Interview - Wolfgang Scherreiks
Performance ist das neue Urban
{b}Herr Scherreiks, Sie beschäftigen sich mit Fahrradkultur. Wie kommt man dazu, sich in Berlin darüber Gedanken zumachen?{/b}
Berlin hat sich in den letzten Jahren zur Fahrradstadt entwickelt. Ich bin schon immer viel mit dem Rad in der Stadt unterwegs gewesen – auf einfachen, alten Velos. Damals habe ich keinen Wert daraufgelegt, ein gutes Fahrrad zu fahren. 2010 kaufte ich dann ein Pashley Guv’nor, einen Path Racer und Stahlrahmen-Klassiker – den gab es übrigens schon, bevor das Retro-Bike hip wurde.
{b}Was war das Anziehende daran?{/b}
Damit erlebte ich erstmals »Slow Biking«. Dabei geht es um Style over Speed, mehr um das Sehen auf der Strecke, als um das schnelle Ankommen. Die typische sportliche Herangehensweise beim Radfahren fand ich damals noch uninteressant. Was mich anzog, war auch ein Stil-Aspekt. Beim Guv‘nor der Bezug zur Tradition, der klassische Stil des Rahmens.
{b}Und darüber kam auch Ihr Zugang zu Fahrradmode?{/b}
Eine urbane und bürotaugliche Fahrradmode gehört zum Fahrradboom in den Städten. Sie ist Teil einer neuen Fahrradkultur, die teilweise auf Altes zurückgreift. In den Medien kam das damals noch gar nicht vor, aber ich habe gemerkt, dass das Thema journalistisch einfach gut ankam.
{b}Sie betreiben seit 2011 den Blog »Fahrradjournal – das Kulturmagazin«. Darin geht es um interessante Räder, aber auch immer wieder um Bekleidung für das Stadtradeln jenseits des sportlichen Mainstreams – und um Lifestyle und Kunst.{/b}
Urbane Kultur lässt sich wunderbar mit dem Fahrrad verbinden. »Mit einem guten Buch in der Tasche in stilvoller Garderobe Radfahren« stand dort einmal im Editorial. Ich wollte mich von den Sportblogs oder Blogs, die sich nur mit Radverkehrspolitik beschäftigen, abgrenzen und andere, auch ironische Texte über Fahrradkultur und ihre Protangonisten schreiben.
{b}Und das Fahrrad – anything goes?{/b}
Eine lebendige Fahrradkultur kann keine Nutzergruppen ignorieren. Prinzipiell ist jeder Fahrrad-Typus spannend und hat seine Berechtigung. Je nach Straßenprofil und Witterung werden sogar MTBs und Fatbikes in der Stadt gefahren. Selbst wenn sie ursprünglich nicht dafür konzipiert sind und die Vermarkter von Sportbikes da manchmal ein bisschen einspurig fahren.
{b}Sie sind Chefredakteur der seit 2015 existierenden Zeitschrift Cycle – wie entstand das Magazin?{/b}
Die Idee hatte ich schon etwas länger im Kopf: Ein Printmagazin, das den ganzen Bereich des Radfahrens in der Stadt abdeckt und dabei die Produkte nicht vergisst. So eines fehlte auf dem Markt. Schließlich geht die Entwicklung zu mehr Fahrradverkehr und zum Urbanen hin schon etwas länger.
Ich bekam im Laufe der Zeit mehrere Anfragen von Verlagen, weil ich zum Thema schon journalistisch gearbeitet hatte. Das Konzept des Wieland-Verlags erschien mir ziemlich ausgereift. Beim Treffen mit dem Verlagsleiter stellten wir schnell fest, dass wir ähnliche Vorstellungen über ein zukünftiges Magazin hatten.
{b}Ist es kein Nachteil, dass der Verlag nicht aus dem Bikebusiness kommt{/b}
Für ein Heft wie Cycle ist es sogar ein Vorteil. Das Magazin sollte vom Inhalt und vom Layout her eine andere Herangehensweise zum Thema Fahrrad verwirklichen als die am Markt eingeführten Zeitschriften. Wenn man etwas Neues machen will, dann ist der Blick von außen sehr hilfreich. Die Macher der Berliner Fahrradschau kamen auch nicht aus der Tiefe der Fahrradbranche – und stellten eine Show auf die Beine, die erfrischend anders ist als herkömmliche Fahrradmessen. In Cycle präsentieren wir Fahrräder und Zubehör, urbane Fahrradmode und Events, aber wir schauen uns auch die Qualität von Produkten kritisch an. Das ist ein wichtiger Teil des Konzepts.
{b}Was ist die Aufgabe von Cycle?{/b}
Vereinfacht gesagt: Wir machen das Verbrauchermagazin für den städtischen Radfahrer. Daher sind uns auch die Produkte wichtig – sowohl in ihrer technischen Funktion als auch in ihrer Ästhetik. Wir wollen die Menschen, die ihren Lebensstil auf dem Fahrrad zum Ausdruck bringen, vernünftig beraten.
{b}Wie sehen Sie die Zukunft von Urban Biking?{/b}
Das urbane Radfahren wird noch mehr Verbreitung finden. Die Saison spielt immer weniger eine Rolle, das kann man zumindest in allen größeren Städten feststellen. Natürlich ist man als Radfahrer abhängig von der Infrastruktur. Zum Beispiel werden in Berlin erst seit einigen Jahren bei Schnee die Radwege an den Hauptverkehrsrouten geräumt – in Kopenhagen werden die Radwege vor den Straßen vom Schnee befreit. Da ist die Politik in der Pflicht.
Aber auch unabhängig davon werden immer mehr Menschen das urbane Radfahren nicht nur als praktische Mobilität entdecken, sondern auch als Lebenseinstellung, die am Ende zu mehr Lebensqualität führt.
für unsere Abonnenten sichtbar.