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E-Coommerce - Fahrradshop 2021

Online-Potenziale heben

Der Händler oder Hersteller mit eigenem Onlineshop hat die Qual der Wahl. Abgesehen von der Shopsoftware gibt es Tausende von Modulen, die man einbauen kann, doch die Gretchenfrage lautet: Lohnt sich das überhaupt? Ein Blick zu den Größen der Zunft gibt Aufschluss, was schon funktioniert und woran sie arbeiten. Vieles davon liegt in Reichweite von kleineren Händlern.

Velofactory heißt ein neuer Onlineshop für Zubehör in der Schweiz. Er führt von Beginn an ein stattliches Sortiment. Glaubt man der Pressemeldung, verfolgt man große Ziele. Das sieht man dem Shop allerdings nicht wirklich an. Er kommt extrem puristisch daher. Es fehlen für den Kunden wichtige Produktdetails, Wettbewerber schreiben bei den gleichen Produkten ganze Romane in die Produktseiten. Velofactory verzichtet darauf.

Vielleicht ist das inzwischen der richtige Ansatz. »Die Zeiten, wo man unbedingt viel Content auf der Shop-Seite haben musste, sind vorbei«, sagt Marcus Diekmann, Vordenker bei Rose Bikes. Seiner Auffassung nach dient der Onlineshop vor allem der Abwicklung der Bestellung, während die Inspiration woanders stattfindet, vor allem auf Social Media.

Aus diesem Grund prognostiziert Diekmann auch das Aus für viele vor allem kleinere Onlineshops. »Ich glaube nicht mehr an das reine Handelsmodell im E-Commerce.«

Diekmann glaubt vor allem an die Kraft der Plattform, auf der sich viele Anbieter treffen, um dem Kunden ein möglichst umfassendes Sortiment bieten zu können. Gerade baut er Rosebikes.de zu einer ebensolchen Plattform um und möchte gerne, dass diejenigen Marken mitmachen, deren Produkte nicht mit den eigenen konkurrieren. Als Gegenleistung für die Teilnahme bietet Diekmann den Partnern kostengünstigen und schnellen Zugang zum digitalen Know-how im Hause Rose.

Retail Media als Option

Als Vorbild dient Amazon. Der Handelsriese aus Seattle verdient inzwischen deutlich mehr Geld durch seine technischen Dienstleistungen und das Werbegeschäft als durch den Handel selbst. Der Handel ist sozusagen die Marketing-Maßnahme, um die Menschen auf die Seite zu locken.

Retail Media heißt das Schlagwort dazu. Händler, gleich welcher Größe, sollten sich eine Infrastruktur aufbauen, die es erlaubt, die moderneForm des WKZ zu nutzen. Bei kleineren Händlern wird das oft nur eine Promotion-Fläche auf der Homepage sein. Bei größeren Händlern geht das auch in die Rubriken oder es lassen sich prominente Flächen auf den Suchergebnisseiten vermarkten.

Basics sind notwendig

Es ist also beileibe kein Hexenwerk, wenn man mit seiner Website neue Möglichkeiten, die sich im Markt ergeben, nutzen möchte. Allerdings gilt es, ein paar Vorarbeiten zu leisten.

Zunächst braucht man eine Website mit moderner Architektur. Auf der Kundenseite müssen die Seiten schnell laden, sie müssen mobil-freundlich gestaltet sein und sie brauchen eine Struktur und Navigation, die einfach zu benutzen ist. Diese Kriterien sind unverzichtbar.

»Modern« bedeutet aber auch, dass die Veränderung und Pflege der Website leicht von der Hand geht und schnell machbar ist. Das gilt zum einen für die Inhalte selbst. Wer ein modernes Content-Management-System wie Drupal oder Wordpress nutzt, kann die Seiten im Browser bearbeiten. Einfache Veränderungen, wie die Korrektur eines Rechtschreibfehlers oder das Einblenden eines Marken-Werbebilds sind eine Sache von Sekunden.

In solche Systeme, und das gilt auch für Onlineshops, lassen sich mit überschaubarem Aufwand Erweiterungen einbauen, die die Leistungsfähigkeit steigern. »Wir haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht, wenn wir bei den E-Bikes einblenden, wie viele davon schon früher verkauft wurden«, sagt Sven Rocksloh, Leiter E-Commerce bei BOC24.

