Markt - Lastenräder
Neue Schlepper für die letzte Meile
Ist das ein Fahrrad oder ein Auto? Mit seinen zwei Meter fünf Höhe, der Fahrerkabine und der geschwungenen Seitenverkleidung wirkt das Gefährt inmitten der Autoschlange wie ein schlanker futuristischer Transporter aus der Zukunft. Dann biegt es auf den Radweg ab und rollt dort langsam an dem Stau vorbei - das futuristische Fahrzeug heißt Ono und ist ein Lastenrad.
Wenn es nach ihren Erfindern geht, soll Ono zukünftig Diesel-Sprinter in der Stadt ersetzen. Die neuen Player aus der Automobilindustrie wie Ono oder Rytle ergänzen mit ihren ungewöhnlichen Konzepten die Lastenrad-Branche. Das hilft dem Markt. Denn bereits die Pioniere der Szene, feine kleine Manufakturen und etablierte Fahrradhersteller, haben gezeigt: Das eine Cargobike als universellen Sprinter-Ersatz im Stadtzentrum existiert nicht. Lastenräder müssen passgenau auf den Einsatzzweck und ihre Zielgruppe abgestimmt werden.
Der potenzielle Markt für die neuen und alten Cargobike-Bauer ist riesig. Dank Amazon & Co. steigt das Arbeitsvolumen der Paketzusteller jährlich: 2017 brachten die Mitgliedsunternehmen im Bundesverband Paket & Expresslogistik pro Zustelltag eine Million mehr Lieferungen zum Kunden als im Vorjahr und die Tendenz ist weiterhin steigend. Stau, Parkplatznot und Fahrverbote erhöhen den Druck auf die Logistik-Unternehmen. Sie suchen nach nachhaltigen Alternativen. Die Neuen am Markt wie Ono und Rytle vermarkten sich als potenzielle Partner.
Allerdings ist der Umstieg der Fahrer vom Lkw oder Sprinter aufs Fahrrad kein Selbstläufer. »Die Logistiker kämpfen um jeden Fahrer«, sagt Beres Seelbach von Onomotion. »Mit der Ono wollen wir das Beste aus der Fahrrad- und der Autowelt vereinen«, sagt er. Für ihn und seine Mitgründer Murat Günak und Philipp Kahle heißt das: Den Komfort, die Transportkapazität und das Design eines Autos mit der Flexibilität des Fahrrads zu kombinieren. Dazu gehören der leichte Zugang zum Fahrzeug ohne Führerschein, seine Nachhaltigkeit und die einfache Bedienung.
Arbeitsplatz Lastenrad
Günak war jahrzehntelang Chef-designer bei Mercedes und der Volkswagen-Gruppe - er hat unter anderem den Mercedes SLK entworfen. Der Schöngeist ist auch verantwortlich für die futuristische Silhouette »der Ono«, wie das Team sie nennt. Allerdings soll das Lastenrad nicht nur auffallen, ihre große Kabine soll die Fahrer auch vor Wind, Sonne, Regen und Schnee schützen und gleichzeitig eine gewisse Privatsphäre schaffen.
Seelbach hat die Kurierfahrer auf ihren Touren begleitet, um herauszufinden, was sie neben den rein technischen Bedürfnissen im Alltag für den Umstieg vom Sprinter aufs Rad brauchen. Jetzt befindet sich in einem Kasten unter dem Sattel ein kleiner abschließbarer Safe für Wertsachen wie den Ehering oder die Armbanduhr. An der Seitenverkleidung der Fahrerkabine sind zudem robuste Seitentaschen mit verschiedenen Fächern befestigt für Snacks, Getränke und sonstigen Schnickschnack. Später können auch Bluetooth-Lautsprecher installiert werden, damit die Fahrer ihre Musik übers Smartphone abspielen können. So will das Ono-Team den Zustellern ein Umfeld schaffen, in dem sie sich wohlfühlen können.
Momentan ist das Lastenrad für die Kurier-, Express- und Paketbranche konzipiert. Die Wechselcontainer haben das Format einer halben Europalette und fassen zwei Kubikmeter. Die Onos sollen in Verbindung mit Mikrodepots, sogenannten City Hubs, im Stadtgebiet den Paket-Sprinter ersetzen.
