte Namenslinien: Izalco zum Beispiel heißt seit langen Jahren eine Rennrad-Linie, benannt nach einem Vulkan in El Salvador. »Aber wir sind natürlich auch von gewissen Trends abhängig – so wie sich Autohersteller beispielsweise an Systematiken orientieren.« Man denke etwa an Volkswagen, die lange Jahrzehnte die verschiedensten Winde auf die Straße schickten. »Auch schön aussprechbare Abkürzungen laufen«, meint Sudhoff, «das Super All Mountain SAM ist da ein gutes Beispiel. Abkürzungen sind immer gut, und können meist einfach assoziativ im Brainstorming erarbeitet werden.«
Straßenfeger auf Dope
Vor allem Newcomer und kleinere High-End-Unternehmen haben oft Gefallen an einer »kultigen« und assoziativen Namensgebung. Neben dem schon erwähnten Unternehmen Schindelhauer besticht auch der Hersteller Electrolyte besonders durch kreative und bedeutungsschwangere Modellnamen. Straßenfeger, Brandstifter und Vorradler heißen drei seiner E-Bike-Modelle.
Kreativ ist schon die Herangehensweise: »Da gibt’s kein Rezept«, meint Geschäftsführer Matthias Blümel auf die Frage, wie solche Namen entstehen. »Mit einer Flache Wein abends im Freundes- oder Kollegenkreis funktioniert das ganz gut. Natürlich gibt es da eine prinzipielle Entscheidung, wie das Image der Firma in der Modellbezeichnung transportiert wird. Wir wollen mit unseren Namen auch Neugierde wecken, und wir tun es auf unsere Art. Wir brauchen wegen unserer geringen Größe für die Namensgebung auch keinen Riesenapparat, auch nicht in der rechtlichen Absicherung.« Und wenn einem eine so speziell ausgerichtete Namensgebung nicht gefällt, »dann hat er eben Pech gehabt«, meint Blümel selbstbewusst.
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