Das Prinzip hinter diesem kleinen Kniff lautet Neuromarketing, genauer Social Proof. Kunden, die noch nicht sicher genug bei ihrer Kaufentscheidung sind, verlassen sich gerne auf Bewertungen oder sie kaufen Bestseller in der Auffassung, dass die Kunden vor ihnen schon das Richtige gewählt haben.
Neuromarketing ist die Kunst der subtilen Verführung. Ganz oben bei den Prinzipien rangiert die bekannte »Verknappung«. Wer ein Angebot an eine limitierte Stückzahl knüpft oder nur für einen begrenzten Zeitraum aufrechterhält, übt sanften Druck aus. Der Kunde hat Angst, etwas zu verpassen, wenn er nicht zuschlägt.

101 unterschiedliche solcher Verhaltensmuster hat Neuromarketing-Experte Philipp Spreer aus Hamburg ermittelt. Sie ersetzen in aller Regel den scheinbar »rationalen« Kauf, der konkreten Produkteigenschaften folgt. »Es gibt eigentlich keine Kaufentscheidung, die nicht emotional wirkt«, so Spreer.
Will man diese Maßnahmen auf der eigenen Site ausprobieren, so braucht es drei Dinge:

  1. Eine Ahnung vom emotionalen System der Kunden. Das ist bei jedem Kunden anders, aber es lassen sich Cluster bilden, sogenannte Personas. Kein Händler würde einer Frau, die mit zwei Kindern in den Laden kommt, als Erstes ein Rennrad zeigen.
    Im Idealfall legt sich der Händler eine Handvoll solcher Archetypen zurecht und kommuniziert (und damit ist auch der Text im Shop gemeint) mit allen unterschiedlich.
  2. Eine Website, die sich leicht verändern lässt. Damit können Neuro-Trigger einfach mal ausprobiert werden, ohne dass gleich große Kosten entstehen. Sehr viele dieser Trigger bedeuten nur kleine Veränderungen in Text und Bild.
  3. Ein System, das die Effekte messen kann. Wenn Sie das bei nur einem Produkt machen, können Sie die direkten Absatzzahlen zurate ziehen. Allerdings sollte schon anständig viel Besuchsverkehr auf der Website unterwegs sein, damit man statistisch relevante Ableitungen treffen kann.
    Testet man über unterschiedliche Bereiche der Website hinweg, dann benötigt man ein gut konfiguriertes Online-Tracking, dessen Ergebnisse man in regelmäßigen Zyklen auswertet.

Die dynamische Website

Die Disziplinen zwei und drei der Aufzählung können Tools heute gut abnehmen. Das Prinzip: Man integriert etwas Programmiercode in die eigene Seite und gibt den Tools wie Optimizely oder TRBO damit Zugriff auf die Seitengestaltung. Will man nun einen emotionalen Trigger testen, legen diese Tools einen Test an. Das ist einerseits die alte Originalseite und andererseits die Neuro-optimierte Testseite. Die Besucher werden über eine sogenannte Traffic-Weiche mal auf die eine und mal auf die andere Seite geleitet. Am Ende des definierten Testzeitraums spucken die Tools einen Bericht aus, der sagt, was besser funktioniert hat.

Diese Form des automatisch gesteuerten Tests gibt es seit zehn Jahren. Inzwischen haben sich die Werkzeuge noch deutlich weiterentwickelt. TRBO, das System, das auch BOC24 einsetzt, kann ganze Seiten an das Verhalten der Nutzer anpassen. Schaut sich jemand Produkte aus dem Bereich Mountainbike an, so wird dies auch der Inhalt sein, der ihm auf der Homepage bevorzugt angezeigt wird. Das Sortiment wird also auf den jeweiligen Nutzertyp zurechtgestutzt. »Wenn der Nutzer einmal eine Rahmengröße ausgewählt hat, brauchen wir ihm doch Räder, die es in dieser Größe nicht gibt, gar nicht mehr anzuzeigen«, erklärt TRBO-Gründer Felix Schirl.

Dazu braucht es im ersten Schritt keinerlei personenbezogene Daten, somit hat man kein Datenschutzpro­blem. »Wir arbeiten nur mit den Daten, die während des Besuchs entstanden sind. Das Wiedererkennen des Nutzers am nächsten Tag erfolgt durch eine anonyme Erkennung des Browsers«, erläutert Schirl.
Wenn man schon ein System hat, dass mit einfachen Mitteln in die Website eingreift, dann kann man auch Kampagnen einfach in die Seite einpflegen. Jemand, der bereits ein Mountainbike im Warenkorb hat, bekommtdie Rabattaktion für das Genre nicht zu sehen. Jemand der noch zögerlich ist, eben schon.