Flotten mieten statt kaufen
Das Team will die Onos nicht verkaufen, sondern als Flotten vermieten. Dazu gehören das Fahrzeug sowie Service und Versicherung. Wahrscheinlich werden die monatlichen Raten zwischen 500 und 1000 Euro liegen. »Die Kosten müssen niedriger als für einen herkömmlich angetriebenen KEP-Sprinter sein«, sagt Seelbach.
Dafür bekommen die Logistiker die Wartung frei Haus. »Wir werden in jeder Stadt eigene Werkstätten mit eigenen Mitarbeitern einrichten«, sagt Seelbach. In ein paar Wochen starten die ersten Onos in Berlin und Hamburg zum Praxistest im Alltag.
Das Bremer Joint-Venture Rytle ist bereits ein paar Schritte weiter. 200 ihrer Movr rollen für UPS und andere Logistikunternehmen in Deutschland, Asien und Amerika über die Straßen der Metropolen. Rytle ist seit 2017 ein Ableger des Fahrzeugherstellers Krone aus Bremen, der Aufbauten für Lkw, Gigaliner und Landmaschinen baut. Bevor der Geschäftsführer Ingo Lübs zu den Lastenrädern wechselte, war er Marketing-Leiter der Krone-Nutzfahrzeug-Gruppe.
Dass der Nutzfahrzeug-Riese jetzt bei den Zwergen der Branche mitmischt, ist ein Zufall. »Ich saß in Bremen in einer Besprechung als Arne Kruse ein Lastenrad mit einem großen Kofferaufsatz durch den Raum schob«, erinnert sich Lübs. Die beiden kamen sofort ins Gespräch. Viele Treffen und stundenlange Diskussionen später gründeten sie Rytle - die Kooperation der Bremer Firmen Speedliner (Hersteller von Lastenfahrrädern), Orbitak (Unternehmensberatung) und Krone, der die Finanzierung des Projekts übernommen hat.
Ökosystem aus Hard- und Software
Allerdings ist der Movr weit mehr als ein Transportfahrzeug auf drei Rädern. Es ist ein logistisches Gesamtkonzept. Das massive Lastenrad mit Fahrerkabine und zwei Motoren gehört ebenso zur Hardware wie die Wechselboxen und das Microhub, bestehend aus einem 10-Fuß-Container. Entscheidend ist für Lübs jedoch die clevere Verknüpfung von Hardware und Software.
»Ich möchte die Innenstadt emissionsfrei machen«, sagt er selbstbewusst. Die IT spielt für ihn dabei die entscheidende Rolle. »Man muss das Gesamtpaket anbieten, die Telematik, das Tracking der Pakete und die Routenplanung«, sagt er. Das Problem bei der Paketzustellung ist laut Lübs die letzte Meile. Sie sei der teuerste Posten. Grundsätzlich gilt: Je seltener die Pakete dort angefasst werden, umso höher ist der Verdienst. Rytles Idee ist, den Überlandverkehr besser mit dem Innenstadtverkehr zu vernetzen. Langfristig sollen die Päckchen und Pakete nach Postleitzahl und Straßenzug in den Boxen vorsortiert werden. Die Pakete werden demnach nur einmal sortiert und anschließend kein weiteres Mal in die Hand genommen. Die so vorbereiteten Boxen werden mit einem Lkw zu einem City-Hub gebracht und von dort verteilt.
Ein weiterer Baustein des Gesamtpakets ist die Movr App. Mit ihrer Hilfe lassen sich die Pakete verfolgen sowie das Bike, die Cargobox und das Microhub öffnen und verschließen. Sie kann den Dienstleistern außerdem eine optimierte Routenplanung zum Endkunden vorschlagen und sie mit Crowd-Workern und Endkunden vernetzen.
Konflikte mit Kommunen
Paketzustellung per Lastenrad ist eine saubere Alternative zum Diesel-Sprinter und spart zudem noch Platz. Jedenfalls auf der Straße. Für ihre Microdepots brauchen die Logistiker ebenfalls Stellplätze im öffentlichen Raum.
In Osnabrück testet UPS gerade das Rytle-Rad nebst Hub sechs Wochen auf einem öffentlichen Parkplatz mitten in der Altstadt. Von hier liefert der Fahrer die Pakete in die enge Fußgängerzone. Als Depot fungiert hier ein UPS-Lastwagen. In München bringt ein großer Lebensmittellieferant die Waren zurzeit per Loadster-Lastenrad statt per Lkw zum Kunden. Dort nutzen sie Stellplätze in einem Parkhaus als Depot. Mancherorts werden auch leerstehende Ladenlokale gemietet.