Personalisierung auch in der Werbung

Doch auch TRBO braucht Traffic, damit die Algorithmen ihre Leistungsfähigkeit zeigen können. »50.000 bis 60.000 Seitenaufrufe im Monat sollten es schon sein«, meint Schirl.

Die Dynamisierung der ganzen Website zählt schon zur hohen Kunst im E-Commerce. Die oben erläuterten Grundvoraussetzungen greifen aber viel früher.
Wir alle kennen die nervige Werbung, die immer wieder das gleiche Produkt anzeigt, nur weil man es sich auf irgendeinem Onlineshop mal angesehen hat. Sogar, wenn man das Produkt längst gekauft hat. Dieser Mechanismus nennt sich Retargeting und wir sehen das so oft, weil es funktioniert. Es ist nicht spektakulär, aber dennoch lohnenswert. Irgendwo zwischen drei und fünf Prozent der so »gestalkten« Nutzer kommen wieder und kaufen.

Aber Retargeting kann natürlich viel mehr. Wenn man weiß, wie der Kunde tickt, kann man ihm passende Zusatzangebote machen. Man weiß, ob er eher auf einen rabattierten Preis (Schwabe) oder auf eine spektakuläre Neuerscheinung (Apple-User) reagiert und kann Retargeting nutzen, um individuell passende Werbung auszuspielen. Auch das ist technologisch kein Hexenwerk.

E-Mail, der Evergreen

Der größte Datenschatz, den eigentlich jeder Händler hat, ist sein Kundenstamm. Hier gibt es eine Verkaufshistorie, die zum Beispiel zeigt, wann der frühere Mountainbike-Freak erstmals ein Kinderfahrrad gekauft hat. Da die zeitliche Entwicklung bei Kinderfahrrädern ziemlich vorhersehbar ist, könnte man das nutzen, um dem heranwachsenden Spross beziehungsweise dessen Eltern immer wieder sehr passgenaue Angebote zu unterbreiten. Im Zweifel weiß man sogar, wann das Kind Geburtstag hat, und schreibt Papa vier Wochen vorher an.
Warum macht das keiner? »Viele mittelständische Unternehmen mussten während der Corona-Krise feststellen, dass ihr Datenstamm nicht gut gepflegt ist«, sagt der Hamburger Marketing-Experte Erik Siekmann. In einer Zeit, in der physischer Kontakt unmöglich war, zeigte sich auf einmal, wie schlecht man digital kommunizieren kann. Früher war es vielleicht nicht nötig, weil die Kunden einfach vorbeikamen. Heute stellt sich das anders dar, und weil viele Menschen gute Erfahrungen mit dem Versandhandel gemacht haben, geht das auch nie wieder auf das Vor-Corona-Niveau zurück.

Ein banaler, statischer Onlineshop ist Schnee von gestern. Er ist zwar die grundlegende Voraussetzung, um als zentrale Anlaufstelle für die Kunden zu dienen, aber die Schwierigkeit liegt darin, den Kunden überhaupt in den Shop zu bekommen. Es geht um eine ganzheitlich gedachte Kommunikationsstrategie. Das erfordert initialen Aufwand und man muss sich auf den Hosenboden setzen, um eine Strategie auszuarbeiten, aber wenn man es nicht tut, dann lohnt der Betrieb des eigenen Shops eventuell gar nicht. Dann kann man ebenso gut auf Amazon, Otto oder mit einem Shopify-Shop via Instagram verkaufen, wo allemal mehr potenzielle Kunden unterwegs sind.

Wenn man das Personalisierungsprojekt allerdings ernst nimmt, dann stellt sich plötzlich das ganze Unternehmen neu auf. Für BOC24 ist inzwischen der Live-Chat auf der Website zu einem der wichtigsten Tools geworden. »Wir wollen vor allem durch unsere Beratungskompetenz wahrgenommen werden«, so Sven Rocksloh. Das ist der Mehrwert, den Wettbewerber Amazon nicht bieten kann. Rocksloh hat dafür sogar ein System angelegt, bei dem ausgewählte Endkunden nach Ladenschluss bei der Beratung helfen.

Starten Sie Ihr Personalisierungsprojekt mit den Personas. Entwickeln Sie fünf Archetypen an Kunden und entwerfen sie für jeden Typ eine eigene Sprache, ein Produktsortiment und emotionale Trigger. Wenn Sie damit starten und erfolgreich sind, kommt der Wunsch nach der personalisierbaren Website von ganz allein.
Und wie erwähnt: Bei jedem Schritt können heute Tools helfen, die ein Gros der Routinearbeit abnehmen und die personellen Ressourcen kleiner und mittlerer Unternehmen entlasten. //

Interview mit Sven Rocksloh, Leiter E-Commerce bei BOC24

Kunden als Berater

Sven Rocksloh baut gerade für BOC24 eine technische Infrastruktur auf, die es ihm erlaubt, neue Technologien und Lösungsansätze schnell zu testen. Die Corona-Zeit war bereits ein Lackmustest für die meisten neuen Tools.