Mit den neuen E-Packrädern könnten Kommunen einen Teil ihres Verkehrsproblems lösen. Allein in der Citylogistik ließen sich je nach Rahmenbedingungen 8 bis 23 Prozent der Warensendungen auf Transporträder verlagern, haben Verkehrsforscher des Deutschen Zentrums für Luft-und Raumfahrt (DLR) ermittelt. Aber Lübs hört immer wieder aus Politik und Verwaltung: Wir finden keinen Stellplatz für ein Mikrodepot. Für ihn ist das unvorstellbar. »Die Umstellung des Wirtschaftsverkehrs auf Cargobikes ist ein städtegetriebenes Thema«, sagt er. Aber in einigen Städten sei der Leidensdruck anscheinend noch nicht hoch genug.
Allrounder für Pflegedienste und Handwerker
Allerdings können Lastenräder viel mehr als nur Päckchen und Pakete ausliefern. Sie können auch bei der Zustellung von Essen, Lebensmitteln oder Dienstleistungen wie Pflegediensten oder Handwerkerfahrten den Sprinter ersetzen. Das ist der Markt, in den das Citkar-Team ihren Loadster platzieren will. Auch dieser Markt ist riesig - rund eine Million Handwerksbetriebe gibt es allein in Deutschland.
Weniger Fahrrad geht kaum. Der Loadster von Citkar hat ein Lenkrad, einen Sitz, vier Räder, keine Kette und eine Fahrerkabine. Der Bürokaufmann Jonas Kremer hat sich das E-Kettcar für Erwachsene ausgedacht. »Es ist das erste Cargobike für Menschen, die sich nie auf ein Fahrrad setzen würden«, sagt er.
Wer sich allerdings einmal reingesetzt hat, steht so bald nicht mehr auf. Das Lastenrad in Kettcar-Bauweise ist wendig und kennt keine Fahrfehler. Im Gegenteil: Je schneller der Fahrer damit um die Kurven brettert, umso größer ist der Fahrspaß. Außerdem ist es komfortabel. Zwei Drittel des Fahrzeugs gehören dem Fahrer, nur ein Drittel der Last.
Aber das reicht. »Der Loadster ist der Pickup unter den Lastenrädern«, sagt Sven Kindervater, zuständig fürs Marketing und die Citkar-Strategie. Im Heck können die Lasten in verschiedenen Boxen verstaut werden. Auf Wunsch werden sie auch gekühlt. »Der Loadster ist ideal für Essensdienste, die mobile Pflege oder Handwerker«, sagt Kremer.
Mit ihrem vierrädrigen E-Lastenrad-Kettcar hat das Berliner Startup offensichtlich eine Marktlücke entdeckt. Die Gründer hatten bereits Anfragen von Kundendienstlern, Unternehmen aus der Telekommunikation, der Berliner Abfallwirtschaft aber auch Chemieunternehmen, die den Loadster in ihrem Werksverkehr einsetzen wollen. Die ersten 30 Modelle aus der Vorserienproduktion sind in wenigen Wochen fertig und gehen dann an diese Unternehmen zum Test.
Scheu vor dem Unbekannten
Das Revival der Packräder hat gerade erst begonnen. Vor fünf Jahren bauten rund zwei Dutzend Hersteller in Europa Cargobikes. Inzwischen sind es etwa doppelt so viele und es werden stetig mehr. Mit ihnen steigt auch die Nachfrage. 2018 wurden rund 39.000 E-Cargobikes verkauft. 17.000 mehr als im Vorjahr .
Weiterhin sind die E-Schwertransporter eine sehr junge Fahrzeuggattung. Sie sind die Neuen auf dem Markt und für Flottenmanager und Handwerker eine relativ unbekannte Transportlösung. Das macht ihnen die Entscheidung »Lastenrad statt Transporter« oftmals schwer.
Neben der Wahl des passenden Minitransporters spielen auch Wartung und Service der neuen Fahrzeuge in der Flotte eine entscheidende Rolle. »Downtime ist der Feind der Logistik«, stellt Lübs nüchtern fest. Ausfälle können sich weder Zusteller noch Handwerker leisten. Das Fahrzeug muss innerhalb von 24 Stunden wieder auf die Straße. Aus diesem Grund plant Ono, Ersatzfahrzeuge bereit zu halten.
Rytle profitiert von der Nähe zu Krone. Hier sind die Prozesse längst automatisiert und etabliert. Gebaut wird der Movr in Zerbst in Sachsen-Anhalt. 800 bis 1000 Modelle sollen in einem Jahr hier aus den Hallen rollen. Für die Ersatzteile teilen sich Rytle und Krone die Lager. In langen Regalreihen liegen die Movr-Laufräder neben riesigen Ersatzteilen für Feldhäcksler und Sattelschlepperaufleger. Nach der Bestellung im Online-Shop werden sie umgehend in die Welt verschickt. Anders als Ono betreibt Rytle jedoch kein eigenes Serviceteam vor Ort, sondern kooperiert mit regionalen Fachhändlern.
Citkar will den Wartungsaufwand von vornherein möglichst gering halten und hat anfällige Teile wie die Kette bereits im Vorfeld durch einen kettenlosen Antrieb ersetzt. Sie bauen ebenfalls ein deutschlandweites Service-Netzwerk inklusive Pick-up-Service auf. Ihr Ziel ist es, das robusteste E-Cargobike am Markt zu bauen. Kindervater ist zuversichtlich. Er sagt: »Die Prototypen sind bereits 5000 Kilometer ohne Probleme gefahren.«
Davon träumt auch Andreas Kiehlmeier. Der Sanitärtechniker ist seit April im Alltag mit dem Sortimo-Lastenrad ProCargo CT1 unterwegs. Für den Handwerker war die Entscheidung naheliegend. Sortimo hatte bereits sämtliche seiner Firmenfahrzeuge eingerichtet. Als das Unternehmen gemeinsam mit HNF Nicolai ein Cargobike auf den Markt brachte, bestellte er es nach einer Probefahrt. Inzwischen erledigt er damit fast alle seiner Touren. Das funktioniert jetzt im Sommer gut. Die Mehrzahl seiner Kunden sind gerade mal ein bis drei Kilometer von seinem Büro und Lager im Industriepark in Augsburg entfernt.
Mobilität auf zwei Rädern macht Kiehlmeiers Alltag einfacher. »Im Zentrum gibt es wenig Parkplätze«, sagt er. Mit dem Lastenrad sei er deshalb wesentlich schneller als mit dem Transporter, könne häufig vor der Haustür parken und bekomme zudem keine Strafzettel. »Diese ökonomischen Vorteile werden von vielen Flottenmanagern und manchen Handwerkern noch gar nicht erkannt«, sagt Sascha Auer, Salesmanager bei Sortimo. Die Zeit, die Handwerker oder Mitarbeiter im Stau stünden, Parkplätze suchten oder Strafzettel fürs Falschparken erhielten, würden in keiner Wirtschaftsbilanz erfasst. Hier sieht er noch viel Aufklärungsbedarf in den Unternehmen.
»Bevor Handwerker oder Flottenmanager tatsächlich ein Lastenrad kaufen, müssen viele Parameter passen«, stellt Auer fest. Momentan sei ein Bike immer nur eine Ergänzung zum Fuhrpark und verursache Mehraufwand. »Die Handwerker müssen ihre Werkzeuge genau auf die Tour für den kommenden Tag abstimmen, um produktiv zu sein«, erklärt Auer.
Der Sanitärtechniker aus Augsburg hat damit kein Problem. »Man braucht ein wenig Mut zur Lücke“, sagt Kiehlmeier. Aber bislang sei er erst einmal umgekehrt, um das Lastenrad gegen seinen Transporter zu tauschen. Damals musste er die Folgen eines Wasserschadens beheben und die großen Bausauger passten nicht in seine Cargobike-Box.
Für Kiehlmeier fungiert das Rad auch als Werbeplattform. Er hat bereits Neukunden gewonnen, weil er nachhaltig unterwegs ist. Ein Problem ist die Infrastruktur. »Die Radwege in Augsburg sind sehr schmal, dort kann mich keiner überholen«, sagt er. Je nach Oberfläche der Fahrbahn werden er und die Ladung auch ziemlich durchgerüttelt. »Ich muss die Schrauben nachziehen, irgendwo am Rad klappert etwas«, sagt er.
»Die Infrastruktur ist ein wichtiger Punkt, um Lastenräder im Wirtschaftsverkehr zu etablieren«, weiß auch Auer. Er stellt fest: »Wenn es sichere Radwege gibt, nehmen die Stadtbewohner auch in ihrer Freizeit das Fahrrad. Das ist der erste Schritt. Erst wenn die Infrastruktur stimmt und die Menschen Radfahren, ziehen die Unternehmen nach.«
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