Wie sieht man bei BOC24 das Thema Plattformen?

Vor meiner Zeit haben wir intensiver auf Amazon verkauft. Das tun wir aktuell nicht. Wir konzentrieren uns vor allem auf die eigene Website und unseren Shop. Allerdings schauen wir uns gerade an, wie wir in Zukunft mit Eigenmarken wieder auf Amazon gehen. Bei unseren eigenen Produkten kann uns Amazon keine Konkurrenz machen.

Rose Bikes, Fahrrad.de, FahrradXXL oder Ihr hätten das Zeug, um eine Handelsplattform für die Radbranche zu etablieren. Glaubst du daran?

Ehrlich gesagt nicht. Ich bin ja als Quereinsteiger in die Radbranche gekommen und bin schon erstaunt, wie schwer sich diese kleinteilig strukturierte Branche tut, in Kooperationsmodellen zu denken. Außerdem ist die technische Kompetenz vieler Händler eher überschaubar. Und dann stellt sich die Frage, ob der Kunde das braucht. Oder will er lieber einen Händler, der alles abbildet?

Als Quereinsteiger hast du Benchmarks, die außerhalb der Radbranche liegen. Wie gut ist der Onlineshop von BOC24?

Schon ziemlich gut, besonders bei allem, was dem Kunden begegnet. Im Backend haben wir noch Baustellen. Das gilt für unsere Warenwirtschaft, die flexibler sein dürfte. Und das Thema Artikel-Stammdaten, wie sie von den Herstellern kommen, ist ein Problem. Aber das gilt ja für die ganze Branche. Das ist teilweise gruselig. Ansätze wie Veloconnect gehen in die richtige Richtung, aber da sind eben einige Hersteller nicht dabei.

Ein aktueller Trendbegriff in der Online-Marketing- und E-Commerce-Szene ist das Thema Personalisierung. Gilt das auch für die Fahrradbranche?
Auf jeden Fall. Auf der Website funktioniert das schon gut. Im Bereich CRM und E-Mail sind wir noch nicht so weit. Da können wir zwar auf Produktebene segmentieren, viel mehr Daten nutzen wir da aber noch nicht. Da müssen wir in Zukunft mehr machen.

Wie funktioniert das onsite im Shop?
Wir setzen TRBO aus München dafür ein. Wir waren vorher schon bei Akanoo, die haben aber Anfang des Jahres zugemacht. Außerdem war deren Lösung ziemlich intransparent. Das ist bei TRBO anders. Das Tool registriert die Bewegungspfade eines Nutzers und leitet daraus ein Profil ab. Wer sich andauernd nur Mountainbikes anschaut, wird beim nächsten Besuch nicht mit einem Rennrad begrüßt.
Inzwischen nutzen wir TRBO auch als Testing-Tool, um Experimente zu machen. Und wenn etwas richtig gut funktioniert, lassen wir das von unserer Website-Agentur fest in den Shop integrieren.

Bei welcher Funktion ist das
passiert?

Ein ganz einfaches Beispiel: Wir wollten einen Share-Button für Whatsapp haben. Das ist wirklich keine Rocket Science, aber der Umsatz über diesen Button war wirklich enorm. Das war nach zwei Stunden implementiert und das wollen wir auch fest in den Shop einbauen.

Welche anderen Techniken setzt
Ihr noch auf der Website ein?

Die wichtigste ist der Chat. Der funktioniert sehr gut, weil wir einen klaren Trend zu immer beratungsintensiveren Produkten sehen. Das ist auch ein Grund, warum Händler gegen Amazon bestehen können. Neben den Service-Mitarbeitern beraten dort auch Kunden.

Wie das?

Die konnten sich bewerben, mussten dann einen ziemlich harten Test bestehen, den unsere Verkäufer im Laden ausgearbeitet haben. Da sind ja echte Fahrrad-Cracks dabei. Und inzwischen können sich die besten 50 Kunden ein paar Euro dazuverdienen, indem sie neue Kunden beraten. Vor allem in den Zeiten, wenn unser Service nicht besetzt ist, ist das spannend. Oder natürlich in so einer nachfragestarken Zeit wie Corona.

7. September 2020 von Frank Puscher
Velobiz Plus
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